DAS FLITTERWOCHEN-TAGEBUCH DES LUKAS SVENSSON
Eintrag 15
Nach einer längeren Pause geht es nun weiter für mein dynamisches Svensson-Duo. Dabei aber kommt es - wie so oft im Leben - erstens anders, und zweitens als geplant. Und dennoch resultieren gerade daraus ein paar weitere nette Schnittpunkte mit US-Serien-Highlights aus meinen Jugendtagen. Meine bescheidene Art eben, an dieser Stelle einmal DANKE zu sagen für die vielen Stunden wundervoller kurzweiliger wie auch lehrreicher und meine Lebenseinstellung gleichsam prägender Unterhaltung ...
03. Oktober 2009. New York, New York. Part I.
Wer nun glauben sollte, daß wir nach einem gemütlichen Flug von etwa 18 Stunden einfach so an der Westküste der Vereinigten Staaten gelandet wären, der irrt sich gewaltig. Nein, wir haben den betreffenden Flug nämlich gar nicht erst angetreten. Und das kam so: Etwa eine Minute vor der anberaumten Abflugzeit ertönte aus dem Lautsprecher in unserer Maschine folgende Durchsage: "Ladies und Gentlemen! Hier spricht Kapitän Nelson. Zu meinem Bedauern muß ich Ihnen mitteilen, daß uns soeben vom Tower her bekannt gegeben wurde, daß auf einem benachbarten Rollfeld vor wenigen Minuten eine Landmine entdeckt wurde. Da deren Entschärfung und die gründliche Überprüfung des Flugfelds auf mögliche weitere Minen sicher einige Stunden in Anspruch nimmt, sind alle Flüge von hieraus mit sofortiger Wirkung auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Wir möchten Sie im Namen unserer Gesellschaft 'Free Mandela Airlines' bitten, unser Flugzeug umgehend zu verlassen und sich zurück ins Flughafengebäude zu begeben. Die Angestellten dort stehen Ihnen dann gern für weitere Informationen zur Verfügung. Vielen Dank für Ihr Verständnis und eine Gute Weiterreise!".
Es vergingen nur wenige Minuten, dann standen wir wieder vor der jungen Frau am Schalter in der Flughafenhalle, die uns mitteilte, daß man noch nicht abschätzen könne, wann der Flugverkehr wieder aufgenommen werde. Womöglich würde es Stunden, unter Umständen gar ein bis zwei Tage dauern. Man könne uns lediglich anbieten, in einem Shuttlebus ins südafrikanische Johannesburg zu reisen und von dort unseren Flug anzutreten. Die Busfahrt dauere allerdings etwa 16 Stunden und führe durch recht unwegsames und auch nicht ganz ungefährliches Gelände. Desweiteren böte sich noch die Gelegenheit, entweder im Flughafengebäude auszuharren oder aber vom nahegelegenen Binnenhafen Jumanjis auf dem Kreuzfahrtschiff "Afroamerican Princess" nach New York mitzufahren. Die Überfahrt auf jenem auch "Love Boat" getauften Luxusliner dauere allerdings gute 4 Tage. Viele der Miteisenden entschieden sich fürs Ausharren, lediglich zwei Glücksboten einer Lotteriegesellschaft - einer Bankangestellter und der andere vom Fiskus - namens Flaherty und Rush, die hier in Jumanji einem gerade erst aus Amerika zurückgekehrten Jungen namens Willie seinen Gewinn überbracht hatten, waren abenteuerlustig genug, für die Heimreise den Bus nach Johannesburg zu wählen. Yelena und mich hingegen reizte die Schiffsreise, und so brachte uns ein Flughafenangestellter auf Geheiß der freundlichen Schalterdame zur etwa 6 Kilometer entfernt gelegenen Anlegestelle der "Afroamerican Princess".
