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sven1421

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Samstag, 15. September 2012, 09:19

[D] Flitterwochen-Tagebuch

Lukas Svensson und seine Yelena haben sich gesucht und gefunden. Und am Ende haben sich die Beiden vor Gott und der Welt das Ja-Wort gegeben. Und wie es sich nunmal für zwei Frischvermählte gehört, gehen sie in den Folgemonaten erst einmal auf eine wohlverdiente Hochzeitsreise, die sie praktisch einmal um die ganze Welt führt. Von jenem Trip aber hat uns der Ex-Inspektor in Form mehrerer Tagebucheinträge ein paar Impressionen mitgebracht, die ich nun an dieser Stelle in seinem Auftrag in loser Folge an den interessierten Leser bzw. die interessierte Leserin bringen möchte. Und auch dabei wünschen mein Lukas und ich unserer gemeinsamen Fangemeinde mal wieder recht gute Unterhaltung ...

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 1


24. September 2009. Im Zug unterwegs.

Am Fenster des Zugabteils flog die Landschaft förmlich an mir vorbei. Große und kleine Städte mit Häusern und Fabriken wechselten immer wieder mit Wäldern, Wiesen und brach liegendem Land. Zwischendurch durchfuhren wir kleinere und größere Bahnhöfe. Yelena bekam von all dem herzlich wenig mit, sie hatte schon vor einer halben Stunde gähnend ihren Kopf in meinen Schoß gelegt und war dort sanft entschlummert. Ich aber hatte sie liebevoll und vorsichtig mit meinem geliebten, abgewetzten Regenmantel zugedeckt. Und nun entströmte ihrem leicht geöffneten Mund ein leises Schnarchen, das wie das wohlige Schnurren eines kleinen zufriedenen Kätzchens klang. Ich kannte und liebte dieses Geräusch. Überhaupt liebte ich alles an dieser einmaligen Frau, die seit nunmehr 4 Tagen ganz offiziell meine Frau war und meinen Namen trug.

Ach, entschuldigen Sie bitte! Ich hab mich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt. Also für alle diejenigen, die noch nicht das Vergnügen hatten, mich kennenzulernen: Mein Name ist Svensson, Lukas Svensson. Bis zu meiner Pensionierung vor gut einem Monat war ich noch Inspektor bei Scotland Yard. Dort lief mir vor bereits 4 Jahren auch meine Yelena zum ersten Mal über den Weg, als die - ehemals aus Rußland übergesiedelte - Reinigungskraft einer Fremdfirma. Ich arbeitete damals gerade an dem recht rätselhaften Fall eines Bankangestellten, der in einem Zug mit 24 Messerstichen in Rücken und Bauch regelrecht niedergemetzelt worden war. Und während meine Kollegen Wannabe und Crawler ganz im Sinne unseres Chefs Sir Harold Freakadelly der Ansicht waren, es handle sich um einen klassischen Mafiamord der beiden rivalisierenden Clans der Spirellis und Makkaronis, führte mich meine Spürnase rasch auf eine ganz andere Fährte. Die Witwe des Ermordeten, eine gewisse Cathrin Napolitani, benahm sich bei der Überbringung der Todesnachricht nämlich etwas merkwürdig, zumal sie sich gerade am selben Tag eine junge Frau mit dem Vornamen Jane als Untermieterin ins Haus geholt hatte, mit der sie augenscheinlich wohl sehr viel mehr verband als nur ein Mietverhältnis. In mir keimte schließlich ein leiser Verdacht auf, der im Laufe meiner Ermittlungen immer lauter wurde: Der Mord an dem Bänker war womöglich die gemeinsam verübte Tat der beiden Frauen. Beweise für meine Vermutung hatte ich allerdings lange Zeit nicht. Erst als Jahre später eine Zeugin auftauchte, die mir die junge Kunststudentin Jane als ehemalige Geliebte des Ermordeten präsentierte, konnte ich mir meiner Sache sicher sein. Zudem wußte ich nun auch, wen ein Zugbegleiter seinerzeit meinte, als er beim Aussteigen an einem der Zwischenstops zwei Frauen am Zug beobachtete. Ich stellte Cathrin Napolitani und ihre Freundin Jane, die inzwischen Mutter eines kleinen Jungen namens Luke geworden war, zur Rede. Dabei ergab sich, daß der Mord eigentlich die gemeinschaftliche Kurzschlußhandlung einer betrogenen Ehefrau und einer nicht weniger hinters Licht geführten Geliebten darstellte. Und auch das grausam zugerichtete Mordopfer erschien plötzlich in einem ganz anderen Licht. Rücksichtslos hatte er die unschuldigen Gefühle der beiden - jede auf ihre Art gleichermaßen - hingebungsvoll in ihn verliebten Frauen mit Füßen getreten. In diesem Moment begann die Verzweiflung der geständigen Täterinnen, mich zu rühren. Und so entschloß ich mich, zum ersten Mal in meinem langjährigen Kriminalistenleben, trotz aller möglichen Konsequenzen selbst gegen das Gesetz zu verstoßen. In einer Nacht- und Nebelaktion mit meinem guten, alten Freund, dem ehemaligen Falschspieler Jack Holmes, versteckte ich die beiden zur Tat benutzten Messer auf dem Yardgelände im beschlagnahmten Wagen des vor kurzem erschossenen Mafiabosses Spirelli, so daß man nach dem Auffinden der Mordinstrumente postum zum Täter erklärte. Cathrin und Jane aber, die zwei Frauen am Zug, blieben völlig unbehelligt und zogen nun gemeinsam den kleinen Luke auf, zu dessen Taufpaten sie mich kurzerhand erwählten. Ich nahm diese Wahl nur zu gern an, denn irgendwie hatte ich Mutter und Kind sofort ins Herz geschlossen. Zuvor aber standen bei mir noch andere Termine ins Haus - meine Pensionierung und vor allem die Hochzeit mit meiner Yelena ...

In diesem Moment ruckelte der Zug ein wenig und riß mich aus meinen Gedanken. Die bezaubernde Schönheit auf meinem Schoß blinzelte verschlafen und murmelte dabei in ihrem süßen, mich stets aufs Neue betörenden russischen Akzent: "Lukas, moij Zladek, wir schon sind angekommen?". Ich schüttelte lächelnd den Kopf: "Nein, mein Engel! Mach Deine Äuglein ruhig noch ein wenig zu! Du weißt, daß Professor Doktor Wussowitsch gesagt hat, Du müßtest Dich nach all den Strapazen noch eine ganze Weile schonen!". Yelenas Köpfchen nickte schwach, während ich sanft über ihr wallendes Haar streichelte. Dann schlossen sich ihre Augen wieder, und sie tauchte erneut ab ins Reich der Träume. Mein Gott, was hatten sie und ich doch in den letzten Tagen und Wochen alles durchgemacht, nur damit sie jetzt hier so gesund und munter in meinem Schoß ruhen konnte?!

Begonnen hatte alles mit einem großen Unbekannten, der sich mir bei der Junggessellenabschiedsfeier als Iwan Kowarno vorstellte und mir in meinem angeheiterten Zustand zu vorgerückter nächtlicher Stunde anbot, mich in seinem Auto nach Hause zu fahren. Als ich am kommenden Morgen in meinem Bett mit einem Brummschädel und einer Platzwunde an der Stirn erwachte, war er längst verschwunden - und mit ihm auch meine Yelena. Was zunächst wie die überstürzte Flucht einer Braut, die sich nicht traut, aussah, entpuppte sich bei genauerer Betrachtung rasch als eine von langer Hand geplante Entführung. Der Entführer aber war niemand anders als jener Russe Kowarno, der seines Zeichens ehemaliger KGB-Agent und zugleich der Ex-Mann Yelenas war. Gemeinsam mit meinem Schützling, dem Computerexperten Timmy Hackerman, und meinem - überraschenderweise aus freien Stücken seine Hilfe anbietenden - Exkollegen Derrik Crawler machte ich mich unverzüglich auf die Suche nach meinem verschollenen Schatz. Die Spur aber führte uns in die Weiten Rußlands, wo wir nahe Moskau zunächst Kowarno aufspürten und wenig später mit Hilfe eines gefälschten Gemäldes aus seinem Besitz in meiner Geburtsstadt Königsberg - dem heutigen russischen Kaliningrad - quasi in letzter Sekunde auch meine, in einem Bunker eingesperrte Yelena. Während sich mein total geschwächter Liebling in einem kleinen Krankenhaus am Rande der Stadt Kaliningrad langsam erholte, führten uns verschiedene - bei der Ergreifung Kowarnos entdeckte Hinweise - noch auf die Spur eines ganz anderen, längst verschollenen Schatzes. Es handelte sich dabei um das, kurz vor Kriegsende von den Nazis verschleppte prunkvolle Bernsteinzimmer, dessen Fährte wir - dank der freundlichen Zustimmung von Yelenas behandendem Arzt Professor Doktor Wussowitsch mit ihr zusammen - nach Deutschland weiterverfolgten. Zur Schlüsselfigur wurde dabei ausgerechnet mein, seit langem in Berlin lebender Onkel Fritz. Nichtahnend hatte der damals beim Verstecken der 24 Kisten mit der wertvollen Bernsteinvertäfelung im Abzweig eines Berliner U-Bahn-Schachtes geholfen. Unter der Führung meines Onkels gelang es uns recht schnell, den seinerzeit verschütteten Lageplatz des Schatzes wiederzufinden, wobei sich allerdings unser Reisebegleiter Derrik Crawler als skrupelloser Verräter zu erkennen gab. Ihm war es von Anfang an nur um das Bernsteinzimmer gegangen, welches er mittels seiner Kontakte zur Unterwelt nun meistbietend verschachern wollte. Dabei war er sogar bereit, über Leichen zu gehen - unter anderem auch über meine. Die Schuld an einem Mord hatte er zu dieser Zeit, wie sich herausstellte, eh schon auf sich geladen, indem er die Tochter unseres gemeinsamen Ex-Chef Harold Freakadelly kaltblütig dazu angestiftet hatte, ihren Vater in die Luft zu sprengen. Daß mein Onkel und ich in dieser brenzligen Situation dennoch mit dem Leben davonkamen, haben wir vor allem dem beherzten Eingreifen unseres Freundes Timmy und meines rechtzeitig eingetroffenen, ungeliebten Ex-Kollegen Wannabe zu verdanken. Crawler, dem durch den Einsatz einer Handgranate kurzzeitig die Flucht gelang, stoppte wenig später eine weitere, tödliche Explosion in einem benachbarten U-Bahnhof, bei der allerdings auch der ihm nachgeeilte Timmy schwer verwundet wurde. Zurück in England erwies ich zunächst meinen ermordeten Ex-Chef Freakadelly die letzte Ehre, wobei es anschließend auf dem Friedhof zu einem weiteren Zwischenfall kam. Ein unbekannter Scharfschütze brachte mit einem gezielten Schuß Freakadellys mörderische Tochter Janet zur Strecke. Nach all diesen Aufregungen nahte dann endlich der langersehnte Moment der Hochzeit mit meiner Yelena. In der Sankt Pauls Cathedral im Herzen Londons gaben wir uns vor Pfarrer Shepherd in einer bewegenden Zeremonie das Ja-Wort, bevor wir gemeinsam an der Taufe des kleinen Luke teilnahmen. Zu unser aller Überraschung stellte sich dabei heraus, daß Lukes Mutter Jane, die den Nachnamen Webster trug, niemand anders war als Yelenas kurz nach ihrer Übersiedlung nach England zur Adoption freigegebene, langgesuchte Tochter Jana. Ach ja, welch für ein Freudentag war doch dieser 20. September 2009 für uns alle geworden. Mich hatte er gleichzeitig zum überglücklichen Ehemann, zum Stiefvater, zum Taufpaten und zum Opa gemacht. Meine Braut Yelena war quasi zum zweiten Mal Ehefrau und Mutter und gleichzeitig Oma geworden. Die einst so kleine Jane hatte endlich ihre Mama wiedergefunden. Und ihr kleiner Luke hatte anläßlich seiner Taufe mit einem Schlag neben einem himmlischen Vater auch noch zwei Großeltern geschenkt bekommen. Die Hochzeitsfeier in meinem Stammlokal, dem "My Redemption", aber hatte an jenem Abend noch bis weit in die Nacht angedauert. Es wurde getrunken, gegessen, gesungen, gelacht und getanzt. Unsere beiden Trauzeugen - Onkel Fritz und mein Freund Jack aus L.A. - hatten gemeinsam im Wechselspiel von Englisch und Deutsch eine anrührende Rede vorgetragen. Yelena und ich hatten als Brautpaar gemeinsam die Hochzeitstorte angeschnitten und anschließend zu dem von Shania Twain & Bryan White gesungenen Lied "From This Moment" den Brautschleier abgetanzt. Gegen 4 Uhr hatten wir dann erschöpft und doch beseelt auch unsere letzten Gäste verabschiedet und uns von unserem Freund, dem Yardrezeptionisten George Adams, in dessen angemieteter weißer Luxuslimousine zu unserer Wohnung chauffieren lassen, wo wir uns unmittelbar diskret in unser Schlafzimmer zum leidenschaftlichen Vollzug unserer Hochzeitsnacht zurückzogen.

Tja, und nun saßen wir also hier im Zug - jedem öffentlichen Verkehrsmittel, das uns quasi in Form eines darin verübten Tötungsdeliktes zusammengeführt und seitdem immer wieder auf unserem gemeinsamen Lebensweg begleitet hatte - und befanden uns auf Hochzeitsweltreise. Die Durchsage aus dem Lautsprecher an der Wand unseres Zugabteils kündigte dabei just in diesem Augenblick auch schon deren ersten kleinen Zwischenstop an: "Wir erreichen in etwa einer Minute unser Ziel Essen Hauptbahnhof. Nächster Anschlußzug in Richtung München und Wien ist der ICE 241 in 90 Minuten von Gleis 7". Die Erwähnung des Wortes "Essen" rief dabei in meinem Bauch ein eigentümliches Grummeln hervor. Und so berührte ich im vorsichtigen Hinunterbeugen meines Kopfes mit gespitzten Lippen sanft die - mir zugewandte - rechte Wange meiner Herzkönigin und weckte sie mit meinem zarten Kuß aus ihrem lieblichen Dornröschenschlummer. Sie aber öffnete zu meinem größten Erstaunen mit einem Schlag die Augen und räkelte sich dabei ausgiebig auf meinen Knien. Dann zwinkerte sie mir lächelnd zu und sprach: "Ich schon haben vernommen hungriges Grummelmonster in Bauch von mein süßes Lukas. Also, rasch Du uns lassen gehen etwas essen in ...". Damit reckte sie ihr Köpfchen ein wenig in die Höhe, um durch das Zugfenster einen Blick auf das bereits unmittelbar davor auftauchende Bahnhofsschild zu erhaschen und ergänzte dann ihren bis dato noch unvollendeten Satz: "Essen!". Ich aber schmunzelte ihr zu und sprach, bereits im Aufstehen begriffen: "Ja genau, mein Liebes! Essen in Essen ... Nomen ist eben Omen!".

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Angel (15. September 2012, 13:54)

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Samstag, 15. September 2012, 09:21

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 2


24. September 2009. Essen - 1. Halbzeit: Unter Tage Essen

Der laute Pfiff aus der Trillerpfeife eines Bahnangestellten ertönte vom Nebengleis her und setzte damit einen Zug in die Gegenrichtung in Bewegung, während unser Zug fast zeitgleich ruckartig zum Stehen kam. Die Zugtüren öffneten sich. Wie aufgescheuchte Ameisen den unzähligen Löchern in ihren Hügeln strömten die Reisenden aus den zahlreichen Waggons und bevölkerten mitsamt ihrem Gepäck innerhalb weniger Sekunden den gesamten Bahnsteig. Meine Yelena und ich waren in der allgemeinen Aufbruchstimmung so ziemlich als einzigste seelenruhig auf unseren Plätzen sitzengeblieben und schauten durch das Fenster und die offenstehende Tür unseres Abteils dem bunten Treiben der anderen amüsiert zu. Zuerst stürmten die Drägler aus dem Zuginnern ins Freie - diejenigen, die überhaupt keine Zeit zu haben schienen, da sie selbst zu so früher Morgenstunde offenbar das Gefühl hatten, zu spät zu kommen. Ein wenig erinnerten sie mich an das große, weiße Kaninchen aus "Alice im Wunderland", daß immer nur von einem Ort zum andern hetzte und dennoch stets überall zu spät ankam. Den Dränglern folgten unmittelbar die Mitläufer, die sich vom Gedrängel nur allzugern mitreißen ließen - brauchten sie so zum schnellen Vorwärtskommen doch nicht selbst die Ellenbogen ausfahren. Stattdessen zogen sie mitleidig schulterzuckend an den Zurückgebliebenen vorbei, welche höflich und bescheiden im Hintergrund abwarteten, bis jener reißende Menschenstrom abgeebbt war, um dann ohne jede Hast ganz in Frieden den Zug verlassen zu können. Dieser Gruppe schlossen ganz zum Schluß auch wir uns an - Yelena mit einer Reisetasche, in der wir unsere Papiere und unseren Proviant verstaut hatten, und ich mit zwei großen Reisekoffern, in denen wir neben unserer Reisegarderobe noch reichlich Stauraum für diverse Mitbringsel gelassen hatten.

So liefen wir dicht nebeneinander die lange Treppe zur Bahnhofvorhalle herunter. Man möge es mir als frischvermähltem Ehemann nachsehen, daß mein Blick dabei mehr meiner wunderschönen Gattin als den grauen, eintönigen Treppenstufen galt. Wie dem auch sei, ich stolperte jedenfalls aufgrund meiner kurzzeitigen Unachtsamkeit über einen Obdachlosen, der - in einen dicken Wintermantel gehüllt - am Ende der Treppe saß und auf dem Pappschild um seinen Hals eine milde Gabe von den vorbeieilenden Passanten erbat. Meine beiden Koffer berührten im Straucheln unsanft den steinernen Boden, ebenso wie mein linkes Knie. Mühsam erhob ich mich wieder. Als ehemaliger Kriminalist hatte ich mir meinen ersten Fall auf deutschem Boden doch ein wenig anders vorgestellt. Meine Kniescheibe war angeschlagen und schmerzte etwas unter meiner schwarzen Anzughose, welche an der entsprechenden Stelle als Folge des ungewollten Kniefalls auch ein kleines Loch davongetragen hatte. All dies war mir in dem Augenblick aber weitaus weniger wichtig als die Unversehrtheit des armen Mannes, den ich in meiner Eile zu meinem größten Leidwesen völlig übersehen hatte. Der Angerempelte strich sich vor meinen besorgten Augen immer wieder über den rechten Unterschenkel und sprach dazu mit deutlich schmerzverzerrtem Gesicht: "Mensch, können Sie denn nicht aufpassen? Oder sind Sie etwa genauso blind wie ich, mein Herr?". Erst jetzt registrierte ich die gelbe Binde mit den drei schwarzen Punkten an seinem rechten Oberarm und den starr geradeaus gerichteten Blick seiner weit geöffneten Augen hinter den mehrfach zerkratzten leichtgetönten Gläsern seiner Sonnenbrille. Spachlos schüttelte ich mehrmals den Kopf, bis mich Yelena ein wenig unsanft in die Seite stieß und mir zuflüsterte: "Aber Luki, der Mann doch nichts sehen! Wie er sollen erkennen Dein Schütteln von Kopf?". Klar, das leuchtete mir ein. Und so beugte ich mich vorsichtig zu dem Blinden herunter, legte meine Hand behutsam auf die seine und sprach: "Entschuldigen Sie bitte, daß ich Ihnen solche Schmerzen bereitet habe. Das war keineswegs meine Absicht. Gibt es vielleicht irgendetwas, womit ich meine Ungeschicklichkeit wiedergutmachen kann?". Der blinde Mann schien einen Augenblick überrascht über die offensichtlich ungewohnte Anteilnahme und Herzlichkeit, die da in den Worten eines ihm völlig Fremden anklang. Dann schüttelte er meine Hand und raunte: "Nun ja, ist schon gut. Bei mir ist ja noch alles drangeblieben, Sir! Sie sind doch Engländer, nicht wahr?! Ich höre da nämlich einen leichten Akzent in ihrer Stimme, wissen Sie?! Und da ich glaube, daß Sie es mit Ihrer Frage wirklich ernst meinen, lassen Sie es mich mal in Ihrer Landessprache so formulieren: Money makes the world go round!". Dazu löste sich seine rechte Hand blitzartig von seinem Unterschenkel und vollführte mit Daumen und Zeigefinger der geschlossenen Hand eine Art reibende Bewegung. Der zusammengeklappte Gehstock in seiner linken Hand aber wies gleichzeitig auf seinen - ihm zu Füßen liegenden - umgedrehten Filzhut. Ich verstand die eindeutige Geste sofort und mußte schmunzeln. Ich hatte da scheinbar einen recht tüchtigen und noch dazu ortskundigen Geschäftsmann vor mir hocken. Vielleicht lohnte es sich ja für uns Beide, in dieser Situation mit ihm über einen kleinen Deal zu verhandeln. Und so raunte ich ihm vielsagend zu: "Ok, mein Freund, aber wenn ich hier schon gleich die englischen Pfunde purzeln lasse, dann wäre es nett von Ihnen, wenn Sie mir Ihren Namen und ein nettes Speiselokal in der Nähe nennen könnten, in dem man sich um diese Zeit die verlorenen Pfunde quasi gleich wieder anfuttern kann!". Der Blinde lächelte: "Mein Name ist Bernhard, aber für meine Freunde heiße ich Bernie. Und was Ihren Wunsch nach Essener Gastlichkeit angeht, so kann ich Ihnen wärmstens den Besuch des coolen Kellerlokals 'Annie 03' in der Bert-Brecht-Straße ans Herz legen, auf welches Sie unweit von hier entfernt stoßen, wenn Sie sich am Südausgang des Bahnhofsgebäudes rechts halten und dabei die Kruppstraße hinter sich lassen. Sie können mir da - was meine Ortskenntnis angeht - quasi blind vertrauen, wenn Sie verstehen, was ich meine?! Und ich bin mir ganz sicher, daß Sie und ihre reizende osteuropäische Begleiterin in dem außergewöhnlichen Ambiente dort ganz auf Ihren Geschmack und Ihre Kosten kommen werden. Apropos Kosten: Wie schrieb doch der besagte, im Straßennamen verewigte Bert Brecht seinerzeit noch gleich: 'Beim Hungern und beim Essen, vorwärts, nicht vergessen - die Solidarität' ... Wenn ich in diesem Sinne nunmehr um einen kleinen Solidaritätszuschlag Ihrerseits bitten dürfte?!". Noch einmal wies Bernies linke Hand mitsamt Gehstock dezent auf seinen umgekehrt daliegenden Hut, in den ich sogleich aus meiner Manteltasche sechs einzelne Pfundnoten herabrieseln ließ. Eifrig ertastete die Rechte des blinden Mannes Schein um Schein des warmen Geldregens, wozu sein anerkennend pfeifender Mund erfreut ausrief: "Welch hohe Ehre! Ihre Majestät, die Königin von England, bei mir zu Gast, und das gleich im Sixpack! Thank you, Mylord!". Zur Untermalung seiner geradezu untertänigen Dankbarkeit aber vollführte sein Oberkörper sogleich eine tiefe Verbeugung. Ich erwiderte die großzügige Geste und verabschiedete mich von meinem neuen Bekannten mit einem kräftigen Händedruck: "Vielen Dank für den lokalen Insidertip! Und noch weiterhin einen recht erfolgreichen Geschäftstag, mein Bester!".

