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sven1421

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Samstag, 15. September 2012, 08:19

[C] Der verschollene Schatz

Die Geschichte, die ich hier erzähle, ist reine Fiktion. Sie knüpft unmittelbar an die Geschichte "Zwei Frauen im Zug" an. Die Story hat an sich fast nichts mit 24 zu tun, und in welche Richtung sie genau geht, gehört zu den zahlreichen Überraschungseffekten, die Euch im Lauf der Geschichte begegnen werden. Seid gespannt und glaubt mir, wenn ich Euch verspreche: Nichts ist am Ende so, wie es am Anfang scheint! ... Aber lest selbst. Ich wünsche Euch fürs erste viel Vergnügen und spannende Unterhaltung.

Hinweis: Ich habe diese Geschichte aus eigenem Ermessen in ihrer Gesamtheit als FSK 16 eingestuft, da sie in den späteren Fortsetzungen einige etwas explizite Darstellungen beinhalten wird. Mehr möchte ich dazu noch nicht sagen, um nicht zuviel zu verraten. Aber ich bitte alle Leser den Hinweis ernstzunehmen, den wir alle von Baustellenschildern her kennen: "BETRETEN AUF EIGENE GEFAHR!"


DER VERSCHOLLENE SCHATZ

WAS ZULETZT GESCHAH:

Der Nebel lichtete sich langsam. Die Schleier der Dunkelheit wurden gelüftet. In Lukas Svenssons Kopf setzte die Dämmerung ein, in der das aufflackernde Licht der Erinnerung die Schatten des Vergessens nach und nach vertrieb. Wie in Zeitlupe richtete sich sein Oberkörper in seinem Bett auf, während sein Brummschädel ihm nur allzu schmerzhaft ins Bewußtsein rief, daß er gestern für seine bescheidenen Verhältnisse wohl doch ein wenig zu viel getrunken haben mußte. Vor allem der letzte doppelte Wodka mit diesem unbekannten Russen - der dann so nett war, ihn nach Hause zu fahren - schien es in sich gehabt zu haben. Auf alle Fälle konnte sich Lukas seit dem Verlassen des Lokals um Mitternacht an rein gar nichts mehr erinnern. Nicht daran, wie er nach Hause kam, und schon gar nicht daran, wie er dort bis ins Bett gelangte - und wer ihn dann bis auf Unterhemd und Boxershorts ausgekleidet hatte.

Svensson schaute an sich herunter und entdeckte auf seinem Unterhemd einen großen blutroten Fleck. In Gedanken redete er mit sich selbst: 'Oh nein! Auch das noch! Da muß ich mit diesem Iwan Sowieso wohl gestern Nacht auch noch einen Zwischenstop bei McMickeys eingelegt haben, wonach mir wieder einmal der verdammte Ketchup auf die Wäsche tropfte'. Leise vor sich hin fluchend begab er sich ins Bad, um dort mit ein wenig kaltem Wasser und etwas Reiben vielleicht doch noch zu retten, was unter Umständen eh nicht mehr zu retten war. Im Flur geriet er dabei leicht ins Taumeln. Eine gewisse Restbenommenheit stellte sich schlagartig ein, und ein pochender Schmerz ließ Lukas nach seinem Kopf greifen, an dem er zu seinem Entsetzen eine große klaffende Wunde an der Stirn ertastete. Nein, diesmal war es kein Ketchup auf seinem Hemd, diesmal war es Blut - sein Blut! Irgendwer mußte ihm gestern Nacht in seinem hilflosen Zustand auf den Kopf geschlagen haben. Oder war er vielleicht auch einfach gestürzt und irgendwo gegengeschlagen? Nun ja, Yelena würde es schon wissen! Ja, genau! Yelena. Wo war sie denn eigentlich? Seine Hand ertastete in diesem Moment quasi im Blindflug den Lichtschalter des Badezimmers, und schon eine Sekunde später wurde es ganz und gar hell um ihn her. Sogar so hell, daß er die Augen ersteinmal schließen mußte.

Lukas hielt seine Stirnwunde mit zugekniffenen Augen kurz unter den zuvor aufgedrehten Wasserhahn. Dann stellte er sich in voller Größe vor dem Spiegel auf und öffnete vorsichtig die Augen, um sich seine Verletzung einmal genauer zu betrachten. Aber statt an dem langen Riß in seiner Stirn blieb sein Blick an etwas ganz anderem haften, nämlich an dem, was da in kleinen Druckbuchstaben offensichtlich mit einem lila Glitzerlippenstift auf das Spiegelglas geschrieben stand. Der erstarrte Svensson las es, wieder und wieder - und auch beim zwanzigsten Mal konnte er es einfach nicht begreifen und schon gar nicht glauben: "Liebster Lukas! Ich kann mein Leben nicht mit Dir teilen! Das ist mir heute Nacht ganz deutlich klargeworden! Und darum verlasse ich Dich! Suche mich bitte nicht! Ich gehe von hier fort, weit fort! Nichts hält mich nun mehr hier! Ich liebe Dich einfach nicht genug, um Deine angetraute Ehefrau werden zu können! Vergiß mich! Lebe wohl, Deine Yelena!"

