Mein neustes kurzgeschichtliches Machwerk, mit dem ich meine Leserinnen und Leser zugleich auch im neuen Jahr willkommen heiße, stellt den Versuch einer Verarbeitung meiner eigenen jüngsten Vergangenheit dar. Die Namen der handelnden Figuren wurden dabei aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes leicht abgeändert. Ich wünsche Euch wie immer: Gute Unterhaltung!
Zwei Handvoll Träume
- Die wahre Geschichte einer schlußendlich doch unerfüllten Liebe -
Draußen hatte bereits die Dämmerung eingesetzt. Aber auch bei ihm begann es, langsam zu dämmern. Bei ihm - der hier in seinem Einzimmerverlies nun schon einen halben Tag lang fast reglos dasaß und voll innerer Anspannung auf ihren Anruf wartete. Einen Anruf, welcher - dem inneren Gefühl nach - jenes kleine Glück zerstören könnte, das erst vor kurzem in sein unscheinbares Leben Einzug gehalten hatte. Sollte an diesem Abend wirklich derartig nichtssagend enden, was doch erst vor wenigen Monaten so vielversprechend angefangen hatte. Dabei hätte doch das mit ihm und ihr eigentlich bis vor wenigen Tagen durchaus noch das Zeug zu einem herrlich kitschigen Groschenroman gehabt, wenn auch zu einem sehr modernen - einem, der also nicht 10 Pfennige, sondern 10 Cent kostete.
Da war er, Ben, der schon so lang alleinstehende Altenpflegeassistent, in einer späteren Verfilmung des Stoffes gespielt von einem drittklassigen Ex-Seifenopern-Darsteller. Und da war sie, die Christel - pardon: die Maike - von der Post. Ein unglückliches Wesen auf der Suche nach dem großen Liebesglück. Die Zwei aber flüchteten schon seit geraumer Zeit alltäglich aus der allzu beengenden Wirklichkeit in die unendlichen Weiten des weltweiten Computernetzes.
Dabei kam ihnen bei ihrem ersten internetten Zusammentreffen das Schicksal zuhilfe. Ein ehemaliges ostdeutsches Popduo hatte sich nämlich vor kurzem nach gut zwanzig Jahren Trennung eher zufällig wiedergetroffen und dabei beschlossen, es musikalisch gemeinsam noch einmal zu versuchen. Dies gaben die beiden Künstler dann auch auf einem der vielen sozialen Netzwerke bekannt - und zwar auf jenem, auf dem unter anderem auch Maike und Ben angemeldet waren. Ben tat in einem kurzen Beitragskommentar kund, daß ihm die Wiedervereinigung der zweiköpfigen Gesangsformation gefalle, was wiederum Maike gefiel - und ihr per Mausklick einen virtuellen Daumen nach oben wert war. Ja, mehr noch ... sie stellte seinem Profil sogar mit einem weiteren Mausklick eine Freundschaftsanfrage, die er wiederum mit einem dritten Klick bestätigte. Eins, zwei, drei ... so schnell war man heutzutage miteinander befreundet.
Den nächsten Schritt wagte wieder sie, indem sie ihn im Chat anschrieb. Und er antwortete ihr, kurz in ein paar Sätzen. Beim nächsten Mal wurden es dann auf beiden Seiten schon ein paar Sätze mehr. Und ehe man es sich versah, war man dabei, sich gegenseitig seine Lebensgeschichten zu erzählen. Seine war die eines Einundvierzigjährigen, dessen bisheriges Dasein auf der Haben-Seite schon mehrere gescheiterte Beziehungsversuche, zwei Verlobungen sowie einen Heiratsantrag aufzuweisen hatte, aber eben auch eine Tochter und eine Handvoll bester Freundinnen - darunter auch zwei seiner früheren Beziehungen. Sie hingegen offenbarte sich ihm als Mittvierzigerin, die - einst in Sachsen geboren - über Berlin und den hohen Norden nach München im Leben schon weite Wege zurückgelegt hatte. Eine erste Ehe, die immerhin auch zwei Töchter hervorgebracht hatte, war dabei schon auf der Strecke geblieben, weil ihr damaliger Mann den Spielautomaten mehr Zuwendung schenkte als ihr. Und auch die zweite Ehe, die ihr dann noch eine weitere Tochter beschert hatte, empfand sie schon seit langem als Unglück, denn ihr Gatte hatte schon vor Längerem sein vermeintliches Heil im Alkohol gesucht und gefunden. Die Beiden lebten, so schrieb Maike Ben ganz offenherzig, schon seit fast 7 Jahren einfach nur noch nebeneinander her. Was Gott einst vor dem Altar zusammengeführt hatte und was der Mensch nach seinem Willen nicht scheiden sollte, das hatte der achso wenig heilige Geist aus der Flasche doch längst voneinander getrennt.