Yelena und ich betraten daraufhin die - durch anhaltende Umbauarbeiten am gesamten Bahnhofsgebäude - noch etwas schmal anmutende Bahnhofsvorhalle, die sich nach und nach in eine Art geräumige, zweistöckige Einkaufspassage mit vielen unterschiedlichen Geschäften zu verwandeln anschickte und verstauten unser Gepäck rasch in drei der dort zahlreich vorhandenen Schließfächern. Dann schlenderten wir beide Arm in Arm durch den - von einem Baugerüst eng umschlossenen und im Stile eines Kunstwerks von Christo in Berge von Folie großräumig verpackten - Südausgang des Bahnhofs hinaus ins schummrige Halbdunkel der scheinbar noch tief und fest schlafenden Essener Innenstadt. Draußen erwartete uns die "Freiheit", wie jene breite menschenleere Straße hieß, die sich vorm Bahnhof zu beiden Seiten vor unseren Augen ausbreitete. Der rechte Weg jener begehbaren "Freiheit" führte uns schließlich auf die Kruppstraße und von dort wenig später direkt in die angrenzende Bert-Brecht-Straße. Hier fanden wir uns dann vor einem großen Gebäude wieder, an dessen Kellereingang unter dem hell erleuchteten Bergbausymbol aus gekreuztem Schlegel und Eisen eine rot-weiß blinkende Neonreklame weithin sichtbar verhieß: "Annie 03 - U.T.E. - Täglich von 18 bis 6 Uhr geöffnet - Bitte läuten!". Yelena betätigte die kleine gußeiserne Glocke neben der Tür, und schon ein paar Sekunden später stand eine nette junge Frau mit langen blonden Haaren - im kurzen Mini und weitausgeschnittenen Pullover - vor uns und bat uns freundlich einzutreten. Gleichzeitig überreichte sie Yelena und mir zu unserem größten Erstaunen zwei Bauhelme mit einer Art aufmontierter Taschenlampe. Und während sie diese geschickt auf unseren Köpfen befestigte, erklärte sie: "Also, meine Herrschaften, ich bin die Ute. Mein Vorname aber steht gleichzeitig als Abkürzung für das besondere Konzept meines Lokal. U.T.E. ... das bedeutet nämlich: Unter Tage Essen. Dazu sind sämtliche Fenster der Kellerlokalität von innen komplett abgedunkelt und die Wände mit einer gesteinsähnlichen Kulisse aus schwarzgrauem Pappmaschee derart kunstvoll verkleidet, daß man sich als Gast im Innern quasi so fühlt, als befände man sich tief unter der Erde in der Sohle einer alten Zeche. Der gesamte Gastraum wird dabei einzig und allein durch ein paar vereinzelte Grubenlampen und die Grubenhelme unserer Gäste beleuchtet. Ein einzigartiges kulinarisches Erlebnis in düsterer Atmsophäre sozusagen! Wenn Sie mir nun bitte folgen würden?!". Wir taten, wie uns geheißen, und folgten der vor uns dahinstolzierenden Ute ins Innere der Kellergrube. Vor uns erspähten wir im schummrigen Licht unserer Helme - an einem der Tische sitzend - noch einen weiteren Gast. Es war ein schnäuzbärtiger Herr mittleren Alters mit pechschwarzem Haar, der eine beigegraue Feldjacke trug und mich von den Gesichtszügen her sofort an eine deutlich jüngere Version meinerselbst erinnerte. Der Mann war mir dadurch sofort sympathisch, und so ging ich mit Yelena schnurstracks auf ihn zu und fragte, ob es ihm recht sei, wenn wir an seinem Tisch Platz nehmen würden. Der Angesprochene nickte zunächst nur stumm und bestellte dann bei Ute einen doppelten Korn. Wir selbst fragten die junge Wirtin, was sie für den kleinen Hunger zwischendurch anzubieten hätte, worauf sie uns eine Currywurst mit Pommes Schranke - wie man in weiten Teilen des Ruhrgebiets die Garnierung jener frittierten Kartoffelstäbchenköstlichkeit mit Ketchup und Majonaise bezeichnete - empfahl. Als Getränk gönnten sich Yelena und ich jeweils ein großes Glas Altbier. Und während wir gemeinsam mit unserem Tischnachbarn bei Bier und Doppelkorn auf unser Essen warteten, kam man ein wenig ins Plaudern. Der Schwarzhaarige stellte sich uns mit bürgerlichem Namen als Georg Götze vor, betonte aber noch in gleichem Atemzug, daß diese Typenbezeichnung für ihn nur in Amtsstuben gebräuchlich sei und er sonst von aller Welt der abgewetzten Jacke wegen schlicht und ergreifend Schimmi genannt werde. Früher hätte er tief unter der Erde in einer Zeche als Bergmann in drei Schichten Steinkohle abgebaut. Dann aber sei plötzlich Schicht im Schacht gewesen, und man habe dort statt Kohle nunmehr Stellen abgebaut, unter anderem auch die seine. Hatte bis zu diesem Zeitpunkt in seiner Erzählung noch jeder dritte Satz mit dem Wort "Scheiße" begonnen oder geendet, so fingen nun seine Augen förmlich an zu funkeln, als er auf die gute, alte Zeit zu sprechen kam. Damals hier in Essen, mitten im Pott - wo die Stimmung immer mal wieder überkochte, weil die Arbeitsbedingungen oft ebenso unterirdisch waren wie die zugehörigen Arbeitsstätten und wo man trotz alledem fast jeden Einzelnen noch guten Gewissens Kumpel nennen durfte.

Das Funkeln in Schimmis Augen verstärkte sich zwischenzeitlich sogar noch, und zwar immer dann, wenn er in den kurzen Pausen zwischen seinen wortreichen Erzählungen ein weiteres Gläschen Doppelkorn bei der herbeigerufenen Ute orderte und seine doch recht simple Bestellung extra langsam aussprach, um so umso länger im Scheine seiner Grubenhelmleuchte die prachtvolle Aussicht auf ihr ausladend-einladendes Dekolte zu genießen. Doch auch Utes verstohlene Blicke gingen, wenn sie hinter der Theke stand, des öfteren zu ihrem bärtigen Stammgast herüber. Wenn er sie dann angesichts eines weiteren leeren Glases wieder zu sich rief, richtete sie möglichst unauffällig extra noch einmal die Oberweite. Und während er dann wieder einmal mit verklärtem Blick bestellte, strich sie sich - den Notizblock krampfhaft umklammernd haltend - sichtlich erregt mit dem gezückten Kugelschreiber durchs Haar. Einmal während eines solchen Bestellvorgangs merkte Schimmi an: "Unser Utchen hier ist übrigens in Essen geboren und dann aber in Oberhausen groß geworden". Und während der Ausschnitt ihres Pullis seinen Blick ein weiteres Mal magisch in seinen Bann zu ziehen schien, ergänzte er schelmisch grinsend: "Und wie groß sie da an manchen Stellen doch geworden ist". Für diese eindeutig zweideutige Bemerkung fing er sich von der schlagfertigen Hausherrin dann auch prompt einen zugegebenermaßen eher liebevollen Klaps auf den Hinterkopf. Und die hübsche Wirtsfrau meinte augenzwinkernd: "Oller Spinner, erzähl den Herrschaften doch gleich, daß ich noch zu haben bin und welche Körbchengröße ich trage!". Schimmi aber schüttelte eifrig den Kopf und erwiderte sanftmütig: "Ach Utchen, davon hab ich als ewiger Junggeselle doch eh keine Ahnung. Das einzige Körbchen, von dem ich mein Lebtag was verstanden hab, ist der Förderkorb gewesen. Und außerdem trotzt Deine ausgedehnte Hügellandschaft doch auch ganz locker ohne Korbzwang der Schwerkraft, oder?!". Das etwas anzügliche Kompliment ihres Stammgastes ließ in Utes Gesicht kurzzeitig eine Art schamhafte Morgenröte aufsteigen, wozu sie auf ihren Pfennigabsätzen kehrt machte. Im Gehen strich sie sich dabei mit beiden Händen genüßlich die Seitennähte ihres Rockes glatt, wohl wissend, daß Schimmis Blick in diesem Moment auf ihrer darunter liegenden - bei jedem Schritt leicht hin und her wiegenden - wohlgeformten Rückgratverlängerung kleben würde. Hinter dem Thresen angekommen aber wanderten ihre Hände wieder aufwärts, und während sie damit durch den Pullover hindurch erneut möglichst unauffällig ihre Oberhausener Oberweite zurechtrückte, schien ihr kurzer prüfender Blick in den eigenen Ausschnitt selbstbewußt anzuerkennen: 'Nun ja, wo er recht hat, hat er recht, der Schimmi!'.

So verging etwa eine halbe Stunde, in der eine alte Jukebox irgendwo im Hintergrund abwechselnd jeweils dreimal Marius-Müller Westernhagen's "Ich bin wieder hier in meinem Revier" und Wolfgang Petry's "Ihr seid das Ruhrgebiet" spielte. Yelena und ich hatten derweil unsere äußerst leckeren Currywürste und die zugehörige rot-weiße Essener Pommesbeilage verspeist, unser Bier ausgetrunken und dachten nun langsam wieder an Aufbruch. Ich winkte also noch einmal Ute zu uns heran - sehr zur Begeisterung unseres Tischgenossen - und bat um die Rechnung. Rasch holte die charmante Wirtin den Notizblock unter dem Rocksaum hervor, zückte den hinters Ohr gesteckten Kuli, leckte kurz mit der Zungenspitze über seine kohlrabenschwarze Miene und rechnete flugs zusammen. Das Essen belief sich mitsamt den Getränken alles in allem auf 6,66 Euro pro Person - in der Summe also auf 13,32 Euro. Und während ich noch im Schummerlicht in meinen Taschen nach den entsprechenden Zahlungsmitteln suchte, holte Ute einen runden Pappuntersetzer mit vielen schwarzen Kugelschreiberstrichen darauf hervor und präsentierte ihn Schimmi mit den Worten: "Na, und Du Zechpreller?! Dein Deckel beläuft sich jetzt schon auf stolze 28 Euro. Möchtest Du heute zur Abwechslung mal ein wenig Kohle rüberrücken oder soll ich einfach weiter anschreiben?!". Schimmi lächelte mild und zuckte dazu mit den breiten Schulterblättern: "Ach, Utchen, Du weißt doch, bei uns im Revier siehts momentan ein wenig finster aus, was die Kohle angeht!". Die gute Ute aber ließ auf der Stelle den Pappuntersetzer wieder unterm Pullover in ihrem Rocksaum verschwinden und erwiderte augenzwinkernd: "Ok, alles klar, Herr Kommissar!". Ich hatte unterdess im vereinten Schein der Grubenhelmlampen von Yelena und mir einen 50-Euro-Schein aus meiner Manteltasche hervorgekramt und übergab ihn nun an die hübsche Wirtin, wozu ich anmerkte: "Unser Freund Schimmi darf sich getrost als von uns eingeladen betrachten. Wir übernehmen hiermit seine gesamte Zeche, und der Rest ist Trinkgeld für Sie, Fräulein Ute!". Sowohl Schimmi als auch Ute wollten schon beschämt abwinken, aber ich beschwichtigte Beide: "Keine Sorge, das Ganze geschieht nicht ganz uneigennützig. Ich hätte da nämlich noch eine Frage, deren Beantwortung mir die Unkosten durchaus wert ist: Was hat es eigentlich mit dem Namen dieses Lokals 'Annie 03' auf sich?". Noch ehe Ute mit ihrem süßen Mundwerk meine Frage beantworten konnte, schnipste der Mann im beigegrauen Jackenableger meines Trenchcoats ganz aufgeregt mit den Fingern und sprang mit einem Satz von seinem Stuhl auf: "Nichts leichter als das! Wenn Ihr wollt, dann zeig ich es Euch! Wieviel Zeit habt Ihr noch übrig, Yelena und Lukas?". Ich zog meine Taschenuhr aus dem Mantel und verkündete: "Es ist jetzt fast genau 5 Uhr. Unser Anschlußzug nach München geht 5 Uhr 45, bleiben also nach Adam Riese exakt 45 Minuten". Schimmi aber rieb sich freudestrahlend die Hände: "Au man, das ist ja noch eine komplette Fußballhalbzeit! Nun dann, Ihr zwei Turteltauben, ab durch den Notausgang auf den Hinterhof, wo mein Einsatzfahrzeug startbereit auf uns wartet! Die Chefin hat ja sicher nichts dagegen, wenn ich heut mal ihren Hintereingang benutze, oder?!". Dabei stellte er sich direkt neben die völlig verdutzte Ute und richtete dann urplötzlich seinen Kopf mit dem beleuchteten Grubenhelm auf Yelena und mich. Wir waren kurzzeitig komplett geblendet und vernahmen dabei erst ein leichtes, dumpfes Klatschen und unmittelbar darauf ein schrilles "Autsch!". Als sich unsere Augen nach einigen Sekunden wieder an die schummrige Dunkelheit gewöhnten, erkannten wir, daß Ute sich mit der linken Hand mit gespielter Empörung mehrfach über ihr kurzberocktes Hinterteil rieb. Den rechten Zeigefinger aber hatte sie gleichzeitig - gegen Schimmi gerichtet - leicht drohend in die Luft erhoben und raunte: "Wie oft hab ich Dir das schon gesagt, Du elender Schürzenjäger?! Hände weg von meinem Ruhrgebiet!". Schimmi unterdess grinste nur verschmitzt, während er Yelena und Lukas bereits mit sich in Richtung Notausgang fortzog ...

[Wird fortgesetzt]

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Angel (15. September 2012, 13:54)

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Samstag, 15. September 2012, 09:23

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Eintrag 3




24. September 2009. Essen - 2. Halbzeit: Ein Fall für Schimmi

Ein leiser Pfiff ertönte hinter Schimmi, Yelena und mir, als wir bereits auf dem düsteren Hinterhof des Lokals "Annie 03" angelangt waren. Es war niemand anders als die attraktive Wirtin Ute, die uns da so verhalten hinterher pfiff. Ein wenig überrscht drehte sich Schimmi in ihre Richtung um und zuckte mit den Schultern. Ute aber flüsterte ihm zu: "Ohne den hier werdet ihr drei Hübschen wohl kaum weit kommen, oder?!". Dazu bewegte ihre rechte Hand recht auffällig einen Schlüsselbund hin und her. Schimmi schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, und während er sich seine Schlüssel bei Ute abholte, hauchte er ihr zum Abschied noch einen Kuß und ein "Ach ja, wenn ich Dich nicht hätte!". Ute, deren Wangen leicht errötet waren, was sicher nur zum Teil der nächtlichen Kühle geschuldet war, senkte ein wenig verlegen den Blick und flüsterte: "Ja, ja, was wärst Du süßes Dummerchen nur ohne die gute Ute! Machs gut! Bis später dann!". Schimmi war ihr derweil längst entfleucht und ging nun an Yelena und mir vorbei quer über den ganzen Hinterhof schnurstracks auf einen neben den Müllcontainern geparkten grün-silbernen Polizeiwagen zu. Dort angekommen, hielt er den elektronischen Türöffner an seinem Schlüsselbund gegen das Türschloß, wobei die Zentralverriegelung des Streifenwagens sogleich mit einem kurzen Piepton aufsprang. Schimmi selbst aber drehte sich im selben Moment zu Yelena und mir um und sprch mit einer einladenden Geste: "Na, nur keine falsche Scheu, die Dame und der Herr! Einsteigen bitte und die Türen schließen!". Wir waren sichtlich erstaunt über Schimmis fahrbaren Untersatz, und dennoch nahmen wir beide, wie es im Angesicht eines solchen amtlichen Einsatzfahrzeugs üblicherweise erwartet wurde, umgehend und ohne jeden Widerstand auf der Rücksitzbank platz. Schimmi stieg grinsend zu und erklärte, während er sich anschnallte: "Keine Bange, das Ding ist nicht geklaut. Als die Bullen ... äh, die Polente mein ich ... vor einiger Zeit in ganz Deutschland ihre schicken blauen Einsatzwagen bekamen, da landete dieses Auto hier ausgemustert auf dem Schrottplatz von meinem Freund Horst-Jochen, genannt Balko. Der ehemals wegen Bankraub Eingesessene fand keinen rechten Gefallen an dem ungeliebten Gefährt und hat mir das Teil für einen Spottpreis von einem Euro überlassen, quasi damit ich ihm bei mir eine neue Heimat gebe. Und für ein paar Euro mehr hat er mir sogar noch den langweiligen Polizeiaufdruck am grünen Seitenstreifen durch den stylischen Schriftzug 'Schimmi-Mobil' ersetzt und mir Blaulicht und Sirene besorgt, die ich aber nur im äußersten Notfall zu benutzen gedenke. Wie auch immer, ich hab die Karre jedenfalls ganz vorschriftsgemäß angemeldet, zum TÜV abgeschleppt und ihr das amtliche Kennzeichen 'E-GO 007' verpassen lassen. Et voila, und jetzt gehört das Schmuckstück mir!".

