Gleich im Doppelpack findet hier nun der Flitterwochenaufenthalt in der bayrischen Hauptstadt seinen turbulenten Abschluß, bei dem unsere Frischvermählten samt ihrem Münchner Anhang auf vielfältigste Art und Weise einen Höhepunkt nach dem andern erleben.
INSPEKTOR SVENSSON: FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH
Eintrag 8
25. September 2009. München - Tag 2. Fünfter Akt.
Im öffentlichen Münchner Untergrund bahnten wir uns im Folgenden unter der ortskundigen Führung der Käslers den Weg zur Station "Theresienwiese", wo uns nach erfolgreichem Wiederaufstieg über einige Treppenstufen bei der Rückkehr ans Tageslicht bereits eine deutlich zu vernehmende, zünftige Blasmusik-Geräuschkulisse empfing. Ihrem Ursprung gingen wir nach und durchschritten binnen weniger Minuten einen großen, grünen Torbogen, auf dem das schwarzgelb ummantelte Münchner Kindl aus dem Stadtwappen seine weitgeöffneten Arme gleichsam schützend wie segnend über uns ausbreitete. Und ein direkt darunter angebrachtes großes weißblaues Schild verkündete einladend: "Willkommen zum Oktoberfest".
Auf dem dahinterliegenden geradezu riesig anmutenden Festgelände herrschte unterdessen emsige Betriebsamkeit. Dichtgedrängt bewegte sich zwischen den zahlreichen, am Rande der breiten Wege aufgestellten Buden und Zelten ein zigtausendköpfiges buntgemischtes Menschenvölkchen unermüdlich kreuz und quer von einer festlichen Attraktion zur nächsten. Das Ganze erinnerte mich dabei allein vom Gewusel her unweigerlich an einen Ameisenhaufen, in dessen geschäftiges Treiben nun auch wir - angespornt einerseits von Annemarie Septus' aufmunterndem Augenzwinkern und zum andern vom ungestümen Drängeln ständig nachrückender Gäste - langsam einzutauchen begannen. Meine Yelena und ich aber behielten uns dabei fest an der Hand wie auch im Auge, damit wir einander im Menschengetümmel letztendlich nicht doch noch verlieren würden. Derart untrennbar miteinander verbunden folgten wir nunmehr der rüstigen Annemarie - im Schlepptau Mutter und Tochter Käsler, die in meinen Augen ihrer junggebliebenen Art und dem Aussehen nach übrigens auch gut und gern als die Käslerzwillinge hätten durchgehen können. Unsere fesche Frontfrau erläuterte uns dabei - tapfer gegen den hohen Geräuschpegel der Blasmusik und der uns umgebenden Leute ankämpfend - in ein paar kurzen Sätzen die Entstehungsgeschichte des Münchner Oktoberfests: "Die Theresienwiese, auf der wir uns hier befinden, wurde seinerzeit nach der Gemahlin des bayerischen Kronprinzen und späteren Königs Ludwig I., Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen, benannt. Zum Abschluß der tagelang andauernden Hochzeitsfeierlichkeiten zu Ehren des jungen Prinzenpaares wurde nämlich am 17. Oktober 1810 hier vor Ort ein großes Pferderennen veranstaltet, wobei der Kutscher Franz Baumgartner als Sieger hervorging. Aus der Entscheidung, das Rennen in den folgenden Jahren zu wiederholen, entstand dann die Tradition unseres heutigen Oktoberfestes. Im Jahre 1811 gesellte sich dabei zum Pferderennen noch ein Landwirtschaftsfest dazu, und 1818 wurden auf der Wiesn erste Schaukeln und Karussells aufgestellt. Ab 1896 gab es hier dann auch bereits die ersten großen Bierzelte". Und aus dem Hintergrund ergänzte Frau Käsler senior: "Jo mei, und nächstes Jahr feiert de Wiesn dann scho ihr 200jährigs".
