Episode 11: Endstation einer Unschuld
Die Mittagssonne stand hoch am Himmel, nur der Hauch eines Lüftchens sorgte bei all der sich ausbreitenden Hitze auch für ein wenig Abkühlung. Francesca lief in ihrem strahlendweißen Sommerkleidchen ganz ungezwungen neben ihrem Vater her. Mit ihren rosa Kniestrümpfen und den schwarzen offenen Halbschuhen an ihren Füßen sah sie fast aus wie eine kleine Disneyprinzessin. Dabei schienen ihre großen leuchtendblauen Augen alle Eindrücke in ihrer Umgebung mit geradezu kindlicher Naivität in sich aufsaugen zu wollen. Sie konnte einfach nicht genug bekommen von all den, im leichten Windzug langsam vor sich hin schwebenden Wolken, den herrlich bunten Blumen auf der Wiese, den in den Baumwipfeln zwitschernden Vögeln und dem ausgelassenen Lachen der Kinder auf einem nahegelegenen Spielplatz. Und zwischendurch schilderte sie ihrem Papa immer wieder mit einem unbeschwerten, fröhlichen Lächeln auf den Lippen, was sie wahrnahm und wie wunderbar dieser Tag doch sei. Überhaupt war sie ganz aufgeregt. Schließlich hatten sie Onkel Salvatore das letzte Mal gesehen, als sie 7 Jahre alt war - das war inzwischen schon wieder 9 Jahre her. Francesca erinnerte sich gern an die Besuche bei dem netten Herrn, der sie immer bei sich auf dem Schoß sitzen lassen und ihr dabei wundervolle Märchen aus 1001 Nacht erzählt hatte. Außerdem hatte sie, während der sympathische Onkel und ihr Papa im Haus wichtige geschäftliche Dinge beredeten, auf dem Hof mit all den Kindern der zahlreichen Dienerschaft herumtoben können. Und wenn sie sich dann nach etwa einer Stunde wieder von Onkel Salvatore verabschiedet hatten, durfte sie immer noch einmal tief in sein Bonbonglas greifen und sich eine Handvoll Drops für den Heimweg mitnehmen. Beim letzten Besuch hatte ihr Onkel Salvatore sogar eine wunderschöne Puppe geschenkt mit langen blonden Haaren, mit der sie noch einige Jahre gespielt hatte, und die noch heute einen Ehrenplatz auf dem Regal in ihrem Zimmer hatte.
Diese Puppe war es auch, der sie abends beim Schlafengehen immer all ihre geheimsten Gedanken anvertraute. In der letzten Zeit berichtete sie ihr vor allem von einem gewissen Marco, der in ihrer Schule zwei Klassenstufen über ihr war und in den sie ein ganz kleinwenig unsterblich verliebt war. In der Disco hatte er sie letzten Samstag sogar auf eine Cola eingeladen und sich dann fast eine Stunde lang mit ihr unterhalten. Er hatte mit ihr getanzt und sie gegen 21 Uhr sogar den ganzen Weg bis nach Hause begleitet. Nur als er sie beim Einbiegen in ihre Straße kurz vor der Ankunft an der elterlichen Wohnung um einen kleinen Abschiedskuß auf die Wange bat, hatte sie schüchtern den Kopf geschüttelt und gemeint, daß ihr das einfach zu schnell ginge und sie lieber noch etwas warten würde. Klar hatte sie Angst gehabt, ihr Marco könnte ihr das übelnehmen und nichts mehr von ihr wissen wollen. Aber der hatte ganz toll reagiert - er hatte ihr mit dem Handrücken behutsam über die Wange gestreichelt und ihr dann ins Ohr gehaucht: "Ist schon ok, wir haben doch alle Zeit der Welt!". Und sie? Sie hatte einfach nur glücklich gelächelt und ihm zum Abschied zugeflüstert: "Dankeschön! Du bist süß!".
