TAG 5: 11.01.2013 [Teil 2]
Beim anschließenden Aufziehen meiner Vorhänge erwartet mich dann draußen vorm Fenster unerwarteter Weise eine Art himmlisches Abschiedsgeschenk. Denn über Nacht ist es nicht nur merklich kälter geworden - nein, es ist sogar ein wenig Schnee gefallen. Mein Gott, wie lange habe ich vergebens auf diesen Moment gewartet. Begeistert schnappe ich mir meine Kamera und verstaue sie rasch in der Jackentasche meines Anoraks, den ich mir daraufhin überziehe. Auf leisen Sohlen schlüpfe ich in meine hohen Winterschuhe und verlasse meine Unterkunft. Über die Treppe im Eingangsbereich des Gästehauses unternehme ich noch einen kurzen Abstecher ins erste Obergeschoß, wo ich die von mir am zweiten Tag auf mein Zimmer entführte Kaffeetasse samt Teelöffel in die dortige Teeküche zurückbringe, beides abwasche und ordentlich wegräume. Dann aber drängt mich das in meinem Innern immer stärker werdende Gefühl von Freude und Dankbarkeit beschwingten Schrittes die Treppenstufen hinab und durch die hölzerne Gästehauseingangstür mit der vieldeutigen Kreideaufschrift "20*C+M+B+13" unaufhaltsam hinaus ins Freie.
20*C+M+B+13 ... Die 20 am Anfang und die 13 am Ende stehen für das aktuelle Jahr 2013. Die Buchstabenfolge C M B steht zum einen für den lateinischen Segenswunsch "Christus Mansionem Benedicat" (Christus segne dieses Haus), zum anderen repräsentiert sie die drei Anfangsbuchstaben der Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar. Das Sternsymbol (*) weist auf den Stern von Bethlehem hin, welcher jene drei weisen Männer aus dem Morgenland laut biblischer Weihnachtsgeschichte zum Stall mit der Krippe und dem neugeborenen Jesuskind darin führte. Die drei Kreuze (+) aber verweisen auf den Hügel von Golgatha, wo der Herr Jesus Christus am Ende und Ziel seines irdischen Daseins am Karfreitag stellvertretend für die Schuld und Sünde der Welt zwischen zwei Verbrechern ans Kreuz geschlagen wurde. Wie auf einem Grabstein verdeutlichen somit Stern und Kreuz auch hier Geburt und Tod, Anfang und Ende - für einen Christenmenschen aber symbolisiert das Kreuz am Ende sogar noch etwas mehr: nämlich göttliche Vergebung und Neuanfang, Wiederauferstehung und ewiges Leben. Amen!
Jenseits der Tür erwarten mich eine herrlich weiße Schneelandschaft und ein mit jedem einzelnen Schritt immer farbenfroher werdendes Himmelszelt. Kühl ist die Luft, aber das stört mich zugegebenermaßen recht wenig, zumal sie eben nicht nur kühl, sondern auch wunderbar frisch ist. Das kleine Herz in meiner Brust pocht ganz aufgeregt, während ich die strahlend flockigweiße Erdenbedeckung an allen Ecken und Enden meiner zurückgelegten Wegstrecke innerhalb des Klostergeländes und im Halbrund um seine Außenmauer herum ausgiebig ablichte. An meinem üblichen Umkehrpunkt in Höhe des Klostergartentores angelangt, verharre ich diesmal einen Moment lang und lasse meinen Blick dabei dankbar und etwas wehmütig zugleich gen Himmel wandern. Ein einzelner Vogel zieht leise krächzend über meinen Kopf hinweg und bewegt sich dann mit ruhig sanftem Flügelschlag langsam in Richtung Klostereingangstor. Ich aber senke mein Haupt ehrfürchtig und tue es ihm dann gleich.