Aufmerksam lauschten Yelena und ich den Ausführungen der einheimischen Damenriege, während wir unsere staunenden Blicke zugleich ohne Unterlaß von rechts nach links schweifen ließen, wo sich kleine Buden und große Fahrgeschäfte unaufhörlich abwechselten. In Höhe eines Büdchens klatschte mit einem Male Sandra Käslers Hand unvermittelt und ausgesprochen geräuschvoll auf meine nunmehr krachledern umhüllte linke Gesäßhälfte. Yelena wie auch ich selbst ließen nahezu zeitgleich unsere Köpfe nach hinten schnellen und schauten dort in ein leicht gerötet zu Boden blickendes und dabei dennoch irgendwie verschmitzt lächelndes Frauengesicht, dessen Besitzerin mit weit ausgestrecktem rechten Arm kleinlaut erklärte: "Entschuldigt bitte, aber ich bin nur der Anweisung auf dem Schild da gefolgt". Erneut rissen Yelena und ich unsere Häupter fast im selben Moment herum und starrten auf eine hoch aufragende Eisenschienenkonstruktion, an deren oberen Ende ein kleine Tafel schwarz auf weiß verkündete: "Hau den Lukas!". An der Stelle aber, wo jenes Schienengestell samt dem daran beweglich angebrachten Metallkörper den Erdboden berührte, stand ein breitschultriger Lederhosenträger mit einem großen, schweren Eisenhammer in der Hand und lud uns ein: "Kommens nur, die Herrschaften, und laßts uns schaun, wer von eich zwoa zum stärkern G'schlecht g'hörn tuat". Nun, da ließen weder Yelena noch ich uns zweimal bitten. Wir traten ein paar Schritte näher zu dem jungen Mann heran, der gegen vorherige Entrichtung dreier Fünfzigcentstücke sein großes Gerät auch sofort meiner Gattin entgegensteckte und sprach: "Lädies först!". Ein wenig zögerlich nahm Yelena den Hammer entgegen und holte nach kurzer Anleitung zu dessen fachgerechter Handhabung extraweit aus, um dann mit voller Wucht auf das kreisrunde Plättchen in Bodennähe einzuschlagen. Der bislang ruhig im Schienenstrang lagernde Metallkörper sauste senkrecht nach oben und schlug dabei auf dem Höhepunkt seines raketenartigen Aufstiegs an die am oberen Ende befestigte Kuhglocke, welche in mehrfach lieblich verzücktem Bimmeln erschaudernd auf die intensive Berührung durch den stählernen Körper ihres stürmischen Besuchers reagierte. Der aber hatte seinen kurzen Höhenflug längst wieder beendet und war unumwunden zum Fußende des Schienenstrangs zurückgekehrt, wo sein geschäftiger Streckenwächter gerade anerkennend den rechten Daumen hochriß und dazu in Richtung Yelena verlautbarte: "Reschpekt, Madl! Des host fei sauber hin griagt! Schau mer moi, ob der Herr G'mahl des a so guat hi bringt!". Mit diesen Worten überreichte er mir den Hammer, den ihm meine nun über beide Bäckchen strahlende Yelena gerade erst zurücküberantwortet hatte. Auch ich holte daraufhin aus und ließ den gußeisernen Hammerkopf durch die Luft auf das dafür vorgesehenen Metallplättchen niederrauschen. Erneut schickte sich der dabei vom behämmerten Plättchen angestoßene Metallkörper zur himmlischen Auffahrt an, bremste aber im oberen Drittel plötzlich ab und kehrte von dortaus unverrichteter Dinge um. Ein Schulterzucken meinerseits begleitete den eisernen Verweigerer auf seinem raschen Abstieg, wozu dessen kräftiggebauter Besitzer tröstend anmerkte: "Jo mei, zum Glöckner hots hoit desmoi net g'reicht. Aber wer braucht scho an Buckel, wenn er a so a fesches Frauenzimmer abschleppa ko, gell?!". Ich bekräftigte meine Zustimmung zu seiner weisen Feststellung kurzerhand mit einem Busserl - dessen dankbarer Empfänger freilich nicht er, sondern meine Yelena war. Dem Hammermann selber drückte ich im Anschluß mit einem abschließenden extrakräftigen Handedruck neben der sowieso fälligen Einsfünfzig noch einen Extra-Euro Trinkgeld in die Hand. Dann zogen wir weiter.