Damit drehte er genüßlich den Zündschlüssel im Zündschloß herum. Aber statt dem erwarteten satten Sound der 110 starken Pferdchen unter der Motorhaube des VW Passat war nur ein kurzes, kränkliches Wiehern zu vernehmen, das sofort wieder verstummte. Schimmi kratzte sich nachdenklich am kraushaarigen Hinterkopf und startete einen zweiten Versuch. Doch auch der verlief ähnlich erfolglos wie der erste. Der angehende Svensson-Chauffeur wollte schon aussteigen, um einen fachmännischen Blick in den Motorraum zu riskieren, da tippte ich ihm von hinten auf die Schulter und flüsterte: "Mein Freund, ich hab zwar eigentlich so gar keine Ahnung von Autos, aber könnten unsere Startschwierigkeiten nicht vielleicht daher rühren, daß der Zeiger der Tankanzeige eisern auf dem roten Buchstaben E stehen bleibt?!". Schimmi blickte entgeistert auf sein Armaturenbrett und ließ dann den Kopf entgeistert nach unten sinken, so daß seine Stirn unsanft das Lenkrad berührte. Dazu fluchte er lauthals: "Scheiße, der Tank ist leer! Und was meine Geldbörse angeht, so siehts da ganz genauso armselig aus". Aus seinem Rücken meldete sich neben mir plötzlich das leise Stimmchen Yelenas zu Wort: "Was wir nun machen, Herr Georg? Nächstes Tankstelle ist sicher recht weit weg und unser Zug fahren in knapp drei Viertelstunden. Wir uns ja nicht können einfach Treibstoff aus Finger saugen, oder?!". Schimmis Kopf schnellte mit einem Male nach oben: "Aus den Fingern natürlich nicht, aber vielleicht ...". Ohne den Gedanken zuende zu führen, hatte sich Schimmi auch schon abgeschnallt und war aus dem Wagen gehüpft. Er lief um das Auto herum nach hinten, wo er sogleich den Kofferraum öffnete und ihm eine Art länglichen Gummischlauch entnahm. Mit dem Schauch in der einen Hand und begab er sich im Schutze der Dunkelheit zu einem unmittelbar nebenan geparkten schwarzen A-Klasse-Mercedes und machte sich dort mit einem - der Tasche seiner Feldjacke entlockten - Schweizer Taschenmesser an dessen Tankdeckel zu schaffen. Mit leisem Plopp gab der Verschluß des noblen Tanks dem Druck des stählernen Angreifers nach und öffnete damit den freien Zugang zu seinem vollgetankten Innenleben. Grinsend führte Schimmi das eine Ende seines Gummischlauchs dort ein, während er das andere in der Hand behielt und zu der - ebenfalls noch rasch vom Deckel befreiten - Tanköffnung seines Dieselfahrzeugs mitnahm. Unter den ungläubigen Blicken von Yelena und mir setzte er das freie Schlauchende an seinen bärtigen Lippen an und begann, genüßlich daran zu saugen. Erst als sich dabei der erste Stoß Treibstoff in seinen Mund ergoß, entließ er das vollgesaugte Gummi wieder aus seiner Mundhöhle und führte es mit geschickter Hand in die eigene Tanköffnung ein. Es dauerte nur etwa zwei Minuten, dann war der nicht ganz saubere Kraftstoffaustausch der beiden ungleichen Fahrzeugmodelle vollzogen, und Schimmi kehrte - nachdem er den Gummischlauch wieder in seinem Kofferraum verstaut und beide Tankdeckel geschlossen hatte - übers ganze Gesicht strahlend zurück auf den Fahrersitz seines Volkswagens. Und während er sich mit einem Tempotuch aus dem Handschuhfach die dieselbenetzte Lippen samt Schnäuzer trockenrieb, erklärte er uns als seinen britischen Fahrgästen: "Der Luxusschlitten gehört einem geschniegelten Bänker namens Tanner, der hier fast jede Nacht seine kleine japanische Privatgeisha besucht, während seine Frau zuhause ahnungslos im Ehebett liegt und gleubt, er würde wichtige internationale Finanzgeschäfte mit Tokio abwickeln. Ich glaube, der scheinheilige Arsch hat bei diesem dreisten Betrug nicht mal die Spur eines schlechten Gewissens. Warum sollte man dem auf diese Art nicht einfach mal einen Denkzettel verpassen, nicht wahr?!".

Die letzte Frage war wohl mehr reinrhetorisch gemeint, denn hätte der kleinkriminelle Dieselräuber tatsächlich eine Antwort unsererseits von der Rückbank her erwartet, hätte er wohl kaum im nächsten Augenblick das Autoradio angestellt und voll aufgedreht, so daß Klaus Lages "Faust auf Faust" in ohrenbetäubender Lautstärke das Fahrzeuginnere flutete. Seelenruhig startete der Schnurrbartträger nun erneut den Motor seines umgestalteten grünstreifigen Silberflitzers, der jetzt auch prompt zum Dienstantritt bereit war. Schimmi löste noch rasch die Handbremse und fuhr dann samt Yelena und mir mit quietschenden Reifen vom Hof. Dort bog er mit mehr als 70 Sachen in die Bert-Brecht-Straße ein und fuhr nach Osten über die Bismarckstraße und die Kruppstraße. Von dort aus ging es mit unverminderter Geschwindigkeit über die Freiheit und am Hauptbahnhof vorbei in die Hollestraße. Hier drosselte Schimmi erstmals notgedrungen seine Fahrt, da irgendsoein goldlöckiges Funkenmariechen in seinem museumsreifen VW Käfer vor ihm gemütlich mit 25 Stundenkilometern durch die Landschaft kroch. Wild gestikulierend machte Schimmi seinem Unwillen im Innern seines Passat über ein derartiges Schneckentempo Luft: "So eine Scheiße, man! Fräulein Holle, bei Dir schneits wohl?! Fahr Deinen überdachten Puppenwagen endlich zur Seite und laß mich vorbei!". Sein Gesichtsausdruck entspannte sich erst, als die junge Frau an nächsten Gabelung den Blinker nach rechts setzte. Schimmi hingegen hielt sich links. Rasch steigerte er das Tempo wieder und jagte seinen Flitzer die Herkulesstraße, die Engelbertstraße und die Burggrafenstraße entlang. Von dortaus bog er schließlich scharf in die Elisenstraße in und nach der kurz darauf folgenden Bielenhöhe in den Kumpelweg ein, wo er vor einem der anliegenden Neubaublocks den Wagen abrupt zum Stehen brachte. Schlagartig brachte Schimmi das Autoradio zum Verstummen, drehte sich zu uns - die wir angesichts seines gewöhnungsbedürftigen Fahrstils leicht erblaßt waren - um und fragte: "Und, das ging doch recht zügig, oder?!". Ohne eine Antwort abzuwarten, schaute er kurz auf seine Armbanduhr und nickte bewundernd: "7 1/2 Minuten! Neuer persönlicher Rekord für mich! Na dann, ihr Zwei, laßt uns mal das Geheimnis von 'Annie 03' lüften. Bitte folgen!".

Mit einem Sprung war Schimmi aus dem Streifenwagen heraus und mit ein paar weiteren Hüpfern riß er auf Yelenas Seite die hintere Autotür auf. Er vollführte einen angedeuteten Knicks und hauchte: "Wenn ich bitten darf, die Dame?!". Und während er ihr gentlemanlike die Hand entgegenstreckte, ergänzte er mit einem augenzwinkernden Blick auf mich: "Lukas, mein Bester, wir sind ja alt genug, wir können schon allein aussteigen, oder?!". Ich grinste und zwinkerte zurück. Dann rutschte ich zur offenstehenden Autotür durch und stieg ebenfalls aus. Ich ergriff das eisklate Händchen meiner geliebten Gattin, und Hand in Hand mit ihr folgte ich dem bereits vorausgeeilten Schimmi die Treppenstufen des sich vor uns imposant auftürmenden, siebenstöckigen Hochhauses hinauf zu dessen Eingang. Schimmi schloß die Haustür auf und geleitete Yelena und mich direkt zum Fahrstuhl, wobei er anmerkte: "Tja, wißt ihr, der Herr Götze - was meinereiner ist - der wohnt nämlich quasi auf Wolke 7, direkt unterm Dach, im Penthouse. Und da wir ja alle Drei nicht mehr die Jüngsten sind, ist gegen so ein bißchen Liften sicher auch gar nichts einzuwenden". Gesagt, getan. Die eintreffende Fahrstuhlkabine beförderte den Hausherrn, Yelena und mich in die oberste Etage, wo wir auch sogleich vor einer Wohnungstür landeten, auf deren Türschild schwarz auf weiß der Name "Georg Götze" stand. Schimmi versuchte, den Wohnungsschlüssel ins zugehörige Loch zu stecken, doch die beiden paßten irgendwie nicht zusammen. Der Gesichtsausdruck unseres Gastgebers verfinsterte sich einen Augenblick lang, dann brach es ungezügelt aus ihm heraus: "Scheiße! Da hat doch mein dämlicher Vermieter, dieser Immobilienhai Königsberg, schon wieder einfach das Schloß austauschen lassen. Und warum dieser ganze Blödsinn?! Nur weil ich mal mit 3 Monatsmieten im Rückstand bin. So ein elender Halsabschneider! Aber nich mit Schimmi, mein Lieber!". Damit kramte er aus seiner Jacke die in Folie eingeschweißte Mitgliedskarte seiner Stammvideothek "Tat-Ort" im Scheckkartenformat sowie einen Bund voller Dietriche hervor. Mit zwei jener gebogenen Metallbügel stocherte er ein paar Sekunden im Schlüsselloch herum, bis es schließlich deutlich hörbar Klick machte. Dann schob er vorsichtig den plastikbeschichtete Videotheksausweis in Höhe des Türknaufs in den Schlitz zwischen Tür und Rahmen. Die Wohnungstür sprang auf, und Schimmi bat uns als seine - einmal mehr von seinen zahlreichen schlummernden Talenten sichtlich überraschten - Besucher einzutreten.

Der langgezogene Flur, welcher uns gleich hinter der Wohnungstür empfing, machte in der Mitte einen Linksknick, um dann an einem kleinen, fensterlosen Bad und einer ebensolchen Küche in das eigentliche kombinierte Wohn- und Schlafzimmer des Essener Junggesellen zu führen. Hier herrschte das - bei einem Mann wie Schimmi - zu erwartende geordnete Chaos. Auf Couch, Tisch und Bett lagen unzählige Briefe, DVD's, Bücher und Zeitschriften. Mein kriminalistisch geübter Blick erspähte darunter vor allem Krimis, Rechnungen und mehrere Ausgaben einer Hochglanzillustrierten mit dem wohlkingenden Titel "Das Model und der Schnüffler".Ich schnappte mir eines dieser Magazine und blätterte es durch. Das umfangreiche Blatt vereinte lehrreiche Artikel über Tricks und Kniffe von Privatermittlern mit dem einen oder anderen fragwürdigen, spärlich stoffbedeckten Frauenbild. In der Mitte des Magazins schließlich entblätterte sich vor meinen Augen eine ausklappbare, aufreizende und gänzlich unverhüllte Blondine. Yelena, die an dieser Stelle wohl sofort meinen offenstehenden Mund und meine großen, glanzerfüllten Augen bemerkte, trat zu mir heran, warf einen flüchtigen Blick auf den blonden Nackedei zwischen meinen Fingern und flüsterte: "Du, Luki, nur gucken, nicht anfassen!". Sanft lächelnd faltete ich die nackten Tatsachen wieder zusammen und raunte meiner Frau zu: "Die kann ja eh nicht mit Dir mithalten, mein Schatz! Das kann keine!". Für dieses süße Kompliment aber erntete ich von ihren zarten Lippen einen sanften Kuß auf mein, nie um eine passende Erwiderung verlegenes Mundwerk. Die sinnliche Zärtlichkeit erweckte in Yelena wie auch in mir augenscheinlich Lust auf mehr. Doch bevor wir uns einander in irgendeiner Form weiter hingeben konnten, rief uns vom weit offenstehenden Balkon die aufgeregte Stimme Schimmis zu sich: "Wo bleibt ihr denn, Mensch?! Knutschen könnt ihr schließlich auch hier draußen, während ich Euch zeige, was es mit 'Annie 03' auf sich hat".

Lächelnd traten Yelena und ich eng umschlungen ins Morgengrau des erwachenden Essener Ostviertels hinaus. Vor uns aber erhob sich hinter einem kleinen Waldgürtel das riesige Stahlgerüst eines Förderturms auf dessen breiter oberer Querstrebe zwischen zwei Bergbausymbolen der Name "Annie 03" mit heller Leuchtfarbe weithin sichtbar aufgetragen war. Schimmi aber räusperte sich neben uns und sprach mit feierlicher Stimme und einem merkwürdigen Glitzern im Auge: "Das ist der Förderturm der einstigen Zeche 'Annie 03', in welcher seit 1903 in mehreren Schichten tief unter der Erde Steinkohle abgebaut wurde. Fast drei Generationen von Beschäftigten schenkte sie Arbeit und Lohn, bevor sie 1991 endgültig abgewickelt wurde. Ich tat dort seit Juni 1981 Tag für Tag bis zum bitteren Ende meinen Dienst als Kumpel. In dieser Zeit hab ich auch die gute Ute kennen und schätzen gelernt, schließlich war sie auf dem Gelände dieser Zeche jahrelang in der Kantine als Köchin angestellt, bis sie 1988 im Zuge eines ersten Stellenabbaus entlassen wurde. Im Jahre 1997 wurde die stillgelegte Zeche dann als Bergwerk-Museum wiedereröffnet und lockt nun bei schönem Wetter an einem einzigen Sommertag oft mehrere hundert Besucher in ihre zahlreichen Ausstellungen. Und im Juli 2004 schließlich wagte sich unsere bis dahin arbeitslose, allseits beliebte Ute auf die Idee eines Arbeitsvermittlers namens Schindler hin in die Selbständigkeit und eröffnete im Rahmen einer ICH-AG als Erinnerung an die gute alte Zeit in einem leerstehenden Keller in der Bert-Brecht-Straße 1A ihr Lokal 'Annie 03', das seither unter anderem auch ein fester Treffpunkt für die ehemaligen Kumpel der gleichnamigen Zeche wurde". Yelena und ich waren sichtlich beeindruckt von dem hochgewachsenen Stahlkoloß und seiner Geschichte. Und während Schimmi sich unter dem scheinheiligen Vorwand, ihm sei wohl beim Erzählen ein Staubkorn ins Auge geflogen, zum Tränenabwaschen ins Bad verdrückte, nutzten wir als Zurückgebliebene unsere Zweisamkeit hoch über den Dächern von Essen zum Austausch wildzüngelnder Zärtlichkeiten.

Vor unseren in Leidenschaft entflammten Augen erhob am Horizont die Sonne gemächlich ihren heißen, strahlenden Körper, der - wie zu dieser frühen Stunde üblich - in ein atemberaubendes, orangerotes Morgenoutfit gehüllt war. Mit ihrer feurigen Erscheinung stellte sie die nun langsam vor ihr auftauchende Silhouette der restlichen erwachenden Ruhrmetropole sogleich in den Schatten. Immer wieder streckten sich dabei in der Ferne aus der faszettenreichen Stadtansicht Essens kleinere und größere Fabrikschlote als unbeugsame Denkmäler einer mehr und mehr zuende gehenenden Ära dem Himmel entgegen - streng eingeteilt in noch vollbeschäftige Raucher und bereits langzeitarbeitslose Nichtraucher.

Noch stundenlang hätten wir uns hier auf Schimmis Balkon, im innigen Kuß vereint, an dem aufregenden Schauspiel der - langsam und gemütlich aus der Horizontalen ihres Bettes - aufstehenden Sonne ergötzen können, aber die Zeit und auch der inzwischen zurückgekehrte Hausherr drängten zum Aufbruch. Und so lösten wir uns voneinander, verließen gemeinsam mit Schimmi dessen Einzimmerwohnung und liefen mit ihm um die Wette die unzähligen Treppenstufen bis zum Hauseingang hinab. Und während Schimmi uns anschließend im rasanten Tempo zum Hauptbahnhof zurückchauffierte, erzählte er uns noch von seinem heimlichen Wunsch, irgendwo hier im Revier eine eigene Privatdetektei zu eröffnen. Da meldete sich plötzlich Yelena in einer Art und Weise zu Wort, die mir glattweg die Sprache verschlug. Ich gab ihm den Rat, es wegen einem Kredit für den Start in die Selbständigkeit doch mal bei diesem Bänker Tanner zu versuchen und ihn dabei im Falle der Uneinsichtigkeit dezent auf seine Vorliebe fürs Fernöstliche anzusprechen. Das sollte selbst bei mangelnder Kreditwürdigkeit einige Tresortüren zu öffnen vermögen. Alles, was Schimmi bei seinem sichtlichen Talent für den Beruf dann noch bräuchte, wäre eine gut gelegene Immobilie für das entsprechende Büro. Da sollte er vielleicht mal seinen Vermieter Königsberg zu Rate ziehen, der wüßte sicher etwas Passendes in günstiger Lage. Man könnte ihm ja mit dem Argument kommen, daß bei entsprechender Klientenzahl auch die Miete immer pünktlich gezahlt werden kann, so daß sich das teure Schlössertauschen und Klagen auf Räumung gänzlich erübrigt. Und wenn er bei seinen Ermittlungen mal einen Informanten nötig hätte, so käme da bestimmt sein Kumpel Balko infrage, der dazu von seinem Schrottplatz aus nur mal telefonisch seine ehemaligen Unterweltkontakte reaktivieren müsse. Und sollte es irgendwann mal Schwierigkeiten geben, die er allein nicht zu meistern vernochte, dann solle er sich nicht scheuen, mich jederzeit anzurufen. Dazu kramte ich aus meiner Manteltasche einen zerknüllten Zettel mit meiner Privatnummer hervor und reichte ihn nach vorn durch. Schimmi, der während meinen Ausführungen immer wieder eifrig genickt hatte, nahm die Notiz mit der Telefonnummer dankbar entgegen, während im Hintergrund im Autoradio die Stimme Klaus Lages den Titel "Hand in Hand" intonierte.

Nach 7 kurzweiligen Fahrminuten kam der grüngestreifte Wagen mit Steuermann Schimmi vor dem Haupteingang des Bahnhofsgebäudes geräuschvoll zum Stehen. Hastig entstiegen ihm Yelena und ich. Mit einem flüchtigen Blick zur Uhr drückte ich dem ehemaligen Bergmann Georg Götze zum Abschied noch einmal fest die Hand, zwinkerte meinem neuen Kumpel dabei vielsagend zu und sprach: "Danke, daß Du ein Stück von Deinem Essen mit uns geteilt hast! Für uns wird es nun höchste Zeit! Und für Dich auch, mein Freund! Rappel Dich endlich auf und setz Deine Idee vom selbständigen Privatschnüffler in die Tat um. Und, was noch wichtiger ist: Beichte Deiner angebeteten Ute endlich, daß sie Deine heimliche Herzdame ist". Der sonst stets so abgeklärt wirkende Schimmi errötete sichtlich, und mit gesenktem Haupt fragte er mich leise: "Ach Du Scheiße, ist das wirklich so offensichtlich, Lukas?!". Ich nickte schmunzelnd: "Ja, ich glaube, das erkennt sogar ein Blinder mit Krückstock". Auf dieses Stichwort hin erhob sich der - inzwischen vor dem Haupteingang hockende - obdachlose Bernie von seinem Sitzplatz, zeigte mit seinem Blindenstock in unsere Richtung und krächzte deutlich nickend: "That's right, Sir! And God bless the Queen!". Dann ergriff er mit der rechten Hand seinen vor ihm liegenden Hut und drehte ihn über der aufgehaltenen linken Hand um. Das so hervorgezauberte und sorgsam aufgefangene Klimpergeld aber verstaute er in seiner Manteltasche. Ein zufriedenes Lächeln huschte dabei über sein Gesicht, während er lauthals verkündete: "Gott vergelt's! Für eine warme Suppe und einen großen Pott mit heißem Kaffee sollten meine bescheidenen Einnahmen der vergangenen acht Stunden wohl reichen. Und wenn es mir zusätzlich noch gelingt, die Pfunde des englischen Gentleman in Euro umzumünzen, dann reicht das sogar noch für ein paar Luxusartikel wie Seife oder weiches Toilettenpapier. Aber immer eins nach dem andern. Zunächst sind da mal noch ein ausgetrockneter Mund und ein knurrender Magen zu bekämpfen. Auf zu Ute!". Und so schlurfte Bernie in Richtung von Utes gastlichem Keller, in dem er als einzigster Gast wohl getrost auf die Ausstattung mit einem beleuchteten Grubenhelm verzichten konnte. Noch minutenlang konnte man ihn freudig vor sich her pfeifend auf seinem einsamen Weg beobachten, wo er - immer an der Wand lang und mit dem Stock taktvoll um sich schlagend - zielsicher den Bürgersteig entlangpendelte.

Mein Blick indes haftete derweil schon wieder auf Schimmi, der bei ununterbrochen laufendem Motor immer noch ein wenig unschlüssig seinem Wagen hockte. Beherzt meldete ich mich noch einmal zu Wort: "Na, worauf wartest Du denn noch?! Muß ich Dir und Deiner Karre etwa erst noch Starthilfe geben! Mensch Junge, wenn mich meine geschulte Spürnase nicht völlig täuscht, dann sind Deine Chancen bei Uschi echt rosig. Oder was glaubst Du, warum sie Dir schon jahrelang Kredit in ihrer, vermutlich selbst tiefverschuldeten Kellergrube einräumt?! Und dann diese eindeutigen Blicke zwischen Dir und ihr. Die sprühen ja regelrecht Funken. Wach auf, mensch! Das Mädel liebt Dich! Diese wunderbare Frau ist Dein persönlicher Sechser im Lotto! Die wartet doch nur darauf, als schlummerndes Dornröschen endlich von Dir wachgeküßt zu werden!"

