Episode 20: Eine Hochzeit und ein Todesfall
Blinzelnd öffnete Lukas Svensson die Augen. Die Morgensonne lugte vorsichtig durch das Fenster ins Schlafzimmer seiner Londoner Wohnung hinein und kitzelte sein Gesicht mit ihren ersten feinen Strahlen. Seine rechte Hand tastete die Bettstelle neben sich ab, wo sie zu seiner Verwunderung allerdings nicht den faszinierenden Körper Yelenas, sondern nur ein - noch warmes - weiches Federkissen und eine akurat zusammengelegte Bettdecke vorfand. Der Ex-Inspektor riß seine Augen weit auf und drehte den Kopf zur Seite. Tatsächlich, sie war nicht da und das Bett ordentlich gemacht. Mit einem Satz war Svensson aus dem Bett gesprungen und stand nun - immer noch ein wenig verschlafen - neben seinem eigenen, arg zerwühlten Nachtlager. Er blickte auf den Reisewecker auf seinem Nachttisch. Es war exakt 6.45 Uhr. Wo war sie nur? Er schaute sich im Zimmer um. Über die Lehne des Stuhls in der Ecke hingen ein weißes Hemd mit weinroter Krawatte und ein schwarzer Anzug sorgsam zusammengelegt, zu seinen Füßen standen die frischgeputzten schwarzen Lackschuhe Svenssons. Vom Flur her vernahm er in diesem Moment aus dem nahegelegenen Badezimmer ein leises Rauschen. Er folgte seiner Wahrnehmung und erspähte durch die leichtgeöffnete Badtür die Silhouette Yelenas hinter dem Duschvorhang. Vorsichtig öffnete er die Tür ein Stück weiter und trat ein. Yelena zog den Vorhang im selben Augenblick ein wenig zur Seite und strahlte ihn lächelnd an, während das heiße Duschwasser von ihren nassen Haaren herabtropfte: "Guten Morgen, Liebes! Schön, daß Du wach sein schon. Du haben heute volles Terminkalender. Du Dir auch sicher sein, daß Du das alles schaffen?". Svensson nickte verschlafen: "Keine Sorge, mein Schatz, ich bekomme das schon gebacken. Schließlich hatte ich zu meiner Zeit im Yard häufig noch viel mehr Termine an einem Tag". Yelena schüttelte den Kopf hin und her, daß die Wassertropfen zu Dutzenden nach beiden Seiten von ihrem feuchten Haar absprangen: "Nein, das ich nicht meinen, Luki! Ich mich sorgen, ob Du das überstehen von Gefühl her". Lukas verstand, was sie sagen wollte. Und sein Gesicht blickte betroffen auf den gefliesten Badezimmerboden, während er seufzte: "Ja, ich denke, ich packe das schon, auch emotional. Auch wenn es mir teilweise nicht ganz leicht fallen wird, vor allem die Beerdigung gleich heute morgen". Yelena riß den Duschvorhang nun ganz beiseite und entstieg dem feuchten Duschbecken. Notdürftig trocknete sie mit einem bereitliegenden Froteehandtuch ihren nassen Körper. Dann trat sie behutsam von hinten an ihren zukünftigen Mann heran und hauchte: "Dafür wir dann aber machen zweites Hälfte von Tag mit Hochzeit und Taufe von kleines Junge Luke um so schöner. Und gar nicht zu vergessen, wenn erstes Nacht brechen herein, wo Du und ich sein ganz offiziell Mann und Frau". Ganz eng preßte sie dabei ihren Körper an den seinen und küßte sanft seinen Nacken, daß ihm für einen Moment sogar die zahlreich vorhandenen Brusthaare unter seinem Pyjama zu Berge standen. Schließlich löste sie ihre Lippen wieder von seiner warmen Haut und hauchte ihm ins Ohr: "Und jetzt Du solltest gehen frühstücken. Heißes Kaffee und frisches Brötchen schon warten auf Dich in Küche". Lukas drehte sich zu ihr um und schenkte ihr ein erstes kleines Lächeln, gefolgt von einem zarten Kuß auf die noch ungeschminkten Lippen: "Ach, Yel, was würde ich nur tun, wenn ich Dich nicht hätte!". Yelenas Zeigefinger stupste frech gegen Lukas' Nase, während sie augenzwinkernd erwiderte: "Du jetzt würden küssen anderes frischgeduschtes, unbekleidetes Frau?!". Svensson aber schüttelte entschlossen sein fast haarloses Haupt: "Nein, mein Schatz! Früher, ja da hätte ich wahrscheinlich ganz genauso gedacht. Wenn nicht die, na dann eben eine andere. Aber seit ich Dich kennen und lieben gelernt habe, da bin ich mir absolut sicher, daß es im Leben einen Mannes nicht 5 oder 6 oder was weiß ich wieviel Richtige gibt, sondern nur die Eine, nach der man als Mann oft sein ganzes Leben lang sucht. Und wenn man ganz viel Glück hat, dann findet man sie, noch bevor es an der Zeit ist, seine Augen wieder zu schließen - so wie ich!". Noch einmal schmiegte sich Yelena ganz eng an ihren Lukas und sprach verzückt: "Das Du haben wieder einmal wunderschön gesagt. Überhaupt Du immer finden richtiges Wort für rechtes Moment. Und das ich so unheimlich bewundern an Dir. Auch ich nach schweres Zeit bei Dir endlich haben gefunden großes Liebe von mein Leben". Einen kurzen Moment lang lockerte sie die Umklammerung ihres Verlobten und ergänzte bedrückt: "Schade nur, daß wir zusammen nicht können haben Kind als Frucht aus großes Liebe". Lukas streichelte ihr tröstend mit dem Handrücken über die Wange: "Aber wir haben doch Kinder. Meine Tochter Lisa mag Dich sehr, das hast Du doch bei ihrem Überrschungsbesuch vorgestern gespürt oder nicht?!". Yelenas gesenkter Kopf nickte vorsichtig: "Ja, das ich haben gespürt. Sie sein ganz wunderbares junges Frau, so wie Vater!". Lukas aber ergänzte: "Und was Deine Tochter angeht, da hab ich schon jemanden drauf angesetzt, der sie mithilfe seiner umfangreichen Kontakte ganz gewiß aufspüren wird. Eigentlich sollte es ja eine Überraschung sein, aber was solls! Mein Informant hat mir nämlich gestern abend mitgeteilt, daß er noch heute im Laufe des Tages den neuen Familiennamen Deiner Tochter erfahren wird". Yelenas Blick erhob sich mit einem Ruck wieder, und sie schaute verblüfft: "Bosche moij! Mein Gott, Ich endlich werden wiederfinden mein Tochter? Oh, das ja zu schön sein würde um zu sein wahr! Ich so sehr haben vermißt mein Kind ganzes Zeit und haben soviel versäumt von ihr Leben! Daß Du das haben getan für mich, ich Dir nie im Leben werden vergessen. Ich Dich so sehr lieben!". Yelena schlang ihre beiden Arme zur Untermauerung ihrer Worte einmal mehr ganz fest um Lukas Hals und übersäte sein Gesicht wieder und wieder mit dankbaren Küssen.