Maikes Lebens- und Leidensbeichte hatte es damit geschafft, Ben anzurühren - ja, ihn tief im Herzen zu berühren. Die Geschichte, die sie von sich zu erzählte, begann immer mehr, ihn zu faszinieren und in ihren Bann zu ziehen. Und nicht nur die Geschichte - nein, auch ihre Erzählerin. Ihr schien es freilich nicht anders zu gehen. Und so war man sich recht schnell einig, den nächsten Schritt zu wagen und auch einmal telefonisch miteinander in Kontakt zu treten. Ben gab Maike, ohne lang zu zögern, seine Nummer, und sie rief ihn kurzerhand an. Wieder kam man ins Gespräch, plauderte und scherzte, hörte sich gegenseitig zu, machte einander Mut und hier und da auch das eine oder andere versteckte Kompliment. Am Ende jenes Abends fand sie ihn sooo süß und er ihren sächsischen Dialekt irgendwie säxy. Und schon am Morgen danach scheuten dann weder sie noch er sich, in ihrer ersten gegenseitigen Guten-Morgen-SMS das große Wort Liebe in den Mund zu nehmen, um zu beschreiben, was sie füreinander empfanden.
Der ersten SMS folgten noch viele, viele weitere. Eine am Morgen, eine am Abend, ein paar mittendrin. Dazwischendurch telefonierte und chattete man jede freie Minute. Und um das Einander-nahe-sein-Empfinden noch weiter zu steigern, begann man, hin und wieder das technische Wunderwerk der Videotelefonie zu bemühen. Auf diesem Weg lernte Ben dann auch schon einmal zwei von Maikes Töchtern kennen - Silke, die Älteste, und Nadja, die Jüngste. Mit Beiden verstand er sich auf Anhieb recht gut. Und was die Frau Mama der Beiden betraf, so kribbelte es stets und ständig wohltuend in seinem Bauch, wenn er mit ihr auf all die unterschiedlichsten Arten mit ihr kommunizierte, als ob ganze Schwärme wilder Schmetterlinge darin umherflattern würden. Dieses wunderbare, langvermißte und eigentlich von ihm schon längst totgeglaubte Gefühl aber veränderte ihn zusehends. Er wurde seinem ganzen Wesen nach ruhiger, zufriedener und glücklicher. Seine Welt hatte ihren neuen Mittelpunkt gefunden, welchen sie fortan zu umkreisen und umschwärmen gedachte - und dieser Mittelpunkt hieß Maike.
Doch Umschwärmen und Umkreisen allein macht Liebende auf die Dauer nicht glücklich. Denn da ist eben auch dieses in einem stetig wachsende Verlangen nach dem Berühren. Und so wünschten sich denn auch Maike und Ben nichts sehnlicher als ein erstes Zusammentreffen. Wieder kam dabei ein Zufall zuhilfe. Ben wußte aus einem früheren Gespräch mit Maike, daß sie schon vor einiger Zeit eine Karte für das Konzert eines aufstrebenden Schlagersternchens geschenkt bekommen hatte, welches Anfang Oktober an einem Samstagabend in einer kleineren Münchner Location stattfinden sollte. Als Ben nun im September seinen Oktoberdienstplan erstmalig zu Gesicht bekam, stellte er zu seiner großen Freude fest, daß er das erste Oktoberwochenende frei hatte. Und noch am selben Nachmittag organisierte er mit Maikes Unterstützung am Telefon und im Internet eine Konzertkarte, ein Flugticket und - was bei einem Oktoberfestwochenende die meiste Mühe machte - auch noch ein Zimmer in einer kleinen Münchner Pension für sich.