Ihrem Papa hatte sie diese Geschichte freilich nicht erzählt. Der machte sich eh immer viel zu viele Sorgen, daß jemand von diesen pubertierenden Kerlen seinem kleinen Schatz zu früh das unschuldige Herz brechen könnte. Er wollte sie stets vor all dem Bösen dieser Welt bewahren, und dafür hatte sie ihn ja auch unheimlich lieb. Aber ihre Erfahrungen auf dem Weg vom Mädchen zur Frau mußte sie letztendlich nunmal doch ganz allein machen. Das gehörte einfach zum Leben dazu, wenn man später auf eigenen Füßen stehen wollte. Ob ihr Papa das wohl jemals einsehen würde?! Sie schaute zu ihm herüber. Irgendetwas schien ihn zu bedrücken. Der Kopf des sonst so lebenslustigen 42jährigen sah betrübt und starr auf den Gehweg, seine Schultern hingen schlapp an seinem gebeugten Oberkörper herunter. Was er wohl hatte? Vielleicht hing es mit den Geldsorgen zusammen, über die er sich neulich spätabends in der Küche leise mit Mama unterhalten hatte?! Francesca versuchte, ihn ein wenig aufzumuntern und ergriff dazu seine Hand. Dann hauchte sie ihm einen Kuß auf die sorgenfaltige Stirn, als könnte sie ihm damit die düsteren Gedanken einfach wegpusten. Ach ja, so war sie ... so herrlich erfrischend unschuldig.
In diesem Moment trafen Vater und Tochter vor dem Haupttor des gigantischen Anwesens ein, das Francesca in ihrer Kindheitserinnerung sogar noch riesiger vorgekommen war. Ihr Papa unterhielt sich kurz mit einem der beiden schwerbewaffneten Wachmänner, die mit ihren schicken Maßanzügen und den verspiegelten Sonnenbrillen vor dem Tor postiert waren. Dann sprach der Wächter in sein Funkgerät: "Seniore Spirelli, Alberto Scampi und seine Tochter Francesca sind am Haupttor und wünschen, Sie zu sprechen!". Im Funkgerät knackte es, dann meldete sich aus dem Lautsprecher eine tiefe, feste Männerstimme: "Si, si, schick die Beiden zu mir rein! Ich erwarte sie schon sehnsüchtig". Nur Sekunden später setzte sich das schwere, gußeiserne Rolltor in Bewegung, und Francesca und ihr Vater betraten das Grundstück. Der Weg zur Villa führte die Beiden durch eine Parkanlage mit viel Rasenfläche. Am Rande des breiten Sandweges, über den sie dabei liefen, standen rechts und links herrlich duftende Fliedersträucher. Francesca sog mit ihrer Nase den intensiven Geruch in sich ein. Dabei stubste sie ihren Vater von der Seite her an: "Herrlich, Papa, oder?!". Alberto Scampi erhob kurzzeitig sein Haupt, und für einen Moment umspielte sogar ein kleines Lächeln seine Mundwinkel: "Ja, mein Schatz! Wirklich herrlich!". Und das Mädchen strahlte über das ganze Gesicht, während sie ausrief: "Na siehst Du, Papa, Du kannst ja doch noch lachen. Jetzt wird das bestimmt noch ein ganz toller Tag, oder?!". Alberto konnte nur staunen über soviel bewundernswerte Naivität: "Ja, ich hoffe es, Kleines!".
Nach einigen Schritten waren sie an der Villa angelangt. Hinter einem lustig plätschernden Springbrunnen führte eine große Steintreppe zum vorderen Eingang des Haupthauses, vor dem zwei weitere Posten mit Maschinenpistolen Wache hielten. Einer von ihnen sprach auch hier in sein Funkgerät, und einen Augenblick später erschien ein Herr um die Sechzig in der Tür, breitete einladend seine Arme aus und lächelte den Eingetroffenen zu: "Alberto, mein Freund! Schön, daß Du endlich einmal den Weg zu mir gefunden hast. Und mein Patenkind hast Du auch gleich mitgebracht?! Bongiorno, Francesca! Tretet doch näher, Ihr Zwei!". Francesca rannte dem lieben Onkel freudig entgegen, während ihr Vater schweren Schrittes jede Stufe der langen Treppe einzeln nahm, so als wolle er das Wiedersehen mit seinem Geschäftsfreund Spirelli unbedingt noch ein wenig hinauszögern.