Einige Stunden später stand der Ex-Inspektor in seinem schwarzen Anzug vor einem frisch ausgehobenen und mit Kunstgrasteppich ausgelegten schmalen Erdloch. Um ihn herum waren etwa dreißig Leute versammelt, die - wie er - mit ineinenander gefalteteten Händen ihren trauernden Blick gesenkt hielten. An der Stirnseite des Grabes, in das in diesem Augenblick eine silberne Urne herabgelassen wurde, stand ein Mann, dessen graues Hemd einen weißen Kragen trug, und der nun in feierlichem Ton das Wort an die Versammelten richtete: "Liebe Trauergemeinde! Auf grausamste Weise wurde ein Mensch aus unserer Mitte herausgerissen. Es geschah ganz plötzlich, und niemand konnte sich auf diesen Verlust vorbereiten. Das aber macht ihn nur umso schmerzlicher für uns, die wir heute hier als seine Witwe, seine Familie, seine Freunde und Kollegen im Angesicht seiner sterblichen Überreste traurig und fassungslos zurückbleiben. Harold Freakadelly war ein herzensguter und beliebter Chef. Er war stets bemüht, trotz all seiner verantwortungsvollen Arbeit auch für seine Familie da zu sein. Seiner Frau war er zu allen Zeiten ein liebevoller Ehemann, seiner Tochter ein guter Vater. Und dennoch hat eine dunkle Macht von seinem Kinde Besitz ergriffen, die es dazu verlockte, seiner sprühenden Lebenslust ein so jähes Ende zu bereiten. Sie dafür heute und hier zu richten, das aber liege uns ferne. Wir sollten diese Aufgabe den weltlichen Gerichten und letztlich unserem Schöpfer überlassen, der einst über uns alle Recht sprechen wird am Tage des Jüngsten Gerichts. Was uns an diesem Tage bleibt, ist die stille Erinnerung an einen Menschen, der gerade im Begriff war, vor seinem geistigen Auge seinen Lebensabend in den schillernsten Farben zu planen, als unverhofft die düstere Todesnacht über ihn hereinbrach. Wir sollten Harold Freakdelly dabei so im Gedächtnis mit uns tragen, wie wir ihn gekannt haben. Ich persönlich zum Beispiel kannte ihn als eifrigen Vorstand unserer Kirchengemeinde, der stets entschlossen und dennoch auch gütig und einlenkend für die Belange unserer Kirche eintrat. So manches Mal war es sein gewinnendes Wesen, das bei unseren großzügigen Spendern ein paar Pfund für notwendige Baumaßnahmen und Investitionen loszueisen vermochte. Mit ebenso fester Hand leitete er seine Untergebenen. Und auch hier zeigte er sich durchaus immer wieder kompromißbereit, wie mir die ihm Unterstellten in Vorbereitung meiner heutigen Rede zu berichten wußten. Nun, da sich seine unsterbliche Seele auf den Weg gemacht hat, vor ihren Schöpfer zu treten, um dann auf ewig bei ihm im Paradiese zu weilen, verneigen wir uns noch einmal in Ehrfurcht vor den spärlichen Überresten seines vergänglichen Leibes. Leb wohl, Harold Freakadelly! Unsere Gedanken sind bei Dir, und unser ganzes Mitgefühl ist bei denen, die mit uns gemeinsam trauernd hier auf Erden zurückbleiben". Damit gab er dem Urnenträger ein Zeichen, auf welches dieser das silberne Behältnis langsam in das dunkle Erdloch absinken ließ. Der Geistliche aber bekreuzigte sich mit zu Boden gerichtetem Blick vor der Brust, während er sprach: "Asche zu Asche, Staub zum Staube. Von Erde bist Du genommen, zu Erde sollst Du wieder werden. Der Herr aber wird Dich dereinst auferwecken von den Toten und mit sich zum ewigen Leben führen. Amen!". Ein einzelner kräftiger Sonnenstrahl kämpfte sich im selben Moment durch die dichten Kronen der umstehenden Bäume und erleuchtete dabei strahlend den mit goldenen Lettern im schwarzem Granit des aufgestellten Grabsteins eingemeißelten Namen des Verstorbenen. Die Trauernden erhoben ihren Blick zum wolkenlos blauen Himmel und stimmten auf das Zeichen des Pfarrers mit dem wohlkingenden Namen Matthew Prayer das Lied "Nearer My God to Thee" an. Nur Janet Freakadelly, die Tochter des Toten, die eingerahmt von zwei Polizeibeamten in Zivil in Handschellen ein wenig abseits stand, hielt ihren versteinerten Blick gesenkt und blieb stumm.
Am Grabe Freakadellys war das gemeinschaftlich angestimmte Trauerlied inzwischen verklungen, und die Anwesenden traten nun einzeln an die Grabstätte heran. Sie legten dort ihre Blumen und Kränze nieder - allen voran die Witwe, gefolgt von Charles Wannabe, der im Namen des Yard einen großen Kranz mit goldfarbener Schleife niederlegte. Darüber aber breitete er kniend den sorgsam zusammengefalteten Union Jack aus. Und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte der nahe dabei stehende Svensson mit seinem eigenen tränenschwangeren Blick auch im Auge seines ehemaligen Kollegen ein leichtes feuchtes Glitzern zu erkennen. Sollte Wannabe tatsächlich soetwas wie ehrliche Gefühle haben? Er wollte diesen Gedanken schon beiseite wischen, aber der inzwischen vom Grabmal zurückgetretene amtierende Yardchef schien ihn bereits erahnt zu haben. Und so wischte er sich mit dem Ärmel seines dunkelgrauen Nobelanzugs über die zusammengekniffenen Augen und raunte Lukas Svensson im Vorübergehen zu: "Nur keine falschen sentimentalen Schlüsse, Sie alter Knochen! Mir ist da nur ein Sandkorn ins Auge geflogen. Der Wind, Sie verstehen?!". Damit war er auch schon am Ex-Inspektor vorbeigehuscht und verließ schnellen Schrittes - vorbei an der Menge der Trauernden - durch einen Seitenausgang das Friedhofsgelände. Lukas aber feuchtete den Zeigefinger seiner rechten Hand mit der Zunge ein wenig an und hielt ihn prüfend in die Höhe. Kein Windzug war zu verspüren, auch nicht ein einziges laues Lüftchen. Kopfschüttelnd trat nun auch er an die Grabstelle Freakadellys heran. Dabei fiel sein sich senkender Blick erst auf den goldenen Namenszug auf dem Grabstein und dann auf die im Erdreich versenkte Urne. Eine Sekunde lang ballten sich wütend seine Fäuste, dann aber faltete er die sich wieder öffnenden Hände ruhig vor seinem recht umfangreichen Bauch. Tränen schossen ihm in die Augen und strömten über sein Gesicht dem kühlen Erdreich entgegen. Und schluchzend flüsterte er: "Du wirst mir fehlen, alter Freund. Ich hätte Dir Deinen langersehnten Ruhestand im 'Gasthaus an der Themse' so sehr gegönnt. Doch es hat nicht sollen sein! Ja, Harry, das Leben ist kurz, oft kürzer als wir denken. Wir sollten uns angewöhnen, jeden Tag und jede Stunde so zu leben und auszukosten, als könnten es unsere letzten sein. Augenblicke wie dieser erinnern einen immer wieder recht schmerzlich an diese Einsicht. Du hast mir einst das Leben gerettet, bei jener großen Gefängnisrevolte in Nordirland vor drei Jahren. Dein Verhandlungsgeschick vollbrachte es damals, den Geiselgangster zum Aufgeben zu bewegen, als er mich während eines gescheiterten Alleingangs überwältigt hatte und die herbeigerufene Spezialeinheit schon mit der gewaltsamen Stürmung der Haftanstalt drohte, ohne Rücksicht auf mich und die anderen 11 Geiseln. Ich wünschte, ich wäre vor ein paar Tagen auch zur Stelle gewesen, um Dich zu retten. Doch es war mir leider nicht vergönnt. Ich danke Dir, mein Freund, für alles! Und ich werde Dein Andenken auf ewig in meinem Herz bewahren! Leb wohl, Harry! Und das hier ist für Dich! Klein und unscheinbar wie wir Menschen und dennoch von Gott mit aller Liebe zum Deteil wunderbar und einzigartig kreiert!". Mit diesen Worten zog er die weiß-gelbe Blüte eines Gänseblümchen aus dem Knopfloch seines Anzugs hervor und legte es sorgsam auf dem Deckel der Urne ab. Lukas verbeugte sich noch einmal tief vor dem Grabe, dann trat er zurück in den Trauerzug, der sich wenige Momente später in Richtung Friedhofstor entfernte - an seiner Spitze der Pfarrer und am Ende die mit Handschellen gefesselte Tochter des von ihr Ermordeten, beidseitig dicht gefolgt von den zwei sie begleitenden Beamten.
Die trauernde Gemeinde passierte auf dem langen, sandigen Friedhofsweg auch eine noch recht frisch anmutende Grabstätte, die kein teurer Grabstein und keine Blumen zierten. Nur ein schlichtes, aus zwei krummen Holzpflöcken selbstgezimmertes Kreuz stand lieblos in den weichen Erdboden gerammt. Und ein mit Plastikfolie ummanteltes Blatt Papier zeugte von dem Namen des hier im feuchten Erdreich zu Grabe Liegenden: "D.Crawler". Eine Sekunde lang blieb Lukas Svensson auch vor jenem armseligen Erdhügel stehen. Er bekreuzigte sich, und in Gedanken an Crawler und seine Gespielin Janet sowie Kowarno und seine Gehilfin Katja formten seine zitternden Lippen dabei ein leises: "Vater, vergib ihnen! Denn sie wußten nicht, was sie taten!".