Aufgeregt trat er wenige Wochen später die Reise an und landete schließlich bei strömendem Regen in seinem lauschigen Liebesnest am Rande der bayrischen Metropole. Hier wuchs seine Anspannung weiter bis ins Unermeßliche, während er auf die herbeigesehnte Ankunft der Geliebten wartete. Ein kleiner Wermutstropfen dabei war, daß Ben irgendwo im Hinterkopf dieses unbestimmte ungute Gefühl hatte, ihren Noch-Ehemann mit der geheimen Affäre zu seiner Noch-Ehefrau zu hintergehen. Dann aber war sie auch schon da und zerstreute mit einem einzigen Lächeln fürs Erste all seine Bedenken. Schon unten an der Haustür des Hotels lag man sich minutenlang im Arm. Noch etwas schüchtern tauschte man dabei erste Streicheleinheiten und sanfte Küsse aus. Im Zimmer wurde man rasch vertrauter miteinander, berührte und küßte sich bald deutlich inniger und stürmischer. Abends beim Konzert umschloß er ihre schlanke Hüfte dann immer wieder ganz fest mit seinen starken Armen. Ihre Münder trafen im schummrigen Halbdunkel pausenlos wie von selbst aufeinander, ihre Zungen tanzten miteinander im heißen Rhythmus der dargebotenen Klänge. Hand in Hand schlenderte man anschließend zur Pension zurück, wo es nach der Einkehr nicht mehr lange brauchte, bis man sich aller Hüllen und Hemmungen entledigt im Doppelbett landete. Was folgte, war eine ganze Nacht voller leidenschaftlicher Zärtlichkeit, an deren Ende man schließlich - wie zuvor so oft erträumt - engumschlungen einschlief. Umso schwerer fiel es den beiden Liebenden, am Morgen danach nach einem kurzen Frühstück am Bahnsteig vorerst wieder voneinander Abschied zu nehmen. Beider Augen bedeckte ein wäßriger Schleier, als sie einander bei Abfahrt des Zuges noch einmal ganz lang zuwinkten, der wieder heimkehrende Ben und Maike - seine Maike.
Sicher, rein formal und juristisch gehörte sie strenggenommen auch nach jenem Liebeswochenende noch zu dem andern, aber zu dem gehörte sie gefühlsmäßig eben schon lange nicht mehr, wie sie Ben auch in den folgenden Tagen und Wochen immer wieder versicherte. Und so plante Maike denn nun, auch endlich die räumliche Trennung von ihrem Noch-Ehemann zu vollziehen und begab sich auf die Suche nach einer eigenen Bleibe für sich und ihre Jüngste. Gemeinsam malten sich Ben und sie dabei schon einmal die gemeinsame Zukunft in den schönsten und buntesten Farben aus. Jeden Monat würde man sich gegenseitig für ein paar Tage besuchen und dann, eines gar nicht mehr allzu fernen Tages würde sie für immer mit Nadja zu ihm ziehen. Ja, es klang ganz so wie das romantische Märchen von der ganz großen Liebe. Gemeinsam schwebte man auf Wolke 7 am strahlendblauen Sommersonnenhimmel dahin. Und durch seine rosarot getönte Brille erkannte er das Aufkommen des ersten grauen Wölkchens erst ziemlich spät.