Verschneites Eingangstor zum Klostergarten
Zurück auf dem Klostergelände schlendere ich ganz gemütlich zur Haupthauspforte, die direkt vor meinen Augen nur wenige Sekunden später von einer freundlich lächelnden Schwester Agnes aufgetan wird. Der Frühstückstisch im Speisesaal ist bei meinem dortigen Eintreffen bereits wieder reichhaltig eingedeckt mit Brötchen und Brot, Butter, Wurst, Käse, Quark und Marmelade sowie mit zwei Kannen frisch gebrühtem Bohnenkaffee. Nach und nach trudeln auch all die anderen Gäste ein: das Ikonenmalerpärchen vom Vortag, die ältere Dame mit der Hörschwäche und selbstverständlich Karin. Letztere besorgt sich am Getränkeautomaten noch rasch einen frischgebrühten Tee, ebenso wie eine der beiden Ikonengestalterinnen, welche sich dazu noch ein kleines Schälchen Müsli zubereitet. All das dauert noch ein paar Augenblicke, dann aber sitzen wir gemeinsam zu Tisch, wo ich ein letztes Mal für uns alle zusammen das Tischgebet spreche. Im Anschluß lassen wir uns all das Bescherte, um dessen Segnung wir gerade im "Komm-Herr-Jesus" gebeten haben, in aller Ruhe schmecken lassen.
Von Schnee sanft umrahmter Teich auf dem Klosterhof
Karin erzählt mir nebenbei, daß ihr Sohn vor einiger Zeit bei ihrer Ankündigung, sie würde ins Kloster gehen, tatsächlich befürchtet habe, aus seiner Mutter würde jetzt eine Schwester werden. Und so flehte er sie förmlich an, sich das doch noch einmal zu überlegen, woraufhin sie ihn schmunzelnd über den Irrtum seiner Annahme aufklärte. Und sie berichtet mir quasi im gleichen Atemzuge auch, daß sie sich von den Ordensschwestern nach dem Frühstück zum Gemüseputzen mit einteilen lassen hat, wobei sie allerdings von vornherein gegen halb zehn eine kleine Auszeit beantragt habe, um einen gewissen Herrn Schindler vorm Haupthaus nach Hause verabschieden zu können. Eine kleine, große Geste, die mich natürlich sehr anrührt. Für Schwester Elisabeth, die schon seit einer halben Ewigkeit unter einer Art allergischem Reizhusten leidet, hat sie zudem ein paar Tropfen aus ihrer eigenen homöopathischen Reiseapotheke dabei. So ist sie eben, meine neue Bekannte! Ja, je länger und intensiver ich Karin kennenlerne, desto mehr wächst meine Hochachtung vor ihr und ihrer offenen, den Menschen zugewandten, lebensbejahenden Art. Trüge ich hier im Kloster einen Hut, ich würde ihn vermutlich unentwegt vor ihr ziehen!
Schneeberieseltes Klosterhauptgebäude
Während meine derart bemerkenswerte Klosterbekanntschaft dann nach Abschluß unseres gemeinsamen Frühstücks - zu dem sich übrigens mit ein wenig Verspätung auch noch der Herr Gastpfarrer gesellt hatte - ihren selbstauferlegten Küchendienst antritt, begebe ich mich noch einmal in mein Quartier und ergreife dort, selbst ein wenig ergriffen, meinen fertiggepackten Koffer. Mit einem kleinen lautlosen Seufzer lasse ich noch einmal meinen Blick durchs Zimmer schweifen und verabschiede mich innerlich von meiner "St.Erentrud". Die Zimmertür lasse ich im Gehen leicht angelehnt, meinen Schlüssel aber überantworte ich gleich nebenan am Wirtschaftsraumzugang Schwester Beata, welcher ich just dort begegne. Ich verabschiede mich von ihr und bedanke mich dabei nochmals recht herzlich, ebenso wie ich es zuvor im Speisesaal schon von Schwester Elisabeth getan hatte. Das Abschiednehmen aber geht draußen vorm Gästehaus nahtlos weiter, wo sich auf dem Parkplatz sowohl unser Neuköllner Gastpfarrer als auch die ersten Exerzisten zum Aufbruch gen Heimat rüsten - einer von ihnen sogar mit dem Drahtesel. Ich hingegen stelle noch rasch die mitgeführte leergetrunkene Apfelsaftflasche aus meinem Zimmer in den dafür vorgesehenen Kasten in der großen Teeküche des Tagesraumes ab und lenke dann meine Schritte quer über den Hof zur Kirche hin. Den Koffer in meiner Rechten stelle ich dort vor der Tür beiseite, trete leise ein und lasse mich im Innern auf einer der mittleren Bänke nieder, um mich abschließend auch bei meinem himmlischen Vater noch einmal für alles mir im Kloster Widerfahrene zu bedanken. Wie schon bei meinen beiden vorhergehenden stillen Abschieden hier setzt auch diesmal wieder das meine Ohren umschmeichelnde, sanfte Spiel der zum kirchlichen Inventar gehörenden Orgel ein - gerade so, als wolle mir Gott seinerseits höchstpersönlich durch jenes Himmel und Erde gleichsam verbindende Instrument eine musikalische Antwort auf mein stilles Dankgebet geben. Ein paar Minuten lausche ich jenen bezaubernden Klängen, dann begebe ich mich wieder auf den Klosterhof zurück, um dort auf das Eintreffen des von mir bei meiner Ankunft bestellten Taxis zu warten.
