Episode 13: Tödliches Spiel
Einmal mehr hatte es Derrik Crawler in diesem Moment geschafft, Lukas Svensson zu überraschen. Der entschlossene junge Mann schien den Anschlag auf das Leben der Drei sogar noch persönlicher zu nehmen als der Ex-Inspektor selbst. Timmy und Lukas schauten sich völlig sprachlos an, dann folgten sie im Dunkel der anbrechenden Nacht ein wenig zögernd ihrem entschwundenen Kameraden. Nach etwa 800 Metern holten sie Derrik unmittelbar vorm Eingang zu einem anderen Bunker schließlich wieder ein. Er stand wie angewurzelt da und hielt die Taschenlampe in seiner Hand gesenkt, so daß sie lediglich einen Teil des sandigen Waldbodens ausleuchtete. Unmittelbar vor ihm aber war durch einen Spalt unter dem Eisentor jenes Bunkers ein weiterer Fetzen Licht zu erkennen, der ganz offensichtlich von dessen Innerem herrührte. Als Derrik das Eintreffen von Lukas und Tim bemerkte, drehte er sich langsam zu ihnen um, richtete den Lichtkegel der Taschenlampe einen Augenblick auf sein Gesicht aus und legte dabei symbolisch den Zeigefinger auf die Lippen. Dann knipste er seine Funzel aus und begab sich auf leisen Sohlen zum Eisentor. Dort angekommen aber öffnete er vorsichtig - wie in Zeitlupe - Millimeter um Millimeter eine im Tor eingearbeitete Wellblechtür. Als sie schließlich weit genug offenstand, schlüpfte er langsam hindurch. Lukas und Tim folgten ihm dabei in einigen Schritten Abstand. Im Innern des Bunkers war die Quelle des ominösen Lichts leicht ausgemacht. Es handelte sich um einen kleinen Nebenraum, aus dem in dieser Sekunde auch ein leises Pfeifen und Summen - wie aus dem Munde eines Mannes - an das Ohr der drei nächtlichen Besucher drang. Derrik, Lukas und Tim tasteten sich ganz dicht an der Wand entlang zum Eingang jenes Nebenraumes vor, wo Derrik schließlich vorsichtig um die Ecke spähte.
Inmitten des mit wenigen Einrichtungsgegenständen recht funktionell ausgestatteten Raumes saß ein älterer Mann mit militärischem Kurzhaarschnitt hinter einem Campingtisch auf einem Hocker und drehte - übers ganze Gesicht grinsend - verspielt ein kleines schwarzes Plastikkästchen in seiner rechten Hand, wobei er in unregelmäßigen Abständen mit ein paar schiefen Tönen die Melodie des Westernklassikers "Spiel mir das Lied vom Tod" vor sich her pfiff. Vor ihm auf dem Tisch lagen griffbereit zwei Waffen - ein alter Revolver und eine Pistole. Rechts von ihm befand sich in einer Ecke des Raumes eine große, hölzerne Munitionskiste, auf der ein Stapel Papiere verteilt lag. Daran lehnte - mit einem schmutzigen Tuch verhangen - offenbar ein Gemälde in seinem goldfarbenen Rahmen. Zur Linken Kowarnows hingegen war sich eine Art Notstromaggregat aufgestellt, an dessen beiden Kabeln mittels zweier Metallklemmen eine Schwarzlichtlampe angebracht war. Auf dem Aggregat aber stand jene Petroleumlampe, die dem ganzen Raume und seiner Umgebung den weithin sichtbaren flackernden Lichtschein bescherte.