Der restliche Trauerzug war inzwischen nur noch wenige Schritte von der Eingangspforte des Friedhofs entfernt. Auch Janet Wannabe war schon im Begriff, am stehengebliebenen Ex-Inspektor vorbeigeführt zu werden, als Svensson in unmittelbarer Nähe seines rechten Ohres ein kurzes pfeifendes Geräusch vernahm. Ein paar Meter von ihm entfernt sank zeitgleich die Freakadellytochter zum Entsetzen ihrer Bewacher zu Boden und blieb dort regungslos liegen. Aus ihrem Oberkörper aber sickerte schon wenige Augenblicke später Blut auf die sorgsam geharkte Erde des Friedofsweges und bildete eine immer größer werdende, dunkelrote Lache. Panik hatte die gesamte Trauergemeinde ergriffen, und so liefen nun unzählige Menschen weinend und kreischend völlig ziellos durchs Gelände, um schließlich irgendwo mit schlotternden Knien hinter Bäumen und Grabsteinen in Deckung zu gehen. Lukas Svensson war als Einziger seelenruhig stehengeblieben und hielt dabei Ausschau nach der Position eines vermeintlichen Heckenschützen. Dank seiner jahrzehntelangen kriminalistischen Erfahrung wurde er dabei auch rasch fündig. Das Dach des hiesigen Krematoriums bot geradezu perfekte Sichtverhältnisse für die Optik eines Scharfschützengewehres. Einer der beiden anwesenden Polizeibeamten hatte wohl die gleichen Schlüsse gezogen und rannte bereits in Richtung des zirka 200 Meter entfernten Gebäudes. Sein Kollege kauerte über der am Boden liegenden Freakadellytochter und orderte über sein Funkgerät einen Rettungswagen. Lukas lief zu ihm herüber und erkundigte sich aufgeregt: "Was ist mir ihr? Ist sie etwa ...?". Der Polizist legte sein Walkietalkie beiseite und schüttelte den Kopf: "Nein, tot ist sie nicht. Aber sie ist schwerverletzt und verliert unheimlich viel Blut. Die Kugel scheint etwas oberhalb des Herzens in ihren Brustkorb eingedrungen zu sein und dort festzustecken. Jedenfalls gibt es keinerlei Austrittswunde". In diesem Augenblick kehrte auch der andere Beamte völlig außer Atem von seiner Jagd auf den Attentäter zurück. An seinen Kollegen gewandt, keuchte er: "Der Kerl ... muß auf ... auf dem Dach gelauert ... haben. Ich ... ich hab da ein ... Snipergewehr plus einer leeren Patronenhülse gefunden und ... und einen Zigarrenstummel ... Aber der Schütze selber ... war schon ... schon weg". Seine Schultern zuckten, während aus der Ferne bereits das lauterwerdende Geräusch mehrerer Sirenen zu vernehmen war. Wenig später bahnten sich ein Notarzt und ein Rettungsassistent mit einem Notfallkoffer den Weg durch die Traube der Schaulustigen, die sich am Eingangsbereich des Friedhofs versammelt hatte. Niemand der Anwesenden bemerkte in dem Getümmel, wie ein Typ im schwarzen Regenmantel über die Friedhofsmauer sprang und dann am Straßenrand in einen bereitstehenden schwarzen Mercedes stieg. Der Mantelträger startete den Motor und schaute mit seinem einen grünen Auge in den Rückspiegel, während sein anderes blaues Auge die Menschenansammlung im Blick behielt. Dabei murmelte er: "Tja, Täubchen, tut mir leid! Aber ich kann nun mal niemanden gebrauchen, der weiß, wie ich aussehe. Schließlich hab ich mir meine Tarnidentität hier in England nach dem Ende der DDR nicht so mühevoll über all die Jahre bewahrt, um sie mir dann von Typen wie Kowarno, Crawler oder gar Dir wieder kaputtmachen zu lassen. Und nun, da ich auch Dich mundtot gemacht habe, gibt es da eigentlich nur noch eine einzige Person, die mich wiedererkennen könnte, Kowarnos Exfrau Yelena. Aber keine Sorge, um die kümmere ich mich zu gegebener Zeit auch noch, so wahr ich Paul Vorberg heiße!". Dreimal laut hupend bahnte sich daraufhin der Wagen mit dem silberglänzenden Stern auf der Kühlerhaube den Weg durch die Menschenmassen hindurch, nur um Sekunden später sogleich wieder inmitten des dichten vormittäglichen Verkehrs auf Londons überfüllten Straßen spurlos zu verschwinden.
Die Taschenuhr des Ex-Inspektors zeigte exakt 12 Uhr mittags, als Lukas Svensson nach kurzer Fahrt durch die schmalen Gassen der englischen Haupstadt sein Fahrrad im Ständer des "Chelsea and Westminster Hospital" abstellte. Er hatte den Friedhof nach Aufnahme seiner Personalien durch die herbeigerufene Metro Police verlassen und noch einen kurzen Abstecher zu Tim Hackermans Wohnung gemacht, wo er als Überraschung für seinen jungen Freund noch ein - für Timmy nahezu unentbehrliches - Mitbringsel abgeholt hatte. Selbiges klemmte sich der Ex-Inspektor nun eilends unter den Arm und raste damit durch die Eingangshalle sowie über die Stufen im Innern des angrenzenden Treppenhauses. Zahlreiche Gedanken spukten dabei die ganze Zeit durch seinen Kopf: Wer hatte auf Janet Wannabe geschossen? Wollte jemand den Tod Harold Freakadellys rächen? Oder handelte es sich um einen Terrorbruder aus Crawlers und Kowarnos Umfeld, der eine unliebsame Mitwisserin zum Schweigen bringen wollte? War es vielleicht gar dieser Stasi-Vorberg, von dem ihm Yelena erzählt hatte? Oder gab es da noch einen ganz Anderen - einen Unbekannten, von dem weder er noch seine zukünftige Braut etwas ahnten? Fragen über Fragen. Und dennoch hatte er keine Zeit für die Suche nach Antworten - nicht heute. Nein, er war außer Dienst und mußte die Ermittlungen vertrauensvoll Charles Wannabe und seinen Polizeikollegen überlassen. Und außerdem war er jetzt unterwegs zu einem wichtigen Krankenbesuch. Und so lief Svensson nun über den langen hellblauen Flur der Unfallchirurgie im ersten Obergeschoß und blieb schließlich vor dem Zimmer mit der Nummer 241 stehen. Hier lockerte er noch kurz die am Hals recht eng anliegende Krawatte und klopfte dann aufgeregt an die Tür, hinter der ihn eine dünne, junge Männerstimme sogleich zum Nähertreten aufforderte.