An Bord empfing uns die komplette Besatzung, die übrigens selbst erst vor kurzem hier angeheuert hatte, nachdem ihr alter Kreuzer in den Ruhestand geschickt worden war. Da waren zum einen der Captain Merrill und seine Kreuzfahrtmanagerin Julie, dann Zahlmeister Gopher und Barkeeper Isaac. Um das Wohlergehen der Passagiere aber kümmerte sich der Schiffsarzt, welcher meiner Frau beim Willkommenheißen mit einem Handkuß augenzwinkernd gleich das Adam anbot. Die viertägige Reise über den Atlantik verging für uns im Anschluß quasi wie im Fluge. Morgens genossen wir von den Liegen auf dem Sonnendeck aus in dicke Decken eingehüllt händchenhaltend ein paar atemberaubende Sonnenaufgänge, vormittags spielten wir mit Julie und Vicki, der Tochter des Captains, Mensch-Ärgere-Dich-Nicht und Mau-Mau, oder wir verzockten gemeinsam mit dem Doc ein paar imaginäre Millionen in Chipform bei Hobbycroupier Gopher am Roulettetisch. Unser Mittagessen nahmen wir in nahezu ungestörter Zweisamkeit bei sanfter Musik eines dezent im Hintergrund agierenden Streichquartetts im Dinnerroom ein. Anschließend aber trafen wir uns mit Vicki und ihrem Vater auf der Brücke, wo uns der Captain hinter dem Steuer seines erstklassigen Luxusdampfers mit ein paar schönen Geschichten über all die prominenten Gäste beglückte, die er über all die vergangenen Jahre bereits bei sich an Bord begrüßen durfte. Auch ein paar britische Landsleute seien schon dabei gewesen, erst auf der letzten Reise beispielsweise Kate Winslet und Ronan Keating, die am letzten Abend sogar im Duett vereint "When You Say Nothing At All" gesungen hätten. Und Töchterchen Vicki säuselte mir ergänzend zum Vortrag ihres Daddys noch höchstvertraulich ins aufnahmewillige Ohr, daß sich die beiden Künstler beim anschließenden Vollmondspaziergang an Deck schon noch allerhand zu sagen gehabt und sich in der anschließend unter Deck in Mister Keatings Kabine gemeinsam verbrachten Nacht wohl auch noch recht lang angeregt unterhalten haben dürften. Im weiteren Verlauf des Nachmittags planschten Yelena und ich dann meist stundenlang ausgelassen unter Deck im beheizten Swimmingpool und ließen uns anschließend von Isaac an der Bar ein paar coole Drinks mixen. Abends speisten wir dann gemeinsam mit dem Captain an seiner Tafel, bevor wir uns mit einer Flasche Sekt und einem Glasschälchen Erdbeeren in unsere lauschige Kajüte zurückzogen, wo wir zum Antritt einer meist ebenso sehr bewegten wie auch bewegenden Nacht noch rasch das "Do Not Disturb"-Schildchen heraushängten.
Am dritten Tage des Monats Oktober anno 2009 gegen 18.15 Uhr Ortszeit erspähten wir am Horizont schließlich die Freiheitsstatue, deren brennende Fackel unserem Schiff in der längst über uns hereingebrochenen Dämmerung gleichsam einem Leuchtturm den rechten Weg in den sicheren Hafen wies. Aber auch unzählige andere kunterbunte Lichter hießen uns als Gäste in New York willkommen. Zwei von ihnen strahlten dabei besonders imposant vom Boden aus säulenartig in neonblau hoch in den Abendhimmel hinauf. Als meine Yelena Captain Merrill zu ihrem Ursprung befragte, senkte sich dessen schütteres Haupt schlagartig und traurig murmelte es ihr entgegen: "Dort ragten noch bis vor 8 Jahren die Twin Towers des World Trade Center empor. Bis zu jenem unsäglichen 9/11, an dem unter anderem auch unser ehemaliger Schiffsfotograf Ace bei den terroristischen Anschlägen während seines touristischen Aufenthalts im Nordturm umkam". Eine Minute lang herrschte völliges Schweigen an Bord. Dann zog der Captain eine Kreuz-Ass-Spielkarte aus seinem Ärmel hervor und ließ sie über die nahegelegene Reling sanft ins darunterliegende Fahrwasser gleiten, wozu seine bewegten Lippen ein stummes "Goodbye Ace!" zu formen schienen. Und seine inzwischen hinzugetretene Tochter Vicki hauchte mir leise ins Ohr: "Das tut er seit jenem 11.September 2001 jedesmal, wenn wir mit einem unserer Schiffe den New Yorker Hafen ansteuern".