Salvatore Spirelli hatte Francesca inzwischen bereits in seine Arme geschlossen und preßte sie dabei ganz fest an sich heran. Dann umfaßte er mit seinen starken Händen ihre zierlichen Schultern und beugte seinen Oberkörper ein wenig zurück, um sie näher betrachten zu können: "Meine Güte, groß bist Du geworden, cara mia. Schon fast eine richtige Frau! Wie wäre es denn mit einem Begrüßungskuß für den Onkel Salvatore?". Francesca hauchte ihm - ohne lange zu zögern - im Überschwang der Wiedersehensfreude sogleich einen zarten Kuß auf die Wange, aber Spirelli schüttelte nur den Kopf: "Aber, aber, Bella Donna! Das ist doch keine Art, seinen allerliebsten Onkel zu küssen, den man solange nicht mehr gesehen hat, oder?!". Und ohne eine Antwort abzuwarten, zog er das überraschte Mädchen wieder fest an sich heran und drückte ihr seine trockenen Lippen auf den jungfräulichen roten Mund. Sein Atem, der stark nach Alkohol roch, drang in ihre Nase, während sich sein Mund leicht öffnete und seine feuchte, klebrige Zunge über ihre Lippen leckte. Francesca ekelte sich ganz plötzlich vor dem alten Mann und entzog sich seinem Griff. Spirelli sah sie an und lachte laut auf: "Ah, das Fräulein ist noch ein wenig schüchtern, wie? Naja, ist ja auch richtig so. In Deinem Alter sollte man sich für den richtigen Moment aufsparen, Francesca! ... Stimmt doch, Alberto, oder?!". Vater Scampi, der inzwischen auf der obersten Stufe angekommen war, nickte kurz und streckte dem alten Geschäftsfreund dann ein wenig abwartend seine Hand entgegen. Spirelli ergriff sie und klopfte Scampi mit der anderen auf die Schulter: "Warum so förmlich, alter Freund? Kommt nur herein! Ich bin gerade beim Mittagessen. Wollt Ihr mir dabei nicht ein wenig Gesellschaft leisten? Es gibt zartes, junges Hühnchen. Wißt Ihr, ich liebe junges, knuspriges Fleisch!". Ein Grinsen kehrte in Spirellis Gesicht ein und verlieh ihm damit in Francescas Augen etwas Beängstigendes. Und obwohl sie - da sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte - irgendwie schon ziemlich hungrig war, schüttelte sie nur eingeschüchtert den Kopf. Auch ihr Vater lehnte die Einladung dankend ab: "Vielen Dank, Salvatore, aber wir haben schon gegessen!".