Lukas Svensson folgte der Aufforderung und stand nun vor dem Bett eines - bis auf die Arme - nahezu am ganzen Körper mit weißen Binden umwickelten Patienten, der auf seinem Lager langsam den Kopf ein wenig zur Seite drehte. Das sichtlich schmerzverzerrte Antlitz Timmys starrte dem Besucher entgegen: "Mensch Lukas! Was bin ich froh, Dich gesund und munter hier zu sehen! Ich hab nämlich grad in den Nachrichten gehört, daß es bei der Beisetzung unseres Chefs ein Attentat mit einer schwerverletzten Person gab. Und da war ich schon in großer Sorge, es könne sich um Dich handeln. Erzähl doch mal, was ist denn geschehen?". Haargenau berichtete Svensson seinem Schützling alles über den Anschlag auf Freakadellys Tochter. Timmy lauschte den Ausführungen des Ex-Inspektors gespannt, und die ganze Zeit stand sein Mund dabei weit offen. Als Lukas seine Schilderung schließlich beendet hatte, blieb es noch etwa eine Minute lang ganz still im Krankenzimmer. Lukas nutzte jenen stillen Moment, um das Gesicht und den Körper seines - fast bis zur Unkenntlichkeit einbandagierten - Freundes eingehender zu betrachten. Immer größer wurde dabei der Kloß, der sich in seinem Hals bildete. Da endlich brach Timmy das bedrückende Schweigen mit der in den Raum geworfenen Frage: "Sag mal, was wird denn nun eigentlich aus Deiner bevorstehenden Trauung? Willst Du die nach dem Anschlag auf dem Friedhof jetzt vielleicht erstmal verschieben?". Energisch winkte Lukas Svensson ab: "Ich habe nach dem Vorfall natürlich gleich mit Yelena telefoniert. Und in einem sind sie und ich uns hundertprozentig einig. Die Hochzeit findet wie geplant statt. Nichts und niemand könnte uns diesmal davon abhalten!". Timmys Augen strahlten, während er ausrief: "Recht so, Lukas!". Dabei streckte er, so gut es in seinem Zustand eben ging, den Daumen seiner - zur Faust geballten - rechten Hand anerkennend in die Höhe. Und mit einem Blick auf die große Wanduhr im Zimmer ergänzte er rasch: "Allerdings solltest Du Dich dann möglichst bald mal auf den Weg zur Kirche machen, anstatt hier stundenlang meinen stark mumifizierten Körper anzustarren. Die Ärzte nennen mich übrigens aufgrund meiner unfangreichen Verhüllung scherzhaft Tim-Ench-Amun. Und weißt Du, was das einzig Positive an meinem derzeitigen Zustand ist?! Die jungen hübschen Schwestern kümmern sich morgens und abends eingehend um Körperteile, zu denen zuvor - außer meiner Frau Mama in meinen ersten Lebensjahren - noch nie eine Frauenhand vorgedrungen ist". Lukas, der noch bis eben mit äußerst betretener Miene dagestanden hatte, mußte nun unweigerlich schmunzeln: "Na, den Humor hat man Dir jedenfalls trotz all der zahlreichen Verletzungen und der daraus resultierenden Schmerzen anscheinend nicht nehmen können". Timmy schüttelte behutsam sein eng umwickeltes Haupt: "Nein, für die Schmerzen bekomm ich ja auch meine Drogen. Ganz legal und vom Chefarzt höchstpersönlich als meinem Dealer". Lukas schmunzelte nochmals, dann jedoch wurde sein Gesichtsausdruck sogleich wieder deutlich ernster: "Nun aber mal ehrlich, Timmy, was sagen denn die Ärzte?". Timmys Blick entzog sich dem seines Gastes. Und von Lukas abgewandt in Richtung Fenster blickend, stammelte der junge Mann ein wenig traurig: "Was sie sagen, ist bitter. Bitterer als jede Medizin. Es werden Narben bleiben, überall am Körper, auch im Gesicht. Und ein Granatsplitter steckt in meinem Rücken fest. Sie haben gestern versucht, ihn rauszuoperieren, aber er sitzt zu dicht am Rückenmark. Ein Spezialist aus den Staaten wird übermorgen eingeflogen, der einen weiteren Eingriff versucht. Bleibt auch der erfolglos, dann bin ich vermutlich zeitlebends von der Hüfte ab gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Und selbst wenn die OP glücken sollte, stehen meine Chancen, wieder laufen zu können, maximal bei 50 Prozent". Dicke Tränen kullerten aus den eingesunkenen Augenhöhlen heraus unter die Verbände von Timmys vermummtem Gesicht. Auch Lukas Svensson mußte schlucken. Um seinen Schützling ein wenig aufzumuntern, reichte er ihm das mitgebrachte Notebook herüber, welches er bislang sorgsam hinterm Rücken verborgen gehalten hatte. Timmy wischte sich mit einem Papiertaschentuch aus der Box auf seinem Nachttisch die Tränen fort und umklammerte mit aller Kraft die Hand des Ex-Inspektors: "Das Du bei all der Aufregeung vorhin noch daran gedacht hast! Danke, Lukas! Jetzt hab ich wenigstens wieder ein paar kleine Fenster, über die ich Verbindung zur Außenwelt aufnehmen kann. Ich werde mir die Zeit bis zur OP damit verkürzen, daß ich mich schonmal nach geeigneten Reha-Angeboten umschaue. Und für den Fall der Fälle such ich mir auch schon ein paar elektrische Rollstühle raus, mit allen technischen Raffinessen versteht sich. Geld genug dafür hab ich ja jetzt mit den umgerechnet 100.000 Pfund, die die Deutsche Regierung für das Wiederauffinden des Bernsteinzimmers für jeden von uns vier am Fund beteiligten Männern hat springen lassen. Nur zu schade, daß unsere sensationelle Entdeckung auf Beschluß von Rußland und Deutschland noch ein paar Jahre geheim gehalten werden soll. Zumindest solange, bis es von Fachleuten komplett restauriert ist und in das dann hoffentlich fertiggestellte Berliner Stadtschloß einziehen kann. Übrigens eine kluge und gerechte Übereinkunft beider beteiligten Staaten, die Vertäfelung nun doch wieder an ihrem ursprünglichen Platz ausstellen zu lassen, während Rußland die - erst vor ein paar Jahren so mühevoll fertiggestellte - Kopie behält. Und wie ich gehört habe, war unser Charlie Wannabe ja auch ziemlich maßgeblich an den Verhandlungen darüber beteiligt. Apropos Wannabe und Co, was gibts eigentlich Neues in unserem geliebten Yard, Lukas?".
Im Stil eines Oberlehrers hob Lukas seinen Zeigefinger bedeutungsvoll in die Höhe und antwortete: "Oha, da tut sich so einiges, mein Freund! Die Führung des Yard übernimmt Anfang kommenden Jahres provisorisch noch einmal der alte Eddi Wallace, der zurückkehrt, um das Erbe seines Nachfolgers würdig fortzuführen. Zumindest solange, bis wieder ein geeigneter Mann für den Posten gefunden ist. Mein Freund Jack aus L.A. leitet bis auf Weiteres kommissarisch die Antiterroreinheit CI7, während sich Charles Wannabe nun gänzlich aus dem Polizeidienst zurückzieht und stattdessen beruflich ganz neue, eigene Zukunftspläne verfolgt". Timmy schaute ein wenig nachdenklich, dann sagte er: "Nun ja, dann steckt Mister Wannabe seine Belohnung also nicht nur in einen neuen Maßanzug, neue Lackschuhe und eine neue Yacht, sondern auch in einen kompletten Neuanfang. Soviel Mut zum Risiko hätte ich dem karrieresüchtigen Schnösel ehrlich gesagt gar nicht zugetraut. Aber nun mal wieder zurück zu Dir. Da wäre noch was, was ich Dich unbedingt fragen wollte. Daß Dein Onkel Fritz den Großteil des Geldes für die Kirche und den Wiederaufbau des Stadtschlosses spendet, das weiß ich ja. Und was Wannabe mit seinem kleinen Vermögen vorhat, weiß ich jetzt auch. Aber was machst Du eigentlich mit dem ganzen Geld?!". Lukas zögerte einen Moment, dann antwortete er: "Ich werd einen Teil für die Zukunft meiner Tochter Lisa anlegen, ein anderer Teil wird in die ausgedehnte Hochzeitsreise von Yelena und mir investiert. Und mit dem Rest hab ich etwas vor, was ich vorerst noch ein wenig geheimhalten möchte. Ich verrat es Dir, wenn Du erstmal wieder auf den Beinen bist". Svenssons Blick fiel dabei unweigerlich auf die zwei unteren Extremitäten seines Freundes, die regungslos unter der Bettdecke am Fußende des Krankenhausbettes lagen. Lukas schaute in Tims Gesicht und probierte, ein wenig zu lächeln, um seinem Schützling Mut zu machen. Doch es gelang ihm ebenso wenig wie Timmy selbst. Es war einfach zu schrecklich zu sehen, wie hilflos der einst so lebenslustige Jüngling hier vor ihm lag und dabei versuchte, tapfer und stark zu sein, obwohl ihm innerlich sicher permanent nur zum Heulen zumute war. Timmy hob bedächtig den linken Arm und klopfte Lukas gegen die Brust: "Kopf hoch, Sir! So schnell geben wir Zwei doch nicht auf, haben wir doch in den vergangenen Tagen ganz andere Katastrophen und Tiefschläge überstanden. Apropos Katastrophe! Wenn Du Dich jetzt nicht schleunigst vom Acker machst, dann blüht Dir ganz sicher auch eine, und zwar von Deiner vorm Altar auf Dich wartenden Braut! Einen Hochzeitstermin mußtet ihr Beiden ja schließlich schon sausen lassen. Also los jetzt! Ach ja, und grüß Deine Yelena von mir! Und falls Du auf der Hochzeitsfeier heute abend diese neue Chefsekretärin Sabrina Meltstone mit dem süßen Stimmchen unter Euren zahlreichen Gästen entdeckst, dann bestell auch ihr einen ganz lieben Gruß von Bandagen-Timmy. Sag ihr, unser - seinerzeit in Berlin telefonisch vereinbartes - Treffen verschiebt sich um ein paar Tage, weil ich gerade einen mehrwöchigen Erholungsurlaub in Chelsea und Westminster mache. Und frag sie doch mal, ob sie nicht eine Emailadresse hat, die sie Dir für mich geben kann. Machs gut, mein Freund! Ich wünsch Dir und Deiner Frau alles Glück der Welt!". Kräftig schüttelte er minutenlang Lukas' Hand. Der Ex-Inspektor aber flüsterte: "Danke Timmy! Und auch Dir alles Glück! Ich werde für Dich und Deine baldige Genesung beten!". Dann drehte er sich verstohlen um und verließ schnellen Schrittes das Krankenzimmer. Draußen ließ er die Tür leise hinter sich zufallen. Und innerlich wie äußerlich in sich zusammensinkend, murmelte er - mit dem Rücken an der hellblaue Flurwand Halt suchend: "Lieber Gott! Bitte hilf dem Jungen! Nimm Dich seiner an und gib ihm Kraft, all das durchzustehen, was auf ihn zukommt! Vergib mir, und laß mich mir auch selbst vergeben, daß ich nicht da war, um ihn vor diesem Schicksalschlag zu bewahren! Amen!"