An eben jenem Hafen ging unser tonnenschwerer Kreuzfahrer dann auch bereits wenige Momente später vor Anker und schickte sich an, uns über eine von ein paar New Yorker Hafenarbeitern rasch angelegte Gangway nach eingehender Prüfung unserer Papiere und des von uns mitgeführten Reisegepäcks aufs Festland auszusetzen. Ich mußte in dem Moment, da mein Fuß im Rücken der Statue of Liberty erstmalig amerikanischen Boden betrat, unweigerlich all an jene denken, die mir mit diesem Schritt am nahezu gleichen oder aber auch etwas entfernten Ort in der Vergangenheit aus unterschiedlichsten Beweggründen vorausgingen: die Pilgerväter des Jahres 1620 mit ihrem Schiff "Mayflower", jene vom Lockruf des Goldes im 19.Jahrhundert aus der "alten Welt" angespülten Schatzsucher oder aber auch die vor dem Naziregime aus Deutschland geflüchteten jüdischen Menschen der 30er und 40er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Und so wurde aus meinem, an sich so kleinen, für die Menschheit gänzlich unbedeutenden Schritt für mich persönlich ein großer, bedeutsamer. Leider aber eben auch einer, der mich an einem kleinen Stolperstein Anstoß nehmend ins Straucheln geraten und rückwärts lang hinschlagen ließ. Der große schwarze Lederkoffer, den ich bis dato fest in meiner linken Hand gehalten hatte, machte sich selbständig und rutschte über den Rand der Gangway hinweg an der Kaimauer entlang in die Tiefe. Der anschließend folgende, harte Aufprall auf dem Wasser des Hafenbeckens aber ließ zunächst beide Kofferschlösser wie unmittelbar darauf auch den Koffer selbst aufspringen. Alsbald verteilten sich vor meinen Augen unsere darin enthaltenen, sämtlichen Kleidungsstücke schwimmend an der Wasseroberfläche, während sich die sie bislang in sich beherbergende Lederhülle langsam hinabsinkend auf den mit bloßem Auge unergründlichen Grund des Hafenbeckenbodens verabschiedete. Nahezu die gesamte Crew der "Afroamerican Princess" bemühte sich sogleich, mit beigebrachten langen Enterhaken bewaffnet, um die Bergung des umfangreichen Inhalts unserer soeben Aufnimmerwiedersehen abgesoffenen Klamottenkiste. Lediglich Schiffsdoc Adam sorgte sich in jenem Augenblick weder um unsere Kleidung noch um mein Wohlbefinden, sondern einzig und allein um eine womöglich unterschwellig hervorgerufene, mental konditionierte Psychotraumatisierung bei meiner Gattin - wie er es bei gleichzeitig intensivem Abtasten ihres gesamten Körpers unter besonderer Berücksichtigung hervorstechender Regionen mit leicht beschlagenen Brillengläsern in formvollendetem Medizinerlatein formulierte.
Yelena hingegen entzog sich, von meinem Sturz seelisch weitaus weniger schockiert als von seinen eingehenden Untersuchungsmethoden, seinem Zugriff und half mir mit eben selbigem ihrerseits rasch wieder auf die Beine. Und siehe da, nun kümmerte sich der Doc - dem Antrieb des von ihm geleisteten hypokratischen Eids letztlich doch wieder mehr folgend als irgendeinem anderen Trieb - auch um mich. Fachmännisch versorgte er die unter meinem am Rücken gleich mehrfach aufgerissenen Baumwollpullover zahlreich zu Tage tretenden Abschürfungen entlang der Wirbelsäule wie auch meine beim Sturz angeschlagenen Ellenbogen. Und meine Yelena stand ihm dabei hilfreich zur Seite. Aus momentaner Ermangelung brauchbaren Verbandsmaterials riß sie sogar kurzerhand, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, die mit einem Ruck abgetrennten Ärmel ihrer weißen Bluse der Länge nach in Fetzen und umschlang damit liebevoll meine schmerzenden, blutenden Gelenke. Inzwischen hatte der Rest der Schiffsbesatzung auch all unsere Kleidungsstücke aus dem Wasser gefischt. Und Zahlmeister Gopher versprach uns, sie umgehend zum Waschen und Trocknen an Bord zu bringen, von wo wir sie dann in ein paar Stunden - von ihm eigenhändig frisch gebügelt - vor unserem Weiterflug jederzeit wieder abholen könnten. Und ganz sicher würde sich bis dahin im Geschenkeshop der "Überseeprinzessin" auch noch ein neues "Lederetui" zur Aufbewahrung unserer Leibwäsche finden. Auch den zweiten Koffer gaben wir beim Zahlmeister zur Aufbewahrung ab. Kreuzfahrtmanagerin Julie aber rief uns noch schnell ein Taxi, und dann verabschiedeten wir uns von der sechsköpfigen stets hilfsbereiten Crew unseres ganz persönlichen "Love Boats" fürs Erste zu einem ausgedehnten "Landgang".