Eine Minute später standen Francesca und ihr Vater vor der überreich gedeckten Tafel im Eßzimmer der Villa, während Spirelli an der Stirnseite saß und mit vor Fett triefenden Fingern schmatzend ständig größere Stücke zarten Hühnerfleisches in seinen Mund stopfte. Zwischendurch wischte er seine schmierigen Hände immer wieder an der bereitliegenden Serviette ab, trank einen großen Schluck Rotwein und grinste seine beiden Gäste an. Dabei war es Francesca keineswegs entgangen, daß sie der "liebe Onkel" von oben bis unten mit dem gleichen hungrigen Blick seiner weit aufgerissenen, giftgrünen Augen musterte, wie er es einen Moment zuvor noch mit dem Hühnchen auf seinem Teller getan hatte. Nach etwa einer Viertelstunde hatte er endlich sein ausschweifendes Mahl beendet und bot nun Vater Scampi den gegenüberliegenden Platz an seiner langen Tafel an. Francesca wollte sich gerade neben ihren Vater setzen, als Spirelli erneut grinsend den Kopf schüttelte und meinte: "Francesca, Kleines! Du sitzt natürlich wie früher auf Deinem Lieblingsplatz - bei Onkel Salvatore auf dem Schoß!" Voller Unbehagen ging sie auf den alten Mann zu und ließ sich langsam auf seinen Knien nieder. Sie zitterte dabei am ganzen Körper, während sie seinen feuchten, warmen Atem in ihrem Nacken spürte. Spirellis Knie begannen leicht zu wippen, so als ob er wie früher mit ihr "Hoppe hoppe Reiter" spielen wollte. Gleichzeitig aber wandte er sich an ihren Vater: "So, nun zum Geschäftlichen, mein Lieber! Zu meinem Bedauern mußte ich vernehmen, daß Du ein wenig mit Deinen Raten bei mir hinterherhinkst, Alberto. Das ist nicht gut, gar nicht gut! Du weißt ja, ich brauche das Geld! Ich hab doch selber viele Ausgaben, und da kann ich mir längerfristig einfach keine Außenstände leisten! Aber wir finden da sicher eine Lösung, zwei alte Bekannte wie wir?!". Scampi sah sein Gegenüber mit fragendem Blick an: "Salvatore, ich kann Dir die 12000 Pfund momentan leider nicht zurückgeben. Weißt Du, ich hatte in letzter Zeit ein wenig Pech. Die Miete ist mal wieder gestiegen, und ich hab meinen Job verloren. Und dann noch die Herzoperation meiner Frau Rosa im vergangenen Jahr. Die hat auch viel Geld gekostet. Ich könnte Dir aber erstmal 800 Pfund besorgen, und vielleicht kannst Du mir ja den Rest stunden?!". Spirelli nickte mitleidig: "Ja, das ist alles schlimm, das verstehe ich! Aber mit Deinen 800 Pfund kommen wir nicht weiter. Das ist keine Lösung für unser Problem, weißt Du?! Ich denke, wir sollten mal in aller Ruhe unter vier Augen darüber weiterreden ... Francesca, wenn Du uns einen Augenblick entschuldigen würdest?!".
Francesca sprang mit einem Satz vom Schoß Spirellis auf. Sie hoffte, nun endlich dieser, für sie unheimlich unangenehmen Situation zu entkommen: "Au ja, fein! Kann ich nach draußen in den Park, Onkel Salvatore?". Doch Spirelli schüttelte wieder den Kopf: "Geh doch lieber einen Moment nach nebenan in den kleinen Salon. Meine Zofe Claudine zeigt Dir den Weg". Der Hausherr rief eine junge schwarzhaarige Frau zu sich heran, die mit gesenktem Haupt und dem Munde ihres Herrn zugeneigtem Ohr dessen zugeflüsterte Anweisungen entgegennahm. Dann führte sie Francesca durch eine Schiebetür in einen kleinen, verstaubten Nebenraum, in dessen Mitte als einziges Inventar ein breites Metallbett stand. Die Zofe wies mit ihrem Zeigefinger auf die einsame, schmutzige Lagerstatt und meinte: "Seniore Spirelli bittet Euch, es Euch dort schon ein wenig bequem zu machen und Euch ein wenig auszuruhen, während die Herren ihre Unterhaltung pflegen. Der Leibwächter von Seniore wird inzwischen an der Tür darauf achten, daß Ihr Euch hier ungestört ausruhen könnt". Damit betrat ein muskelbepackter Herr mit Anzug und Sonnenbrille den Raum, postierte sich unmittelbar vor der Schiebetür und grinste Francesca an. Das Mädchen senkte den Blick und ließ sich in ihrem weißen Kleid ratlos auf der Matraze des laut knarrenden Bettes nieder.