Und während ich noch so auf ihn einredete, faßte sich Schimmi nun endlich doch ein Herz und begann, seinen ausrangierten Streifenwagen umständlich zu wenden. Er war schließlich gerade im Begriff fortzufahren, als ich ihm sichtlich verwundert nachrief: "Hey, alter Zechpreller! Zur 'Annie 03' gehts aber in die andere Richtung!". Schimmi drehte sich noch einmal grinsend zu mir um und sprach, während er den Schaltknüppel in den ersten Gang zu prügeln versuchte: "Alles klar, Herr Kommissar! Aber zu einer echten Liebeserklärung gehören doch auch ein paar Blümchen, oder?! Und deshalb klau ich mir jetzt rasch im hoffentlich um diese Zeit noch menschenleeren Grugapark einen großen Strauß Rosen zusammen! Wozu hab ich denn schließlich immer einen Bolzenschneider im Kofferraum?! Gute Reise und Glück auf, ihr zwei!". Sprachs und rauschte zu den Autoradioklängen von Roy Orbisons "Pretty Woman" in geheimer Liebesmission mit Sirene und Blaulicht vondannen. Yelena und ich aber liefen schnellen Schrittes handchenhaltend ins Bahnhofsgebäude, wo wir unsere Koffer in Windeseile aus den Schließfächern befreiten und dann dem Bahnsteig 12 zustrebten. Zügig stiegen wir in den - vor wenigen Minuten eingefahrenen - Zug über München nach Wien und schlossen die Türen hinter uns. Die Lok aber setzte sich sogleich in Bewegung und bahnte sich und uns damit nun den Weg in südlichere Gefilde ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Angel (15. September 2012, 13:54)

sven1421

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Samstag, 15. September 2012, 09:29

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 4


24. September 2009. München - Tag 1. Erster Akt.

Nach dem abenteuerlichen Zwischenstop in Essen empfing uns unser erstes großes, mehrtägiges Reiseziel mit einem nicht minder großen Bahnhof - dem Hauptbahnhof der einzigartigen Bayernmetropole München. Die Räder der Diesellok, an die unser Zug angekoppelt war, blockierten bei Einfahrt ins Bahnhofsgebäude. Im Zusammenspiel mit den stählernen Schienensträngen unter ihnen ergab sich dabei ein geradezu ohrenbetäubendes Quietschgeräusch, so als ob man mit den Fingernägeln an einer Wandtafel entlangkratzt. Kaum war dieses Geräusch verklungen, da meldete sich eine angenehme weibliche Stimme lautsprecherverstärkt in feinstem Hochdeutsch zu Wort: "Werte Fahrgäste! Willkommen in München! Eingefahren auf Gleis 24 ist der Eurotunnel-Expreß aus London zur Weiterfahrt nach Wien! Die fahrplanmäßige Abfahrtszeit ist 9 Uhr 11! Die Deutsche Bahn wünscht allen Weiterreisenden eine Gute Fahrt und den Angekommenen einen schönen Aufenthalt in der bayrischen Hauptstadt!". Die gleiche Ansage folgte noch einmal in fehlerlosem, wenn auch nicht ganz akzentfreien Englisch. Eigentlich war eine solche Wiederholung für mich gar nicht notwendig, da ich das Gesagte ja auch zuvor bereits verstanden hatte. Schließlich war aufgrund meiner Geburt kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges im ostpreußischen Königsberg Deutsch meine Muttersprache und Deutschland quasi mein Vaterland. Nachdem Yelena und ich den Zug verlassen hatten, begaben wir uns vom Bahnsteig aus umgehend in die gigantische Bahnhofshalle, wo wir - wie schon in Essen - unser Gepäck in den dortigen Schließfächern verstauten. Wo wir hier in München übernachten würden, wußten wir noch nicht, aber ich war mir ganz sicher, daß sich uns da mit Gottes Hilfe und ein wenig Glück bis zum Abend noch eine Möglichkeit eröffnen würde. Jetzt stand jedenfalls erst einmal Sightseeing auf dem Programm. Mein Schützling Tim Hackerman, der momentan nach einem recht komplizierten chirurgischen Eingriff in einem Londoner Reha-Zentrum therapiert wurde, hatte uns dazu im Internet eine Busgesellschaft herausgesucht, die direkt vom Bahnhofsvorplatz aus eine ausgedehnte Rundfahrt durch München startete. Yelena und ich schauten uns vorm Haupteingang kurz um und entdeckten dabei sofort den bereitstehenden Doppelstockbus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In mir kam bei seinem Anblick gleich ein heimisches Gefühl auf, so sehr erinnerte mich das rotangestrichene Beförderungsmittel an seine gleichfarbigen Kollegen, die Tag für Tag überall auf den Straßen von London und Umgebung verkehrten. Während ich an der Kasse noch rasch die Tickets löste, hatte uns Yelena schon zwei herrliche Sitzplätze auf dem Oberdeck reserviert, wo wir sogleich eng aneinandergekuschelt platznahmen. Bis zur Abfahrt des Busses blieb uns noch eine dreiviertel Stunde, und so überbrückte ich die Wartezeit ausgiebig mit dem Betrachten, Bewundern und Erkunden der eh mit Abstand atemberaubensten Sehenswürdigkeit, die sich dem Auge von meinem Platz aus darbot - meiner Yelena.

Irgendwann setzten sich die Räder unseres Busses in Bewegung und chauffierten uns quer durch München. Der Reichtum der Bauwerke dieser altehrwürdigen Stadt reichte dabei vom späten Mittelalter bis in die Neuzeit. Hier verströmte links und rechts unserer Reiseroute jedes Haus und jeder Platz den sanften Hauch von Geschichte. Wortreich fütterte die charmante Reisebegleiterin des Busunternehmens uns und die anderen Fahrgästen abwechselnd in Deutsch und Englisch bei jeder unzähligen Sehenswürdigkeiten mit Namen und Daten sowie einer Vielzahl zugehöriger Hintergrundinformationen. Einige der majestätisch anmutenden Bauten erinnerten mich dabei doch sehr an den Bummel, den wir erst vor kurzem gemeinsam mit meinem Onkel Fritz durchs kaiserlich geprägte Berlin gemacht hatten. Da war gleich zu Beginn der Rundfahrt der Münchner Dom, auch Frauenkirche genannt - das Wahrzeichen Münchens, mit den zwei - mit ihren jeweils fast 100 Metern Höhe - weit in den Himmel hinaufragenden Kirchtürmen. Dann gab es den Neptunbrunnen, der seinem hauptstädtischen Namensvetter an steinerner Eleganz und Wasserreichtum in nichts nachstand. Er bildete den Mittelpunkt des Alten Botanischen Gartens der Bayernmetropole, dessen säulengestütztes Eingangsportal übrigens in lateinischer Sprache ein Spruch des deutschen Dichterfürsten Goethe goldfarben krönte, welcher uns über die seinerzeitige Bestimmung der heutigen Parkanlage Auskunft gab: "Der Blumen zerstreute Gattungen der Bildnerin Erde auf Geheiß des Königs Maximilian Joseph vereinigt 1812". Sein neuzeitlicher Ableger, der einen schier unermeßlichen Reichtum an unterschiedlichsten Gewächsen in sich vereinigte, grenzte in einiger Entfernung nördlich an den Park des Schloßes Nymphenburg, welches unser Bus kurz darauf - nachdem wir noch so einige imposante Museen, Ausstellungshäuser, Brunnen und Plätze passiert hatten - ebenfalls ansteuerte. Das sich ungeheuer in die Breite ausdehnende Schloß diente dem früheren bayrischen Herrschergeschlecht der Wittelsbacher als Sommerresidenz. Auch hier lagen - wie so oft in der Geschichte - Tod und Leben dicht beieinander, denn in seinen Mauern verstarb zum einen König Maximilian I., während 20 Jahre später sein Urenkel König Ludwig II. am selben Ort das Licht der Welt erblickte.

Das nächste Ziel unserer Rundfahrt war dann nach all den alterwürdigen Gemäuern zur Abwechslung ein Bauwerk der Neuzeit - der Olympiapark mit seinem Olympiastadion und dem weit emporragenden Olypiaturm, der in meinen preußisch geprägten Augen ein wenig wie der kleine Bruder des Berliner Fernsehturms anmutete. Hier wurden im Jahre 1972 die Olympischen Spiele ausgetragen und am Ende in ihrer friedlichen, völkerverbindenden Ausrichtung von einem blutigen Anschlag palästinensischer Terroristen auf das israelische Olympiateam in den Schatten gestellt. In unmittelbarer Nähe hatte der Autohersteller BMW seine Hauptverwaltung in der Form eines Vierzylinders aufgetürmt. Auch das danebenstehende BMW-Museum hatte als modernes Bauwerk eine recht außergewöhnliche Formgebung, und zwar die einer nach oben geöffneten Halbkugel, welche dem Gebäude im Volksmund auch die Bezeichnungen Salatschüssel oder Weißwurstkessel einbrachte und die vom riesig anmutenden Firmenlogo abgedeckt wurde. Auf der anschließenden Fahrt zurück in die Münchner Innenstadt passierten wir die riesige Skulptur eines stilisierten Joggers, dem sein amerikanischer Schöpfer passenderweise den Namen "Walking Man" verliehen hatte. Jener ambitionierte Läufer, der bei mir den Anschein erweckte, als sprinte er voller Elan im sportlichen Wettstreit mit unserem Bus direkt auf das nahegelegene Siegestor zu, brachte mich auf eine Idee. Es war - wie so oft - anfangs nur ein kleiner, unscheinbarer Gedanke, der sich jedoch sogleich in meinem Kopf festsetzte, ausbreitete und letztendlich geradezu nach spontaner Umsetzung schrie. Und so warf ich an meiner geliebten Yelena vorbei sogleich einen Blick aus dem Busfenster in den Münchner Himmel, an dem beim Vorbeifahren an der Ludwig-Maximilians-Universität langsam ein paar dunkle Wolken aufzuziehen begannen. Ein neuer Gedanke vertrieb dabei kurzzeitig den alten, noch gar nicht zuende gedachten. Neben dem Namen der Hochschule war in den Erläuterungen unserer Reiseführerin nämlich noch ein anderer Name aufgetaucht, der Name eines Mädchens - Sophie Scholl. Sie hatte hier zur Zeit des Nationalsozialismus studiert und gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und einer kleinen Gruppe weiterer mutiger Menschen in Flugblättern zum Widerstand gegen Hitler und sein Terrorregime aufgerufen. Man hatte sie dafür verhaftet, tagelang verhört, angeklagt, verurteilt und schließlich hingerichtet. Und dennoch waren sie und ihresgleichen in Deutschland und in aller Welt unvergessen, hatten sie doch klar aufgezeigt, daß es selbst in jenen dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte anständige und tapfere Menschen gab, die nicht müde wurden, sich gegen Unterdrückung, Haß und Gewalt für Freiheit, Frieden und Demokratie einzusetzen.

Eine einsame Träne entsprang beim Gedanken an die ermordete junge Frau meinem Auge und bahnte sich über die Fältchen meiner Gesichtszüge hinweg langsam ihren Weg nach unten. Yelena bemerkte das feuchte Rinnsal und vertrieb seinen tropfenförmigen Auslöser sogleich mit einem sanften Kuß ihrer warmen Lippen. Dazu flüsterte sie: "Du wieder denken an schlimmes Zeit von Faschismus, stimmt?!". Mein Gott, wie klug sie doch war! Klug, einfülsam, liebevoll und wunderschön - einfach einmalig. Ich nickte kurz und drückte ihr nun meinerseits einen langen, sanften Kuß auf die noch etwas salzig schmeckenden Lippen. Als ich meinen Mund schließlich wieder von dem ihren löste, hatte unser Bus bereits mitten auf dem Odeonsplatz angehalten. Unsere Reiseführerin erklärte, daß wir hier jetzt die Möglichkeit hätten auszusteigen, uns umzusehen und dann mit einem späteren Bus die Fahrt jederzeit fortzusetzen. Dieses Angebot brachte mich nun wieder zu meinem alten Gedanken zurück, der mir vorhin beim Anblick der Läuferplastik gekommen war. So warf ich abermals einen Blick zum Himmel, der sich inzwischen nahezu komplett verfinstert hatte, und wandte mich dann meiner Frau zu: "Liebes, hast Du etwas dagegen, wenn wir von hier aus München ein wenig zu Fuß weitererkunden? Dir würde die frische Luft sicher gut tun, und meinem doch recht umfangreichen Bäuchlein würde ein wenig Bewegung in freier Natur auch nicht schaden? Einen Regenschirm hab ich dabei". Yelena packte mich, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, am Arm und zog mich mit sich die Stufen vom Oberdeck hinunter durch die offenstehende Bustür ins Freie. Dazu strahlte mich die ganze Zeit an, als müsse sie nun die hinter den grauen Wolken gänzlich verschwundene Sonne ersetzen, und meinte: "Das sein wunderbares Gedanke, mein Luki! Du lassen uns spazierengehen! Frau von Bus haben gerade gesagt, hier ganz in Nähe sein großes englisches Park, dort in Richtung, wo goldiges Flügelmensch stehen auf hohes Säule". Sie wies mit dem Zeigefinger über den Platz hinweg. Und tatsächlich hob sich dort in der Ferne ein goldfarbener Friedensengel, auf den ersten Blick der "Goldelse" der Berliner Siegessäule zum Verwechseln ähnlich, strahlend vom Grau-in-Grau des Wolkenmeers und der uns umgebenden antiken Bauten ab.

Bevor wir dem Fingerzeig Yelenas jedoch folgen konnten, erregte ein monumentales Bauwerk auf dem großen Platz bei genauerem Hinsehen doch noch meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich kannte es von einem alten Foto meines Onkels Helmut, der Anfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts einmal hier in München eine Ausbildung zum Postboten absolviert hatte, bevor er 1936 während der Olympiade in Berlin seine zukünftige Frau Elisabeth kennenlernte und ein Jahr später mit ihr in ihre Heimat England übergesiedelt war. Bei ihm hatten meine Eltern und ich später im Jahre 1953 nach unserem Weggang aus der damaligen DDR Zuflucht und ein vorübergehendes Zuhause gefunden. Und an einem der langen, stürmischen Abende bei Kerzenschein im Wohnzimmer seines Hauses hatte er mir dann auch das Foto jener großen, halboffenen Säulenhalle gezeigt, an der - zwischen Kränzen mit Schleifen - zwei uniformierte deutsche Soldaten unterm steinernen Adler mit dem Hakenkreuz und einer steinernen Gedenkplatte mit ebenso versteinerten Mienen und geschulterten Gewehren Wache hielten und vor der nun auch ich zweifellos stand. Das also war die berühmtberüchtigte Feldherrenhalle. Mein Onkel erzählte mir damals dazu, daß er am trüben Freitagmittag des 9. November 1923 ganz zufällig am Rande des Odeonsplatzes gestanden und aus der Ferne beobachtet habe, wie eine gewaltige Menschenmenge unrasierter, teilweise angetrunkener und offensichtlich gewaltbereiter Männer - angeführt vom in Zivil gekleideten Weltkriegsgeneral Ludendorff und einem, mit Hut und Mantel bekleideten, eher unscheinbaren, schmächtigen Mann mit rechteckig zurechtgestutzem Schnauzbart - mit Hakenkreuzarmbinden und Fahnen vor der Feldherrenhalle auflief. Aus ihren Reihen heraus ertönte dabei "Die Wacht am Rhein", und es wurde von Einzelnen mehrfach lauthals die Absetzung der Reichsregierung in Berlin proklamiert. Plötzlich standen sie mitten auf dem Odeonsplatz einem bewaffneten Aufgebot der Landespolizei gegenüber, welches ihren Aufmarsch mit einer Sperrkette und aufgefahrenen Panzerwagen zu stoppen versuchte. Dabei seien dann Schüsse gefallen, und es habe im entstehenden Tumult unzählige Verwundete und Tote gegeben - unter den Aufsässigen ebenso wie unter den Polizeibeamten. Der unbekannte Schnurrbart an der Spitze, der - wie man später im Prozeß gegen die Putschisten erfuhr - den Namen Adolf Hitler trug und an gleicher Stelle schon 1914 jubelnd den Ausbruch des Weltkriegs begrüßt hatte, war dabei bis auf einen ausgekugelten Arm völlig unversehrt geblieben. Ebenso unversehrt aber waren auch sein menschenverachtendes Weltbild und seine grenzenlose Machtgier, die ihn zu jenem Putschversuch getrieben hatten und die ihn wenige Jahre später - inzwischen zum uneingeschränkten Machthaber im Reich aufgestiegen - selbst einen neuen Weltenbrand entfachen ließ, der Millionen Menschen den Tod brachte und damit die ganze Menschheit ins Verderben stürzte. Vor meinem geistigen Auge tauchten dabei sich immer höher auftürmende Leichenberge und ein sich ins Unendliche ausdehnendes Gräberfeld auf. Ein eisiger Schauer packte mich angesichts solch düsterer Gedankenbilder und ließ meinen ganzen Körper erzittern. Bestürzt kehrte ich mit tränenverschleiertem Blick jenem Platz mit seiner unheilvollen, blutbefleckten Vergangenheit den Rücken und wandte mich in Form meiner Yelena wieder den schönen Seiten des gegenwärtigen Lebens zu. Meine bessere Hälfte aber schaute mir tief in die feuchtgewordenen Augen und sprach, als vermochte sie einmal mehr darin meine innersten Gedanken zu lesen: "Du wissen was, Schatz?! Du uns lassen rasch verschwinden von Ort, das Dich so traurig machen. Ich glauben, Du und ich erstmal haben auch genug gesehen von steinige Zeugen aus bayrisch-deutsches Geschichte. Ich mich jetzt erst recht sehnen nach Zweisamkeit mit Dir in grünes Schoß von Natur. Und ich glauben, englisches Park da sein genau das Richtige. Du wollen?". Ich nickte eifrig und legte mein eiskaltes Händchen sogleich vertrauensvoll in das ihre. Wie herrlich warm sie sich doch anfühlte, so als ströme die unerschöpfliche Wärme ihres Herzens bis in jede einzelne, noch so entfernte Zelle ihres Körpers aus. Eiligen Schrittes liefen wir los und folgten dabei Hand in Hand der Wegweisung jenes goldenen Friedensengels, der - auf seinem himmlischen Podest über den Dingen stehend - aus der Ferne wohlwollend lächelnd auf Yelena und mich herabschaute.

Es dauerte einige Minuten, dann hatten wir die laute, von Menschen überflutete Innenstadt hinter uns gelassen und tauchten ein in die stille Oase des weltberühmten Englischen Gartens. Um uns herum fanden sich hier, soweit das Auge zu blicken vermochte, Wiesen, Bäume und Bäche sowie ein künstlich angelegter See. Das herbstliche Laub auf den Wegen verwandelte die Landschaft in ein buntes Farbenmeer. Ich sah zu meiner Yelena herüber, die bei unserer Flucht ins Grüne scheinbar etwas außer Atem gekommen war. Und während sie sich nun ein wenig verpustete, blinzelte ich zum Himmel hinauf. Die dunklen Wolken waren mit einem Schlag verschwunden und hatten dem leuchtenden Strahlen der Herbstsonne den Weg freigemacht. Und auch meine Seele fühlte sich hier in dieser sonnenüberfluteten Idylle sogleich befreit von all den Schatten des Vergangenen, die eben noch so bedrückend auf ihr gelastet hatten. Ich schloß meine Augen, atmete tief ein und aus und lauschte der leisen, beruhigend wirkenden Geräuschkulisse. Ein sanftes Plätschern war zu vernehmen, welches wohl vom nahegelegenen Strand der Isar herrühren mußte. Ein leichtes Lüftchen wehte und brachte die am Boden liegenden Blätter zum Rascheln. Vögel zwitscherten aufgeregt durcheinander, und mittendrin hämmerte ein Specht irgendwo ganz in der Nähe ein Loch in einen der Baumstämme. Ich öffnete meine Augen wieder und schaute zu Yelena hinüber, deren Atem sich unter ihrer wohlgeformten Brust inzwischen ebenfalls beruhigt zu haben schien. Dafür keimte nun in meiner Brust beim Anblick ihrer sich sanft hebenden und senkenden Oberweite gleich wieder leichte Erregung auf. Aus tiefster Verzückung heraus wurde dabei der schlummernde Dichter in mir wach. Und so vollführte ich vor meiner Angebeteten einen höfischen Knicks und eine einladende Handbewegung, zu der ich nun Goethes Faust sprechen ließ: "Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?". Yelena schmunzelte. Sie kannte derartige theatralische Rollenspiele von mir nur allzugut und war offensichtlich liebendgern bereit mitzuspielen. So erwiderte sie, den ursprünglichen Gretchentext ein wenig anpassend: "Ich sein nix Fraulein, sein nix schön, doch gern ich wollen mit Dir gehn!". Damit hakte sie sich bei mir unter, und Arm in Arm spazierten wir durchs raschelnde Laub der riesigen Parkanlage. Wir trafen dabei auf unserem ausgedehnten Spaziergang immer wieder auf einzelne Passanten mit und ohne Hund, auf sich mehr oder minder verliebt anschauende Pärchen sowie auf Mütter und Väter mitsamt ihren Kindern. Unser Weg führte uns sogar an einem Japanischen Teehaus und einem Chinesischen Turm vorbei, wobei ich bei letzterem sofort an eines unserer für die Zukunft geplanten Flitterwochen-Reiseziele denken mußte. Zwischendurch gönnten wir uns hier und da immer mal wieder eine kleine Pause und nahmen auf einer der zahlreichen Parkbänke platz. Irgendwann nach einer kleinen Ewigkeit waren wir schließlich wieder am Ausgangspunkt unseres Parkrundgangs angelangt und verließen, Körper und Seele mit frischer Luft und Sonnenschein betankt, das Gelände des Englischen Gartens.