Der führte uns angesichts unserer stark in Mitleidenschaft gezogenen Bekleidung und der Tatsache, daß es bis zum Eintreffen unseres Yellow Cab Taxis wohl noch ein Viertelstündchen dauern würde, direkt in einen nahegelegenen Kostümshop mit dem klangvollen Namen "TITAN I.C.", welchen Yelena in Sichtweite von unserer Anlegestelle erspäht hatte. In jenem äußerst geschmackvoll eingerichteten, geräumigen Etablissement aber erwartete uns nun eine erlesene Auswahl historischer Kostüme. Der Ladenbesitzer, ein gewisser Mister Cameron, musterte uns bei unserem Eintreten kurz, dann enteilte er sofort in seine Privaträume und kehrte von dort nur Sekunden später mit mehreren, über beiden im rechten Winkel vorgehaltenen Unterarmen abgelegten Wäscheteilen zurück. Mit leicht kanadischem Akzent erklärte er dabei: "Entschuldigen Sie bitte, Madame et Monsieur, aber für ein schiffbrüchiges Paar wie Sie Beide gibt es in meinen Augen einfach keine andere Wahl als diese hier!". Und unter Vorhaltung seines linken Unterarms präsentierte er Yelena mit dem breiten Grinsen eines frischgebackenen Oscarpreisträgers bei der alljährlichen Verleihung der Academy Awards sein Modell "Red Rose" - ein glitzernd blaues Kostüm, bestehend aus einem langen, in Falten gelegten Samtrock und einer mit Blumenaplikationen verzierten Satinblusenjacke, die in Hüfthöhe mit einem blauen Seidenschal in der Art eines Gürtels mehrfach unwickelt wurde. Abgerundet wurde das elegante Outfit von einem kunstvoll bestickten weißen Baumwollhemdchen zum Daruntertragen und einer goldfarbenen Seidenstola mit Häkeleien zum Darüberhängen. Mit seiner Rechten hingegen streckte er mir einen schwarzen Smoking, ein weißes Seidenhemd und eine gleichfarbige Fliege sowie einen langen dunkelgrauen Filzmantel entgegen - das Modell "Black Jack". Rasch überantwortete er uns sämtliche Kleidungsstücke, verwies auf die beiden Umkleidekabinen im Seitenschiff des Ladens und erklärte, nachdem wir vollständig umgezogen wieder vor ihm erschienen waren, sichtlich zufrieden: "Meine Hochachtung! Echt hollywoodreif, die Herrschaften! Also, ich würde mal sagen, Sie übergeben mir ihre verschlissenen Sachen als Pfand und ich überlasse Ihnen mein Outfit im Gegenzug leihweise für die nächsten 3 Stunden und 14 Minuten zum Preis von 19,97". Wir schlugen ein und begaben uns anschließend schnurstracks zu unserem soeben vorm Laden eingetroffenen Taxi.
Im Yellow Cab mit der Nummer 14 kutschierte uns unser knopfäugiger Chauffeur namens Ted auf unser Geheiß hin zu jener Adresse, wo unser Freund und Brautführer Jack derzeit lebte - dem Hotel "Arthur Haileys" am entgegengesetzten Ende der Großstadt New Yorks. Aus dem Autoradio dudelte uns einen Moment später passenderweise Stings "An Englishman In New York" entgegen, in dessen Refrain davon die Rede war, daß man sich als Engländer hier in der Stadt des Big Apple quasi stets wie ein Außerirdischer fühle. Und tatsächlich hatte diese Metropole bei genauerer Betrachtungsweise irgendetwas Fremdartiges an sich. Man fühlte sich selbst so unheimlich unscheinbar, verloren und winzig, denn alles an Gebäuden um einen herum war irgendwie doppelt so groß und doppelt so hoch wie zuhause im guten alten London. Möglicherweise hieß Frank Sinatras wohlvertraute Hymmne auf die Stadt deshalb ja auch nicht nur einfach "New York", sondern eben "New York, New York". Übrigens hatte der alte Frankieboy ganz recht, wenn er im gleichen Song praktisch im selben Atemzug von einer Stadt sprach, die niemals schläft. Selbst jetzt, da die Dunkelheit in rasantem Tempo über die Ostküste Amerikas hereinbrach, war es im Innern New Yorks angesichts der Flut an überdimensionalen Leuchtreklamen, grellen Scheinwerfern, hell erleuchteten Fenstern und bunten Lichtern unverändert taghell. Besonders traf das auf den Time Square zu, an dem ich die Zeit ohne mein stets griffbereites Taschenchronometer wohl eher auf 12 Uhr mittags, also High Noon, geschätzt hätte als auf die fast sieben Stunden spätere, auch hier gültige Eastern Standard Time.