Zarte schneeweiße Wolken am strahlendblauen Himmel
Von der Pforte aus gesellt sich alsbald wie versprochen Karin zu mir. Wir wechseln noch ein paar Worte, bis mein klösterlicher "Abholdienst" eintrifft. Unser vorläufiger Abschied voneinander fällt - wie wohl kaum anders zu erwarten - recht innig aus und uns Beiden auch gleichermaßen ein wenig schwer. Zu gern hätte man hier vor Ort gemeinsam noch gern die eine oder andere Strecke gemeinsam zurückgelegt und sich dabei intensiv miteinander ausgetauscht. Allein die Tatsache, daß wir uns mit Sicherheit bald einmal wiedersehen und auch zwischenzeitlich den Kontakt miteinander pflegen werden, tröstet darüber hinweg. Und genauso verhält es sich in dem Moment, da ich im abfahrbereiten Mietwagen sitzend Karin vor der imposanten Kulisse des leicht verschneiten Haupthauses durch die Rückscheibe noch einmal zuwinke, was mich und mein Kloster angeht. Nur mit dem kleinen aber feinen Unterschied, daß für mich hier der genaue Termin des persönlichen Wiedersehens schon längst feststeht ... und der liegt nun, da das Taxi mit mir im Gepäck das Klostergelände in Richtung Trebbin verläßt, nur knapp 5 Monate entfernt ...
09:45 Uhr
TAG 5: 11.01.2013 [Teil 3]
Inzwischen haben mich Taxi, Bahn und Bus wieder ins heimatliche Hennigsdorf befördert, wo meine Einraumwohnung im vierten Obergeschoß mich schon voller Sehnsucht zurückerwartet hat. Freilich steht hier auch diesmal nicht nur das Ankommen, Auspacken und Ausstrecken auf dem Programm. Nein, da will mal wieder so Einiges an handschriftlichen Tagebuchnotizen in die Tasten meines Laptops gehämmert und ins Internet hochgeladen und eine Vielzahl an fotografischen Momentaufnahmen gesichtet und zur visuellen Untermalung des Geschriebenen ausgewählt werden. Aber auch eine bislang unvollendete klösterliche Schul-Aufgabe wartet noch darauf, in Form einer Haus-Arbeit zum Abschluß gebracht zu werden. Ein Bildungs-Auftrag, dem ich mich an dieser Stelle nun nur allzugern stelle ...
Dabei treffe ich beim Wiedereinstieg in die Geschichte rein personell auf quasi dieselbe Situation wie am Anfang. In einem Gasthaus sitzt Hans Pfeiffer mit seinen drei alten Berliner Kameraden in gemütlicher Runde zusammen. Und man erzählt sich Geschichten über die Penne. Nur daß es diesmal Pfeiffer ist, der erzählt, während ihm der Rest der Herrschaften zuhört. Ich stolpere hierbei gleich zu Anfang der Situationsschilderung über einen kleinen Satz, der mich zum Schmunzeln bringt, trifft es doch im Grunde genommen auch für mich zu, wenn es von Hans heißt: "Er war, wie die meisten Schriftsteller, von einer bemerkenswerten Schreibfaulheit; auf Briefe antwortete er nur dann, wenn er sich über sie ärgerte". Dafür aber erzählt er nun umso lieber, wobei er ihnen die ganze Geschichte noch einmal auftischt: "Vom ersten Bellebemm-bellebemm, über Schnauz und Bömmel, Heidelbeerwein und Karzer, bis zum Schwefelwasserstoff und seinen Folgen".