Fürs erste hatte Derrik scheinbar genug gesehen. Er nahm den Kopf langsam ein wenig zurück und neigte ihn dann zu - dem neben ihm an die Wand gepreßt stehenden - Tim. Der Inspektor flüsterte Svenssons Schützling sekundenlang etwas ins Ohr, wobei Timmy hin und wieder nickte. Schließlich trat Derrik mit einem Male blitzschnell ins Licht des Eingangsbereichs des Nebenraumes und rief: "Iwan Iwanowitsch Kowarno, Du verdammter Dreckskerl! Wolltest uns alle Drei umbringen, wie?!". Ein paar Sekunden herrschte Schweigen im Raum. Dann meldete sich stammelnd eine männliche Stimme zu Wort, die Svensson vom Ende seines Junggesellenabends nur allzu vertraut vorkam: "Das ... das ... kann doch ... nicht sein. Ich ... ich hab doch ... extra ... ein paar Sekunden früher ... Der ganze Plan war doch ... todsicher!". Derrik Crawler ging nicht weiter auf die Worte Kowarnos ein, stattdessen brüllte er nur "Zugriff!" und stürzte sich dabei schnellen Schrittes und zuletzt mit einem kühnen Sprung über den Tisch hinweg auf den sichtlich überraschten Kowarno. Sein "Zugriff!" aber war anscheinend genau das zuvor mit Tim Hackerman abgesprochene Zeichen, denn im selben Moment war auch der losgelaufen und hatte die beiden - beim Sprunge Crawlers mitsamt dem Campingtisch zu Boden gegangenen - Handfeuerwaffen ergriffen. Und während sich Derrik und Kowarno im wilden Handgemenge noch auf dem staubigen Betonboden sühlten, übergab Timmy den Trommelrevolver und die Pistole vom Typ Makarow an den inzwischen ebenfalls eingetretenen Svensson. Im Umgang mit Waffen noch bestens geübt hielt der Ex-Inspektor die bereits entsicherte Pisole in die Luft und drückte ab. Ein dumpfer Knall, der innerhalb der Räumlichkeiten noch mehrfach gespenstisch wiederhallte, löste sich und ließ mit durchschlagendem Erfolg ein wenig Betobstaub von der Decke rieseln.
Das Menschenknäul am Boden ließ angesichts des Schusses erschrocken voneinander ab. Und während Derrik aufsprang und ein paar Schritte zurücktrat, so daß er schließlich neben Svensson zu stehen kam, blieb Iwan Kowarno zunächst einmal völlig regungslos auf dem Rücken liegen. Lukas übergab die Makarow an Derrik und spannte nun den Hahn des Revolvers. Dabei blitzten seine Augen wutentbrannt auf, während er brüllte: "Los, ganz langsam hoch mit Dir, Du Mistkerl! Und die Hände schön über dem Kopf, wo ich sie sehen kann! Zwing mich nicht, Dir eins überzubrennen". Und als Kowarno dann endlich wieder auf seinen Beinen stand, ergänzte Svensson: "Und jetzt: Gesicht und Hände an die Wand und Beine auseinander!". Der Russe tat wie ihm geheißen. Und während Lukas und Derrik von links und rechts mit den Waffen im Anschlag sicherten, klopfte Timmy auf Geheiß Derriks Kowarnos Kleidung von unten nach oben nach weiteren versteckten Waffen ab. Dabei kamen an seinem Gürtel zwei Handgranaten, sowie im linken Stiefel versteckt eine Art Wurfmesser zum Vorschein, welche Timmy nach beendeter Leibesvisitation umgehend an Derrik weiterreichte. Lukas befahl Kowarno, sich langsam umzudrehen, dann schaute er ihm tief in die Augen und brüllte schließlich: "Was hast Du mit meiner Yelena gemacht, Du Hund, Du? Wo ist sie?". Ein dreckiges Grinsen huschte über Kowarnos Gesicht: "Deine Yelena?! Sie war, ist und bleibt meine Frau - im Leben wie im Tode! Und wenn Du glaubst, ich verrat Dir, wo ich sie gelassen habe, nur weil Du hier einen auf John Wayne für Arme machst, dann bist Du noch dümmer als ich dachte!". Dem eiskalten Blick Kowarnos entnahm Lukas Svensson, daß es dem Russen mit dem Gesagten ziemlich ernst war. Und mit einfachen Mitteln war ein so gut ausgebildeter, ehemaliger KGB-Spitzenagent sicher nicht zu knacken. Die Situation schrie förmlich nach unkonventionellen Methoden - und Lukas war dabei in seiner puren Verzweiflung durchaus zum Äußersten entschlossen. So ließ er durch Timmy den Hocker und den Campingtisch wieder aufstellen und befahl Kowarno dann, sich zu setzen.