Es war 13.56 Uhr, als Lukas - völlig außer Atem und mit einem Strauß aus 24 roten und weißen Rosen bewaffnet sowie einem kleinen Ansteckstrauß im obersten Knopfloch seines Anzugs - mit seinem Drahtesel vor der gigantisch anmutenden "Saint Pauls Cathedral" anlangte. Sein Freund George stand bereits parat, um das zweirädrige Gefährt des Inspektors in Empfang zu nehmen. Dabei warf er einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr und raunte: "Meine Güte, Lukas! Wie immer auf den letzten Drücker. Zieh Deinen Schlips gerade, wisch Dir den Schweiß aus dem Gesicht und dann nichts wie ab zum Altar!". Lukas zerrte aufgeregt an seiner Krawatte und tupfte sich dann mit seinem - der Hosentasche rasch entrissenen - Stofftaschentuch die feuchte, kahle Stirn. Dabei schaute er George ganz erwartungsvoll an und fragte: "Und alles klappt so wie ausgemacht?". George nickte: "Alles wie verabredet! Deiner Yelena wirds bestimmt gefallen. Und was Eure Gäste angeht, die werden Black Jack und ich inzwischen schon bei Laune halten". Lukas begab sich schnellen Schrittes zum Seitenportal der Kathedrale, wo bereits Onkel Fritz - herausgeputzt im schwarzen Anzug - auf ihn wartete. Der Onkel packte seinen Neffen am Ärmel und zerrte ihn mit sich ins Kathedraleninnere, während just im selben Moment vor dem Haupteingang eine blumengeschmückte weiße Kutsche vorfuhr und hielt. Lukas Svenssons Augen mußten sich erst an das Halbdunkel des Kircheninnern gewöhnen, dann aber sah er sich um und war überwältigt von der Größe und Pracht des monumentalen Bauwerks. Hier hatte einst Prinz Charles seine Lady Diana - die Königin der Herzen - geehelicht. Und nun stand er unmittelbar davor gleiches mit seiner Herzenskönigin zu tun und war dabei fest davon überzeugt, daß seine Ehe von mehr Erfolg gekrönt sein würde als die seiner königlichen Vorreiter. An der Seite von Onkel Fritz schritt Lukas langsam und bedächtig zum Altar, während im Hintergrund die anwesende Kapelle die ersten Takte des Hochzeitsmarsches von Felix Mendelssohn Bartholdy zu intonieren begann.
Auch auf der Gegenseite der Kapelle öffnete sich die kleine Eingangspforte, durch die sogleich Inspektor Powerich und Chiefsuperintendent Wannabe die Kirche betraten. Powerich blieb unmittelbar in Türnähe neben einer hübschen, jungen Lady stehen, die ihn durch ihr attraktives Äußeres und ein verführerisches Lächeln sofort in ihren Bann zog. Mit dem Zeige- und Ringfinger seiner rechten Hand griff er sich an die Stirn, während er dazu - um einen Flüsterton bemüht - seine sanfte Baßstimme ertönen ließ: "Maam, gestatten Sie, daß ich mich Ihnen bekanntmache?! Powerich, mein Name, John Wayne! Nicht verwandt oder verschwägert mit dem gleichnamigen Westernhelden. Von Beruf Inspektor beim Yard, altersmäßig in den besten Jahren und - das dürfte Sie wohl am meisten interessieren - ledig und noch zu haben". Die junge Lady mit dem Pferdeschwanz schüttelte lachend den Kopf, wobei ihre Mähne verwegen hin und her flatterte: "Spinner! Aber wenn Sie unbedingt wissen möchten, wer sich da gleich Ihrem unwiderstehlichen Charme zu entziehen vermag: Ich heiße Lisa, Lisa Svensson. Ich studiere Musik, spiele Geige und bin schätzungsweise ein Dutzend Jahre jünger als Sie. Auch ich bin ledig und durchaus noch zu haben. Nur muß, wer mich will, schon ein wenig mehr aus dem nicht vorhandenen Hut zaubern als ein paar plumpe Machosprüche! So long, Cowboy!". Damit stolzierte sie lächelnd von dannen, nicht ohne nochmal einen kurzen Blick zurück zu werfen, um sodann in einer der vorderen Holzbankreihen Platz zu nehmen. Powerich aber schaute ihr leise pfeifend nach, während er bei sich dachte: 'Das Fohlen von meinem berühmten Amtsvorgänger gefällt mir. Die Kleine hat Feuer im Blut und Haare auf den Zähnen. Eine Kombination, die durchaus ihre Reize hat. Genau wie ihr schnuckliges Äußeres. Alter Schwede, ich glaube, Johnny hat sich soeben verliebt!'. Die Svenssontochter schaute währenddessen noch einmal zu ihm herüber und lächelte verschmitzt, bevor sie ihrem Vater am Altar zuzwinkerte, der ihr Eintreffen erst jetzt bemerkt zu haben schien. Lukas Svensson winkte ihr aufgeregt zu, wobei sich das Lächeln in seinem Gesicht noch einmal deutlich verbreiterte. Es bedeutete ihm unheimlich viel, seine kleine Lisa hier und heute an seiner Seite zu wissen, wo für ihn ein so neuer und wichtiger Lebensabschnitt beginnen sollte. Zu schade nur, daß nicht auch ihre Mutter dabei anwesend sein konnte. Schließlich wäre ohne ihre selbstlose Hilfe für ihren Ex-Mann die Hochzeit so vermutlich gar nicht erst zustande gekommen. Eingeladen hatten Lukas und Yelena Nina Svensson ja, und auch zugesagt hatte sie schon. Aber dann hatte die Botschaftsangestellte am späten Vorabend der Trauung doch noch überraschend absagen müssen und Lukas als Grund dafür unter dem Deckmantel strengster Verschwiegenheit anvertraut, daß im russischen Murmansk auf der Halbinsel Kola mehrere Trägerraketen für Nuklearsprengköpfe abhanden gekommen seien. Man gehe in Rußland nach ersten Unteruchungen davon aus, daß dies einmal mehr eine Aktion der momentan kopflos agierenden Terrorgruppe "Nowoij Djehn" gewesen sei und schließe daher auch nicht aus, daß die heiße Ware am Ende in England oder einem anderen europäischen Staat wieder auftauche. Was die Terroristen wohl mit den Dingern vorhatten? Ohne die zugehörigen Atomsprengköpfe waren die Raketen ja schließlich vorerst relativ wertlos. Während Lukas Svensson so seinen Gedanken nachhing, war Charles Wannabe unterdess gänzlich unbemerkt von hinten an ihn herangetreten. Und nun, da der Hochzeitsmarsch verklungen war, flüsterte er dem Ex-Inspektor ins linke Ohr: "Hören Sie zu, Svensson! Bevor Sie sich hier gleich in Ihr Verderben stürzen, hab ich noch eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie und Ihre Braut. Zuerst die schlechte: Die Adoptiveltern der verschollenen Tochter Ihrer Yelena sind schon seit Jahren tot. Und auch an die aktuelle Adresse des Kindes ist beim besten Willen kein Herankommen. Sie wissen ja, Datenschutz und so weiter. Nun aber die gute Nachricht: Ich konnte nämlich meinem Informanten mit viel gutem Zureden zumindest den aktuellen Familiennamen der verschollenen jungen Dame entlocken, und der ist Webster. Jana Webster. So, das wärs! Hat mich echt viel Mühe gekostet, das rauszufinden. Ich hoffe, Sie wissen das gebührend zu würdigen. Es bleibt doch bei dem, was wir als Gegenleistung ausgemacht haben, oder?!". Svensson, der durch die überraschende Ansprache Wannabes zunächst ein wenig zusammengezuckt war, drehte nun seinen Kopf zur Seite und blickte dem Mann in seinem Rücken tief in die Augen: "Klar doch! Ich stehe zu meinen Versprechen! Auch wenn ich mich ehrlich gesagt schon jetzt frage, auf was ich mich da auf meine alten Tage noch einlasse. Aber naja, für das Glück meiner zukünfigen Frau ist mir letztlich kein Preis zu hoch! Also abgemacht, Charles!". Begeistert schüttelte der kommissarische Yardchef die Hand seines Ex-Kollegen: "Ok, man sieht sich! Und nun viel Vergnügen beim fröhlichen Schippern in den stürmischen Hafen der Ehe! Auf in den Kampf, alter Haudegen! Und einen schönen Gruß an die holde Gattin!". Nach diesen Worten trat Wannabe rasch ein paar Schritte zurück und hockte sich schließlich in eine der hinteren Kirchenbankreihen.