Ein kurzer, verstohlener Blick auf meine Taschenuhr verriet mir dabei, daß uns bis zur Abfahrt des nächsten Stadtrundfahrtbusses noch reichlich Zeit hatten. So beschlossen wir nach dem gemeinsamen Betrachten des Informationsfaltblattes unserer Buslinie, das mir die nette Dame beim Ticketverkauf vorhin gleich mit in die Hand gedrückt hatte, daß wir nicht wieder zum Odeonsplatz zurückkehren, sondern unseren Spaziergang noch ein bißchen ausdehnen und lieber zwei Stationen weiter am zentralgelegenen Marienplatz zusteigen würden. Wir genossen unseren Fußmarsch, der uns über die Prinzregentenstraße und die Sternstraße direkt auf die Steindorfstraße führte. Hier erblickten wir einen recht alten, imposanten dreitürmigen Kichenbau. Neugierig fragte ich einen vorübergehenden Passanten nach dem Namen der Kirche und stand mit offenem Mund da, als er mir mit leichtem bayrischen Akzent antwortete: "Ihr seids wohl net von hier?! Also des is die Lukaskirch, wenns recht is?!". Für den Moment war ich einfach nur sprachlos, und so bedankte sich Yelena an meiner Stelle rasch bei dem Einheimischen, der daraufhin - ein wenig irritiert über meine ungewöhnliche Reaktion auf seine Auskunft - kopfschüttelnd weiter seines Wegs zog. Ich aber stand noch einige Minuten lang kaum weniger versteinert als meine zufällig entdeckte Vornamensvetterin da. Ein wenig Stolz befiel mich dabei schon angesichts der Erkenntnis, daß ein so ehrwürdiges Haus Gottes meinen Namen trug. Erst als Yelena mir mit dem Finger sanft auf die Schulter tippte, löste sich meine erfürchtige Erstarrung wieder. Mein anmutiges Frauchen aber zwinkerte mir zu und hauchte in verführerischem Tonfall: "Na, mein kleines Lukas, wer jetzt sollen sein Dein Herzblatt? Altes, starres Kirche mit gleiches Namen wie Du oder liebes weibliches Geschöpf aus Fleisch und Blut, das wollen unter Augen von Gott teilen Rest von Leben mit Dir?!". Ich tat für einen winzigen Augenblick so, als müsse ich mir die Antwort auf diese Frage ernsthaft überlegen, dann aber lächelte ich Yelena an: "Ich glaube, also dann entscheide ich mich wohl doch lieber für Kandidatin Zwei!". Zufrieden nickend hakte sie mich unter, und wir setzten unseren Spaziergang fort - die Obermaierstraße und die Thierschstraße passierend, vorbei am Isartorplatz. Als wir von dort aus in die Straße, die sich Tal nannte, einbogen, beschleunigte sich zum Erstaunen Yelenas mein Schritt mit einem Male deutlich. Ich erinnerte mich in diesem Moment nämlich wieder, daß mein Onkel Helmut in seinen Erzählungen von München auch diese Straße erwähnt hatte. Hier irgendwo hatte sich einst das Lokal Sterneckerbräu befunden, wo Adolf Hitlers unrühmliche Karriere als wortgewaltiger Volksverhetzer in der - von ihm später zur "Stadt der Bewegung" ausgerufenen - bayrischen Landeshauptstadt ihren Anfang genommen hatte. Hier hatte er der kleinen rechten Splitterpartei namens DAP nicht nur sich, sondern auch gleich noch das charakteristische NS vorangestellt und mit diesem Vorsatz dann im Laufe der kommenden Jahre Schritt für Schritt ein ganzes Volk bis an den Rand des Abgrunds geführt. Spürbar leichter wurde es mir dann wieder ums Herz, als wir - am Ende jener finsteren Talwanderung angekommen - mitten auf dem Marienplatz mit dem Neuen Rathaus landeten. Hier lag die Regierung und Verwaltung der Hauptstadt des bayrischen Freistaats heutezutage nun in deutlich besseren und fähigeren Händen als in der dunklen Vergangenheit. Hier, wo unzählige Geschäfte und Gaststätten zum Bummeln und Verweilen einluden, zeigte sich München von seiner besten Seite und präsentierte sich als das, was es heute war - eine weltoffene, gastfreundliche Metropole mit aufgeschlossenen, liebenswerten Bürgern.

Gern wären Yelena und ich hier noch ein wenig geblieben und hätten dem bunten Treiben all der Menschen hier zugeschaut, aber in diesem Moment traf auch schon unser Reisebus ein. So stiegen wir ein, und nahmen eng aneinandergeschmiegt zur Abwechslung diemal auf einer der Sitzbänke auf dem Unterdeck platz. Dabei registrierte ich wenig später fast nur noch nebenbei, wie der Bus sich in Bewegung setzte, die Sonnenstraße entlang am Karlsplatz - auch Stachus genannt - und dem Karlstor vorbeifuhr und dann schnurstracks wieder auf den Hauptbahnhof zusteuerte. Zu sehr war ich mit meinen abschweifenden Gedanken schon wieder ganz woanders. Das entging natürlich auf die Dauer auch meiner stets aufmerksamen Yelena nicht, und so fragte sie mich schließlich sichtlich besorgt: "Luki, Liebes, Dir nicht sein gut oder Dir auf einmal nicht mehr gefallen Fahrt durch Stadt in großes Bus?". Überrascht sah ich sie an und schüttelte meinen Kopf: "Doch, doch! Mit mir ist alles in Ordnung, und es ist auch immer noch unheimlich interessant für mich, die ereignisreiche Geschichte einer solch großen Weltstadt und ihrer bedeutenden Persönlichkeiten anhand ihrer Baudenkmäler erklärt zu bekommen. Und dennoch möchte ich auf unserer großen Reise die Welt um uns herum eben nicht nur oberflächlich betrachten, wie man sie jederzeit auch leicht von zuhause aus im Lexikon und anhand von einschlägigen Reiseführern nachlesen kann. Mich interessieren an einer solch faszinierenden Stadt vor allem immer auch die kleinen, einfachen Leute mit ihren kleinen Geschichten, wie sie das Leben und der Alltag schreiben - Leute wie Schimmi und Ute und die Geschichte ihrer heimlichen Liebe zueinander. Solche und ähnliche Geschichten, die man in keinem Sachbuch der Welt findet, berühren mich immer wieder aufs Neue neben der ganz großen Weltgeschichte". Damit sprang ich kurzerhand von meinem Sitzplatz auf und begab mich nach vorn zum Busfahrer, von dem ich mir einen Stadtplan ausborgte. Ich entfaltete den Plan sogleich, wozu ich mich dann bis zu unserem Eintreffen am Hauptbahnhof angeregt mit dem Fahrer unterhielt. Als der Bus dann schließlich hielt und alle Fahrgäste nacheinander ausstiegen, kam auch Yelena sichtlich gespannt auf mich zu gelaufen. Sie schlang ihre Arme liebevoll um meinen Hals, drückte mir mit ihren Lippen einen zarten Kuß aufs Ohrläppchen und flüsterte: "Hallo, Du altes Geheimniskrämer! Du mir jetzt endlich verraten, was Du vorhaben? Ich schon platzen vor Neugierde". Ich stellte mir eine derartige Explosion natürlich sofort bildlich vor und mußte unweigerlich schmunzeln. Mit erhobenem Zeigefinger erklärte ich schließlich augenzwinkernd: "Nun, ich glaube, das möchte ich weder Dir noch unserem hilfsbereiten Steuermann hier antun, mein Engel?!". Damit verabschiedete ich mich rasch per Handschlag von dem - bereits übers ganze Gesicht grinsenden - Busfahrer und trat mit Yelena ins Freie, wo ich sogleich ihre zarten Hüften mit meinen starken Armen umklammerte und ihr dazu sanft ins Ohr hauchte: "Was hältst Du denn davon, wenn wir zwei Hübschen einmal auf die Suche gehen, ob wir so eine kleine, interessante Geschichte wie in Essen, bei der es so richtig menschelt, nicht auch hier in München aufzuspüren vermögen. Und weißt Du, wo wir mit unserer Suche anfangen?!". Ich schaute dabei meiner Märchenbraut ganz tief in ihre herrlich funkelnden Augen und entdeckte darin den Ausdruck sichtlich gespannter Erwartung. Und so wartete ich auch keine Sekunde länger und beantwortete die ihr eben gestellte Frage gleich selbst: "Wir spüren das Leben da auf, wo man es wohl am wenigsten vermuten würde. Ja, wir fangen sozusagen am Schluß an - und zwar dort, wo im Grunde genommen jedes irdische Leben hier auf Erden einmal endet, auf einem Friedhof. Dank der freundlichen Mithilfe unseres charmanten Buschauffeurs hab ich mich aus dem großen Angebot Münchner Begräbnisstätten auch schon für eine ganz bestimmte, in meinen Augen für ein so gewagtes Unterfangen wie das unsere besonders geeignete entschieden, und zwar für den Waldfriedhof" ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Angel (15. September 2012, 13:54)

sven1421

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Samstag, 15. September 2012, 09:31

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 5


24. September 2009. München - Tag 1. Zweiter Akt.

Andächtig durchschritten Yelena und ich - mit den Münchner U-Bahn-Linien 1 und 6 über die Zwischenstation Sendlinger Tor zur Station Holzapfelkreuth gefahren und von dort in südlicher Richtung knapp 900 Meter zu Fuß die Fürstenrieder Straße entlang gewandert - eine halbe Stunde später den Haupteingang zum 1907 errichteten Münchner Waldfriedhof, welcher von zwei steinernen Sphinx auf Säulentoren bewacht wurde. Hinter diesem Portal erwarteten uns bereits hohe Nadelbäume und nach wenigen Metern auch das recht schlichte Hauptgebäude mit der Friedhofsverwaltung, der Aufbahrungs- und Aussegnungshalle. Ihm gegenüber erregte eine von Bäumen umwachsene Kreuzigungsgruppe mit Josef, Maria und ihrem gekreuzigten Sohn Jesus meine Aufmerksamkeit. Die Figuren und das sie umgebenden Friedhofsambiente trieben mir sogleich die Tränen in die Augen, mußte ich doch bei der hier versammelten Heiligen Familie unweigerlich an meine eigenen Eltern denken, die ja selbst auch Maria und Josef hießen. Und für einen kurzen Augenblick hatte ich sogar das Gefühl eines kleinen Dejavus, so als seien meine Eltern - die schon vor vielen Jahren bei einem tödlichen Autounfall nahe London ums Leben gekommen waren - mit mir gemeinsam erst vor kurzer Zeit selbst über einen Friedhof spaziert. Ich bekreuzigte mich rasch vor der Brust, während Yelena, die die ganze Zeit über nicht von meiner Seite gewichen war, mir mittels der sanften Berührung ihres Zeigefinger die Tränen hinfortwischte und dazu leise seufzte: "Ich auch vermissen mein Mutter und Vater so sehr. Aber ich unheimlich glücklich, ich jetzt haben Dich. Du mir sein jetzt alles - Vater und Bruder, Geliebtes und Freund". Ich lächelte sie an und dankte ihr mit einem Kuß für ihr Verständnis und ihre so unheimlich wohltuenden, trostspendenden Worte. Dann wendeten wir uns wieder dem noch vor uns liegenden Weg zu und schritten auf ihm gemeinsam glücklich voran.

Das erste Grabmal, das wir hier gleich zu Anfang zu Gesicht bekamen, war die schlicht gehaltene Grabplatte für den Schöpfers des Waldfriedhofes Hans Grässel und seine Frau. Ich hätte sie vermutlich total übersehen, aber Yelena stieß mich aufgeregt mit dem Zeigefinger auf die von Efeu dichtbedeckte Ehrentafel und raunte: "So ich wollen auch liegen später mit Dir zusammen in Erde. Dann auch Tod nicht uns können scheiden". Ich war für einen Moment sprachlos, dann spürte ich einen dicken Kloß in meinem Hals hochsteigen und schluchzte: "Nichts und niemand wird Dich und mich je wieder zu trennen vermögen, kein Mensch und erst recht nicht der Tod. Wie könnte ich je wieder leben ohne Dich? Nein, wenn Du einmal sterben solltest, so gibt es auch für mich auf dieser Welt keinen einzigen Tag mehr, den ich noch weiterleben möchte. Möge Gott mir nur eine einzige Bitte erfüllen und mich am gleichen Tage von dieser Erde abberufen wie Dich". Und damit schlang ich meine Arme liebevoll um meine geliebte Frau und drückte sie ganz fest an mich. So verharrten wir einige Minuten regungslos. Dabei nahm, während ich den Kopf fest an Yelenas weiche Schulter gepreßt hielt, ein merkwürdiger Gedanke plötzlich ganz von mir Besitz. Ich schaute auf die Pflanzen, die vor meinen Augen die steinerne Grabplatte umwucherten - den Efau, die Farne, die Gräser und die Moose. Überall breiten sie sich aus. Das Leben setzte sich quasi über den Tod hinweg. Mehr noch: Wenn man einmal genauer nachdachte, dann nährten der Tod und seine Hinterlassenschaften sogar das Leben. Ja, da gab es doch die Würmer tief in der Erde, die sich von den Leichnamen ernährten. Vögel und andere Tiere ernährten sich von den Würmern. Und wir ernährten uns dann von den Tieren. Die letzten sterblichen Überreste der Toten aber verwesten derweil unter der Einwirkung zahlloser Mikroorganismen und wurden zu Erde - jener Erde, über der spätere Generationen von Menschen ihre Schritte lenkten und auf der sie dann ihre eigene Welt errichteten. Der Tod bildete also gleich in mehrfacher Hinsicht die Grundlage für neues Leben - was für eine große und ergreifende Erkenntnis.

Ich schaute zum Himmel hinauf, der mir jetzt trotz einiger dunkler Regenwolken irgendwie gar nicht so betrübt erschien. Zumal die - wenn auch schon jahreszeitlich bedingt kraftloser werdende - Sonne mit ihrem strahlenden Lächeln immer wieder durch die Wolken hindurchblinzelte und uns damit zu erleuchten versuchte. Mein Blick schweifte zurück auf die Erde. Hier empfingen uns inzwischen schattenreich jene kilometerlangen, sich immer wieder kreuzenden Wege und Pfade, die zwischen den - auf weitem Raum überall verstreut liegenden - Gräbern des Waldfriedhofs hindurchführten. Wieviele Schicksale vereinten sich hier unter den einzelnen Grabsteinen und Holzkreuzen sowie an den zahllosen Urnenwänden, für wieviele Leben war hier die irdische Endstation - in den porzellanenen und metallenen Gefäßen, unter Blumen und Kränzen, zwischen Gräsern und Bäumen?! Wieviele Hoffnungen lagen hier zu Asche geworden beziehungsweise unter einer dicken Erdschicht begraben? Wieviele Tränen der Trauer und Verzweiflung waren hier schon geflossen und dann in den Sandwegen versickert?! Ja, jeder einzelne Schritt war hier gleichsam eine Reise in die Vergangenheit. Eine Reise durch verschiedene geschichtliche Epochen, in denen die Menschen hinter den in Stein eingemeißelten Namen gelebt, geliebt, gelacht und gelitten hatten. Und so wurde in meinen Gedanken der ganze Friedhof zu einer Art großer Bibliothek, in der jeder Grabstein gleichsam ein Buch darstellte. Ein Buch, unter dessen schlichtem Cover aus Marmor oder Granit sich eine vielseitige, interessante Geschichte versteckte, wie sie das Leben geschrieben hatte und die es im Grunde genommen nur auszugraben und wiederzuentdecken galt.

Der spannende Gedanke, das ganze Leben eines Menschen als eine Geschichte zu begreifen, fesselte mich dabei zusehends und so teilte ich ihn mit meiner Yelena, während ich mich an ihrer warmen, zarten Hand festhielt. Yelena klebte dabei mit ihren wunderschönen Augen förmlich an meinen Lippen, während unsere Füße gleichschreitend wie von selbst Schritt um Schritt in die Tiefe des Friedhofgeländes einzutauchen begannen. Schließlich sprach ich zu ihr: "Weißt Du, Yelena, das ist so, als wären auch wir nur die Figuren einer Geschichte, die sich ein höheres Wesen für uns ausdenkt. Wir können dieses Wesen Gott nennen oder aber auf unsere Geschichte bezogen auch einfach den Schöpfer von etwas Neuem". Yelena blieb kurz stehen und fragte: "Schöpfer von etwas Neuem?! Man das können doch sicher auch kürzer umschreiben?". Ich nickte schmunzelnd: "Na klar, man könnte diese lange Wortschöpfung auch einfach durch die Anfangsbuchstaben abkürzen, wie es in unserer schnellebigen Gesellschaft so üblich ist. Bei Schöpfer von etwas Neuem wäre das dann quasi S.V.E.N! Dieser S.V.E.N. also hat uns dann beide mit seinen Gedanken und seinen Händen erschaffen und mit uns alle, denen wir auf unserem Weg durch unsere Lebensgeschichte begegnen. Er führt uns dabei auf dem von ihm vorgesehenen Weg durch unser Dasein, von einem Erlebnis zum nächsten, von Kapitel zu Kapitel. Und dennoch läßt er uns dabei stets genug Spielraum zur freien Entfaltung und zur Entwicklung unserer ganz eigenen Persönlichkeiten". Jetzt war ich es, der kurz innehielt und sich dabei nachdenklich am Kinn zu kratzen begann: "Ja, ich glaube, er leidet sogar mit uns, wenn er einen aus unserer Mitte reißen muß - einen, den er einst mit Leben erfüllt, geformt und liebgewonnen hat. Und dennoch gehört der Tod, so überraschend und grausam er uns auch erscheinen mag, für ihn wie für uns zu unserem Leben dazu". Yelena schüttelte an meiner Seite aufgeregt den Kopf hin und her: "Entschuldigen, Luki, aber das ich jetzt nicht verstehen. Warum Tod gehören mit zu Leben. Man als Mensch doch auch gut können leben ohne Leid, Schmerzen und Tod, oder nicht?". Ich aber erwiderte liebevoll: "Auf den ersten Blick schon. Aber dann wüßten wir das Geschenk, das uns da gemacht wird, auf Dauer wohl kaum richtig zu schätzen. Welchen Wert hätte denn für uns Menschen schließlich das irdische Leben ohne seine klare Begrenzung durch den Tod?! Und wie wertvoll wären für uns Zweisamkeit, Glück, Freundschaft und Liebe, wenn wir nicht auch schon Einsamkeit, Trauer und Leid kennengelernt hätten?!". Yelena senkte ein wenig bedrückt ihr Haupt, dann aber erhob sie es nur um so höher und strahlte mich an: "Du haben recht! Ach, was ich haben doch nach viel Mühen und Leiden für ein weises, liebes Mann gefunden zu teilen alles Glück in Leben". Und dabei schloß sie ihre Augen und vereinte ihre Lippen für einen Moment der Ewigkeit zärtlich mit den meinen.