Da war nämlich dieser eine letzte und schon lange geplante Urlaub mit Jüngsten und ihren Mann, dem sie sich bedauerlicherweise einfach nicht entziehen konnte und bei dem es sich um des lieben Friedens willen eben auch nicht vermeiden ließ, daß sie mit ihrem Noch-Angetrauten schweren Herzens Zimmer und Bett teilen mußte. Ein einwöchiger Ausflug in ihre alte Heimat, wo sie viele gute alte und neue Freundinnen und Freunde treffen würde. Natürlich würde sich auch in dieser Zeit jeden Tag irgendwo eine heimliche Gelegenheit zum Telefonieren finden. Und simsen - nun das ginge ja sowieso immer. Der Urlaub kam und etwas veränderte sich spürbar in diesem Tagen. Zunächst einmal bedauerte sie es gegen Ende der Woche das eine oder andere Mal, daß sich leider doch nicht mehr jeden Tag die Gelegenheit zum Telefonieren fände. Und auch die Kurznachrichten, die ihm dies verkündeten wurden dabei zusehends kürzer und kühler. Am Ende faßte sich Ben ein Herz und fragte nach, bat sie um eine Erklärung. Und war sehr überrascht, als sie daraufhin kleinlaut verkündete, ein befreundetes Paar hätte ihr ein wenig ins Gewissen geredet und gemeint, sie solle doch noch einmal mit ihrem Mann reden und ihm eine Chance geben, bevor sie sich endgültig von ihm trenne. Vielleicht würde er ja einen Entzug machen, und dann müsse sie ihm doch zur Seite stehen. Das besagte Pärchen wäre einst in derselben Lage gewesen. Er Alkoholiker, sie hatte sich anderswärtig Trost gesucht. Dann habe er eine Entziehungskur gemacht und sie sei zu ihm zurückgekehrt. Und nun sei er schon einige Jahre lang trocken, aber falls er doch mal wieder zu trinken anfinge, könne sie - so hatte Maikes vermeintliche Freundin es ihr unter vier Augen anvertraut - auch jederzeit wieder zu ihrem zwischenzeitlichen Geliebten zurückkehren, der letztlich nur darauf warte. Auf Nachfrage Bens, wie es denn dann mit Maike und ihm weitergehen solle - meinte Maike geradezu selbstverständlich, sie müsse dann eben vielleicht doch erstmal bei ihrem Mann bleiben und ihn unterstützen auf seinem Weg aus der Abhängigkeit. Und gelegentlich heimlich treffen könne sie sich mit Ben ja schließlich trotzdem weiterhin. Dagegen wäre ja schließlich nichts einzuwenden, oder?! Ben mußte erst einmal gehörig schlucken, um das Gesagte zu verdauen. Dann aber gab er Maike zu bedenken, daß so etwas für ihn keinesfalls infrage käme. Er verspürte nunmal einfach keine Lust dazu, dauerhaft nur ein heimlicher Liebhaber auf Abruf zu sein. Er wollte mehr. Und so müsse sie sich entscheiden. Und dabei nicht danach gehen, was andere ihr einzureden versuchten oder was das Beste für ihren Mann sei. Nicht einmal danach, was das Beste für ihn - für Ben - sei. Ihre Entscheidung müsse sich einzig und allein daran orientieren, was das Beste für sie selbst und für ihre Kinder sei. Maike bat sich bei Ben etwas Bedenkzeit aus und erklärte ihm dann, sie würde sich ab sofort von niemandem mehr in ihr Leben hineinreden lassen, ihren eigenen Weg gehen und dabei uneingeschränkt zu Ben, der nunmal die große Liebe ihres Lebens wäre, stehen.