Sting hatte unterdess seinen knapp viereinhalbminütigen musikalischen New-York-Trip beendet, und unser Fahrer den Lautstärkeregler des in die Konsole eingebauten Radioempfängers ein wenig gedrosselt, um sich mit brubbelndem Baß über sein Funkgerät bei seiner Taxizentrale zu melden: "Hier Teddy Bear Eins-Vier! Befinde mich zur Zeit in Höhe Time Square und steuere jetzt den Broadway in Richtung 'Arthur Haileys' an". Kaum hatte er sein Walky-Talky wieder zur Seite gelegt, da erzählte uns der bislang so schweigsame Herr unaufgefordert in gebrochenem Englisch, daß er Exilkubaner sei und ungewollt aus der Urlaubsliebschaft seiner in Havanna als Bardame arbeitenden Mutter Juanita mit einem verheirateten DDR-Touristen hervorgegangen. Seinem ostdeutschen Vater, den er selbst allerdings nie kennengelernt habe, würde er auch seinen eigentlichen Vornamen Theodor verdanken. Im Alter von 18 Jahren sei er dann bei Nacht und Nebel an Bord eines Fischkutters in die Staaten geflohen und habe dort letztlich erfolgreich um politisches Asyl ersucht. Er berichtete von all den bürokratischen Hürden, die es dabei zu überwinden galt und die einem dabei alles in allem ebenso hoch vorkamen wie die Wolkenkratzer, die rechts und links unaufhörlich an seinem Taxi vorbeisausten. Irgendwann endete sein spannender Bericht abrupt, und er brachte sein gelbes Gefährt zum Stehen, wozu er sich kurzerhand zu uns umdrehte und verkündete: "Senora y Senore, wir sind am Ziel! Zu Ihner Rechten eröffnet sich Ihnen der Haupteingang zum 'Arthur Haileys'". und mit einem kurzen prüfenden Blick zum noch laufenden Taximeter ergänzte er wie aus der Pistole geschossen: "Das macht dann 60 Dollar. Oder umgerechnet: 37 Englische Pfunde und 69 Pennys die Lady und der Gentleman beziehungsweise 41 Euro und 13 Cent die Dame und der Herr!". Ich drückte Ted neben dem eigentlichen Betrag einen großzügigen Tip bar in die Hand und bat ihn, noch ein paar Minuten in der Hoteleinfahrt auf uns zu warten.