Die Berliner "Abgeordneten" aber lauschen und lachen und lassen darüber sogar ihr Essen kalt werden. Nur, wenn es um eine gewisse Eva geht, wird der sonst so redegewandte Hans zunehmend einsilbig. Was die Altherrenriege natürlich nur umso hellhöriger und neugieriger werden läßt. Einer von ihnen wagt sich schließlich an eine klare Diagnose samt Therapievorschlag: "Einmal erwischt es uns alle. Niemand entgeht seinem Schicksal. Und gegen Verliebtheit gibt es nur eine Radikalkur: Heiraten. Eine Pferdekur, aber sie hilft". Hans will von diesem Vorschlag nichts wissen. Er hat es einfach satt, daß er als Primaner nicht ernstgenommen wird, und erklärt, am darauffolgenden Tag dem Städtchen Babenberg, seinem Gymnasium wie auch dessen Direktorentöchterchen Fräulein Knauer den Rücken kehren zu wollen. Allerdings keineswegs ohne eine schulische "Abschiedsvorstellung" mit "Knalleffekt", wozu er wehmütig ergänzt: "Eine, daß sie mich auf der Stelle hochkantig rausschmeißen. Damit hätte ich ja dann das Ziel meiner Reise erreicht". In der Runde herrscht Schweigen, und wie auf ein Stichwort betritt der Schnauz die Bühne. Hans stellt ihm die mit ihm am Tisch sitzende "dreifache Herrlichkeit" als seine Vormunde vor und verhindert dadurch, daß ihm ein Verstoß gegen das Lokalverbot in der Schulordnung nachzuweisen ist. Die Herren aber bitten den "Lährer", von dem sie zuvor schon so viel gehört haben, zu sich an den Tisch, und Crey willigt - wenn auch zögernd - ein. Hans verläßt gegen 22 Uhr vorzeitig die Runde, woraufhin sich aus dem bislang eher oberflächlichen Geplänkel der restlichen Anwesenden doch noch eine angeregte "Onterhaltong" entwickelt, in der nun auch der Herr Professor aus seiner gänzlich anderen Sicht die Geschichte des "Schölers Pfeiffer" wiedergibt. Nebenbei wird weitergezecht: "... zu jedem Glas Bier ein Doppelkorn und zu jedem dritten Glas ein Schinkenbrot ... In der Kleinstadt wird Saufen zur Wissenschaft. Man hat nichts Besseres". Und binnen kurzer Zeit wird dabei aus dem oberlehrerhaften steifen Schnauz ein "ganz prächtiger Mensch, voll Güte und Menschenliebe. Und ein ganz vernünftiger Mensch, mit großem Wissen und klugen Gedanken". Am Ende des Abends versteht man sich am Tisch beiderseits köstlich miteinander und begibt sich schlußendlich mit gehöriger Bettschwere zur nächtlichen Ruhe.
Hans hingegen ist nach seinem frühen Fortgang ganz und gar ohne Bettschwere noch eine ganze Zeit lang ziellos durch die nahezu menschenleeren Straßen Babenbergs gegeistert. Die Schilderung der nächtlichen Ruhe weckt dabei an einer Stelle liebe Erinnerungen an mein Kloster, wenn es heißt: "Sonst ist alles still. Man kann seine Gedanken hören". Hans landet derweil auf seinem nächtlichen Irrweg direkt vor dem Gymanasium und damit auch vor der noch erleuchteten Wohnung der Direktorenfamilie Knauer. Er malt sich aus, was die Knauers daheim zu später Stunde wohl so treiben mögen, besonders die Tochter des Hauses. Hofft, sie zu sehen oder durch die Nachtlektüre Evas in einem seiner Romane zumindest indirekt zu ihr reden zu können, bis ihn der patrollierende Schutzmann jäh aus seiner Gedankenwelt herausreißt.