Ben fiel damals bei diesen Worten ein riesiger Stein vom Herzen. Das traumhafte Märchen, aus dem für einen Moment ein Alptraum zu werden drohte, konnte also weitergehen. Und es ging weiter. Mit jeder SMS, jedem Chat, jedem Anruf und jedem Videotelefonat. Auch Bens Briefkasten freute sich über die große Anzahl von Liebesbriefen, die fortan aus dem Herzen der bayrischen Hauptstadt einflatterten. Gemeinsam aber plante man nebenbei auch schon das nächste traute Beisammensein. Diesmal fuhr man gemeinsam, wenn auch streckenweise erst einmal wieder jeder für sich allein, in eine kleine Ortschaft nahe der Ostsee, wo Maikes Älteste ganz in der Nähe ihres Vaters beheimatet war. Wieder verbrachte man auch hier das Wochenende in einer kleinen lauschigen Pension, unternahm zusammen tagsüber Ausflüge und ging abends zu dritt essen. Des Nachts hingegen genoß man eng aneinander gekuschelt die Freuden relativ unbeschwerter Zweisamkeit. Und vollzog dabei auf deren Höhepunkt dann auch die vollkommene körperliche Vereinigung. Viel zu schnell gingen auch diese drei Tage und zwei Nächte vorüber. Und so nahte auf dem Schweriner Hauptbahnhof, auf dem man sich Freitagabend noch so überglücklich in die Arme geschlossen hatte, mit einer weiteren Umarmung und einem letzten leidenschaftlichen Kuß einmal mehr der Abschied voneinander.
In den kommenden Tage der anbrechenden Adventszeit verbrachte man wieder viele schöne gemeinsame Stunden unter Nutzung all der Mittel moderner Telekommunikation. Ben erhielt per Post sein etwas verfrühtes Weihnachtspaket von Maike - ein Sammelsurium vieler liebevoll ausgesuchter Kleinigkeiten, über das er sich unheimlich gefreut hatte. Die festlichen Tage rückten immer näher, und mit einem Male trübte sich dabei - für ihn unerklärlicherweise - der Himmel über dem jungen Glück wieder merklich ein. Zunächst fielen ihm da die allmorgendlichen und allabendlichen Kurznachrichten auf, die - wie auch die Tage inzwischen - wieder deutlich kürzer und kühler wurden. Zwischendurch blieben sie von ihrer Seite letzlich sogar völlig aus. Den traurigen Höhepunkt aber hatte der vergangene Abend gebildet, als Ben von einem anstrengenden Spätdienst heimkehrte und sie im Chat mit einem freundlichen "Hi, mein Schatz!" und einem angefügten Herzchensymbol begrüßte, worauf sie ihm nur recht ein liebloses und gleich in doppeltem Sinne flüchtiges "Ich muß jetzt erstmal duschen" entgegenwarf. Auch das erst eine Viertelstunde später beginnende Videotelefonat blieb recht kühl und belanglos, eher schon wie eine rein geschäftliche Videokonferenz als wie das vertraute Liebesgeflüster zweier Seelenverwandter. Und als dann auch der sich anschließende Gute-Nacht-Gruß per SMS wie die Gute-Morgen-Nachricht danach nicht wirklich herzlicher herüberkamen, hatte Ben Maike einmal mehr um eine Aussprache am Telefon gebeten. Ein klärendes Gespräch, auf das er nun bereits seit mehreren Stunden wartete ...