Ich stieg aus und lief einmal ums Taxi herum, wo ich meiner persönlichen First Lady mit tiefer Verbeugung die Tür aufhielt. Lächelnd entstieg Yelena mit einem ihrer atemberaubenden Lächeln dem Wageninnern. Ich ließ die Tür umgehend in ihr Schloß fallen und reichte meiner Herzdame die dabei freigewordene Rechte, an der ich sie nunmehr durch die uns vom Pagen weitaufgehaltene Eingangspforte standesgemäß ins riesiggroße, prunkvoll gestaltete Hotelfoyer geleitete, hin zum mahagonihölzernen Empfangstresen, hinter welchem uns ein älterer Herr mit quergestreifter Seidenkrawatte, schwarzem Maßanzug und einem gepflegten grauen Vollbart - der eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit Hollywoodschauspieler James Brolin aufwies - lächelnd begrüßte: "Guten Abend, die Herrschaften! Herzlich willkommen im 'Arthur Haileys'! Mein Name ist Peter. Was kann ich für Sie tun?". Ich nannte ihm den Familiennamen meines Freundes Jack und bat ihn um dessen Zimmernummer. Der gezückte rechte Zeigefinger des schwarzen Peter überflog daraufhin, stets dicht gefolgt von seinen weit aufgerissenen Augen, das vor ihm liegende handgeschriebene Gästebuch. Am allerletzten Eintrag auf der letzten beschriebenen Seite jenes Büchleins angelangt, schüttelte er das greise grauhaarige Haupt mehrfach auffällig hin und her und verkündete mit brüchig werdender Stimme: "Ich bedaure zutiefst, mein Herr! Aber der von Ihnen gesuchte Gast weilt leider Gottes inzwischen nicht mehr unter uns!". Mein Herz muß in diesem Moment wohl schlagartig stillgestanden haben, und auch sonst erstarrte einfach alles in mir. Oh Gott, nein! Das konnte doch nicht wahr sein. Er war doch noch vor ein paar Tagen Yelenas Brautführer gewesen. Klar, natürlich hatte er uns von dem Biokampfstoff erzählt, dem er bei seinem letzten Einsatz ausgesetzt gewesen war und von den schrecklichen Auswirkungen, die das auf ihn hatte. Auch von dem künstlichen Koma, in das man ihn versetzt hatte, bis seine Tochter mit einer Stammzellenspende quasi in letzter Sekunde das Leben rettete. Aber das alles war mittlerweile - so hatte er es uns während seiner Anwesenheit bei unseren Hochzeitsfeierlichkeiten doch selbst mehr als einhundert Mal glaubhaft versichert - längst überstanden und er quasi wieder völlig kerngesund. Überhaupt: Wie oft war dieser Mann denn schon dem sicheren Tod von der Schippe gesprungen?! Nein, es konnte und durfte einfach nicht wahr sein, daß ausgerechnet er jenen Absprung diesmal nicht geschafft haben sollte! Und dennoch: Was hätte dieser Hotelangestellte denn für einen Grund, einen fremden Menschen wie mich einfach so anzulügen? Im Innern meines Kopfes herrschte urplötzlich düstere Leere, und meine Augäpfel überzog mit einem Male ein nicht endenwollender wäßriger Schleier.
Der graubärtige Schlipsträger vor mir bemerkte in diesem Moment sichtlich besorgt die bei mir eingetretene Wesensveränderung. Er erkannte zudem aus dem Augenwinkel heraus auch das bei Yelena spontan einsetzende und zur blassen Entsetztheit des eben noch so bezaubernd erstrahlenden Gesichtes passende Zittern ihrer Hände. Erst da ging ihm scheinbar ein Licht auf, und aufgeregt stotternd verkündete er: "No, Mam ... Pardon, Sir! ... Ich glaube, Mister, wir verstehen uns da völlig miß! ... Ihr Freund, unser ehemaliger Gast aus 24-7 ... er ist keineswegs ... also nicht so, wie Sie jetzt befürchteten ... Er ist halt nur gegangen ... im Sinne von abgereist ... Eben ganz plötzlich und unerwartet, direkt nach seiner Rückkehr aus England vor knapp einer Woche ... Aber er wirkte dabei sehr lebendig ... Verdammt lebendig, das kann ich Ihnen versichern ... Nun ja, allenfalls ein wenig verwirrt vielleicht ... Oder verstehen Sie etwa, was er meinte, als er bei gleichzeitiger Vergabe eines kolossalen Trinkgeldes an mich - völlig aus dem Häuschen erscheinend - abschließend erklärte, ein Bauer aus der Stadt der zwei Türme folge nun als springender Läufer einem Ruf der Königin aus dem Reich des Turmes?!". Langsam wieder zu mir kommend und mir die versiegenden Tränen mit dem Filzmantelärmel aus den rotumrandeten Augen reibend zog ich die gepolsterten Schultern hoch. Nein, auch ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim auf diese Bemerkung meines guten Freundes machen. Es war mir ein Rätsel! Aber egal! Hauptsache, er lebte! Ja, Gott sei Dank, Jack lebte! Und alles andere würde sich dann schon klären - irgendwie, irgendwo, irgendwann ...
[Wird fortgesetzt]
Abschließend hier nun noch der offizielle Soundtrack des New-York-Trips unserer beiden Engeländer in einer stimmgewaltigen 1A-Coverversion