Als sich unsere Münder wieder voneinander lösten, bemerkten wir, daß wir direkt vor dem Grab mit der Nummer 24 und damit vor einem erst frisch aufgestellten Grabstein gelandet waren, dessen silberne Gravur sogleich mein ungeteiltes Interesse fand. Unter der zweizeiligen Inschrift "Hier ruht ERNST MEIER" fanden sich nämlich auch die zugehörigen Lebensdaten jenes unbekannten Mannes: "Geboren am 21.12.1966 - Gestorben am 24.05.2010". Offenbar war hier den beauftragten Steinmetzen - welche laut einem kleinen Messingschild an der Grabsteinrückseite Cochran & Surnow hießen - insofern sie nicht über visionäre Fähigkeiten verfügten, ein gravierender Fehler unterlaufen, lag doch der Todeszeitpunkt jenes Herrn Meier recht deutlich in der Zukunft. Und dennoch war gerade dadurch mein Interesse für den Verblichenen und seine Geschichte geweckt. Wer war wohl dieser Mann gewesen? Ein schweizer Radsportler vielleicht oder gar ein deutscher Politiker, ein Rechtswissenschaftler oder Theologe, ein Archäologe, Botaniker, Historiker, Jurist, Pädagoge, Arzt, Chemiker, Schriftseller, Komponist, Fußballspieler oder Diplomat?! Wer aber auch immer dieser Ernst Meier gewesen sein mochte, eines stand für mich fest: Er war als Mensch auf jeden Fall einzigartig gewesen. Niemand konnte ihn ersetzen. Nie zuvor hatte es jemanden gegeben und nie wieder würde es jemanden geben, der genau so war wie er. Und selbst wenn er beispielsweise nur ein kleiner krimineller Waffenhändler aus München gewesen sein mochte, der eine häßliche Brille trug und seinem restlichen Aussehen nach wie mein Freund Jack aus L.A. dem Schauspieler Kiefer Sutherland recht ähnlich sah, stellte sich doch die Frage: Wie hatte er gelebt, wen hatte er geliebt, von wem wird er betrauert und vermißt, unter welchen Umständen war er zu Tode gekommen? In meinem Kopf begann sich parallel zu all diesen Fragen die Geschichte eines amerikanischen Bundesagenten zu entspinnen, der den Namen jenes Verstorbenen als Tarnidentitität wählte, um sich und die Frau an seiner Seite auf diese Weise in eine russische Untergrundorganisation einzuschleusen und damit den Plan eines Atomwaffendeals zu durchkreuzen. Erst Yelenas mehrmaliges Klopfen auf meine Schulter und ihre dazu erklingende, süße Stimme rissen mich aus meinen ausschweifenden, abenteuerlichen Gedanken: "Luki, Luki! Ich sehen, Du schon wieder phantasieren! Manchmal Du spinnen aus Nichts stundenlang großes Netz von reines Phantasiegeschichte wie kleines Junge. Das sein nix Vorwurf, ich das ja lieben an Dir, aber wenn wir wollen noch vor Dunkelheit Friedhofsrundgang beenden und finden Platz für Schlafen, wir jetzt langsam müssen weiter". Leicht tätschelte ich ihre Wange und stimmte ihr zu: "Ja, Liebes! Wir müssen weiter. Schließlich sind wir ja vor allem auf der Suche nach einem noch lebenden Menschen und seiner ganz besonderen, einzigartigen Geschichte. Ach, wenn ich Dich nicht hätte! Komm, laß uns gehen!". Und Hand in Hand setzten wir unseren kleinen, verträumten Spaziergang über die vom Herbstlaub dicht bedeckten Friedhofswege fort.

Etwa eine Stunde liefen wir so kreuz und quer über das riesige Friedhofsgelände, an den kleinen und großen Grabstätten vieler bekannter und weniger bekannter Persönlichkeiten vorbei. Hier ruhten neben dem einfachen Volk auch jede Menge Künstler, Politiker, Widerstandskämpfer und Filmschaffende. Nicht zuletzt auch der bekannte Schöpfer von "Die unendliche Geschichte" Michael Ende. Sogar einen Nobelpreisträger deckte hier heimatliche Erde. Und dann gab es neben anonymen Gräbern und Urnengräbern auch noch unzählige Kriegsgräber. Menschen unterschiedlichster Nationalitäten waren hier vertreten. Was mich bei all dem Gesehenen dennoch am meisten in Erstaunen versetzte: Hier waren Christen und Ungläubige, Muslime und Juden begraben. Jene, die sich oftmals zu Lebzeiten so unversöhnlich bekriegt und gegenseitig nach dem Leben getrachtet hatten, lagen nun im Tode dicht an dicht friedlich vereint. Hier war die Ringparabel aus Lessings "Nathan der Weise" ganz offensichtlich endlich Wirklichkeit geworden. Hier existierten die großen Weltreligionen in einträchtigem Miteinander. Traurig nur, daß erst der Tod dieses Wunder zu vollbringen vermocht hatte, was doch der Menschheit über alle Jahrhunderte hinweg zeitlebens stets so unmöglich schien. Ja, hier gab es ihn - den vollkommenen Frieden und eine geradezu himmlische Stille. Hier duftete alles nach Natur pur. Und auf dem laubbedeckten und stellenweise stark bemoosten Waldboden hatte man mit geschlossenen Augen hin und wieder schier das Gefühl, über dem Erdboden zu schweben. Kurzum: So wie hier stellte ich mir das Paradies vor - jenen Ort, an dem ich einst die Ewigkeit zubringen mochte.

Während ich noch so meinen Gedanken nachhing, waren wir mit einem Male direkt vor einer großen Pfütze angekommen, die uns komplett den Weg versperrte. Yelena und ich neigten unsere Häupter fast zeitgleich über ihren wäßrigen Rand ein wenig nach vorn, wobei unsere Gesichter begannen, sich augenblicklich auf der leicht bewegten Wasseroberfläche zu spiegeln. Meine Güte, wie alt war ich doch rein äußerlich geworden! Wie sehr hatten all die Jahre mein Antlitz durchpflügt und dabei tiefe Furchen auf ihm zurückgelassen wie auf einem Acker. Und wie ich so auf meine faltige Stirn schaute, bemerkte ich, daß dort, wo das Haar auf meinem Kopf besonders schütter geworden war, in diesem Moment die Sonne auf der Kopfhaut ein ringförmiges Leuchten hervorzuzaubern schien. Yelena, die jenes eigenartige Lichtspiel auch schon bemerkt zu haben schien, zwinkerte mir durch ihr Spiegelbild zu und sprach: "Mein liebes, gutes Luki sein nicht nur weises Mann. Nein, heute Du auch noch haben heiliges Schein! Du nicht nur Lukas, Du jetzt sein Sankt Lukas!". Eifrig begannen meine wäßrige Spiegelung und ich synchron den Kopf zu schütteln, während ich erwiderte: "Ach, Yel, mein Engel! Da ist so wenig von einem Heiligen in mir. Bei mir von einem Heiligenschein zu sprechen, wäre für mich mehr als scheinheilig. Ich bin wie wir alle nur ein armer, sündiger Mensch, dessen weiße Weste durch das Leben und seine zahllosen, von mir nicht bestandenen Prüfungen viele dunkle Flecken bekommen hat. Und kein noch so teures Waschmittel dieser Welt kann mich von diesen häßlichen Schandflecken reinwaschen. Das kann allein die gütige und liebende Vergebung meines himmlischen Vaters". Und noch während ich dabei andächtig die Hände faltend in eine Minute des stillen Dankes versank, kreuzte ein einzelner Sonnenstrahl symbolisch den sandigen Pfad direkt vor unseren Füßen und erhellte uns damit den weiteren Weg, welcher uns auf einem schmalen Trampelpfad durch ein wildes Rosengebüsch mit ausgedehnter Dornenkrone hindurch zu einer kleinen Reihe von recht jungen Gräbern führte.

Vor einem jener Gräber aber kniete eine auf den ersten Blick recht unscheinbare, ältere Frau auf einer sorgsam ausgebreitenen Zeitungsseite und jätete hier und da das Unkraut aus dem prachtvoll und mit viel Liebe bepflanzten Einfassung. Sie war dabei scheinbar so sehr in ihre Arbeit vertieft, daß sie gar nicht bemerkte, daß Yelena und ich unmittelbar hinter ihr standen. Stattdessen summte sie leise ein Liedchen vor sich her, das in meinen Ohren sehr nach dem alten deutschen Kirchenlied "So nimm denn meine Hände" zu klingen schien. Mein Blick löste sich von der älteren Dame und wanderte zu der steinernen Inschrift jener von ihr so liebevoll gepflegten Grabstätte. Da stand in kleinen goldenen Lettern auf grauem Granitstein: "Glücklich darf sich der Mensch schätzen, der fest daran glaubt, daß es nach jeder Nacht ein Morgen gibt - ohne Leid bis in alle Ewigkeit!". Und darunter, ebenfalls in goldener Schrift: "Ruhestätte Herrmann Septus". Und während ich noch so las, erhob sich die Frau vor uns aus ihrer knienden Position und trat - ohne sich zuvor umzudrehen - einen Schritt vom Grabe zurück, wobei sie fast über meine Füße gestolpert wäre. Yelena aber fing die strauchelnde Frau mit ihren ausgebreiteten Armen im letzten Moment auf und stützte sie. Ich aber bückte mich im selben Moment rasch und bewahrte durch ein beherztes Zugreifen das nun loseliegende Zeitungsblatt, welches die Dame als Unterlage benutzt hatte, vor dem Weggewehtwerden durch eine eben aufgekommene herbstliche Brise. Ein bezauberndes Lächeln zog in das Gesicht der gerade noch so erschrocken dreinblickenden alten Frau. Sie ergriff unser beider Hände und dankte uns dabei immer wieder, wobei die Art ihrer ausgesprochenen Dankbarkeit wie auch ihre von den Lebensjahren gezeichneten Hände gleichermaßen eine Art wohlige und zu Herzen gehende Wärme in mir zu erzeugen vermochten. Alles an dieser Frau stahlte einfach eine ungeheure Güte, Offenheit und Herzlichkeit aus. Ich stellte uns ihr kurzerhand vor und erzählte ihr dann ausschweifend von unserer Hochzeitsreise und unserer Idee mit dem Friedhofsspaziergang. Sie hörte mir die ganze Zeit über aufmerksam zu, dann sagte sie: "Eine interessante Geschichte, Herr Svensson. Freut mich sehr, Sie und Ihre liebe Frau kennenzulernen. Ich heiße übrigens Anne-Marie Septus". Hierbei drehte sie sich kurz um, deutete auf das von ihr so eifrig umsorgte Grab und ergänzte: "Und das da, das war mein Mann, der Herrmann". Ihr Blick kehrte zu mir zurück, und ich konnte ein Leuchten in ihren großen Augen erkennen. Ein strahlendes Leuchten, das unvermindert anhielt, während sie in ihrer Erzählung fortfuhr: "Er war mein ein und alles, wissen Sie. Er trug mich auf Händen. Und auch ich hab ihn geliebt und umsorgt. Später, als er schwer krank wurde, da hab ihn gepflegt, bis er dann vor ein paar Jahren seine Augen für immer schloß. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen, und im Grunde genommen hab ich jede Stunde mit ihm genossen, auch wenn es im Alltag nicht immer ganz leicht war für uns zwei. Aber das ist es ja schließlich, was man sich vorm Altar schwört - sich lieben und ehren in guten wie in schlechten Zeiten, gel!". Freudig nickte ich ihr zu. Ihre positive, lebensbejahende Einstellung war einfach wunderbar ansteckend. In diesem Moment spürte ich, daß ich bei ihr goldrichtig war. Yelena und ich waren durch diese - mehr oder weniger zufällige - Begegnung angekommen am Ziel unserer Suche nach einer jener kleinen Geschichten, wie sie das Leben schrieb. Und ich war schon gespannt, wo uns jene bemerkenswerte Anne-Marie Septus und ihre ganz persönliche Geschichte noch hinführen würden.

Während Frau Septus ihr inzwischen von mir zurückerhaltenes Zeitungspapier sorgsam zusammenfaltete und anschließend in einen der nahegelegenen Papierkörbe warf, unterrichtete ich Yelena leise flüsternd von dem, was mir gerade im Kopf herumspukte. Yelena aber nickte und raunte mir in ihrer kompakten und dennoch allumfassenden Art, die Dinge zu erfassen und auszudrücken, zu: "Sie sein gutes Mensch, das man sehen auf erstes Blick. Ich gespannt, auf was wir mit ihr werden erleben". Anne-Marie Septus hatte inzwischen ihre kleine Gartenkralle, mit deren Hilfe sie kurz zuvor dem Unkraut zuleibe gerückt war, noch rasch in einem nahegelegenen Busch verstaut und rüstete sich nun zum Aufbruch. Sie reichte Yelena und mir noch einmal ihre Hände und sprach: "Ich muß jetzt nach Hause. Ihnen Beiden aber wünsch ich noch einen schönen Aufenthalt hier in München. Freut mich sehr, Sie getroffen zu haben, Herr und Frau Svensson". Ich räusperte mich kurz, dann erwiderte ich: "Mich würde es sehr freuen, wenn Sie uns Lukas und Yelena nennen würden. Herr und Frau Svensson klingt doch so schrecklich förmlich, Frau Septus". Die ältere Dame lächelte verschmitzt: "Frau Septus aber nicht minder, Lukas! Also dann, ich bin die Anne-Marie!". Lächelnd schüttelte ich ihre Hand: "Angenehm, Anne-Marie! Und wenn Sie uns nun noch eine kleine Bitte gestatten?! Wir würden Sie gern nach Hause begleiten und uns unterwegs noch ein wenig mit Ihnen unterhalten". Anne-Marie Septus nickte: "Ist recht! Gegen so charmante Begleitung ist von meiner Seite absolut nichts einzuwenden. Also dann, Kinder, laßt uns gehen! Aber bevor es zu mir daheim geht, müßt Ihr mir schon noch den kleinen Umweg über meinem Zeitungstandler gestatten". Weder Yelena noch ich hatten etwas gegen so einen kleinen Umweg einzuwenden, auch wenn keinem von uns beiden abenteuerlustigen Flitterwöchlern zu diesem Zeitpunkt auch nur im Geringsten klar war, was um alles in der Welt ein Zeitungstandler sein sollte. Und so folgten wir neugierig und gespannt unserer neuen Reisebekanntschaft auf ihrem geheimnisvollen Umweg vom Friedhof nach Hause ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Angel (15. September 2012, 13:54)

sven1421

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6

Samstag, 15. September 2012, 09:34

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 6


24. September 2009. München - Tag 1. Dritter Akt.

Während wir so gemeinsam die Straße entlangliefen, erzählte ich Anne-Marie Septus die ganze Beziehungsvorgeschichte von Yelena und mir, und sie offenbarte mir im Gegenzug ihre halbe Lebensgeschichte. So etwas wie zwischen ihr und mir gab es nur bei einer Handvoll Menschen auf der ganzen Welt. Trotz unserer erst kurzen Bekanntschaft war da sofort das Gefühl einer engen Vertrautheit, wie sie sonst nur langjährige gute Bekannte oder ganz enge Blutsverwandte zu haben pflegen und wie man sie wohl mit Fug und Recht auch als Seelenverwandtschaft bezeichnen konnte. Der lange Nachhauseweg führte uns nun durch breite Straßen mit größeren und kleineren Häusern und ein paar kleinen Geschäften. Hier und da gab es eine U-Bahnstation oder eine Bushaltestelle. Als wir zum wiederholten Male an einer jener Haltestellen vorbeikamen, fragte ich Anne-Marie, warum sie eigentlich vom Friedhof aus kein öffentliches Verkehrsmittel nähme, was doch sicher viel bequemer sei als der bescherliche Fußmarsch, worauf sie mir mild zulächelnd antwortete: "Ich bin zwar schon ein wenig betagt, gehöre aber noch lang nicht zum alten Eisen. So ein hübscher kleiner Spaziergang jeden Tag, das hält den Körper in Schwung. Und man kann nebenbei noch jede Menge frische Luft tanken. Ich bin nämlich eigentlich gar kein Stadtmensch. Gebürtig stamm ich vielmehr sogar aus der Wachau in Niederösterreich, warum mein Herrmännchen mich auch immer scherzhaft sein Marie-Andl aus dem Wachauer Landl genannt hat. Und zu guter Letzt, um wieder zu den Gründen für meine Bevorzugung eines Fußmarsches zurückzukehren, sind bei uns in München die Öffentlichen auch nicht grad ganz billig".

Wieder liefen wir ein Weilchen und plauderten angeregt über Gott und die Welt, als Anne-Marie plötzlich vor einem kleinen Laden Halt machte und dann bedächtig die drei kleinen Stufen beschritt, die zu seinem Innern führten. Über der Tür des Ladens hing ein weißes Schild, auf dem in herrlich verschnörkelter blauer Schrift zu lesen war: "Zeitschriften, Getränke, Süß- und Tabakwaren, Inhaber: Florentina & Seppl Huth". Yelena und ich waren zunächst unschlüssig vor dem Laden stehengeblieben, während Anne-Marie schon oben auf dem Treppchen angekommen war. Dort drehte sie sich zu uns um und winkte uns aufmunternd zu, wobei sie auf ein kleines Schild an der Tür verwies, welches sowohl symbolisch als auch schwarz auf weiß jede Art bellender Vierbeiner zum Draußenbleiben verurteilte. Und mit einem schelmischen Augenzwinkern meinte sie: "Na, Ihr seid doch wohl keine Hunde, oder?! Also kommt schon mit rein, ihr Zwei!". Im Ladeninnern war es aufgrund der nur spärlich vorhandenen und zudem noch mit Zeitungsständern und Regalen aller Art zugestellten Fenster ein wenig schummrig, was dem Geschäft aber zugleich auch eine anheimelnde Atmosphäre verlieh, ebenso wie der dezente Duft, welcher - wie nicht anders zu erwarten - aus einer Mischung von Tabak, gemahlem Bohnenkaffee, sauren Fruchtdrops und frischer Druckerschwärze bestand. Yelena und ich schauten uns ein wenig um, während Anne-Marie mit ausgebreiteten Armen verkündete: "Ja, da wären wir also, bei meinem Zeitungstandler - im Hochdeutschen auch Zeitschriftenhändler genannt. Da staunt Ihr, was?!". Und ob wir staunten! Ich vor allem über das breitgefächerte Angebot an Tabakwaren - welches vom Schnupftabak und Kautabak über Zigaretten und Zigarren bis hin zum Tabak für Pfeifen reichte und somit alles im Angebot hatte, vor dem die EU-Gesundheitsminister unter Todesandrohung seit Jahren mehr oder minder erfolglos warnten. Anne-Marie hatte an derart starken Tobak momentan wenig Interesse. Sie angelte sich stattdessen zielsicher einen "Merkur" und legte ihn der zünftig in ein enges Trachtenkleid gehüllten Dame auf die Theke, um in ihrer Geldbörse das passende Kleingeld zu suchen. Dabei sah sie sich noch einmal nach Yelena und mir um und fragte: "Hättet Ihr vielleicht noch Lust auf einen heiße Zitrone. Das löscht nicht nur den Durst, sondern beugt bei dem naßkalten Wetter draußen in den meisten Fällen auch noch einer handfesten Erkältung vor!". Diesem Argument konnten weder Yelena noch ich mich wirklich verschließen, und so nickten wir einträchtig, worauf unsere neue, alte Bekannte der Frau hinter dem Thresen zuzwinkerte: "Na dann, Frau Rehbein, noch drei Tassen heiße Zitrone, wenns recht ist!". Die Verkäuferin aber nickte freundlich und erwiderte kurz und bündig: "Paßt scho! Des macht dann 4 Euro und 21 Cent", worauf sie Anne-Marie und uns sogleich drei Tässchen aus feinstem Porzellan mit zitronig-sauer riechendem, dampfenden Inhalt auf die Glasplatte der Theke stellte.

Wir nahmen direkt vor unseren Tassen Aufstellung. Und während Anne-Marie neben uns immer noch ihr Portemonnaie auf der Suche nach einer ausreichenden Menge Klimpergeld durchforschte, betraten wie aus dem Nichts vier Männer mit schwarzgrauen Anzügen das Geschäft. Alle hatten blaßgraue, ja geradezu farblos erscheinende Gesichter und trugen Pomade in ihrem streng zum Seitenscheitel gekämmten Haar. Lediglich bei dem jüngsten der dem ersten Anschein nach reserviert-freundlich erscheinenden Herren hatte sich eine einzelne Haarsträhne gelöst und tiefer ins Gesicht verirrt. Der älteste der Männer trug zusätzlich noch einen altmodischen grauen Filzhut auf dem Kopf und nicht minder unmoderne Gummi-Überschuhe über seinen schwarzen Lackschuhen. Er mußte wohl aus dem Augenwinkel heraus bemerkt haben, daß ich ihm einen Moment lang erstaunt auf eben jenen gummierten Schuhüberzug starrte, denn mit einer lässigen Drehung kehrte er sich zu mir um und bemerkte: "Tja, meine Frau Franziska glaubt halt immer gleich, es könnte Regen geben. Da kann Mann nichts machen!". Dann drehte er sich wieder zurück und richtete seinen Blick auf die Ladentheke, wo einer seiner beiden mittelalten Kollegen mit einer Pfeife in der Hand Anne-Marie sacht auf die Schulter klopfte und sie fragte, ob er vielleicht mal vor dürfe, man habe es ziemlich eilig. Anne-Marie trat mit freundlichem Lächeln höflich einen Schritt zur Seite und der Mann im gleichen Atemzug einen nach vorn, so daß er direkt vor der gläsernen Theke und der Verkäuferin zu stehen kam. Die gute Frau hinter dem Tresen aber sprach: "Grüß Gott, die Herren Kriminalisten! Was darfs denn heute sein?". Der Mann an der Theke drehte sich zu dem Filzhut um und fragte nun seinerseits: "Chef, die Rehbein fragt, was es heute bei uns sein darf". Der Angesprochene aber strich sich kurz nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand über die wohlbehütete Stirn und meinte dann: "Na, Robert, ich würde sagen, wir nehmen vier extrastarke Kaffee und eine Packung Zigaretten. Ach nein, laß uns lieber gleich eine ganze Stange Zigaretten kaufen, das wird heute gewiß noch ein langer Arbeitstag". Jener als Robert angeredete Herr wandte sich nun wieder der Dame hinter der Theke zu und sprach: "Sie habens ja gehört, Rehbeinchen! Vier Kaffee extrastark und eine Stange Zigaretten. Na, Sie kennen ja unsere bevorzugte Sorte, nicht wahr?! Ach und für mich bitte noch eine extragroße Packung Pfeifentabak. Sie hören ja, der Kommissar sagt, vor uns liegt ein langer Tag!". Mein Blick haftete während der ganzen, etwas ungewöhnlich anmutenden Konversation an dem Filzhut, den die anderen als den "Chef" und den "Kommissar" bezeichneten, und der die ganze Zeit über seine nähere Umgebung sowie alle Anwesenden gleichzeitig aus dem Augenwinkel heraus mit prüfenden Blicken zu betrachten schien. Man spürte ihm dabei sofort ab, daß er mit Sicherheit jene Gabe besaß, die einen guten Kriminalisten auszeichnete - nämlich, einen Menschen blitzschnell und dennoch präzise einzuschätzen. Frau Rehbein reichte dem Mann an der Theke inzwischen die Tassen mit dem herrlich duftenden Kaffee herüber, die dieser nacheinander auf einem nahegelegenen runden Stehtisch abstellte, um den sich dann auch die restlichen drei Männer einfanden.