Schnauz erwacht morgens darauf um halb Acht mit einem Brummschädel. Und da er dank seiner von Hans zuvor zurückgestellten Uhren annimmt, es sei erst halb Sieben, dreht er sich auf seinem Ruhelager noch einmal zur Seite. Im Physiksaal des Gymnasiums sitzen derweil sämtliche Lyzen und Penäler in bunter Mischung vereint und warten auf ihn. Ein paar der Pärchen vom Vortag haben dabei ihre Partner getauscht. Und Hans, der einen merkwürdig großen Karton dabei hat, verkündet seinen erstaunten Klassenkameraden, daß er Schnauz abbestellt habe. Dann verschwindet er sich mit seinem Karton und einem alten abgedroschenen Fußball aus dem Klassenzimmer über den Gang hinweg in einen Raum, der eigentlich nur den Lehrern vorbehalten ist. Völlig verändert kehrt er nach wenigen Minuten in die Klasse zurück: "Mit Hilfe einer strähnigen Perücke, mit zottiger Bartwolle und Mastix ... Auf der rötlich geschminkten Nase sitzt ein goldener Zwicker, und aus der Brusttasche flattert ein überlebensgroßes Seidentuch. Den Fußball trägt er als Spitzbauch unter einer weißen Weste. Er hat alles frech übertrieben und sieht dem Schnauz so ähnlich wie eine unverschämte Karrikatur". Durch den Physiksaal, in dem bei seinem Eintreffen geschlechterübergreifend ausgelassen gelacht, musiziert und getanzt wird, geht ein Ruck. Doch schon binnen weniger Sekunden erkennt man den gefälschten "Lährkörper" und begrüßt ihn mit Indianergeschrei. Professor Pfeiffer läßt sich davon nicht beirren und beginnt seine als Unterricht verkleidete Schnauzparodie, die ihren ersten Seitenhieb auf die sich köstlich amüsierende Eva in der Bemerkung findet: "Äva Knauer, stähen Sä auf. Warom lachen Sä? Ech ben heute abend bei Ehnen zom Ässen eingeladen. Bestellen Sä Ehrem Vater, ech ben ein alter Mannund gähe leber fröh ins Bette. Soll ech Ehnen den ongeratenen Schöler Pfeiffer als Verträter schecken?". Evas Antwort auf diese rhetorische Frage aber ist nur ein wütendes Zischeln, und so erhält sie vom pfeifferschen Schnauz-Nachahmer einen Eintrag wegen "ongehörigen Benähmens" ins "Klassenbooch".
Während die gemischte Oberprima mit ihrem theatralisch aufgelegten Aushilfslehrer so ihren Spaß hat, geht es beim Direktor im entgegengesetzten Schulhausflügel deutlich ernster zu. Dort ist nämlich just an diesem Tage der Herr Oberschulrat unangemeldet aufgetaucht, da ihm zu Ohren gekommen war, daß Professor Crey in letzter Zeit womöglich seine Schüler nicht mehr so recht im Griff habe. Und er wollte sich eben bei dieser Gelegenheit gern persönlich einmal vom Gegenteil überzeugen - am besten gleich im Unterricht des geschätzten Herrn Kollegen. Und so nähert sich das Unheil in Form der kompletten Lehrerschaft samt Direktor und Oberschulrat mit großen Schritten dem Physiksaal mit dem darin anhaltenden Höllenlärm. Erst beim Eintreten der Kommission ist es binnen Sekunden totenstill im Raum. Sämtliche Schülerinnen und Schüler der Klasse sind mit einem Male wie erstarrt, auch der falsche Lehrer. Der Lehrkörper wie auch der Direktor sind außer sich und ringen jeder auf seine Art sichtlich um Fassung. Nur der etwas kurzsichtige Oberschulrat schreitet auf den vermeintlichen Professor Crey zu und begrüßt ihn freundlich. Direktor Knauer möchte dem Spuk ein rasches Ende bereiten, aber Bömmel mahnt ihn durch Zurückhalten zur Zurückhaltung. Vater Knauer läßt sich überzeugen und fleht Pfeiffer alias Crey schließlich verzweifelt zur Fortsetzung seiner Komödie an. Und was macht Hans? Nun, der tut ihm den Gefallen! Er setzt seinen unterbrochenen "Schauspielunterricht" fort und strengt sich dabei mächtig an, eine exakte 1:1-Kopie seines "pädagogischen