Nur zögerlich war der Russe der Aufforderung nachgekommen, wobei er durch ununterbrochenen Blickkontakt zu Svensson versuchte, dessen Gedankengänge irgendwie zu entschlüsseln. Allein der starre, kalte Blick des Ex-Inspektors machte dies vollkommen unmöglich. Was um alles in der Welt hatte der nur mit ihm vor? Svensson hob seine Hand mit dem Revolver deutlich sichtbar in die Luft: "Ein Nagant M1895! Beeindruckend! Ein Trommelrevolver, wie man ihn hier in der ehemaligen Sowjetarmee vor allem im zweiten Weltkrieg verwendete. 7 Schuß Munition, in der Ausführung Single Action mit Spannhahn und separatem Abzug. Im Gegensatz zu vielen anderen Revolvern muß man bei dem hier erst eine Ladeklappe an der rechten Seite der Trommel öffnen, um dann die Patronen Stück um Stück einzeln einzuführen oder aber zu entnehmen, so wie ich es jetzt tue ...". Damit öffnete er besagte Ladeklappe und beförderte unter ständigem leichten Drehen der Trommel mit sichtlicher Gleichgültigkeit Patrone für Patrone laut mitzählend zu Tage: "1 ... 2 ... 3 ... 4 ... 5 ... 6 ... und 7!". Anschließend bewegte er die Hand, in der er die Patronen hielt, mehrmals auf und ab, wobei ein leichtes metallisches Klimpern den Raum durchdrang. Lukas' Mundwinkel begannen, dämonisch zu zucken, während er sechs der Patronen in seinem Mantel verschwinden ließ und die in seiner Hand verbliebene siebte zwischen Daumen und Zeigefinger ins Licht hielt: "Und die stecken wir jetzt rasch wieder ins Trömmelchen zurück!". Damit bewegte er die aufblitzende Patrone wieder auf den Revolver zu. Er ließ das scharfe Geschoß in seine Handfläche gleiten, bewegte das Ganze von hinten an die Revolvertrommel heran und drückte schließlich von oben leicht mit dem Daumen dagegen. Dann schloß er die Ladeklappe des Revolvers wieder und drehte anschließend kräftig an der Trommel, die sich für einen Moment surrend im Kreise bewegte, bevor sie schließlich leise klickend in einer bestimmten Position verharrte.
Svensson senkte die Hand, in der er den Revolver hielt, noch einmal für einen Moment und griff gleichzeitig mit der anderen Hand in seine Manteltasche, aus der er nur Sekunden später das - ihm von Freakadelly mitgegebene - Diktiergerät zutage beförderte. Dabei rutschte ihm auch eine Art zusammengeknülltes Papier mit aus der Manteltasche heraus und segelte - von allen vier Anwesenden in der deutlich angespannten Situation völlig unbemerkt - lautlos auf den staubigen Betonboden des Bunkers herab. Lukas Svensson aber trat ein paar Schritte vor, legte den "Digital Pocket Dictator" vor Kowarnos leicht verstörten Gesicht auf dem Campingtisch ab und drückte die Aufnahmetaste. Dabei grinste er erneut und sprach: "Sie haben ja sicher nichts dagegen, wenn ich unsere nette, kleine Unterhaltung für die Ohren der Nachwelt konserviere, oder?! Ok, dann kann es ja losgehen! Wir spielen jetzt ein schönes altes Spiel aus Ihrer Heimat, Kowarno! Russisches Roulette! Die allgemeinen Regeln darf ich wohl als bekannt voraussetzen! Immer wenn Sie an der Reihe sind, stelle ich Ihnen außerdem eine Frage, die Sie wahrheitsgetreu beantworten müssen. Bin ich mit Ihrer Antwort zufrieden, dürfen sie den Lauf der Waffe zur Decke richten, bevor sie abdrücken. Wenn nicht, bleibt der Lauf an der Schläfe. Das Spiel endet einzig und allein mit dem Tod von einem von uns beiden! Und Sie haben die Ehre, beginnen zu dürfen!". Damit überreichte er dem vor ihm sitzenden Russen ohne mit der Wimper zu zucken den Revolver. Der bis dato erstarrt zuschauende Tim wollte Svensson von seinem irrsinnigen Vorhaben abhalten, doch Lukas schubste ihn unsanft von sich und sprach entschlossen: "Laß mich! Ohne Yelena hab ich jezt und hier schließlich eh nichts mehr zu verlieren! Du und Derrik, Ihr Zwei haltet Euch da raus, verstanden?! Das ist eine Sache allein zwischen mir und dem Iwan da!".