Langsam und genüßlich tranken die Vier schließlich ihr extrastark koffeinhaltiges Heißgetränk. Dabei schwärmten sie nach jedem Schluck abwechselnd von dem vollen Aroma, das für den verwöhnten kriminalistischen Gaumen eine wahre Ode an den Genuß sei. Schließlich waren die Tassen der Herren restlos geleert, worauf die Vier nun immer wieder auffällig zu uns herüberschauten und dabei aufgeregt miteinander tuschelten. Schließlich stieß der Chef dem zweiten seiner beiden mittelalten Kollegen in die Seite und sprach: "Nun frag sie doch schon, Walter! Die netten Herrschaften werden uns schon nicht gleich den Kopf abreißen, wenn wir ganz höflich um ihre Erlaubnis bitten". Der Angesprochene warf noch einmal einen Blick auf den Kommissar und sagte dann schulterzuckend: "Ja, wenn Sie meinen Chef!". An uns gewandt aber stellte er die Frage: "Entschuldigen Sie, hätten Sie etwas dagegen, wenn wir hier rauchen? Wir wissen natürlich, daß es heutzutage in der Öffentlichkeit nicht mehr so gern gesehen ist, aber was das Rauchen angeht, so sind wir leider echte Serientäter". Da sich die beiden Frauen zu meiner Rechten und Linken zitroneschlürfend in Schweigen hüllten, ergriff ich die Gelegenheit und das Wort und erwiderte schmunzelnd: "Ein kleines Laster hat doch wohl jeder von uns. Rauchen Sie nur, mich stört es nicht! Und ich denke, die Damen an meiner Seite haben sicher auch nichts dagegen, oder?!". Sowohl Yelena als auch Anne-Marie schüttelten eifrig die Köpfe, und so kam es, daß die vier gestandenen Mannsbilder am Nebentisch eine Packung von der Stange - die sie eben erstanden hatten - aufrissen, um sich sodann je eine Zigarette in den Mundwinkel zu schieben. Einzig und allein der Mann mit der Pfeife verzichtete auf die Dekoration seiner Gesichtszüge mit so einem Glimmstengel. Stattdessen gab er den anderen mit einem silbernen Feuerzeug aus seiner Anzugjackentasche Feuer und stopfte sich anschließend mit einer Prise von dem gekauften Tabak sein Pfeifchen, welches er ebenfalls anzündete. Binnen weniger Minuten hatten die Kriminalbeamten die ganze Zeitschiftenbude derart vollgepafft, daß man sie nun eher als Räucherkammer bezeichnen konnte. Blauer Dunst durchzog in großen nebligen Schwaden den gesamten Raum, so daß man kaum noch etwas erkennen konnte und sich an den berühmtberüchtigten Londoner Nebel erinnert fühlte. Draußen von der Straße her aber war plötzlich unterschwellig ein schriller Signalton zu vernehmen. Silhouettenhaft sah ich den Mann, der von seinem Chef Walter genannt worden war, hinaus zum einem direkt vor dem Laden abgestellten Wagen rennen, von wo er schon eine Minute später wieder zurückkehrte. Atemlos vermeldete er seinen am Stehtisch wartenden Kollegen: "Helga war dran. Sie lag ja in Ihrem Auftrag, Chef, im Büro auf der Lauer. Und nun gibt es aus der Rechtsmedizin anscheinend neue Erkenntnisse in der Mordsache Siska". Der Chef räusperte sich kurz, dann raunte er dem jüngsten seiner Männerriege - welcher gerade erst zu Ende geraucht hatte - zu: "Harry, lauf doch schonmal zum Wagen und starte den Motor!". Mit wenigen raschen Schritten war Harry aus den Laden heraus und hatte das Auto abfahrbereit gemacht. Der Kommissar aber wandte sich nun wieder seinen beiden verbliebenen Männern zu: "Ahc, und Robert und Walter, beeilt Euch doch bitte!". Damit drückte der Chef seine Zigarette im vor ihm stehenden Aschenbecher aus. Robert tat es ihm gleich, und auch Walter klopfte seine Pfeife am Aschenbecherrand aus. Dann liefen die Drei gemeinsam bedächtigen Schrittes ins Freie. Einzig Walter kehrte einen Augenblick später noch einmal schulterzuckend in den Laden zurück und bekannte der Dame hinterm Tresen reumütig: "Na das wär ja was geworden, was Rehbeinchen?! Da hätten die Herren von der Mordkommission im Eifer des Gefechts doch beinahe die Zeche geprellt. Was machts denn?". Frau Rehbein überlegte kurz: "Vier Kaffee extrastark ohne alles, eine Stange Zigaretten und eine King-Size-Packung Pfeifentabak ... 24 Euro und 1 Cent". Der Kriminalbeamte aber zog lächelnd zwei Geldscheine aus der Anzughose heraus und überreichte sie der Verkäuferin mit den Worten: "Einmal 20 und einmal 5. Stimmt so!". Und ein letztes Mal in die Runde blickend, ergänzte er: "Servus, die Damen und der Herr! Entschuldigen Sie bitte unser fluchtartiges Aufbrechen. Aber wenn der Leichen-Keller ruft, dann gibt es in der Folge immer viel zu tun für uns". Damit war er auch schon wieder entschwunden. Draußen am Straßenrand aber klappte Sekunden später eine Autotür, und der dunkelgraue Wagen der vierköpfigen Kriminalistentruppe rauschte konstant mit vorschriftsmäßigen 50 Stundenkilometern davon.

Anne-Marie Septus, Yelena und ich leerten die letzten Schlucke unserer inzwischen nicht mehr ganz so heißen Zitrone. Dann verabschiedeten wir uns von der Verkäuferin mit einem abschließenden "Grüß Gott". Der Nachmittag neigte sich langsam seinem Ende zu, und es schickte sich an, Abend zu werden, als wir wieder auf die Straße zurückkehrten. Yelena und ich nahmen Anne-Marie in unsere Mitte und hakten uns bei ihr ein. Gemeinsam stiefelten wir erneut an unzähligen kleinen und großen Häusern vorbei und gelangten schließlich an einen größeren Platz, dessen sich kreuzende Straßen stark vom Verkehr frequentiert waren. Der Platz trug den Namen Luise Kiesselbachs, einer Münchner Politikerin und Frauenrechtlerin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu unserer Rechten bemerkte ich dabei ein großes, mehrstöckiges Gebäude, über dessen Eingangsportal ein breiter Schriftzug die derzeitige Bestimmung des Gebäudes preisgab: "Städtisches Altenheim Sankt Josef". Ich blieb einen Augenblick lang stehen und beobachtete eine ältere Frau, die sich - einen Mann etwa gleichen Alters im Rollstuhl vor sich her schiebend - auf dem Weg in das Gebäude befand. Anne-Marie Septus seufzte: "Ja, so hab ich meinen Herrmann auch immer herumgefahren. Am liebsten sind wir im nahegelegenen Westpark spazierengefahren und haben dort die Schwäne und Enten beobachtet oder uns die wunderschönen Blumen angeschaut. Heut geh ich oft allein dort spazieren, aber zu zweit war es halt viel schöner. Ach, er fehlt mir so!". Ein Tränchen kullerte ihre Wange herab und fiel von dort auf den Gehsteig. Ich aber sagte, an meine Yelena gerichtet: "Weißt Du, mein Schatz, irgendwann ereilt vielleicht auch mich so ein Schicksal, daß ich professioneller Pflege bedarf. Man spricht zwar nicht allzugern darüber, weil es einem viel leichter erscheint, diese Möglichkeit zu verdrängen. Aber wichtig ist es schon, wenn man bedenkt, wie schnell so etwas gehen kann. Also, sollte bei mir solch ein Fall eintreten, dann möchte ich nicht, daß Du Dich aus falschverstandenem Pflichtgefühl mir gegenüber ganz allein mit mir abmühst. Ich hab nämlich gar keine Angst davor, meine letzten Jahre in einem Heim zu verbringen, solang ich Dich dabei an meiner Seite weiß. Das solltest Du einfach wissen, nur für den Fall der Fälle!". Yelena nickte: "Gut, Luki! Ich werden Dein Wunsch zu mein Herz nehmen, auch wenn ich hoffen, es niemals so kommen werden und wir noch leben lange ohne fremdes Hilfe zusammen". Anne-Marie, die in unserer Mitte unser Gespräch interessiert verfolgt hatte, zwinkerte uns zu und sprach: "Recht tut Ihr daran, Euch mit diesem ernsten Thema beizeiten auseinanderzusetzen. Da weiß man wenigstens schonmal, wie der andere darüber denkt, und kann dementsprechend handeln, wenn es plötzlich zum Äußersten kommen sollte". Damit setzten wir unseren Weg fort, der uns nun noch durch ein paar Seitenstraßen führte, bevor wir endlich an dem kleinen Eigenheim von Anne-Marie Septus anlangten. Sie aber zog rasch ihr Schlüsselbund aus der Tasche, öffnete uns erst das Tor zu ihrer Einfahrt und dann die Haustür. Eh wir es uns versahen, standen wir in ihrem Flur, von wo aus sie uns in ihr behaglich eingerichtetes Wohnstübchen einließ und uns platz zu nehmen bat. Während wir uns zögernd auf ihrem Sofa niederließen, war sie schon wieder in den Flur entschwunden, wo sie zu telefonieren schien. Nach ein paar Minuten war sie wieder bei uns und verkündete: "Also, meine Lieben, Ihr seid ja sicher - wie ich auch - schon ein wenig hungrig. Nur keine falsche Bescheidenheit, das Knurren Eurer Mägen auf dem Weg hierher hat Euch eh schon mehrfach verraten. Leider kann ich Euch selbst nichts anbieten, da ich heut gar nicht zum Einkaufen kam und mein Kühlschrank fast leer ist. Aber zum Glück hab ich da eine befreundete Familie, die mich heut abend eh zu sich eingeladen hat. Mit der Hausherrin hab ich eben telefoniert, und sie dehnt - großzügig und aufgeschlossen, wie sie nunmal ist - die Einladung zum Abendmahl auf Euch mit aus. Verschwenden wir also keine Zeit und machen uns auf den Weg! Es ist auch gar nicht weit, nur ein paar Schritte. Quasi gleich ums Eck!".

Ebenso rasch wie wir vor wenigen Minuten nach drinnen gelangt waren, standen wir auch schon wieder draußen und stapften im Dämmerlicht die Straße entlang. Und tatsächlich waren es wohl kaum mehr als hundert Meter, und vor uns erhob sich ein dreistöckiges Häuschen mit Garten, an dessen Pforte schon eine freundliche Dame etwa in meinem Alter nach uns Ausschau hielt. Sie begrüßte erst Anne-Marie mit einer innigen Umarmung und dann uns mit einem kräftigen Händedruck, wobei sie sich uns Beiden vorstellte: "Herzlich willkommen! Oder sollte ich lieber Welcome sagen?! Ich bin die Frau Käsler. Kommen Sie doch bitte rein! Und Du natürlich auch Annemie!". Damit führte sie uns nach drinnen durch ihren Flur, wo wir unsere Mäntel und Jacken ablegen durften, direkt in die kleine Küche hinein, aus der es schon verführerisch nach gebratenem Fleisch und Backwerk duftete. In einer schmalen Sitzecke hockte vorm Küchentisch eine junge Frau, die uns bei unserem Eintreffen einladend zulächelte. Mir fiel dabei sofort das Strahlen ihrer Augen auf, das etwas unheimlich Schönes und Gewinnendes an sich hatte. Die Hausherrin aber vermeldete aus dem Hintergrund: "Das ist übrigens meine Tochter Sandra, die oben unter dem Dach lebt. Ich für meinen Teil bewohne das Erdgeschoß, und mittendrin im zweiten Stock lebt mein Sohn Alex. Der ist allerdings heute abend nicht da, weil er sich zweimal wöchentlich in der Innenstadt im Fitneßstudio - oder wie er sagt, in der Muckibude - verausgabt. Naja, was solls, da sind wir Frauen halt unter uns, von dem Herrn Lukas - wenn ich mir den Namen beim Anruf meiner Freundin Annemie recht verstanden hab - einmal abgesehen". Und an meine Frau gewandt, ergänzte sie: "Sie müssen nämlich wissen, werte Frau Yelena - der Name ist doch richtig?! - uns drei Frauen, also Annemie, Sandra und mich verbindet neben der unmittelbaren Nachbarschaft zueinander auch noch ein schweres schicksalhaftes Los. Wir sind allesamt viel zu früh Witwen geworden. So bitter das auch klingen mag und letztlich auch ist, so sehr versuchen wir doch inständig, dennoch gemeinsam das Beste aus unserer Situation und unserem Leben zu machen. Wir unternehmen viel zusammen, tauschen uns aus, feiern gemeinsam und helfen uns gegenseitig. Der schmerzliche Verlust unserer Männer hat uns letzten Endes sogar noch fester zusammengeschweißt. Aber genug geredet fürs Erste, sonst brennt mir unser Essen noch an! Und das wär ehrlich gesagt schad' drum. Wenn sich die Damen und der Herr schon einmal setzen möchten?!". Anne-Marie, Yelena und ich mochten. Und so nahmen auf der Ecksitzbank neben der Tochter des Hauses platz - Yelena und ich zu ihrer Rechten, Anne-Marie zur Linken. Frau Käsler machte sich derweil am Herd zu schaffen, aus dem sie wenige Augenblicke später ein eckiges, gebratenes Etwas hervorzauberte, das mich sofort an ein Kastenbrot erinnerte und einen herrlich Geruch in der gesamten Küche verbreitete. Dazu verkündete sie mit stolzgeschwellter Brust: "Das ist mein Leberkas. Außen braun und knusprig, und innen ganz wunderbar weich und saftig - halt so, wie er sein soll". Sie stellte ihn vor uns auf den Tisch und reichte ihrer Tochter dazu ein großes Messer aus dem Besteckkasten, welches diese anschließend reihum an einen jeden der Anwesenden weitergab. So konnte sich jeder von uns - wie Sandra es vormachte - eine Scheibe von der Kochkunst ihrer Frau Mama abschneiden. Die war derweil damit beschäftigt, ein handgearbeitetes Körbchen mit Laugenbrezeln auf den Küchentisch zu stellen. Dazu reichte sie auch noch ein kleines Gläschen Senf, der etwas grobköring anmutete. Zu Trinken bot sie uns wahlweise Weißbier, Cola oder stilles Wasser an - wobei letzteres in den kommenden Stunden auch schon das einzige sein sollte, was an dieser reichhaltig gedeckten Tafel still blieb. Die Hausherrin setzte sich zu uns, und wir langten allesamt ordentlich zu. Wobei Yelena und ich nach dem Bestreichen des gebackenen Leberkäses mit dem seltsamen Körnersenf erstaunt feststellten, daß dieser süß schmeckte. Süßer Senf?! Davon hatten wir bis dato noch nie etwas gehört. Und doch tat diese ungewöhnliche Beigabe dem Geschmack des Leberkäses keinen Abbruch - im Gegenteil: der süße Senf setzte dem ganzen Mahl sozusagen die bayrische Krone auf. Schon während des Essens hatten wir munter zu plaudern begonnen, wobei ich noch einmal die bisherigen Erlebnisse auf unserer Reise Revue passieren ließ und vor unserem geistigen Auge in den prächtigsten Farben die zukünftigen Ziele unserer Flitterwochen-Welttournee ausmalte. Frau Käsler, Sandra und Anne-Marie lauschten gespannt und erzählten dann aus ihrem bisherigen Leben, das an vielen Stellen alles andere als leicht gewesen sein mußte. Dennoch strahlten sie dabei allesamt eine tiefe Lebensfreude und einen unheimlich mutmachenden Optimismus aus. Tochter Sandra berichtete außerdem von den vielen Reisen, die sie einst mit ihrem Mann unternommen hatte, bevor eine schwere Erkrankung ihn jäh aus ihrer Mitte herausgerissen hatte. Ich verstand dabei ihren Verlust nur allzugut, wurde ich durch ihre zu Herzen gehende Schilderung doch wieder an den plötzlichen Verlust meiner Eltern in den Tagen meiner Kindheit erinnert.

Mutter Käsler sah, daß unser bislang so angeregtes Gespräch von der Erinnerung an die leidvollen Momente unserer Vergangenheiten überschattet zu werden drohte, und hielt es daher für nötig, das Ruder gesprächstechnisch an sich zu reißen, um dessen Kurs zu verändern. Und so fragte sie Yelena und mich, ihr bisheriges tadelloses Hochdeutsch für einen Moment dezent über Bord werfend: "So, Ihr seids nun also das erste Mal bei uns im Freistaat, gell?! Wo habts eigentlich Euer Reisegepäck? Und habts denn schon an Eure Übernachtung gedacht, jetzt, wo's draußen scho anfängt recht dumpa und kalt zu werden?". Nun, das waren ja gleich drei Fragen auf einmal. Und ich versuchte gleich einmal, sie - so gut es ging - in genau dieser Reihenfolge zu beantworten: "Also, erstens ... Ja, sind wir! ... Zweitens ... In einem Schließfach im Hauptbahnhof ... und drittens ... nein, haben wir ehrlich gesagt nicht!". Man spürte förmlich, wie sich Frau Käsler in ihrem Kopf mühte, meine Antworten wieder den ihnen entstprechenden Fragen zuzuordnen, dann schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch und sprach: "Herrschaftszeiten, diese Touris! Machen sich um nichts einen Kopf. Aber laßts mal, des schaffen mir scho! Ich nehm das jetzt mal in meine organisatorisch nicht ganz unbegabten Hände. Also, die Frau Yelena bleibt hier bei meiner Sandy und der Annemie, und der Herr Lukas begleitet mich im Auto zum Bahnhof, das Gepäck abholen, wenn's Ihnen recht is. Dabei machen wir noch einen Umweg über die Pension 'Liesl'. Da zur Zeit bei uns Wiesnzeit ist, dürften die zwar eigentlich gnadenlos ausgebucht sein, aber ich kenn ja zum Glück die Wirtsleut ganz gut. Und da findet sich dann bestimmt noch ein kleines Kammerl. Und da Ihr Zwoa ja noch ganz frisch verheiratet seids, habts gewiß nix dagegen, wenns dann ein wenig enger zugeht da herinnen, gell?!". Sie zwinkerte Yelena vielsagend zu, und die zwinkerte kaum weniger sagend zurück. Ich aber schaute wohl ein wenig verdutzt, so daß sie schulterzuckend ergänzte: "Naja, man war ja schließlich auch mal jung! So, und nun auf, junger Mann! Es gibt viel zu tun, packen wir's an!". Die Art, wie sie das sagte, hatte so etwas ungeheuer Mitreißendes, daß ich mich dem einfach nicht entziehen konnte. Ruckzuck stand ich im Flur, hatte meinen geliebten Regenmantel übergezogen und eilte mit ihr zu ihrem Auto, das direkt vorm Haus parkte. Wir stiegen ein und fuhren los. Zunächst zur Pension "Liesl". Dort bekamen meine Frau und ich dank Frau Käsler's Verhandlungsgeschick tatsächlich binnen kürzester Zeit noch eine kleine Kammer als Unterschlupf für eine Nacht. Und auch unsere Koffer waren dank ihrer hervorragenden Fahrkünste nach nur einer knappen halben Stunde an Ort und Stelle. Ebenso wie meine Yelena, die die wenigen Meter vom Hause Käsler zu der kleinen, herrlich familiär und urbayrisch wirkenden Pension "Liesl" mittlerweile an der Seite von Anne-Marie Septus zu Fuß zurückgelegt hatte. Mein Schatz fiel mir bei der Ankunft dann auch gleich freudestrahlend um den Hals, so als hätten wir uns eine Ewigkeit lang nicht mehr gesehen. Dabei hauchte sie mir zwischen zwei zärtlichen Küssen sanft ins Ohr: "Du wissen was?! Morgen wir gehen zusammen mit Sandra, ihr Frau Mutter und mit Annes Marie zu großes Wiese mit noch größeres Zelt, lautes Musik und viel, viel Bier. In München sie das nennen Oktoberfeier!". Neben uns grinste Frau Käsler verschmitzt: "Oktoberfest, meine Liebe, Oktoberfest heißt des! Und des is eine Pfundsidee und wird ganz bestimmt auch a Mordsgaudi, wie mir zu sagen pflegen! Vor allem, wenn wir Euch zwei Engeländer zuvor noch ganz zünftig ausstaffieren! Habts Lust?!". Yelena nickte eifrig: "Au ja, ich auch wollen so tolles ein Tracht wie Frau Rehbein aus Zeitungstandler von heutiges Nachmittag!". Auch mir gefiel die Idee einer passenden Verkleidung mit jeder Sekunde immer mehr. Nicht nur, weil ich mich auf meine alten Tage gedanklich schon in der Krachledernen herumhopsen sah, sondern auch weil mich bei meiner Yelena der tiefe Ausschnitt reizte, den derartige Trachten zu haben pflegten. Einzig und allein Frau Käslers Stimme vermochte mich noch aus der Vertiefung solcher nicht ganz jugendfreien Gedanken herauszuholen, indem sie Yelena und mir von hinten auf die Schulter klopfte und dazu ausrief: "Na dann aber husch ins Körbl, die Dame und der Herr, damit Ihr morgen auf der Wiesn topfit seids!". Wahnsinnig dankbar für die erwiesene Gastfreundschaft und Hilfe verabschiedeten Yelena und ich uns überschwenglich von Frau Käsler, ihrer Tochter und Anne-Marie Septus und begaben uns dann in unser enges Kämmerlein, auch wenn wir in dem rustikalen Bett mit der weißblaukarierten Bettwäsche in der anbrechenden Nacht dann doch nicht gleich zum schlafen kamen ...