Vorbilds" abzuliefern. Der Schulrat aber findet zusehends Gefallen, an jener modernen Art zu unterrichten. Und der Direktor bettelt ihn von der Seite her leise an durchzuhalten unter Zusatz seines Versprechens: "Sie werden nicht bestraft, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!". Die in Aussicht gestellte Straffreiheit macht den Schnauzparodisten mutig, um nicht zu sagen übermütig. Er erkundigt sich beim Rest der Klasse nach dem fehlenden Pfeiffer, den er dabei - ganz in seiner Rolle aufgehend - als "den größten Flägel der Anstalt" tituliert. Der Schulrat stellt unterdess dem Fräulein Knauer eine Frage, die angesichts der angespannten Situation keinen Ton herausbringt, was den pfeifferschen Schnauz dazu verleitet, äußerst doppel- wie auch tiefsinnig auszuführen: "Äva, ech ben met där onzofreden. Du gähst den Dingen necht genögend auf den Grond. Es est necht alles Gold, was glänzt, aber auch necht alles Dräck, was donkel est. Der Steinkohlentäär est eine schmotzige, kläbrige Substanz omd armsälig ond schwarz wie eine Schölermötze; ond doch stäcken en ehm die ädelsten Stoffe". Der Oberschulrat wundert sich, daß der vermeintliche Lehrer die Schülerin Eva duzt, wird aber vom Direktorenvater und Hans gemeinsam darüber in Kenntnis gesetzt, daß man zwar nicht verwandt, aber sozusagen quasi verlobt sei. Eine Antwort, mit der sich der hohe Besuch gern zufriedengibt. Er beglückwünscht den zukünftigen Bräutigam und läßt dann mit dem langsam seinem Ende entgegengehenden Unterricht weitermachen.
Zur gleichen Zeit fährt der echte Schnauz in seinem Bett hoch, da ihn seine Wirtin nun in seinem nachhinkenden Zeitempfinden recht eindringlich damit vertraut macht, was die Stunde für ihn wirklich geschlagen habe. Und tatsächlich ist es keineswegs erst halb Acht, sondern laut Auskunft der vom Fenster ebenso gut einsehbaren wie auch unantastbaren städtischen Turmuhr bereits halb Neun. Unrasiert und ohne Frühstück hechtet Crey aus dem Bett ins Gymnasium. Hier ist der Oberschulrat inzwischen zufriedengestellt und auch bereits im Aufbruch begriffen. Alles scheint überstanden! Doch dann stürzt der echte Schnauz durch die Tür herein und stößt dabei direkt auf seinen Doppelgänger Pfeiffer. Die Zwei starren sich eine Weile lang ungläubig in die Augen, dann aber tun sie, was sie alle beide am besten können: Sie "schnauzen" sich an! Versuchen krampfhaft, sich gegenseitig in ihrer Verkörperung des Professor Crey zu übertrumpfen. Der kurzsichtige Oberschulrat aber sieht mit einem Male doppelt, und kann sich das beim besten Willen nicht erklären. Erklären kann ihm das auch keiner der Lehrer oder Schüler im Saale - zumindest ist kein Einziger dazu gewillt. Nichts desto trotz nähert sich die langsam zur Tragödie verkommende Komödie allmählich unaufhaltbar ihrem Ende. Der echte Crey zweifelt nämlich inzwischen sogar schon selbst daran, der Echte zu sein. Hilflos gibt er mehr und mehr nach, und mit ihm die langsam versagende Stimme. Der Oberschulrat aber sieht in jener unmittelbar bevorstehenden Stimmabgabe quasi ein mündliches Schuldeingeständnis. Und so stellt er sich im ungleichen Zweikampf der gleichausschauenden "Lährkräfte" auf die Seite Hans Pfeiffers. Dem einzig wahren Professor aber bleibt nichts weiter übrig, als sich ohnmächtig zu den anderen Schülern in eine der Bänke zu hocken, während der Herr Oberschulrat sich nochmals vom restlichen Babenberger Lehrkörper verabschiedet und sich dabei von Direktor Knauer einen "Bericht über den unmöglichen Vorfall" samt Entfernung des mißratenen Schülers von der Anstalt ausbittet. Schließlich ist der Inspektor fort, und der Direktor völlig außer sich. Zeus' Zorn