Wieder ging es an unzähligen Schaubuden, einer Achterbahn, einem Autoscooter und sogar an einem Riesenrad vorbei, bis schließlich eine kleine unscheinbare Holzbude samt zweigeteilten weinroten Samtvorhang mit einem Male Yelenas ungeteilte Aufmerksamkeit erweckte. Geradezu wie ein kleines Kind gebärdete sie sich, als sie mich immer wieder am Ärmel meiner Trachtenjacke zu ziehen begann und dazu ganz aufgeregt losstammelte: "Luki, Luki! Du schnell gucken! Kukla Petruschka!". Ein wenig entgeistert schaute ich erst zu ihr, dann aber nur umso begeisterter in ihre Blickrichtung. Und sogleich erwachte auch in mir altem Manne das Kind, welches lautstark ausrief: "Oh ja! Wie schön! Ein Puppentheater!". Wir zwei Kindsköpfe müssen die Käslers nebst Annemarie in diesem Moment wohl mit derart großen leuchtenden Kulleraugen angeschaut haben, wie es Sechsjährige zu tun pflegen, wenn sie ihre Eltern um einen riesengroßen Gefallen bitten wollen, denn nachdem sich ihre kurzfristig aufgetretene verblüffte Erstarrung gelöst hatte, streichelte Frau Septus uns Beiden zärtlich über die Haare und flüsterte: "Schon gut, ihr Zwei! Wir verweilen noch ein wenig, damit wir uns das ganze Theater hier einmal aus der Nähe betrachten können". Daß auch ihre Augen dabei ein wenig zu strahlen begannen, ist allerdings wohl nur mir aufgefallen.
Es dauerte im weiteren Verlauf keine Minute, dann wurde der samtige Vorhang langsam aufgezogen. Von unten her tauchte sogleich eine holzköpfige Handpuppe mit dem Gesicht eines kleinen Buben auf und sprach, an sein zahlreich versammeltes Publikum gerichtet: "Grias Gott, liabe Leit! Ich bin der Seppl! Und ich möcht Euch heute von meiner Reise ins himmlische Paradies berichten, wo meine liebste Gretl lebt, seit sie hier unten verschieden ist". Im linken oberen Eck der Bühne kam im selben Moment ein Wattewölkchen an zwei dünnen Fäden hereingeflattert, auf dem eine weitere Püppi mit blonden Zöpfen im langen weißen Kleidchen hockte, zu der die Sepplfigur nun sehnsuchtsvoll aufschaute und seufzte. Erst als die personenbezogene Wolke wieder von der Bildfläche entschwebte, senkte sich der Blick des bübischen Holzkopfs wieder, und mit trauriger Stimme verlautbarte er: "Bis ich die Gretl freilich wieder auf den ... äh, in den ... Arm nehmen kann, das wird noch ein recht schauriger und strapaziöser Höllentrip werden, liabe Leit, das sag ich Euch! Und weil man so eine lange Reise nicht gern allein unternimmt, möcht auch ich dabei einen Begleiter an meiner Seite haben. Einen alten Freund, der mir schon in so mancher schweren Stunde mit Rat und Tat beistand und den weder Tod noch Teufel schrecken ... den Kasperl. Ich hab ihn mir auch schon vorgestern postalisch hierher beordert, aber bis jetzt ist er noch immer nicht aufgetaucht. Wo er nur bleibt?! Was meint Ihr: Ob wir ihn mal rufen sollten?!". Noch recht zaghaft beantworteten einzelne Stimmen aus dem Publikum diese Frage mit einem "Ja!". Der Seppl aber schüttelte nur müde sein hölzernes Haupt: "Nein, nein! Wenn Ihr so leise ruft, kann selbst ich Euch ja kaum hören, geschweige denn der Kasperl. Aber ich bin mir sicher, wenn wir das nochmal probieren und Ihr jetzt alle mitmacht, dann geht das noch viel viel lauter! Nicht wahr?!". Wieder ertönte ein "Ja!" - doch diesmal schon deutlich mehrstimmiger und dabei auch sehr viel lautstärker. Sichtlich zufrieden nickte der Seppl in seinem Bühnenbudenkasten: "So is recht, liabe Leit! Nun können wir gemeinsam den Kasperl herbeirufen. Oans, zwoa, drei ... Kaaasperlll!". Dutzendfach ertönte - gleichsam einem musikalisch vom Klassiker "In München steht ein Hofbräuhaus" untermalten Echo - aus den Reihen der Zuschauerschaft zeitversetzt der Ruf: "Kaaaasperllll!", worauf nach der dritten oder vierten Wiederholung direkt neben der Sepplfigur dann auch der