Kowarno schaute Svensson entgeistert an, dann ergriff er den Lauf des Revolvers und führte ihn mit dem Finger am Abzug langsam zur rechten Schläfe. Iwan Kowarno war zeitlebens ein Spieler gewesen. Und so ließ er sich auch auf jenes tödliche Spiel ein, zumal seine Chancen beim ersten Schuß eh noch am besten standen. Svensson aber stellte seine erste Frage: "Wer war die tote Frau im Bunker vorhin?". Kowarno grinste, denn diese Antwort fiel ihm nicht schwer: "Sie war ein Nichts, ein Niemand. Ihr Name war Katja, und sie hatte es verdient zu sterben. Das dumme Ding wurde einfach zu aufmüpfig. Andauernd quatschte sie von Hochzeit und höhrerer Beteiligung am Gewinn unserer gemeinsamen Aktion. Sie mischte sich in alles ein, glaubte, sie hätte das Recht auf eine eigene Meinung. Gemeckert hat sie die ganze Zeit über wie eine Ziege. Wissen Sie, Svensson, als ich ein Kind war, da hatten meine Eltern auf ihrem Hof mal ein ähnlich freches Zicklein. Das hat auch nur gemeckert, den ganzen lieben langen Tag. Und irgendwann hatte ich genug von dem blöden Vieh und hab ihm mit einem Spaten den Schädel gespalten. Dann war endlich Ruhe! Und so war es bei dieser Katja auch! Eine himmlische Ruhe kehrte ein, als sie so hingestreckt am Boden lag". Kowarno grinste zufrieden, während Tim im Hintergrund sichtlich angewidert den Kopf schüttelte. Lukas jedoch verzog keine Miene. Der Russe hob unterdess leicht verunsichert den Revolver nach oben und drückte ab. Es klickte kurz, die Trommel bewegte sich um eine Position weiter, und der Revolver wechselte zu Svensson.
Der Ex-Inspektor nahm ihn, legte sich den kalten Lauf an die Schläfe, spannte den Hahn und drückte - ohne zu zögern - ebenfalls ab. Wieder ein Klick! Dann übergab Svensson die Waffe erneut an Kowarno. Eine einzelne Schweißperle meldete sich auf dessen Stirn, als er den Lauf erneut seiner Schläfe näherte. Auch er spannte den Hahn wieder und wartete dann mit dem Finger am Abzug auf Svenssons Frage. Die kam prompt wie aus der Pistole geschossen: "Worum ging es bei der Flugzeugentführung wirklich?". Kowarno antwortete unmittelbar: "Ich wollte meine Frau nach Hause holen, heim ins Russische Reich, da wo sie und ich hingehören, wiedervereinigt bis in den Tod und darüber hinaus!". Svensson schüttelte den Kopf: "Keine ehrliche Antwort, vielmehr eine Beleidigung meiner Intelligenz, mein Lieber. Kein Freischuß für Sie! Also los, drücken Sie ab!". Die Schweißperle auf Kowarnos Stirn bekam Gesellschaft. Dennoch drückte er letztlich den Abzug herunter. Wieder ein Klicken, aber kein Schuß! Erleichtert atmete der Russe aus. Er wischte sich mit dem Jackenärmel über die schweißige Stirn, dann übergab er die Waffe an Lukas Svensson.
Der übernahm erneut ohne eine Spur von Erregung oder Zittern. Gelassen legte er den Lauf an die Schläfe, spannte den Hahn und drückte ab - alles in einem Atemzug. Ein erneutes Klicken ohne lautes Nebengeräusch kündete auch diesmal vom glücklichen Ausgang des Spielzugs. Wieder wanderte der Revolver zu Kowarno. Der legte langsam mit zittriger Hand an und spannte zögernd den Hahn. Lukas aber sprach: "So, die Hälfte des Spiels liegt hinter uns. Ist doch ganz interessant, oder?! Meine nächste Frage: Was wollen Sie eigentlich von Yelena? Und kommen Sie mir nicht wieder mit einer dieser billigen Ausreden wie eben!". Kowarno zögerte einen Moment. Dann bemühte er sich sichtlich um sein verlorengegangenes lässiges Grinsen und sprach: "Ich brauchte ihre beruflichen Fähigkeiten!". Svensson schaute skeptisch: "Berufliche Fähigkeiten? Wollten Sie in ihrem Bunker hier Frühjahrsputz machen, oder was soll diese dämliche Antwort?". Kowarno schüttelte aufgeregt den Kopf hin und her: "Das ist die Wahrheit! Denken Sie, meine Yelena war schon immer eine billige Putze gewesen. Nein! Wenn die früher hier mit mir zusammen etwas abgestaubt hat, denn waren das weltberühmte und längst verlorengeglaubte Meisterwerke. Ja, Leutnant Yelena Kowarnowa war nicht nur meine Ehefrau sondern auch die unumstrittene Königin der Kunstexperten im Schatten des sowjetischen Geheimdiensts. Erst nach ihrer Flucht in Ihr degeneriertes Königreich hat sie sich als Raumpflegerin völlig unter Wert verkauft". Man konnte nur erahnen, was bei dieser Erkenntnis wohl in Lukas Svensson vorgehen mochte, denn äußerlich blieb er auch jetzt völlig gelassen. Nur sein Blick ging kurz zur Decke als Zeichen, daß ihm Kowarnos Antwort genügte. Wieder erhob der Russe die Waffe nach oben und drückte erleichtert ab. Ein Klick, dann war Lukas am Zug.