[Wird fortgesetzt]

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Angel (15. September 2012, 13:54)

sven1421

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Sonntag, 14. Oktober 2012, 21:51

Ladies & Gentlemen, nach etwas längerer Pause geht es nunmehr weiter mit der Flitterwochen-Welt-Tournee des frischgebackenen Ehepaares Yelena und Lukas Svensson, die wir zuvor im Herbst des Jahres 2009 im Kämmerlein einer kleinen Pension am Rande der Hauptstadt des bayrischen Freistaats München zurückließen, das Ihnen der weibliche Familienvorstand der gerade erst kennengelernten ortsansässigen Familie Käsler als Übernachtungsmöglichkeit besorgt hatte. Wie es am Tag danach weitergeht mit unseren Frischvermählten und ihrer erweiterten Gastfamilie, das erleben wir in der kommenden wie auch bereits in dieser Folge, in welcher man sich gemeinsam zum Aufbruch zu einem ereignisreichen Oktoberfest-Wiesn-Besuch rüstet ... Viel Vergnügen! :thumbup:

INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 7


25. September 2009. München - Tag 2. Vierter Akt.

Morgens gegen 7.30 Uhr wurde ich von einem leisen Pochen geweckt, welches keineswegs - wie ich zuerst annahm - dem Klopfen des Herzens in der sich an meine kahle Stirn liebevoll anschmiegenden Brust meiner geliebten Yelena entstammte. Es handelte sich vielmehr um ein rasch immer ungestümer werdendes Hämmern gegen die massive hölzerne Zimmertür unserer lauschigen Pensionskammer, zu welchem sich von draußen alsbald auch die vertraute Stimme Frau Käslers gesellte: "Schlafts Ihr vielleicht no?! Na dann aber nix wie fix naus aus de Federn mit Euch! Mir ham heit vui vor und warten vorn am Ecktisch an der Rezi scho mit am zünftgen Frühstück auf Eich! Auf geht’s! Gemma, gemma!". Derartig motiviert entsprangen ich und meine - neben mir ebenfalls langsam ihre Äuglein aufschlagende und sogleich meinen trockenen Lippen mit einem feuchten Busserl der ihrigen bedeckende - Yelena binnen weniger Sekunden unserem rustikalen Nachtlager, begaben uns in Windeseile ins Bad und dort unter die bestenfalls als lauwarm zu bezeichnende Dusche. Herrlich erfrischend prasselte der kühle Schauer aus dem Duschkopf auf uns hernieder, unter dem sich unsere leicht bibbernden nackten Körper wie von selbst immer näher aneinanderschmiegten, um sich von den emsigen Fingern des jeweils anderen erst eingehend abseifen und anschließend mit den - auf einem Holzschemel nahe des Waschbeckens - bereitliegenden Handtüchern auch ausgiebig trockenrubbeln zu lassen. Zuletzt schlüpften wir noch in unsere Kleider und begaben uns zügigen Schrittes zum Eingangsbereich der Pension "Liesl", wo wir schon von Frau Käsler und ihrer Tochter Sandra sowie unserer gemeinsamen Bekannten Anne-Marie Septus erwartet und aufs herzlichste begrüßt wurden. Gemeinsam nahmen wir alle fünf am reichlich gedeckten Frühstückstisch im Eck hinter der Außentür platz und konnten uns am Angebot der Speisen erst einmal gar nicht sattsehen. Vier verschiedene Wurstsorten, dazu Käseaufschnitt und Marmelade, Butter und Margarine, Weißkäse, Weißbrot, Graubrot, Schwarzbrot, Mohnhörnchen und Brötchen. Letztere verbreiteten einen nicht minder herrlichen frischen Duft wie der dampfende, aus frisch gemahlenen Bohnen gebrühte Kaffee, mit dem im selben Atemzug die fesche Wirtin vom "Liesl" erschien. Luise - so hieß die junge Frau mit der krausen feuerroten Löwenmähne, deren strahlendes Outfit aus einem schwarz-roten Trachtengewand bestand, welches an der Taille von einem gürtelähnlichen goldenen Band umwunden wurde, das vorn zu einer Schleife zusammengebunden war - schenkte den Käslers und Anne-Marie ohne Umschweife ein. Dann schaute sie zu Yelena und mir und fragte: "Darfs für die Herrschaften auch ein Kaffee sein, oder präferieren sie auch beim Breakfast auch eher eine Teatime?!". Ich schmunzelte: "Nein, Fräulein Luise, Kaffee ist uns schon recht". Und meine bessere Hälfte ergänzte lächelnd: "Und wenn ich wollten Tee trinken, dann ich würden wählen Schwarzes Tee mit viel weißes Milch!". Die Liesl-Wirtin begann herzhaft zu lachen ... so herzhaft, daß sogar der üppig vorhandene Vorbau im weit ausgeschnittenen Dekolleté ihres Kleides direkt vor meinen Augen recht zügellos auf und ab zu hüpfen begann. Seltsamerweise gelang es mir zunächst nicht, meinen Blick von diesem unerwarteten Schauspiel abzuwenden, was wohl an einer spontan auftretenden Versteifung im Bereich meines Nackens gelegen haben dürfte. Erst als mir meine Gattin von der Seite her ein wenig unsanft gegens Schienbein trat. löste sich besagte Versteifung urplötzlich wieder. Etwas verlegen schaute ich schulterzuckend zu Yelena herüber, die aber zwinkerte mir nur kopfschüttelnd zu, beugte sich mit erhobenem Zeigefinger zu mir herüber und raunte mir ins linke Ohr: "Altes Schlawiner, ich genau haben gesehen, wo Du starren hin bei junges Frau von Liesl. Und ich fürchten, daß ich mich sehen gezwungen, zu unternehmen dagegen etwas ganz schnell". Anschließend rückte sie ein wenig von mir ab und drehte ihren Kopf zur anderen Seite, wo sie für mehrere Minuten geradezu verschwörerisch mit Frau Käsler zu tuscheln begann. Letztere schaute dabei mit versteinert wirkender Miene immer wieder zu mir herüber und nickte mehrere Male stumm. Am Ende aber verkündete sie lauthals: "Is scho recht, so macha mir des! Und I woas a schon wo mir des ganz gschwind über de Bühn bringa kenna. Aber z'erst a moi wird ausgiebig gebruncht. Und dann kummas mit, Frau Yeli, Sie und Ihr oider Schürzenjäger da drüben! An guadn Appetit allerseits wünsch I!". Die Damen am Tisch ließen es sich daraufhin vorzüglich munden, scherzten und tuschelten untereinander. Nur mir wollte das Frühstück jetzt nicht mehr so recht schmecken, malte ich mir beim endlosen Herumkauen auf jedem einzelnen Bissen meines Käsebrötchens doch schon in den düstersten Bildern aus, was die mich umringenden, fünf nunmehr scheinbar gemeinschaftlich unter einer Decke steckenden Frauenzimmer hier in der Pension wohl mit mir als auf frischer Tat ertapptem Teilzeitspanner vorhaben mochte.

Und so verließ ich, mit einem gleich im doppeltem Sinne flauen Gefühl im Magen, als einziges Mannsbild - allein unter Frauen - eine knappe halbe Stunde später die Pension. Vor mir Frau Käsler, und bei ihr untergehakt meine Yelena, die mich kaum noch eines Blickes zu würdigen schien. Hinter mir die junge Käslerin mit Frau Anne-Marie zu ihrer Rechten, die scheinbar dazu angetreten waren, mir den rückwärtigen Fluchtweg zu verstellen. Gemeinsam stiegen wir in einen Bus, der uns in die Münchner Innenstadt chauffierte. Am Karlsplatz verließen wir jenes öffentliche Verkehrsmittel wieder und schlenderten wortlos in bewährter Formation durch ein paar Straßen und Gassen, wobei linkerhand irgendwann die Polizeiinspektion 1 auftauchte, bei deren Anblick ich schon einer Anzeige als vermeintlicher Ehebrecher entgegensah. Die mich umgebende Frauenriege aber ließ jene Dienststelle völlig ungeachtet links liegen und lief mit mir noch ein paar hundert Meter weiter, bis sie wie aus heiterem Himmel vor einem großen erhabenen Backsteinbau Halt machte. Frau Käsler aber verkündete sogleich: "So, da samma oiso am gwünschten Ziel anglangt, die Herrschaften!". Vorsichtig wanderten meine Augen, denen ich den ganzen Schlamassel hier zu verdanken hatte, die kalte, kahle Steinwand hinauf, bis sie erschrocken an einem schon recht verblichenen gräulichen Schriftzug hängen blieben ... Königlich-bayrisches Amtsgericht. Um Himmels willen, Yelena wollte also die Scheidung! Womöglich gab es die hier im schon von jeher streng katholisch geprägten Freistaat bei der Schwere meines sittlichen Vergehens sogar im Eilverfahren! Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich noch, vor meiner Frau auf die Knie zu fallen und sie um Vergebung anzuflehen, doch da hatte mich die weibliche Nachhut bereits mit sich ins Gebäudeinnere geschoben, wo man sich über das etwas düstere und leichtangestaubte Treppenhaus sogleich den Abstieg ins Untergeschoß antrat. Oh je, der Keller also! Hier würde ich dann wohl im Vorfeld und während meines vermutlich kurzen Prozesses als moralischer Schwerstverbrecher in Ketten gelegt bei Wasser und Brot dahinvegetieren. Und spätestens in dieser Sekunde bereute ich es, mir beim vorangegangenen Frühstück nicht wenigstens noch einmal so richtig den Bauch vollgeschlagen und mich statt an dem aufreizenden Ausschnitt der Pensionswirtin nicht lieber am Anblick meines angetrauten Eheweibs sattgesehen zu haben. Mit einem tiefen Stoßseufzer und fest zusammengekniffenen Augen ging ich, weiterhin fest umringt von meiner vierköpfigen Damenmannschaft, Schritt um Schritt voran, bis es angesichts des breiten Rückens der vor mir einmal mehr abrupt stehengebliebenen Frau Käsler nicht mehr weiterging. Und wieder tuschelte es eifrig direkt vor mir. Ohne die Augen noch einmal zu öffnen, ließ ich mich auf den Boden sinken und schluchzte: "Liebste Yel, tu mir das bitte nicht an! Ich verspreche Dir, nie mehr auch nur einen eizigen Blick auf den Ausschnitt einer Frau zu werfen!". Breites Kichern und unbändiges Lachen von allen Seiten überflutete sogleich meine Gehörgänge, wozu Sandra Käsler losprustete: "Das wäre aber, glaub ich, gerade jetzt und hier sehr sehr schade, Mister Svensson!". Rasch riß ich die Augen auf und erkannte im Licht mehrerer auf mich ausgerichteter Bodenscheinwerfer zunächst nur die schemenhaften Umrisse dreier mich umgebender weiblicher Gestalten. Erst als sich meine Augen nach ein paar Sekunden den stark veränderten Lichtverhältnissen angepaßt hatten, erkannte ich in jenen Umrissen die beiden Käslers und Frau Septus wieder, und fragte etwas kleinlaut: "Wo ist meine Frau? Und wo sind wir hier überhaupt?". Anne-Marie Septus reichte mir ihre Hand und half mir wieder auf die Beine, wobei sie in ruhigem Tonfall erklärte: "Nur Geduld! Sie werden noch früh genug Ihr blaues Wundes erleben, Lukas!". Nervös trat ich von einem Fuß auf den andern und flehte den flotten bajuwarischen Damendreier immer wieder an, mich doch bitte aufzuklären, worum es hier denn eigentlich ginge. Die drei Münchnerinnen aber blieben eisern und stumm. Etwa 5 Minuten mochten wohl vergangen sein, von denen mir jede einzelne wie eine Stunde erschien, dann trat aus dem Schatten der Umgebung eine weitere Gestalt heran. Schritt um Schritt stolzierte sie auf uns zu, wobei die sie langsam erfassenden Lichtkegel der Scheinwerfer mehr und mehr von ihrem Äußeren preiszugeben begannen ...

Es handelte sich zweifellos um eine Frau, wie der zuerst sichtbar werdende, in unzählige Falten gelegte Rocksaum in himmlischem Hellblau unschwer erkennen ließ. Der vermeintliche Rock aber war gar kein Rock, sondern ging nahtlos in ein weit ausgeschnittenes gleichfarbiges Oberteil über, welches im Mittelteil mehrfach über Kreuz geschnürt war mit einem weißen Zierband, daß am unteren Ende zu einer Schleife gebunden war. Darunter trug jene fesch angezogene Dame, deren Gesichtszüge für Lukas bislang noch immer im Dunkeln blieben, ein strahlendweißes, schulterfreies gehäkeltes Top, das seinem Namen alle Ehre machte, denn es sah echt top aus. Erst recht an dieser hellhäutigen Schönheit, deren ausladende Oberweite es geradezu einladend zur Geltung brachte. Verdammt, ich tat es tatsächlich schon wieder! ... Ich gaffte einer gutgebauten Frau direkt in den Ausschnitt. Doch diesmal war ich schlauer und senkte meinen Blick noch in selber Sekunde demütig und reumütig zu Boden. Umso erstaunter war ich, als ich direkt vor mir eine wohlvertraute Stimme vernahm, die enttäuscht bemerkte: "Warum Du denn jetzt schauen weg, Luki? Dir etwa nicht gefallen, was Du sehen?!". Mit weiterhin gesenktem Blick murmelte ich leise: "Doch, doch! Aber ich hab Dir während Deiner Abwesenheit versprochen, daß ich nie wieder irgendeiner dahergelaufen kommenden Frau aufs üppige Dekolleté starren werde, geliebte Yelena". Wieder kicherte es hinter mir, und Sandra Käsler bemerkte: "Nun, in dem Fall dürfen Sie schon mal seelenruhig eine Ausnahme machen, denke ich! Der von ihnen soeben ins Visier genommene weibliche Vorbau gehört nämlich, so man das Ehegelübde einmal wörtlich nehmen mag, eh schon Ihnen!". In diesem Augenblick verstand ich, daß es keine andere als meine Yelena war, die da so aufreizend im feschen Dirndl vor mir erschienen war. Und im selben Moment fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen, so groß und so schwer wie in Mühlenstein. Erleichtert sprang ich auf, warf meine Arme um sie, wodurch ich sie ganz fest an mich preßte, und verteilte mit meinen gespitzten Lippen leidenschaftliche Küsse über ihr gesamtes strahlendes Gesicht. Erst nach einer Minute trennten sich unsere Leiber wieder voneinander, wozu wir alle beide etwas verlegen, nahezu gleichzeitig sanft erröteten. Frau Käsler aber winkte nur mild ab: "Nur koa falsche Scheu net, mir warn doch alle a mol jung, gell?! Ach ja, schee is, wenn ma verliabt is!". Ein kleiner Seufzer enteilte ihrer Brust, den sie allerdings geschickt übertönte, indem sie nahezu zeitgleich ausrief: "Nun muß sich der edle Herr aber vom Äußern her auch seiner schmucken Braut anpassen, net wahr?! Also gschwind, zum Herrn Verkäufer Seppl Hosn und a schicke Krachlederne ausgsucht. Gemma, gemma, aufi!". Mit diesen Worten trieb Frau Käsler mich aus dem Scheinwerferlichtkreis hinaus, dessen etwas dunkler gehaltene Umgebung sich rasch als ein zum Trachtengeschäft umgebautes Kellergewölbe entpuppte, in dem stangenweise und ständerweise alle nur erdenklichen Arten von Dirndln und Lederhosn aufgehängt waren. Ich schaute mich ausgiebig um und ergriff schließlich eine braune XL-Wildbocklederhose, die hinten am Gesäß stellenweise derart nachpoliert worden war, daß sie auf den ersten Blick wie ein schon recht abgetragenes Modell anmutete. Dazu wählte ich noch einen farblich passenden Träger mit einem mittels Stickerei verzierten Quersteg. Der Ladeninhaber, der mir die ganze Zeit über nicht von der Seite gewichen war, nickte mir sichtlich zufrieden und wies mir eine der Umkleiden im hinteren Eck des Kellers zu, wo ich mich in Windeseile meiner Jeans entledigte und ebenso rasch in die Lederhosen einstieg. Und während ich mich noch eingehend im Wandspiegel betrachtete, wurde seitlich von mir der Vorhang zur Umkleide aufgezogen, von wo aus mir Seppl Hosn's ausgestreckte Hand noch ein weißes Seidenhemd mit einer auffälligen Metallknopfleiste hineinreichte. Dazu nuschelte er: "Des tragt ma fei so dazua, host mi!". Da sich mir der Sinn seiner Bemerkung nicht gleich vollständig zu erschließen vermochte, zuckte ich zunächst mit den schon im Entblößen begriffenen Schultern. Der weltoffene Verkäufer aber kratzte sich daraufhin nachdenklich am deutlich ausgeprägten Doppelkinn und erklärte: "Dätt kärriet männ tu sä Ledertrausers, ju anderständ?!". Nun ja, ehrlich gesagt, I understood nothing at all, aber ich nickte sicherheitshalber und streifte mir zugleich das dargereichte Hemd über. Noch einmal beschaute ich mich damit von allen Seiten im Spiegel, dann trat ich voller Stolz aus der Kabine heraus und begab mich forschen Schrittes zur erwartungsvollen Damenriege. Yelenas Augen begannen bei meinem Anblick zu strahlen, Sandra Käsler klatschte begeistert Beifall, und Anne-Marie Septus flüsterte mit einer Träne im Auge: "Fesch, genau wie mein Herrmann früher! Ach ja, mein liebes gutes Herrmännchen!". Nur Frau Käsler mahnte scheinbar völlig unbeeindruckt von soviel zur Schau getragener bauchansätzig ausgeprägter, wadelnbehaarter Männlichkeit in wohlvertrauter Art und Weise zur Eile: "Aufi, gemma! Oder glaubens der Herr vielleicht, de Wiesn wart nur auf Eana!" ...

[Wird fortgesetzt]

Der obige Text ist in der vorliegenden, leicht überarbeiteten Version nunmehr im dialektischen Sinne auch vollständig bayern-kompatibel. Vielen lieben Dank an unser treues SchreiberLink24-Mitglied Angel für Ihre tatkräftige Unterstützung dabei!

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Claudia (15. Oktober 2012, 13:41), Angel (14. Oktober 2012, 22:26)

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