zipfelbemützte Kopf eines langnäsigen Holzkaspers auftauchte, welcher ausrief: "Warum schreit Ihr denn so? Ich bin doch nicht taub! Was wollt Ihr denn überhaupt zu solch unchristlich früher Stunde von mir?". Die Beantwortung dieser, ganz sicher nicht in einem Wort zu klärenden Frage übernahm dabei kurzerhand stellvertretend der Seppl: "Aber Kasperl, Du solltest mich doch zu meiner Gretl begleiten, hast Du meinen Brief denn nicht bekommen?!". Die fingerkuppengroße Stoffhand des Kaspers kratzte sich kurz am überlackierten Kopfholz, dann zauberte sie aus dem verdeckten Bretteruntergrund einen großen Papierumschlag hervor, und ihr Besitzer erwiderte: "Meinst Du etwa den?! Freilich, den hat mir der Postbote schon gestern zugestellt. Aber ich hatte leider nichts zur Hand, um ihn aufzureißen und zu lesen, was drin steht". Unwirrsch entrieß der Seppl dem Kasperl den ungeöffneten Brief und zog ihn dabei auffällig langsam an dessen Hakennase entlang, um ihn dann für einen Moment erst im Untergrund ab- und von dort anschließend aufgerissen wieder auftauchen zu lassen. Die weiche Kasperlhand aber strich sich derweil wiederholt über die eigene Hakennase, wozu der Kasper leise vor sich her jammerte: "Autsch! Mein Riechkolben ist doch kein Brieföffner!". Die Zuschauermenge aber tobte schadenfroh. Und der Seppl?! Der entnahm dem geöffneten Briefumschlag das inliegende Blatt Papier, hielt es sich vors Gesicht und las laut vor: "Hallo Kasperl, alter Knabe! Nur eine Bitt ich an Dich habe. Möchte meine Gretel wiedersehn, und will dazu auf Reisen gehn. Dich hätt ich gerne mit dabei, drum in zwei Tagen bei mir sei! Laß mich nicht dastehn wie ein Depp, das wünscht sich sehr Dein Spezi Sepp". Wieder ertönte ringsum schallendes Gelächter, während der Kasperl den Seppl mit versteinerter Holzmine sichtlich gerührt in die zweifingrigen Arme schloß. Was folgte, war ein spannender Ausflug in die finstere Tiefe der ewigen Finsternis, wo die dort zusammengescharten Hexen, Zauberer und Räuber unter der Regentschaft des Teufels von früh bis spät unaussprechliche Qualen zu erleiden hatten. Vom tiefsten Punkt der Hölle aus erfolgte dann aber Gott sei Dank der zügige Wiederaufstieg an die Erdoberfläche. Und von dortaus erklommen Kasper und Sepp den Berg der Läuterung, in dessen reinigendem Fegefeuer sündige Seelen wie der Wachtmeister und die Großmutter ihre früheren Verfehlungen einfach hinwegfegen lassen konnten. Den Gipfel jenes seligmachenden Berges aber krönte dann das himmlische Paradies, an dessen Schwelle der Kasper seinen überglücklichen Freund Sepp in die weitgeöffneten Arme Gretels übergeben durfte. Und während man die zwei Wiedervereinigten auf der links oben erneut aufgetauchten Wattewolke zärtlich miteinander schmusen sehen konnte, tauchte oberhalb der unteren Bretterwand nochmals der Kasper auf und beschloß jenes großartige Bühnenstück reimend mit den Worten: "Was hier begann als 'ne Tragödie, es wird zur göttlichen Komödie. Der Sepp, der Gretl Treue schwor, auf Erden sie zu früh verlor. Doch ließ den Glauben er nie schwinden, daß er sie einst würd' wiederfinden. Und war die Suche auch nicht leicht, hat sie am End' ihr Ziel erreicht. Auf Wolke Sieben schwebt der Bengel - mit Gretl, die dort lebt als Engel. Im Paradiese eins-zwei-fix, ist sie nun seine Beatrix. Wo Sepp, nach jenem Happy End, sie nur noch ihren Dante nennt. Und die Moral von der Geschicht: Gib niemals auf die Hoffnung nicht!". Tosender Beifall begleitete hierauf den endgültigen Abgang des Kaspers, dem die langsame Schließung des Samtvorhangs folgte. Yelena und ich aber sahen uns vor unserem Fortschreiten über die Wiesn noch einmal ganz tief in die angesichts jener anrührenden Liebesgeschichte wäßrig gewordenen Augen und bekräftigten dabei einhellig leise flüsternd: "Niemals nicht!".