Svensson verstand die Welt nicht mehr. Er hatte doch immer gespürt, daß sie ihn liebte. Sein Gefühl konnte ihn einfach nicht so getäuscht haben. Und außerdem hatte sie doch noch nie so einen Lippenstift benutzt. Wo hatte sie den denn plötzlich her? Und warum schrieb sie plötzlich so ganz ohne auch nur einen einzigen Fehler? Nein, bestimmt war das alles nur ein dummer Streich - als krönender Abschluß des gestrigen Abends vielleicht?! Lukas mußte Gewißheit haben. Er lief zurück ins Schlafzimmer, öffnete alle Schränke und Schubladen. Alle ihre Kleider waren noch da, nur ein paar Schmuckstücke fehlten. Instinktiv griff sich Svensson an sein rechtes Handgelenk - ja, der Armreif von Jack war auch verschwunden! Aber das alles war ihm im Moment gar nicht so wichtig, für ihn zählte einzig und allein eins: Seine über alles geliebte Yelena - sie konnte, nein, sie durfte ganz einfach nicht weg sein! Nicht so und schon gar nicht heute! Zaghaft begann er ihren Namen zu flüstern, erst nur im Schlafzimmer, dann rief er ihn etwas lauter im Flur. Dann ganz laut im Treppenhaus, von wo aus er als Echo gleich mehrfach wiederhallte. Eine Minute später schrie er ihn durch die ganze Wohnung und brüllte ihn anschließend in völliger Verzweiflung aus dem geöffneten Fenster des Wohnzimmers hinaus - mitten hinein in die gerade erst langsam erwachende Londoner Innenstadt. Doch so sehr er sich auch die Kehle aus dem Hals schrie, es änderte alles nichts an jener unverrückbaren, niederschmetternden Tatsache ...

Yelena war und blieb verschwunden ...

Episode 1: Neue Fragen

Die Schleier der Dunkelheit kehrten zurück und nahmen durch das offenstehende Fenster auch langsam - aber unaufhaltsam - Besitz von Lukas Svenssons Wohnung. Irgendwo im Halbdunkel des Schlafzimmers lag der Hausherr wie ein Häufchen Elend in Empryonalstellung zusammengekauert am Fußende jenes Doppelbetts, in dem er so viele schöne und zärtliche Stunden mit seiner über alles geliebten Yelena verbracht hatte. Doch nun war das Bett leer, Yelena war fort, und den ehemaligen Inspektor des Scotland Yard umfing auf einen Schlag eine spürbare Kälte. Draußen kam indes langsam ein leichter Wind auf, der sich innerhalb weniger Minuten in einen handfesten Sturm verwandelte. Irgendwann peitschte vom Londoner Abendhimmel Regen hernieder, und schließlich gesellten sich auch noch Blitz und Donner hinzu.

Das Donnergrollen holte Svensson aus seiner schläfrigen Erstarrtheit ins Leben zurück. Er brauchte erst einmal einen Moment, um zu realisieren, wo er überhaupt war. Und wie lange er nun eigentlich abwesend gewesen war, das konnte er auch schlecht einschätzen ... es waren gewiß Stunden, aber genauso gut hätten auch Tage oder Wochen vergangen sein können. Svensson rappelte sich mühsam hoch. Er schlurfte langsam in die Küche, wo er nach dem Lichtschalter tastete und sich dann immer noch wie in Trance aus dem Kühlschrank eine Packung Milch herausholte, mit deren weißflüssigem Inhalt er anschließend ein Glas füllte. Svensson leerte das Glas in einem Zuge und wischte sich dann wie in Zeitlupe mit dem Handrücken über seinen tropfenden Schnurrbart. Dabei fiel sein Blick auf den Milchkarton, an dessen Seite über dem Schwarzweiß-Bild eines kleinen Mädchens in großen roten Lettern der Schriftzug "Vermißt wird" zu lesen war. Wieder trofte es von Svenssons Gesicht, doch diesmal war es keine Milch, die seinem Bart entsprang - diesmal waren es Tränen, die schlagartig seine Augen fluteten und denen er nun nach dem Brechen aller inneren Staudämme einfach freien Lauf ließ.