So langsam kehrte erwartungsvolle Stille ein im Kircheninnern. Nahezu alle Gäste hatten sich einen Sitzplatz gesucht und diesen auch eingenommen. Nun harrte man gemeinschaftlich der großen Dinge, die da kommen würden. Urplötzlich wurden die beiden Flügeltüren des Hauptportals der Kathedrale von außen aufgestoßen, und das strahlend helle Sonnenlicht flutete innerhalb einer einzigen Sekunde den Gang zum Altar. Lukas und die restlichen Hochzeitsgäste waren einen Moment lang geblendet, dann aber traten zwei Gestalten durch die erleuchtete Pforte, eine von ihnen im schwarzen Anzug und die andere ganz in Weiß gehüllt. Ihre glänzenden Erscheinungen ließen das Sonnenlicht in ihrem Rücken verblassen, während Beide unter den Orgelklängen von Richard Wagners Brautchor würdevoll dem Altar entgegenschritten. Ein Staunen erfaßte die Anwesenden, und die Augen des Bräutigams begannen zu glitzern und zu funkeln, als er erkannte, wer da auf ihn zukam. Es war niemand anders als sein Freund Jack aus L.A., der sichtlich gerührt an Stelle des Brautvaters die Braut zum Altar führen durfte. Neben ihm aber schwebte in einem Traum aus weißer Seide mit dem bezauberndsten Lächeln auf der ganzen weiten Welt seine Yelena wie in Zeitlupe auf ihn zu. Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis sie endlich neben ihm zu stehen kam, vom nicht enden wollenden Beifall sämtlicher Gäste begleitet. Jack flüsterte Yelena etwas ins Ohr und zwinkerte Lukas dabei zu, während er die zitternde Hand der Braut in die gleichfalls stark bewegte ihres zukünftigen Gatten legte. Lukas aber strahlte überglücklich und überreichte Yelena den Brautstrauß. Die bekannte Melodie aus der Oper "Lohengrin" verstummte, und Pfarrer Marc Goody Shepherd trat am Altar vor das Brautpaar. Der mit indischen und südafrikanischen Wurzeln in England geborene Geistliche räusperte sich kurz, dann sprach er feierlich: "Liebe Yelena, lieber Lukas - liebes Brautpaar, werte Gäste! Wir alle sind heute hier zusammengekommen, um Zeugen zu werden, wenn sich Yelena Zladkaja und Lukas Svensson das Ja-Wort geben und damit den heiligen Bund der Ehe eingehen. Dabei wurde es Ihnen, liebes Brautpaar, in den vergangenen Tagen wahrlich nicht leicht gemacht, heute hier gemeinsam gesund und munter im Kreise ihrer Lieben vor mir am Altar dieses ehrwürdigen Gotteshauses stehen zu können. Und auch der nun vor Ihnen liegende gemeinsame Weg der Ehe wird nicht immer ein leichter sein. Nein, dieser Weg wird Ihnen Beiden sicher mehr als einmal steinig und schwer erscheinen. Nicht immer und in allem werden Sie sich einig sein. Und dennoch möchte ich Ihnen für all die Hindernisse, die auf Sie zukommen mögen, eines mit auf den Weg geben: Was Sie in Zukunft alleine nicht schaffen, das schaffen Sie dann ganz gewiß zusammen. Und alles, was es dafür bedarf, sind ein paar Tugenden: Verständnis und Kompromißbereitschaft, Ehrlichkeit und Vertrauen sowie Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Liebe aber - sowohl zueinander als auch zu Gott, der Sie Beide nach seinem Bilde erschuf und nach seinem Willen zusammenführte - das ist die wichtigste und größte unter ihnen". Damit blickte der Geistliche zu Onkel Fritz, der nun sichtlich nervös die Schachtel mit den Trauringen aus der Hosentasche hervorholte und sie an seinen Neffen weiterreichte. Daraufhin wandte sich der Pfarrer dem Bräutigam zu seiner Rechten zu und fuhr mit der Zeremonie fort: "Und so, Lukas Svensson, frage ich Dich vor Gottes Angesicht: Willst Du die hier anwesende Yelena Zladkaja zur Frau nehmen? Versprichst Du, ihr die Treue zu halten in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, und sie zu lieben, zu achten und zu ehren, solange Ihr Beide lebt?". Lukas schaute seiner Braut tief in die Augen und antwortete dann aus tiefster Seele: "Ja, ich will!". Der Pfarrer nickte zufrieden und wandte sich nun der Braut zu seiner Linken zu: "Ebenso, Yelena Zladkaja, frage ich Dich vor Gottes Angesicht: Willst Du den hier anwesenden Lukas Svensson zum Manne nehmen? Versprichst Du, ihm die Treue zu halten in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, und ihn zu lieben, zu achten und zu ehren, solange Ihr Beide lebt?". Yelena strahlte ihren Lukas ganz verliebt an und sprach dann mit aller Inbrunst: "Ja, das ich wollen!". Wieder nickte der Geistliche: "So tauscht denn nun als Zeichen Eures soeben vor Gott und aller Welt geschlossenen Ehebundes untereinander die Ringe". Aufgeregt kam Lukas der Bitte des Pfarrers nach und öffnete das schwarze Kästchen. Er holte den kleineren der beiden enthaltenen goldenen Ringe heraus und steckte ihn Yelena an den Ringfinger ihres zarten linken Händchens. Yelena tat daraufhin das gleiche mit dem verbliebenen größeren Ring, nur daß sie ihn ihm - wie in ihrer alten Heimat üblich - an den rechten Ringfinger steckte. Die beiden Brautleute legten daraufhin die frisch beringten Hände ineinander und schauten mit großen Augen erwartungsvoll auf den Geistlichen, der die Trauung mit den Worten vollendete: "Damit erkläre ich Euch, Yelena und Lukas Svensson, nach dem Willen Gottes rechtmäßig zu Mann und Frau! Lukas, Sie dürfen Ihre Braut jetzt küssen!". Das ließ sich der Bräutigam nicht zweimal sagen. Stürmisch umfaßte er den Hals seiner Yelena und drückte seine Lippen leidenschaftlich und dennoch sanft auf die ihren. Der Geistliche aber lächelte nur und sprach: "Was aber unser himmlischer Vater zusammengeführt hat, das soll der Mensch nicht scheiden! Amen! So gehet nun hin in Frieden!". Und während das Brautpaar sich nun unter dem sie segnenden Pfarrer zu seinen Gästen umdrehte, um dann zwischen ihnen allen hindurch über den langen Mittelgang aus dem Kirchgebäude hinaus ins neubegründete Eheleben zu schreiten, gab Onkel Fritz der eigens aus Deutschland mit angereisten kleinen Band um die Sängerin Vanessa ein Zeichen. Auf dieses Zeichen hin stimmte die in Italien geborene, junge Sängerin zum Auszug des Brautpaares die letzte Strophe des Silbermond-Liedes "Gib mir Sonne" an, so wie sie es schon einmal ein paar Jahre zuvor als damals ungekrönte Schlagerkönigin in einer Fernsehcastingshow getan hatte. Damals war das überaus herzliche Mädchen an diesem Titel gescheitert, doch heute sprach sie Lukas beim Anblick seiner wundervollen Frau aus dem Herzen, wenn sie sang: "Feier das Leben, feier den Tag! Feier uns Beide, es ist alles gesagt! Hier kommt die Sonne!". Die Sonne - ja das war sie für ihn. Licht- und wärmespendend, sein kleines Leben Tag für Tag aufs Neue erhellend. Seine Yelena, seine Frau!