Weiter bahnten sich unsere Füße gemeinsam mit denen unserer dreiköpfigen Damenbegleitung einen Weg durch die Menschenmassen. Wieder ließen wir dabei zahlreiche Buden und Fahrgeschäfte links liegen, bis Annemarie Septus direkt vor uns mit einem Male abrupt Halt machte, sich lächelnd zu uns umschaute und dabei ausrief: "Das da drüben ist, glaube ich, genau das Richtige für Euch zwei Verrückte!". Ihr rechter Arm wies nach links, wo ein meterhoher Schuppen auf Rädern langsam hin und her zu schwanken schien. Yelena schaute nach ganz oben und fragte schließlich: "Warum dieses Wackelbude da sich denn nennen Freudenhaus?!". Annemarie schmunzelte, und auch ich mußte unweigerlich loslachen. Oh ja, auch dafür liebte ich meine Yelena so sehr - für diese kleinen ungewollt komischen und zweideutigen Versprecher, die in ihrer russischen Abstammung begründet lagen. Beinahe hätte sie sich angesichts unserer geplanten Hochzeit dazu durchgerungen, jene zauberhaften Sprachfehler in einem Abendschulkurs durch strenges Büffeln von Vokabeln und grammatikalischen Regeln abzulegen. Aber dann war sie aufgrund der dramatischen Zuspitzung der Ereignisse am Vorabend unseres ursprünglichen Hochzeitstermins wieder von ihrem Plan abgekommen. Und das war in meinen Augen auch ganz gut so. Liebte ich sie doch auch wegen jener kleinen Schwäche, die sie so einmalig und unverwechselbar machte. Annemarie Septus hatte ihr unterdess schon erläutert, daß es sich hier nicht um eine Einrichtung zur Ausübung des sogenannten ältesten Gewerbes der Welt handelte, sondern um das "Lach+Freu-Haus", ein knallbuntes doppelstöckiges Sammelsurium verschiedenartigster feucht-fröhlicher Jahrmarktsattraktionen. Ergänzend an uns Beide gerichtet, erklärte sie weiter: "Seht ihr das Gemälde dort inmitten der Hauswand. Wer die beiden Schweinderl sind, die darauf unter dem Tischtuch hervorluken, weiß ich freilich nicht, aber vielleicht nennen wir das etwas grimmig dreinschauende große einfach Frederick und das kleine grinsende Piggeldy. Die menschliche Tischgesellschaft hingegen setzt sich ausnahmslos aus bekannten Vertretern der lokalen Prominenz zusammen. Neben dem Fernsehkoch Alfons Schuhbeck links am Grill wären da beispielsweise der rothaarige Kobold Pumuckl zu nennen, welcher mit verschränkten Armen rechts auf dem Tisch steht, desweiteren der blondgelockte Showmaster Thomas Gottschalk, Volksmusikus Hansi Hinterseer, der farbige Stimmungsschlagerbarde Roberto Blanco sowie der bereits verstorbene exzentrische Münchner Modemacher Rudolf Moshammer nebst seiner Hundedame Daisy ...". Aufgeregt wie ein Schulmädchen schnippste Yelena mit ihren Fingern, und ergänzte sogleich mit sichtlich stolzgeschwellter Brust: "Und an linkes Stirn von Tisch sitzen Bumms-Bumms-Becker Boris, ja?!". Auch der nunmehr zweite, ungewollt leichtfrivole und - wenn man dem in der Journalie verbreiteten Klatsch und Tratsch über den einst so begnadeten jungen deutschen Tennisprofi Glauben schenken mochte - noch nicht einmal so abwegige Schenkelklopfer meiner Angetrauten sorgte bei Annemarie und mir wieder für kurzzeitige Belustigung.