Wieder verging so eine ganze Zeit der Regungslosigkeit, bevor Svensson schließlich der Küche den Rücken kehrte und sich ins Wohnzimmer begab. Auch hier mußte er erst einmal ein wenig Licht ins Dunkel bringen, bevor er schweren Schrittes die Schwelle überschreiten konnte. Er schaute sich entgeistert um. Da war das blaue Sofa, auf dem er sonst Seite an Seite mit Yelena die Abende vor dem Fernseher verbrachte. Oft hatten sie sich dabei im flimmerden Haldunkel ganz eng aneinander gekuschelt, vor allem dann, wenn er an der besonders spannenden Stelle eines Krimis zusammengezuckt war oder wenn ihm beim Happy End einer alten Liebesschnulze die Tränchen in die Augen geschossen waren. Yelena war dann stets sein Fels in der Brandung gewesen und hatte ihn mit all seinen Gefühlen bei sich aufgefangen. Ja, sie war sein Ruhepol und die Sonne, um die sein Leben auf fester Umlaufbahn kreiste ... bis heute. Nun war sein Leben mit einem Male völlig aus der Bahn geworfen worden. Seine Sonne war verloschen, und seine Ruhe war dahin.

Svensson wollte - nein, er mußte - sich irgendwie wieder fangen. Es war nötig, daß er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Und was ihm dabei stets half, war Musik. Sie begleitete und untermalte sein Leben, genauso wie sie es auch in einem guten Film oder einer spannenden Serie zu tun pflegt. Und so faßte sich Lukas ein Herz und begab sich schnellen Schrittes zu seiner Stereoanlage. Er wollte sie gerade einschalten, als er daneben auf dem kleinen Beistelltisch eine leere CD-Hülle entdeckte, aus der ein zusammengefalteter Zettel herausragte. Svensson entfaltete rasch das Papier, und zum Vorschein kam ein Brief, der eindeutig die Handschrift Yelenas trug. Der Ex-Inspektor setzte sich auf das Sofa, nahm vom Couchtisch seine Lesebrille zur Hand, setzte sie auf und begann dann ganz aufgeregt zu lesen:

"Mein gutes Lukas! Wenn Du sein traurig, weil ich weg, Du hören auf Musik Titel Nummer 1 von CD in Anlage! Du geben ein Raum für Familie von Dirigent! Und was Du hören, sein anderer Ausdruck für Anfang von das, was treiben mich fort von Dir! Nicht böse sein, daß ich haben genommen besonderen Schmuckstück von Dein Freund Jack, aber das Dir nur noch einmal mehr sollen deutlich machen mein Standpunkt! Wenn Du nachdenken ganz genau über alles, was ich schreiben, Du werden verstehen, was ich sagen wollen damit! Deine Yelena"

Lukas war verwirrt. Was sollte diese merkwürdige, geheimnisvolle Botschaft bloß bedeuten? Er ließ den Brief auf den Couchtisch sinken, begab sich zurück zur Stereoanlage und spielte die eingelegte CD ab. Im Display erschien in blauer LED Schrift die Ziffernfolge 01, wobei aus dem Lautsprecher klassische Musik erklang. Svensson erkannte die Melodie sofort, nur wem sie musikalisch zuzuordnen war, das konnte er aus dem Gedächtnis heraus beim besten Willen nicht sagen. Aber die CD-Hülle würde ihm hier bestimmt sofort Auskunft geben können. Und so nahm er sie zur Hand und las auf ihrem auskunftsfreudigen Rücken: "Leonard Bernstein dirigiert Benjamin Brittens 'Four Sea Interludes' - Titel 1 - Dawn (Morgendämmerung)".

Er lauschte eine Weile dem beruhigenden Klang der Musik, aber aus Yelenas merkwürdigem Brief wurde er dabei dennoch kein wenig schlauer. Was sollte das bedeuten: Du geben ein Raum für Familie von Dirigent? Leonard Bernstein war doch schon tot. Was hatten Yelena und er denn mit seiner Familie zu schaffen? Und was hieß: Was Du hören, sein anderer Ausdruck für Anfang von das, was treiben mich fort von Dir? Alles was er hörte, war klassische Musik - eben "Die Morgendämmerung" von Britten. Und was bedeutete bitteschön: Schmuckstück von Dein Freund Jack, das Dir nur noch einmal mehr sollen deutlich machen mein Standpunkt? Moment, diesen Teil der Botschaft konnte er vielleicht doch entschlüsseln! Der Armreif von seinem Freund Jack aus Los Angeles enthielt doch diesen ominösen Peilsender. Und das mit dem "Standpunkt deutlich machen" war ja dann vielleicht eine versteckte Umschreibung dafür, daß Svensson sie mithilfe dieses Peilsenders ausfindig machen konnte. Jack hatte doch geschrieben, daß man den Armreif über Handy und Internet jederzeit orten könne. Aber wenn ihm Yelena in ihrem Brief den Tip gab, wie er sie finden konnte, dann bedeutete das ja auch, daß sie gar nicht freiwillig weggegangen war, sondern vielmehr zum Mitgehen gezwungen - wenn nicht gar entführt - wurde.