Unzählige Hände wollten auf dem Wege geschüttelt, unzählige Gratulanten umarmt werden. Besonders innig fiel die Umarmung von Lukas Svensson und seiner Tochter Lisa aus. Sichtlich gerührt hauchte sie ihrem Vater dabei ins Ohr: "Oh, ich freu mich ja so sehr für Euch! Auch von Mutti soll ich Dir und Deiner Yelena ganz liebe Grüße und die besten Wünsche zur Vermählung ausrichten! Werdet glücklich, Ihr Zwei! Nach Euren Flitterwochen komm ich Euch dann zu den Weihnachtstagen mal für ein Wochenende besuchen, das ist ganz fest versprochen! Ich hab Dich lieb, Daddy!". Und mit einem zärtlichen Kuß auf die Wange entließ sie ihren überwältigten Vater aus ihrer Umklammerung. In ein paar Metern Entfernung aber schien sich bei diesem bewegenden Anblick ein völlig gedankenversunkener Inspektor Powerich lebhaft auszumalen, wie es wohl wäre, jetzt an der Stelle seines Amtsvorgängers zu sein und die zärtlichen Berührungen dieser aufregenden jungen Frau in vollen Zügen auskosten zu dürfen. Augenblicke später erwachte John Wayne jäh aus seiner schwärmerischen Versunkenheit und bemerkte, daß die Frischvermählten mittlerweile durch das große, weit geöffnete Kirchenportal ins Freie getreten waren, wo sich nun die restlichen Gäste wie auch er selbst innerhalb weniger Minuten in einer dichten Traube um sie scharrten. Yelena hob noch auf der Treppe ihr Brautkleid ein wenig nach oben und befreite sich dann von dem Sixpencestück in ihrem Schuh sowie von ihrem blauen Strumpfband, welches sie dem Bräutigam reichte. Lukas aber nahm es und warf es in hohem Bogen in die Menge, wo es sogleich von einem sichtlich überraschten Inspektor Powerich gefangen wurde. Auch Yelena entledigte sich nun traditionsgemäß ihres Brautstraußes, der daraufhin prompt in den Armen von Lukas' Tochter Lisa landete. Lukas schaute ein wenig skeptisch auf sein - von ihrem unerwarteten Fang - sichtlich geschmeicheltes Töchterchen, aber Yelena zwinkerte ihm nur zu und flüsterte: "Keine Sorge! Deine kleine Mädchen sein schon alt genug für Heiraten. Können ja nicht warten alle solang wie Du und ich mit Glück auf Erde!". Lukas nickte schmunzelnd: "Was für eine weise alte Dame ich mir da doch angelacht habe!". Yelena kniff ihrem Gatten daraufhin augenzwinkernd in die Seite und flüsterte: "Du aufpassen! Ich Dir heut nacht noch zeigen, wer oder was hier sein alt!". Lukas aber ergriff nur wortlos ihre Hand und zog sie mit sich - durch all die Menschen hindurch die Stufen der Treppe herab, hin zu seinem Freund George, der dort bereits mit einem weißen Tandem auf die Brautleute wartete. Das drahtige Gefährt hatte an seinem hinteren Sattel ein Schild mit dem Schriftzug "Just Married" angeschraubt. Und am Gepäckträger baumelte eine Schnur, an derem anderen Ende ein halbes Dutzend Blechbüchsen befestigt war. Lukas bedeutete seiner verdutzten Gemahlin, hinten auf dem Sattel Platz zu nehmen. Ohne zu zögern, raffte sie ihr langes Brautkleid beim Aufsteigen ein wenig zusammen und klemmte es vorsichtig im Gepäckträger ein, damit es beim Fahren nicht in die Speichen geraten konnte. Vor ihr nahm nun auch der Bräutigam auf dem vorderen Sattel platz und trat sogleich - im Einklang mit seiner Braut - kräftig in die Pedale. Laut scheppernd setzte sich das Hochzeitstandem in Bewegung. Dabei hauchte Yelena ihrem Mann zärtlich fragend ins Ohr: "Wohin die Reise denn sollen gehen?". Ihr Vordermann aber tat nur äußerst geheimnisvoll: "Na, da laß Dich mal überraschen, Misses Svensson!".
Eine halbe Stunde später befanden sich die beiden frischgebackenen Eheleute mitten im Londoner Hydepark. Die herbstliche Sonne strahlte durch die schattenspendenden Kronen der zahlreichen Bäume hindurch, und die Vögel in ihren Ästen zwitscherten vergnügt. Braut und Bräutigam saßen händchenhaltend auf einer Parkbank in unmittelbarer Nähe eines Imbißwagens und hielten je einen Hot Dog in ihren freien Händen. Yelena Svenssons Augen waren weit geöffnet, und sie konnte sich scheinbar gar nicht satt sehen am Anblick des wundervollen bunten Herbstlaubs, welches den Erdboden des riesigen Parks nahezu komplett bedeckte. Lukas Svensson aber blinzelte zur gleichen Zeit in den pardiesisch blauen Himmel über ihnen und atmete voller Wonne die herrlich frische Herbstluft in sich ein. Neugierig fragte er dabei seine Angetraute: "Sag mal, mein Schatz, was hat Dir eigentlich mein amerikanischer Freund Jack da am Altar ins Ohr geflüstert?". Yelena schwieg einen Augenblick lang. Ihr Blick löste sich dabei vom Erdreich und wanderte unumwunden in das sonnenbeschienene, strahlende Antlitz des geliebten Mannes an ihrer Seite. Lukas hatte unterdess für sich beschlossen, daß der Himmel noch warten konnte, und schaute nun ebenfalls zu seiner Frau herüber. Ihre Blicke fanden sich, und in der intensiven Begegnung ihrer blauen und braunen Augenpaare schienen für einige Sekunden Himmel und Erde miteinander zu verschmelzen. Und nun endlich lüftete Yelena das kleine Geheimnis, das bislang nur sie und ihr charmanter amerikanischer Brautführer geteilt hatten: "Jack haben mir gratuliert zu Dir und umgekehrt. Er sich sehr geehrt gefühlt haben, daß er mich dürfen begleiten anstelle von Vater von Braut. Er haben uns gewünscht alles Glück auf ganzes Welt. Und er haben gesagt, er hoffen, daß es sein kein schlechtes Omen für Ehe von uns Beiden, wenn er mich bringen zu Altar, wo er doch immer wieder haben soviel Unglück, was betreffen längere Beziehung zu weibliches Geschlecht. Und dann er noch haben gemeint, daß ich genauso herrlich und unbeschwert lächeln wie früher sein Teri". Lukas nickte: "Ja, der gute alte Jack. Die Bekanntschaft mit ihm hat vieles in meinem Leben verändert. Sein unbeugsamer Wille, stets das Richtige tun zu wollen, auch wenn er einen nahezu übermenschlich hohen Preis dafür zu zahlen hat, beeindruckt mich immer aus Neue. Wie viel hat er dabei verloren?! Seine Frau, sein ungeborenes Kind, viele seiner Freunde und Kollegen. Und auch, wenn er dabei viele Male in den Abgrund seiner irdischen Existenz schaute, so kämpfte er doch letztendlich immer weiter - für sein Land, seinen Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit und für die Menschen, die er liebt. Denn seien wir doch mal ehrlich: Es gibt kaum ein größeres Verbrechen, als nicht kämpfen zu wollen, wo man kämpfen muß. Ja, liebste Yelena, ich verneige mich voller Ehrfurcht und Respekt vor diesem Mann und bin stolz, ihn meinen Freund nennen zu dürfen". Sichtlich gerührt von der Ansprache ihres Gatten streichelte Yelena über dessen rechte Wange und fing dabei mit ihrem Handrücken eine herunterlaufende Träne ab. Sie mochte ihren Lukas an diesem Freudentag nicht weinen sehen, und so suchte sie rasch nach einer Möglichkeit, ihn aufzuheitern. Ihr Blick fiel dabei unvermittelt auf den Hot Dog in ihrer Hand, und sie sprach lächelnd: "Ja, nun wir sein also hier in großes öffentliches Park an Tag von unseres romantisches Hochzeit. Und das also sein Dein Vorstellung von großes Hochzeitsbuffet. Heißes Wurst in Mantel aus Teig, verfeinert mit Sauce von erpreßte Tomate?!". Lukas lächelte verschmitzt, dann biß er noch einmal herzhaft in seine Wurstsemmel und erwiderte kaum verständlich: "Nun ja, hier hat schließlich alles angefangen mit uns, damals am Tag meines zehnjährigen Dienstjubiläums als Yardinspektor. Erinnerst Du Dich noch?". Yelena nickte entschlossen: "Natürlich, wie ich könnte das je vergessen?! Du und ich mit Eis in Hand. Du gekleckert, ich geschleckert! Und ich damals schon haben gewußt, daß Du sein mein. Dein Lächeln und Deine Hände, Deine Augen und Deine Lippen! Alles mir schon an dieses Nachmittag sein so vertraut gewesen. Und ich schon gewußt haben, daß ich lieben Dich, noch bevor ich überhaupt haben Dich richtig gekannt. Du und ich - das sein gewesen Schicksal göttliches! Das sein Bestimmung! In gutes wie in schlechtes Tage, bis daß Tod scheiden uns!". Unbemerkt von den beiden frisch angetrauten Turteltäubchen hatte sich ihnen unterdess aus einem naheliegenden Gebüsch heraus ein dunkel gekleideter Mann genähert, der sein Gesicht unter einem tief heruntergezogenen Basecap zu verbergen suchte. Er schlich langsam auf die beiden Svenssons zu und umklammerte dabei mit beiden Händen krampfhaft ein schwer zu identifizierendes längliches Objekt. Nur noch wenige Schritte trennten ihn vom Brautpaar, als der Unbekannte unvermittelt stehenblieb. Ein dumpfer Knall durchbrach die Stille der Parklandschaft und ließ die aufgeschreckten Vögel aus den Baumkronen hochflattern. Lukas aber - der sich im selben Moment gerade zu Yelena hinübergebeugt hatte, um sie zu küssen - griff sich unvermittelt an die kahle Stirn, wo er deutlich einen stechenden Schmerz registrierte. Etwas hatte ihn am Kopf getroffen. Und während er sichtlich benommen mit seinen Fingern die Umgegend der schmerzenden Stelle abtastete, erblickte er auf Yelenas schneeweißem Brautkleid unmittelbar vor sich in Brusthöhe zu seinem blanken Entsetzen einen großen, häßlichen roten Fleck.