Noch immer wie zwei Honigkuchenpferde über die ganze Gesichtsbreite schmunzelnd lösten Frau Septus und ich im Anschluß drei Eintrittskarten für die uns zu Füßen liegende Schaubude. Die zwei Käslerdamen zogen es vor, vor jenem vielversprechenden "Bauwerk" auf uns zu warten, wo sie allerdings - auf einer Bank mit intervallmäßig vibrierendem Sitzpolster - durchaus auch ihren Spaß zu haben schienen. Beim anschließenden Betreten des zur Anlage gehörenden Vorgartens ließ ich nicht nur Frau Annemarie, sondern auch meiner Yelena gern den Vortritt. Zum einen natürlich, weil man das als Gentleman nunmal einfach so macht, und zum andern, weil ich meiner geliebten Frau und ihrer durchaus immer wieder reizvollen Rückansicht eben gern hinterherschaue. Last but not least aber erhoffte ich mir im Stillen natürlich auch, so aus sicherer Entfernung all die versteckten kleinen Extras des hiesigen Parcours vorab ergründen zu können. So kam ich dann auch gleich zu Beginn in den Genuß, unmittelbar vor mir zwei grazile weibliche Wesen recht geschickt über die in kleineren Abständen senkrecht aufgestellten Imitationen abgesägter und knapp über die bewegte Wasseroberfläche eines künstlich angelegten Grabens herausragender Baumstämme balancieren zu sehen. Dabei galt es beim Hüpfen von Baumstumpf zu Baumstumpf, nicht nur die Balance zu halten, sondern auch diversen kleineren Wasserfontänen auszuweichen, welche hier und da den Weg kreuzten. Yelena gelang all das, wie ich voller Bewunderung anerkennend bemerken darf, mit der Anmut und Eleganz einer Primaballerina. Ja, meine große Liebe schwebte in meinen Augen geradezu übers Wasser, während ich mich in der Nachfolge eher bewegte wie ein Ewigstrauchelnder, dem auf dem schmalen Grat des rechten Weges jeder einzelne Schritt zu einem Fehltritt zu verkommen drohte. Dennoch erreichte am Ende auch ich mit viel Mühe trockenen Fußes das jenseitige Ufer ... um von dortaus in entgegengesetzter Richtung ein wenig versetzt nochmals den Kunstbach zu überschhreiten, allerdings diesmal über eine Brücke aus schmalen zylindrischen Rollen, die einem beim Darüberhinweggleiten durchs Schuhwerk hindurch noch eine kleine kostenlose Fußmassage bescherten. Am anderen Ufer erwarteten mich dann sowohl meine sichtlich begeisterte Frau als auch die Eingangstür zum eigentlichen Spaßhaus. Dessen Innenraum bildete im Erdgeschoß zunächst einmal ein großes Spiegellabyrinth, welches durch Aufsetzen einer zuvor an der Kasse gleich miterstandenen sogenannten Gaudibrille und der damit einhergehenden diversen Lichtbrechungen nur noch undurchschaubarer wurde. Um hier letzten Endes aufgrund der unzähligen Irrwege nicht völlig verlorenzugehen, klammerte ich mich mit beiden Händen kurzerhand an die den Rocksaum Yelenas und überließ ihr die Führung. Sicher, auch auf diese weise Art dauerte es einige Zeit, bis wir einen Ausweg gefunden hatten. Aber alles, was für mich zählte, war, daß wir Zwei einmal mehr gemeinsam ans Ziel gekommen waren. Auf der sogenannten Gaudistiege, bei der sich die in der Mitte halbierte Treppe in ihrem ständigen Auf und Ab im wahrsten Sinne auf Schritt und Tritt gegeneinander bewegte, gelangten wir mit etwas Mühe ins Obergeschoß, wo uns dann auf engem Raum der ohrenbetäubende Krach eines von der Decke herabhängenden unaufhörlich scheppernden Kuhglockenlabyrinths nebst Besenkarussell und beweglich aufgestellten, hin und her schwankenden Holzleitern empfing. Hier hindurch galt es, sich mutig den Weg zu bahnen, ebenso wie durch die anschließenden drehbaren Heuballenimitationsrollen und den von dortaus über den Balkon erreichbaren Gebälkirrgarten. Mittels Bücken und Unterlaufen, Klettern und Übersteigen sowie dem Verrenken des gesamten Körpers auf eigenartigste Art hatten Yelena und ich auch hier schließlich alle kreuz und quer angebrachten hölzernen Hindernisbalken ruhig und gelassen hinter sich gelassen, um uns dann in einem Rutsch über ein schlauchförmiges Metallrutscherl ins Erdgeschoß quasi vom Dachboden auf den Boden der Tatsachen zurückbefördern zu lassen. Dort erwartete uns nun die sogenannte Waschküche, welche aus einem Labyrinth unzähliger dicht an dicht aufgehängter kunterbunter LED-Licht-Stabröhren bestand. Auch hier bot einem die aufgesetzte Gaudibrille noch eine zusätzlich verschärfte Lichtshow. Die aber bereitete uns damit schonmal auf das vor, was uns draußen auf dem Hof nach einer weiteren Bachüberquerung über die verrückte, hin und her schaukelnde Hängebrücke erwartete ... die sogenannte Almdisko. In ihren engen Räumlichkeiten vereinte sie eine große Ansammlung verschiedener Drehscheiben und Schiebeböden, die einen beim Darüberschreiten geradezu in alle Richtungen hin und her schleuderten. Auf manchen von ihnen kam ich mir wie früher beim Polizeidienst im Yard vor, denn auch da trat man zeitweilig
auf der Stelle, stellenweise ging es nur schleppend voran oder aber man drehte sich immer wieder irgendwie im Kreis. Am Ende aber ging dort wie hier stets alles in eine komplett andere Richtung, als man zunächst vermutet hatte. Und gerade die unerwartete Wendung brachte den Fall oftmals erst ins Rollen und damit letztendlich den wahren Täter zu Fall.