Das wiederholte Läuten seines Handys riß Ben in diesem Moment aus seinen Erinnerungen. Erwartungsvoll drückte er die Sprechtaste und führte das Mobiltelefon ans Ohr. Einen Moment lang herrschte eisiges Schweigen, dann kam von ihrer Seite ein zaghaftes "Hallo". Er verwiderte etwas unsicher den Gruß, atmete einmal tief durch und faßte dann all seinen Mut zusammen, indem er sie bat: "Und nun erzähl mir doch bitte mal, was los ist!". Am andern Ende druckste es ein wenig herum, wollte einfach nicht so recht heraus mit der Sprache. Erst auf wiederholtes Nachfragen erklärte Maike stammelnd, daß es sie ja eigentlich schon seit langem störe, daß Ben neben ihr noch so viele andere gute Freundinnen habe und daß er mit der einen regelmäßig, mit einer anderen hingegen unregelmäßig aber dafür dann hin und wieder stundenlang telefoniere. Überhaupt wäre es ihr lieber, wenn er nur gleichgeschlechtliche Freunde hätte. Da half es auch nichts, daß Ben sofort einwendete, daß Maike ja schließlich auch ein paar gute männliche Freunde ihr eigen nenne und daß ihr einer davon sogar erst vor kurzem angeboten hätte, beim nächsten Aufenthalt in Ostseenähe gemeinsam mit Silke bei ihm und seinem Sohn doch in deren Haushalt zu übernachten. Maike wischte diese Einwände einfach kommentarlos beiseite und versteifte sich stattdessen auf ein uneinsichtiges: "Das mit Deinen Frauenkontakten wird mir einfach alles zuviel!". Auf Bens bange Frage, wie es denn nun mit ihr und ihm weitergehen solle, bat sie sich einmal mehr etwas Bedenkzeit aus und beendete dann kurzerhand das Gespräch.
Plötzlich und unerwartet ließ sie ihn einfach so sitzen - allein mit sich und seinen enttäuschten Gefühlen blieb Ben zurück. Was war nur geschehn? War er nicht eben gerade noch ihre große Liebe gewesen, ohne die sie sich ein Leben gar nicht mehr vorstellen konnte?! Ja, und sie die seine, die er doch auch liebend gern für immer und ewig auf Händen getragen und der er seine Welt und all seine Zärtlichkeit jeden Tag und jede Nacht aufs Neue zu Füßen gelegt hätte. Mit ihr hatte er es sich tatsächlich wunderbar vorstellen können, gemeinsam alt zu werden. Und jetzt ließ sie ihn mit ihrer überraschend schnellen Abfuhr einfach nur regelrecht alt aussehen.
Nur gänzlich dumm sterben, das sollte er dann wohl an diesem Abend doch nicht. Denn es dauerte im Anschluß an das abrupt abgebrochene Telefonat nur ein knappes Stündchen, dann ging eine SMS von Maike bei Ben ein, in der es kurz und knapp hieß: "Manchmal ist es vielleicht besser, man bleibt nur sehr gute Freunde, da kann nie was schiefgehn". Man mußte kein ausgebildeter Psychologe sein, um aus diesem Satz herauszulesen, daß sie sich gegen die Liebe und damit auch gegen ihn entschieden hatte. Und so seufzte Ben einmal schwer, rieb sich die geröteten Augen und schnäuzte sich die Nase, bevor er ihr als Antwort zurückschrieb: "Tut mir sehr leid, daß Du so denkst. Sehr gute Freunde ist für mich in Deinem Fall einfach keine Option, weil ich meinem Herz eben nicht befehlen kann, Dich nicht mehr zu lieben! Ich wünsch Dir trotzdem weiterhin alles Gute! Machs gut, Maike!".
Der Rest der Geschichte ist rasch erzählt. Einen Tag später bereits verbannte Maike Ben aus der Freundesliste in ihrem gemeinsamen sozialen Netzwerk. Ben selbst aber war noch eine ganze Weile lang traurig und verletzt. Ein Zustand, über den ihm letztlich gerade jene Freundinnen hinweghalfen, die Maike doch zuletzt so ein Dorn im Augen gewesen zu sein schienen. Keine Frage, er hatte sich richtig entschieden, indem er sich selbst treu geblieben war. Ob er wohl je gänzlich über seine Enttäuschung hinwegkäme?! Nun, da war er sich ganz sicher. Und er würde nichts desto trotz auch in eine neue Liebe wieder jederzeit alles investieren an Gefühlen, Zeit und Energie, was er besaß. Denn die wahre große Liebe wartete ja schließlich irgendwo da draußen immer noch auf ihn! Wartete darauf, ihn kennenzulernen und ihn dann so zu nehmen und zu akzeptieren, wie er nun einmal war! Und sie allein war es dann auch wert, daß er für sie alles gab! Vor allem sich selbst!
[ENDE]