Der verzog auch diesmal keine Miene, legte an und drückte ab. Klick! Sein Gesicht aber zeigte erneut ein teuflisches Grinsen, als er Kowarno die Waffe entgegenstreckte: "Tja, 6 von 7! Scheint heute nicht Ihr Glückstag zu sein, Kowarno! Bleibt Ihnen nur zu hoffen, daß mich Ihre letzte Antwort überzeugen kann!". Dem Angesprochenen rann der Schweiß mittlerweile aus sämtlichen Poren. Alles in ihm sträubte sich dagegen und dennoch führte er schließlich den Lauf des Revolvers ein letztes Mal zur schweißgebadeten Stirn. Mit dem zitternden Finger am Abzug erwartete er die alles entscheidende Frage, die der Ex-Inspektor in diesem Moment stellte: "Wo ist Yelena?". Die blanke Todesangst und der scheinbar wahnsinnig gewordene Svensson vor ihm brachten den einst so mächtigen und selbstgefälligen Russen ins Stottern: "Sie ... sie sind ja ... verrückt ge ... geworden! Ok .. ok! Ich sa ... sag Ihnen ja alles, was Sie ... Sie wissen wollen! ... Sogar wer mei ... mein Hintermann bei Ihnen im Ya ... Yard ist! Ja, Sie haben richtig ge ... gehört! Oder denken Sie ... Sie, ich ha ... hab das hier ganz allein ab ... abgezogen?". Svensson beugte sich ein wenig nach vorn und hakte nach: "Sie meinen, in den Diebstahl des Munch-Gemäldes ist einer meiner Exkollegen involviert?". Kowarno begann, wie ein Irrer mit dem Kopf zu schütteln: "Gemälde?! Gemälde, Blödsinn! Der ganze 'Blaue Schrei' ist doch nur eine einzige Fälschung. Was dahintersteckt, darum geht es! Es geht um etwas viel, viel Größeres! Und ja, es gibt einen Falschspieler in Ihren Reihen! Doch bevor ich Ihnen sage, wer es ist, darf ich da erstmal bitte diesen verdammten Revolver weglegen ...". Lukas nickte. Kowarno ließ die Waffe sinken und richtete sie dabei unwillkürlich auf Svensson. Ein Schuß durchbrach die angespannte Stille, und sein Echo hallte im Bunkerinnern deutlich nach.
Im nächsten Moment sank Kowarno mit blutender Brust zu Boden. Lukas Svensson blickte sich erschrocken um, und sah Derrik Crawler mit weit aufgerissenen Augen erstarrt mitten im Raum stehen, die Pistole im Anschlag, aus deren Mündung es noch dampfte. Dabei stammelte der Inspektor: "Aber, aber, er hat doch die Waffe auf Dich ... Was sollte ich denn tun? Ich dachte, er bringt Dich um!". Tränen schossen augenblicklich in Lukas Svenssons Augen, und verzweifelt schrie er Crawler an: "Mich umbringen? Aber womit denn? Ich hab doch nur geblüfft, Du Unglücksrabe. Da war doch gar keine Patrone in der Trommel. Ich hab ja nur so getan, als ob ich sie wieder reintue!". Mit diesen Worten aber wandte er sich von Derrik ab und stürzte sich auf den am Boden liegenden, röchelnden Kowarno, aus dessen linker Brust schwallweise das Blut herausschoß. Svensson rollte Kowarnos Hemd nach oben, so daß die zerschossene und stark behaarte Brust nun völlig freilag. Dann drückte er mit einer Handfläche auf die offene Wunde und packte den Sterbenden mit der anderen Hand am Hemdskragen und schrie verzweifelt: "Sag mir, wo Yelena ist! Tu wenigstens am Ende Deines erbärmlichen Verbrecherdaseins noch einmal etwas Anständiges und rette ihr Leben! Wenn Du sie auch nur für eine Sekunde wirklich je geliebt hast, dann sag mir, wohin sie von Dir und Deinen Leuten verschleppt wurde!". Kowarnos Lippen öffneten sich einen Spalt breit, und als Lukas sein Ohr ganz dicht davor postiert hatte, flüsterte er: "Fahrt ... Fahrt zur ...". Lukas rief aufgeregt: "Ja, wohin! Komm schon, sag mir, wohin wir fahren sollen!". Kowarno aber hauchte mit letzter Kraft: "Fahrt zur ... Fahrt zur ... Hölle". Ein letztes Mal atmete Iwan Kowarno geräuschvoll ein und aus, dann fiel sein ganzer Körper erschlafft in sich zusammen.