Hier im "Lach+Freu-Haus" hätte unterdess auch mich eine längst ins Rollen gekommene Sache im Anschluß beinahe noch zu Fall gebracht. Waren Yelena und ich doch mittlerweile am in höchsten Tönen gelobten Highlight des Etablissements angelangt - der größten rollenden Tonne der Welt. Böse Zungen könnten jetzt natürlich behaupten, die Bezeichnung "größte rollende Tonne der Welt" stehe am ehesten vielleicht mir selber zu, sollte ich bei meiner Körperfülle an einem Abhang versehentlich einmal ins Wanken geraten und dann selbigen unverhofft hinunter zu kullern beginnen. Tatsächlich aber waren vor Ort zwei hintereinander rollend gelagerte, sich in entgegengesetzter Richtung drehende Hohlzylinder mit je zwei Meter Durchmesser und einer Gesamtlänge von 14 Metern gemeint. Während sich sowohl die inzwischen wieder zu uns gestoßene Annemarie Septus als auch meine Yelena beim Anblick jenes Monstrums für das weitaus ungefährlichere Außen-Vorbei-Gehen entschieden, entschloß ich mich mutig für die Augen-zu-und-durch-Taktik. Beim ersten Tonnenabschnitt klappte es damit auch noch erstaunlich gut, dann aber kam ich beim Überwechseln in den zweiten Zylinder aus dem Tritt und wurde fortan 700 unendlich lange Zentimeter lang wie in der Trommel einer Waschmaschine ununterbrochen hin und her geschleudert. Gewiß holte ich mir dabei den einen oder anderen blauen Fleck am Leib, aber nichts desto trotz muß es für den Zuschauer wohl auch ein lustiger Anblick gewesen sein, wie ich dem lauten Gelächter aller Außenstehenden entnahm. In Gedanken malte ich mir nun auch selbst lebhaft aus, welch komische Figur mein beleibter Körper bei der Schaukelei im Tonneninnern machen würde, und mußte unweigerlich mitlachen. Ja, ich konnte einfach gar nicht mehr aufhören damit. Ein Zustand, der sogar dann noch anhielt, als mich die Drehtonne schon ausgespuckt hatte und ich wieder auf eigenen - wenn auch noch etwas wackligen - Beinen stand. Man muß eben auch mal über sich selbst lachen können. Wer dazu nicht in der Lage ist, nun ja, der tut mir ehrlich leid! Nachdem mir meine Yelena mit einem Taschentuch liebevoll sämtliche Lachtränchen aus dem Gesicht gewischt hatte, beschlossen wir unseren Rundgang nach dem Verlassen des Spaßhauses mit einem rollenden Hinweggleiten über die letzte Brücke des künstlichen Bacherls samt seinen Wasserspielen. Am Ausgang erwartete uns dann noch das Durchschreiten eines überdimensionalen Hulahuppreifens, welcher sich unermüdlich drehte und dabei ringsum mit weißblauen Bändchen geschmückt war, gefolgt von einem letzten kleinen einstufigen Treppenabsatz. Der allerdings hatte es dann noch einmal in sich, machte er doch aus meiner unmittelbar vor mir luafenden Yelena dank einer versteckt eingebauten Druckluftdüse kurzzeitig eine zweite Marilyn Monroe, indem er den Rock ihres Dirndls für den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe jagte. Sichtlich überrascht drückten Yelenas Hände den weißblauen Rocksaum umgehend wieder nach unten, während sie in ihrer Gesamtheit zugleich juchzend einen kleinen Hüpfer nach vorn machte. Entgeistert blickte sie sich um, dann aber mußte sie lachen. Und ihr unvergleichlich bezauberndes Lachen ließ dabei ihr ganzes Gesicht hell erstrahlen. Keine Frage: Das Schild des bäuerlichen Pappkameraden, welcher von Zeit zu Zeit wasserspeiend am Bacherl stand, hatte in unseren Augen durchaus das gehalten, was es versprach, indem es jedem Besucher des "Lach+Freu-Hauses" von vornherein erklärte: "Des is a Gaudi". Und so schwärmten wir auch den Käslers von all den lustigen Eindrücken unseres "Hausbesuchs" vor, während wir mit ihnen gemeinsam unter der bewährten Führung von Annemarie Septus unseren Wiesnrundgang fortsetzten.