bricht mit geballter Wucht über den Schüler Pfeiffer herein, der derweil rein verkleidungstechnisch die Rolle des Lehrers wieder vollständig ablegt. Dann aber erinnert er den wutschnaubenden Direktor an sein ihm gegebenes Ehrenwort und benennt die ganze Klasse als Zeugen. Knauer sieht sich in einer Zwickmühle, verlangt doch der Oberschulrat den Schulverweis des Schuldigen. In dieser scheinbar ausweglosen Situation bietet Hans ihm einen möglichen Ausweg an: "Sie dürfen mich nach Herzenslust bestrafen, Sie dürfen mich mit Schimpf und Schande von der Anstalt verweisen ... Ich entbinde Sie von Ihrem Ehrenwort - wenn Sie wenigstens ein anderes Wort halten: Sie haben vorhin vor dem Schulrat feierlich bestätigt, daß ich mit Ihrer Tochter verlobt bin. Einverstanden!". Und während Evas Erzeuger dem Penäler den Handschlag darauf noch verwehrt und ihn als Größenwahnsinnigen und Erpresser beschimpft, kommt nun der große Auftritt seines kleinen Fräulein Tochter: "Da tut es einen Jauchzer aus der letzten Bank; Eva ist über sämtliche Köpfe und Bänke hinweg nach vorn geturnt, faßt ihres Vaters Hand und drückt sie in Pfeiffers".
Der Vater gibt klein bei und damit zugleich auch seinen ausgereiften Nachwuchs in die Hände des fragwürdigen Jünglings ohne jegliches sichtbares Zeugnis sittlicher Reife. Eva und ihr Hans im Glück aber sind auch so rundum zufrieden, zumal Hans Pfeiffer sehrwohl ein Reifezeugnis vorweisen kann - sogar schwarz auf weiß. Und nicht nur das, sondern auch einen Doktortitel, Verlegerabrechnungen und einen gültigen Einkommenssteuerbescheid. Dem Glück der Zwei stünde damit nun also nichts mehr im Wege ... wäre da nicht eine etwas betrübliche winzige Kleinigkeit ... quasi ein Wermutstropfen in der "Feuerzangenbowle" ... Denn am Ende des vermeintlichen Happy-Ends heißt es dann plötzlich und unerwartet: "Hans Pfeiffer, über dessen mangelnde Wahrheitsliebe verschiedentlich geklagt werden mußte, hat die ganze Geschichte von A bis Z erlogen. Frei erfunden wie alle seine Geschichten. Sogar sich selbst, mitsamt Marion und Literaturpreis, hat er erfunden".
Tröstlich allein, daß auch das noch nicht die letzten Sätze in dieser Erzählung sind, schließt doch der Autor das Ganze mit der ausgesprochen weisen Feststellung: "Wahr sind ... die Erinnerungen, die wir mit uns tragen; die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden". Ich persönlich werde mir seine Worte zu Herzen nehmen und all die Erinnerungen und Träume in mir auch in Zukunft in viele kleine und große Geschichten mit einfließen lassen. Die Sehnsüchte in mir aber treiben mich dann in aller Bescheidenheit schon in der Mitte des Jahres wieder hinter die heilsbringenden alexanderdörfischen Klostermauern ...
Tja, was soll ich sagen: Es ist vollbracht! Die dritte und letzte Ausgabe meiner Klostertagebücher ist komplett. Und meine nächste Kurzurlaubreise ins klösterliche Alexanderdorf steht bereits unmittelbar bevor. Auf ihr schlage ich einmal mehr in mehrfacher Hinsicht neue Wege ein ... Zum einen werde ich erstmalig übers Wochenende hinweg bei den Ordensschwestern zu Gast sein. Zum andern besuche ich Kloster und Umgebung erstmalig im Vorsommer und hoffe dabei auf viel Sonne und die von unseren Politikern bereits so oft herbeibeschworenen blühenden Landschaften. Zu guter Letzt aber habe ich diesmal von 06. bis 10.06.2013 auch einen kleinen Reisebegleiter dabei - mein nigelnagelneues Smartphone, mit dem ich zwei- bis dreimal pro Tag direkt vor Ort via Facebook in Wort und Bild berichterstatten möchte ... mitzuverfolgen auch für Nicht-Facebooker unter
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Ende Tag 5