Lukas Svensson kauerte bewegungsunfähig neben dem Sterbenden, sein Blick aber richtete sich gen Himmel, und seinem sich dabei weit öffnenden Mund entfuhr ein aus tiefster Seelennot herausgeschrienes "Neeiin!". Dieser Lump, der sich hier zu seinen Füßen mit einer Kugel in der Brust so feige aus dem Staub zu machen versuchte, war schließlich seine einzig verbliebene Spur zu Yelena gewesen - seine letzte Hoffnung, an die sich der Ex-Inspektor innerlich genauso fest klammerte, wie es seine Hände im Moment am Kragen des Hemdes des soeben dahingeschiedenen Russen taten. Nein, so durfte das Ganze nicht enden! Er mußte Kowarno zurückholen, damit der doch noch ausspuckte, was er über Yelenas Aufenthaltsort wußte. Svenssons Blick durchkämmte aufgeregt den ganzen Bunkerraum und blieb schließlich bei dem Notstromaggregat haften. Mit dem Mut der Verzweiflung sprang er auf und schleifte den leblosen Körpers Iwan Kowarnos weiterhin fest am Kragen gepackt mit sich zu dem Elektrokasten hin. Dort angekommen löste er zunächst seinen Griff vom Hemd des Russen und dann die Klemmen der beiden Kabelenden von der angebrachten Schwarzlichtlampe. Er nahm je eines der Kabel in seine beiden Hände, dann rief er aufgeregt Derrik Crawler zu sich und befahl ihm, den Spannungsregler am Aggregat auf das Maximum hochzudrehen. Derrik tat, wie ihm geheißen, und die Nadel der Anzeige sprang dabei vor seinen Augen von 220 auf 360 Volt. Zitternd führte der Ex-Inspektor für einen Moment die Klemmen der Kabel ganz nahe zusammen, wobei unter leisem Surren deutlich sichtbar ein greller Funke übersprang. Dann beugte sich Svensson wieder über den am Boden liegenden Verstorbenen und führte die Kabel mit ihren Klemmen an jeweils eine der freiliegenden Brustwarzen Kowarnos. Beim Zusammentreffen der Klemmen mit dem leblosen Körper bäumte sich dieser für eine Sekunde zuckend auf, allerdings nur, um gleich danach wieder in völliger Erstarrung im Staube des kühlen Bunkerbodens zu verharren. Svensson wartete einige Sekunden, wobei er hoffte und betete, daß das Leben nur für einen Augenblick noch einmal in den Körper des elenden Dreckskerls zurückkehrte - eben nur solange, bis Kowarno das preisgab, was er unbedingt wissen mußte. Aber nichts dergleichen geschah. Ein zweites und ein drittes Mal wiederholte Lukas die verzweifelte Reanimation Kowarnos, bis Derrik schließlich von hinten an ihn herantrat und ihn mit einem festen Griff am linken Arm von der weiteren Fortsetzung seines sinnlosen Unterfangens zurückhielt.
Es half alles nichts. Iwan Kowarno war und blieb tot. Und die Information über das Versteck Yelenas hatte er dabei wohl unwiderbringlich mit sich ins Grab genommen. Schulterzuckend schauten sich Tim und Derrik in die Augen. Lukas aber löste sich aus Derriks Griff, und sank stattdessen entmutigt und entkräftet zu Boden, während er mit tränendurchtränkter Stimme schluchzte: "Jetzt ist alles aus, und meine Yelena ist endgültig verloren. Oh, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?!" ...
[Wird fortgesetzt]
Es haben sich bereits 241 Gäste bedankt.