Im Eßzimmer war Spirelli inzwischen auf den Punkt gekommen: "Hör zu, Alberto, mein Freund! Ich sehe das so: Mit Deinen armseligen Einkünften allein wirst Du Deine riesigen Schulden bei mir nie zurückzahlen können. Also müssen wir ein anderes Zahlungsmittel finden. Vermögenswerte hast Du keine! Aber vielleicht hast Du ja etwas anderes zu bieten, was für mich von Interesse sein könnte. Siehst Du, und das bringt uns direkt zu Francesca, Deiner Tochter! Schließlich hab ich Dich ja nicht umsonst gebeten, sie bei unserem kleinen freundschaftlichen Treffen mitzubringen. Ihre Anwesenheit hat mir schon früher stets die Nachmittage zu versüßen vermocht. Warum sollte man aus so einer Perle wie ihr keinen Gewinn schlagen? Ich habe da in Übersee extrem betuchte Leute, die für eine so unschuldige Schönheit ein Vermögen hinblättern würden. Und auch hier gibt es ein paar Geschäftspartner von mir, die sich - genau wie ich - nach anstrengenden abendlichen Geschäftsverhandlungen nach der bezaubernden Gesellschaft einer blutjungen Gespielin sehnen, mit der sie den Abend erfolgreich und ein wenig ausgelassen ausklingen lassen können. Also, um nicht lang um den heißen Brei rumzureden: Ich werde Deine kleine Francesca jetzt nebenan zur Frau machen. Und mal sehen: Wenn sie sich recht geschickt anstellt, dann erlaß ich Dir schon für dieses Mal Deine kompletten Schulden, mein Bester! Ansonsten vereinbaren wir im Anschluß eben eine Ratenzahlung über weitere Besuche. Und wenn ich sie dann wie gesagt noch weitervermitteln oder gar verkaufen kann, dann springen für Dich und Deine Frau locker weitere 20000 Pfund raus, denke ich mal! Na, wie bin ich zu Dir?! Und falls Du Dir Sorgen machst, weil sie ja Dein einziges Kind ist?! Du und Deine Rosa, Ihr seid doch noch jung. Sicher könnt Ihr immer noch ein Kind haben. Naja, und für den Fall, daß es bei Dir nicht so klappt mit dem Zeugen: Ich oder mein Leibwächter Giovanni helfen da sicher gern aus, schick doch Deine Rosa einfach mal vorbei!". Die Augen von Vater Alberto blitzten wutentbrannt auf. Die Hände, die Scampi während Spirellis schmutzigen Ausführungen sicherheitshalber in die Hosentaschen verbannt hatte, ballten sich dort langsam zu Fäusten und drängten aus ihrer stofflichen Umklammerung in das Gesicht des skrupellosen Mistkerls. Doch der handelte vorausahnend und zog blitzschnell einen Revolver aus der Innentasche der Jacke seines Nadelstreifenanzugs hervor: "Nicht, daß Du auf dumme Gedenken kommst, mein Lieber! Eine Bewegung, und Deine süße Francesca ist auf einen Schlag Halbwaise. So, und nun geh ich mal rasch zu ihr. Sonst kommt unser Engel sich noch ganz vernachlässigt vor". Damit begab er sich - den Revolver im Anschlag - auf die Schiebetür zu und öffnete sie. Dann übergab er seinem Bodyguard Giovanni die Waffe und beorderte ihn zu Vater Scampi, um ihn in Schach zu halten, während er sich mit dem Mädchen "beschäftigte". Spirelli schloß die Schiebetür hinter sich und ging breitgrinsend zum Bett mit der ängstlich zitternden Francesca.