Irgendwann landeten wir dabei an einer Schießbude, deren stimmgewaltige Inhaberin Yelena und mir schon von weitem zurief: "Hey, sie da! Ja, sie, das junge Glück mit den drei generationsübergreifenden Brautjungfern! Möchten der Herr für seine Herzensdame nicht mal ein paar Rosen schießen? Zehn Schuß nur fünf Euro". Ich nickte stumm. Warum eigentlich nicht?! Zumal einem, sofern man mit jedem Schuß traf, bei zehn Treffern als Hauptpreis ein großer brauner Teddy winkte mit runden schwarzen Knopfaugen. Schließlich hatte ich seinerzeit auf dem Schießstand im Keller des Yard stets ganz passable Ergebnisse erzielt. Und so reichte ich der Schießbudendame einen Fünfer aus der Geldbörse, welche ich um den Hals zu hängen hatte, und erhielt dafür im Gegenzug ein Luftdruckgewehr samt 10 Diabolos. Mit ruhiger Hand lud ich die Waffe, legte an, zielte, drückte ab und traf. Das Ganze wiederholte ich weitere acht Male. Neun Papierrosen lagen vor mir, und es erschien mir aus dem Augenwinkel heraus für eine Sekunde sogar so, als würde mir der plüschige Teddy von seinem Holzregal aus bereits zuzwinkern. Zu schade nur, daß mir genau dieser etwas merkwürdige Umstand im entscheidenden Moment meine Konzentration raubte. Und so traf der letzte Schuß statt ins Schwarze leider nur ins Leere. Ein leises Raunen ging durch die Menge der Umstehenden. Ich hingegen wand mich blitzschnell meiner Yeli zu und zuckte enttäuscht mit den Schultern. Meine geliebte Braut aber blinzelte mir kurz zu, wozu sie sprach: "Du nicht brauchen sein traurig, Luki! Ich schon dafür sorgen, daß Du bekommen, was Du wollen!". Damit knallte sie festentschlossen ebenfalls eine Fünfeuronote auf die hölzerne Theke der Bude, angelte sich die ihr von der Inhaberin dargereichte Munition und das Gewehr aus meiner Hand. Sie lud, legte an, zielte, schoß und erzielte einen Treffer. Dem einen aber folgte ein zweiter, dem wiederum ein dritter und dann noch einer. Vier weitere gesellten sich hinzu. Schon hatte auch sie insgesamt neun selbstgeschossene Papierrosen vor sich liegen. Ein letztes Mal lud sie nach. Wieder legte sie den Gewehrkolben an ihrer zarten, nackten Schulter an und zielte. Ein Auge hatte sie dabei zugekniffen, ganz ruhig und regelmäßig hob und senkte sich der in ihrem Dirndl prächtig zur Geltung kommende Brustkorb. Ihr Zeigefinger krümmte sich am Abzug des Gewehrs. Dann ertönte ein lauter Knall, während alles um sie herum für einen Augenblick den Atem anzuhalten schien. Ein gar zartes Papierröschen aber segelte, inmitten seines dünnen Drahtstengels getroffen, sachte wie in Zeitlupe zu Boden. Und donnernder Applaus hallte gleichsam einem Echo des abgefeuerten Schusses über den Platz. Yelena verneigte sich kurzerhand tief vor der Schar der begeisterten, zumeist männlichen Bewunderer jener weiblichen Treffsicherheit. Ich aber schüttelte im Stillen innerlich den Kopf. Wie um alles in der Welt konnte ich nur immer wieder vergessen, daß meine Yelena allein aufgrund ihrer Vergangenheit sicherlich auch eine umfangreiche Schießausbildung genossen haben dürfte?! Meine Meisterschützin nahm indes aus den Händen der Schießbudenbesitzerin den zehnstieligen Papierblumenstrauß und den mit ihm verknüpften Preis entgegen, wobei sie letzteren sogleich an mich weiterreichte mit den Worten: "Eine kleine kuschelige Bärchen für meine große kuschelige Bär!". Zum Dank für dieses reizende Kompliment aber legten sich meine Lippen unumwunden auf die ihren.
[Wird fortgesetzt]
Der obige Text ist rein dialektisch vollständig bayern-kompatibel. Vielen lieben Dank an unseren daran zum großen Teil beteiligten treuen Bücherwurm Angel!