Es dauerte ein Weilchen, bis Lukas begriffen hatte, was hier soeben geschehen war. Vor ihm kniete sein Freund Yusuf mit einer überschäumenden Magnumflasche Sekt in der Hand und bat händeringend: "Tschüldigung, Chef! Ich hab nix auf Dich schießen wollen. Der Korken ist bei der ganzen Schüttelei einfach so rausgeflogen und direkt an Deine großflächige Denkerstirn. Tut mir leid! Vor allem, daß vor Schreck von Deinem Hot Dog ein bißchen Ketchup auf das Kleid Deiner Frau getropft ist. Was für ein Unglück!". Der Ex-Inspektor schaute Yusuf noch immer ein wenig grimmig an, während er sich weiter die Stirn rieb. Schließlich aber winkte er lächelnd ab: "Ich bin sicher, meine Yelena kriegt den doofen Fleck wieder raus!". Die Svenssonbraut besah sich die betroffene Stelle an ihrem Hochzeitskleid genauer und nickte schließlich zustimmend. Svensson aber klopfte dem betrübten Yusuf freundschaftlich auf die herabhängende rechte Schulter: "Na also! Schwamm drüber! Und das im wahrsten Sinne des Wortes!". Yusuf hob kurz den gesenkten Kopf und schmunzelte. Doch nur für einen Augenblick, dann murmelte er erneut sichtlich bedrückt: "Aber so ein Fleck auf dem Brautkleid bedeutet doch immer Unglück, weißt Du?!". Lukas schaute seinem Freund tief in die traurigen Augen und schüttelte dabei energisch den Kopf: "Mensch, Alder! Laß bloß den Scheißendreck-Aberglaube! Und jetzt Schluß mit Kopfzerbrechen! Alles was zählt, ist schließlich die gute Absicht dahinter und daß Du hier bist! Und außerdem habe ich genau diesen roten Fleck auf dem weißen Kleid bereits vor ein paar Tagen im tiefsten Rußland in einer Art visionärem Traum vorausgesehen. So, und genau darauf stoßen wir jetzt an, auf die Erfüllung all unserer Träume und auf meine Eheschließung mit der tollsten Frau, die ich mir vorzustellen vermag!". Mit diesen Worten stand er auf und ließ sich vom Pächter des Imbißes drei Plastikbecher reichen, die Yusuf umgehend mit dem mitgebrachten edlen Sprudelwasser befüllte. Die Drei stießen an, tranken ihre Becher in einem Zuge aus und füllten sofort wieder nach. Das Ganze wiederholten sie solange, bis die große Sektflasche restlos geleert war. In diesem Moment fiel Svenssons bereits leicht verklärter Blick auf Yussufs Armbanduhr, deren kleiner Zeiger inzwischen der Fünf des zugehörigen Ziffernblatts bedrohlich nahekam. Entgeistert sprang er von seinem Sitzplatz auf und rief: "Du meine Güte, wir kommen wegen unserem kleinen nicht geplanten Umtrunk hier am Ende noch zu spät zur Taufe von Klein-Luke". Yusuf aber zügelte die Aufregung seines Freundes: "Keine Panik, Chefe! Guckst Du da hinten um die Ecke am Parktor! Da wartet schon Euer Chauffeur George mit einem extra für Euren großen Tag angemieteten schneeweißen Rolce Royce auf Euch Beide. Und was Euren Doppeldrahtesel angeht, den schieb ich derweil ganz in Ruhe nach Hause. Wir sehen uns ja dann heute abend im 'My Redemption' wieder zur großen Hochzeitsfeier". Lukas schüttelte Yussuf kräftig die Hand: "Ja, klar! Darauf freu ich mich schon. Und danke für die unvergeßliche Überraschung mit dem feucht-fröhlichen Blitzangriff hier, mein Freund!". Der türkischstämmige Schrankenwärter aber schaute ein wenig verlegen zu Boden und stammelte: "Wozu hat man denn schließelich Freunde?!". Als er den Kopf wieder zu heben wagte, waren Lukas und Yelena samt Chauffeur George und seinem Luxusschlitten längst über alle Berge verschwunden.
In der kleinen Vorstadtkapelle wartete man schon recht ungeduldig und nervös auf das Eintreffen des noch fehlenden Taufpaten. Umso erleichterter waren Cathrin Napolitani, ihre Freundin Jane und der kleine Luke, als der weiße Traumschlitten mit Lukas und Yelena an Bord endlich fast auf die Minute genau vorm Eingang hielt. George entstieg in standesgemäßer Chauffeurstracht eilends dem noblen Gefährt und öffnete dessen Hintertür, so daß nun auch Yelena und ihr Bräutigam unter dem Beifall der staunenden Anwesenden aussteigen konnten. Hand in Hand begab sich das Paar ins Innere des kleinen Kirchengebäudes und dort wiederum schnurstracks zum Taufbecken. Yelena postierte sich ein wenig abseits, während ihr Göttergatte unmittelbar neben Lukes Mutter Jane Aufstellung nahm. Dann hatte einmal mehr an diesem denkwürdigen Tag ein Mann der Kirche das Wort: "Lieber Täufling, lieber Pate, liebe Eltern, werte Anwesende. Mit dem symbolischen Akt der Taufe nehmen wir als Christen einen Menschen als neues Mitglied in unsere Gemeinschaft auf. Wir stellen ihn damit unter den besonderen Schutz und die Obhut unseres lebendigen Gottes. Er muß fortan nicht mehr einsam durchs Leben gehen. Nein, er darf Jesus Christus sowie als dessen irdische Vertreter seinen Paten im Besonderen und die Gemeinde im Allgemeinen an seiner Seite wissen, die ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen werden und darauf Acht geben mögen, daß er durch alle Irrungen des Lebens hindurch stets den rechten Weg beschreitet. Der Täufling selbst erkennt in seiner Taufe an, ein Geschöpf Gottes zu sein. Er bekennt seinen festen Glauben an Jesus Christus, dessen Tod am Kreuz ihn vor Gott von all seinen menschlichen Verfehlungen freispricht und ihm das ewige Leben an der Seite seines himmlischen Vaters ermöglicht. Die symbolische Handlung der Taufe macht dem Täufling zugleich das wertvolle Geschenk des Heiligen Geistes, der ihm das Wort Gottes und damit auch das Wort vom Kreuz verständlich machen wird, auf daß er sein ganzes weiteres Leben mit Gottes Hilfe danach auszurichten vermag!". Damit bat Pfarrer John Baptist den kleinen Luke, seinen Kopf über das Taufbecken zu neigen. Und nachdem dieser dem Wunsch nachgekommen war, schöpfte der junge Geistliche mit der rechten Hand Wasser aus jener steinernen Schale und ließ es über den Hinterkopf es Täuflings fließen. Dazu redete er: "Ich taufe Dich hiermit im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Dein Taufspruch aber sei das Wort aus dem Buche des Propheten Jesaja Kapitel 43 Vers 1: 'Ich, der Herr, habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein!'. Und so sollst nun auch Du ganz dem Herrn gehören, der Dich bei Deinem Namen gerufen hat ... Dich, Luke Webster!" ...
[Wird fortgesetzt]
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