Vater Scampi spürte den eiskalten Lauf der Waffe an seiner Schläfe. Er hörte vom Nebenraum unendlich viele Geräusche: Das Schluchzen und Weinen seiner Tochter, das teuflische Lachen und Stöhnen Spirellis, immer wieder einzelne Schläge und Schreie und das eintönige, furchtbare Knarren des Metallbettes. Wie in Trance durchlebte der Vater das Geschehen. Am Ende konnte er nicht einmal sagen, wie lang das Ganze gedauert hatte ... eine halbe Stunde, vielleicht auch zwei Stunden?! Alles, an was sich Scampi später erinnern konnte, war: Irgendwann öffnete Spirelli breit über das ganze Gesicht grinsend die Schiebetür wieder, während er gleichzeitig geradezu provokatorisch den Reißverschluß seines Hosenstalls schloß. Er sog mit den Lippen an seinem Arm, an dem er einige blutige Kratzer davongetragen hatte: "Eine richtige Wildkatze, unsere kleine Bella Donna. Sei stotz auf sie, sie hat sich ganz tapfer geschlagen und Onkel Salvatore eine recht angenehme Zeit bereitet. Nun ist sie eine kleine Frau, Dein unschuldiges Mädchen! Ich denke mal, für die komplette Schuldsumme war das Ganze noch nicht ausgereift genug, aber die Hälfte hat sie auf jeden Fall damit schon mal abgegolten. Vielleicht bringst Du sie mir ja am kommenden Sonntagabend nochmal vorbei. Da geb ich einen kleinen Empfang. Dann kann ich das süße Ding auch gleich mal meinen Geschäftspartnern und ein paar eventuellen späteren Kaufinteressenten vorstellen, weißt Du? Und wenn die Gäste weg sind, dann vergnüg ich mich zur kompletten Schuldentilgung einfach noch einmal mit ihr!". Damit gab er für Scampi den Blick auf das Bett frei, auf dem Francesca - verängstigt und am ganzen Körper mit roten und blauen Flecken übersät - nur in Slip und Hemdchen hockte, während sie mit zitternden Händen nach ihrem ehemals so unschuldig weißen Kleidchen griff, das nun zerrissen und beschmutzt in einer der staubigen Ecken des schmalen Zimmers lag. Und so wie dieses Kleid sah es auch in ihrer kleinen armen Seele aus: Die Reinheit und Unschuld waren für immer dahin, stattdessen fühlte sie sich äußerlich beschmutzt und befleckt und innerlich zerrissen.
Spirelli gab seinem Bodyguard ein kurzes Handzeichen, dann zogen sich beide ohne ein weiteres Wort ins Wohnzimmer der Villa zurück. Die Zofe Claudine erschien wieder und begutachtete das Laken auf der Matratze, auf dem ein großer Blutfleck deutlich sichtbar das Ende von Francescas Unberührtheit verkündete. Vater und Tochter saßen sich noch eine Weile völlig regungslos gegenüber, dann stand Francesca von dem Bett auf, warf sich jenen Fetzen, der einmal ihr strahlendweißes Sommerkleid gewesen war, über den schmerzenden, geschändeten Leib und schlich schwerfälligen Fußes aus dem Nebenraum durch die Schiebetür ins Eßzimmer. Dort ging sie an ihrem immer noch erstarrt dasitzenden Vater vorbei und lief hinaus über die Treppe in den Park. Hier blieb sie am Springbrunnen stehen und wusch sich lange und ausgiebig die Tränen aus ihrem verweintes Gesicht. Irgendwann spürte sie die Hände ihres Vaters auf den Schultern, die ihr schützend seine Anzugjacke überstreiften. Dabei hauchte er ihr ein tränenersticktes "Verzeih mir, Francesca! Bitte verzeih mir doch!" ins Ohr. Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihm sekundenlang in sein bleiches Gesicht, dann schüttelte sie den Kopf: "Tut mir leid, Papa! Aber das kann ich nicht! Noch nicht! Vielleicht auch nie mehr!".
Damit drehte sie sich von ihm weg und begann, immer schneller werdenden Schrittes - ohne auch nur ein einziges Mal nach rechts und links zu schauen - den Sandweg zum Haupttor entlangzulaufen. Scampi versuchte noch eine Zeitlang, seiner Tochter zu folgen, aber irgendwann gab er diese Absicht deprimiert auf. Er hatte sie aus den Augen verloren ... verloren ... und das nicht nur für den Moment. Nein, an diesem schrecklichen Nachmittag hatte er seine Tochter vermutlich für immer verloren! Ja - und auch, wenn sie ihm das Geschehene jemals vergeben könnte, er selbst würde es sich wohl nie verzeihen können ...
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