Svensson eilte in den Korridor und durchwühlte aufgeregt die Schublade des Flurschränkchens, bis er nach einigem Suchen endlich - unter einem Stapel Formulare - den dem Armband beigefügten Brief von seinem Freund Jack hervorholte. Mit ihm in der Hand machte er sich auf ins Schlafzimmer, um sich anzukleiden. Erstaunt stellte er beim Herabsehen an sich fest, daß er bereits nahezu vollständig bekleidet war. Sogar seine schwarzen Halbschuhe hatte er schon an. Nur seinen zerknautschten Trenchcoat fischte er noch im Vorbeigehen von der Flurgaderobe, bevor er die Wohnung geradezu fluchtartig verließ. Schon wenige Minuten später kämpfte er sich bei strömendem Regen im gespenstischen Schein grell aufzuckender Blitze durch die Straßen der Londoner City, in deren Herzen er nach etwa einer halben Stunde kräftezehrender Fahrt seine alte Arbeitsstelle erreichte.

In einen Regenumhang gehüllt kam ihm dort aus seinem Wärterhäuschen auch schon ganz aufgeregt Yussuf entgegen: "Verdammt, Alder, wo warst Du denn? Wir haben alle gewartet auf Euch an der Kirche. Und weit und breit kein Expektor und keine Misses Expektor. Und aufgemacht hat bei Euch zuhause auch kein Mensch. Habt ihr Zwei kalte Füße gekriegt, oder was war los, ey?" Der völlig durchnäßte Svensson rang mit seiner Puste und den wieder aufkommenden Tränen: "Yusuf, es ist etwas Schreckliches passiert! Yelena ist weg, wahrscheinlich wurde sie entführt. Ich hab jetzt keine Zeit für große Erklärungen. Ich muß sie suchen, verstehst Du?!" Yusuf nickte sprachlos. Dann öffnete er, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, seinem Freund eilig die Schranke.

Im Hof schloß Svensson sein Fahrrad an, während ihm George von der Rezeption auf der Treppe bereits entgegeneilte. Er hielt schützend einen aufgespannten Schirm über dem triefenden Svensson, während er gleichzeitig aufgeregt auf ihn einredete: "Mein Gott, Lukas! Yussuf hat mich grad vom Tor aus angerufen. Ich begreif das alles nicht! Entführt, meinst Du? Aber wer tut denn sowas?" Er blickte dabei an seinem Freund herunter, und meinte dann, ohne eine Antwort auf seine Fragen abzuwarten: "Komm mit in die Umkleide hinter der Rezeption! Ich hab da ein paar trockene Sachen für Dich, zum Glück haben wir Zwei ja etwa die gleiche Konfektionsgröße. Und Deinen Mantel kannst Du da auch gleich zum Trocknen aufhängen". Lukas folgte George ins Rezeptionshinterzimmer und verließ es eine Minute später in einer schwarzen Anzughose und einem weißen Oberhemd in Richtung Treppe, die er dann sofort und ohne weitere Umschweife zum Keller hinabstieg.

Vorm Büro mit der Aufschrift "P06 - Personalangelegenheiten externe Dienstleister" stoppte sein Lauf. Er klopfte zweimal an die Tür und trat dann ein. Hinterm Schreibtisch begrüßte ihn sein Schützling Timmy: "Herr Inspektor! Ich meine, Herr Svensson! Was ist bloß geschehen? Yusuf rief mich grad vom Wärterhäuschen aus ganz aufgeregt an!" Svensson erzählte ihm daraufhin unter Tränen die ganze Geschichte von seiner verschwundenen Yelena und dem geheimnisvollen Brief, von der fremdartigen Lippenstift-Botschaft am Spiegel, von seinem Verdacht und von dem Geheimnis des Armreifs. Timmy nickte eifrig und ließ sich schließlich beide Briefe - den von Jack und den von Yelena - aushändigen. Dann hüpften seine Finger über die Tastatur, und innerhalb weniger Sekunden riß er die Hände in die Luft, während er stolz verkündete: "Ich hab sie! Ihre Yelena ist noch hier in London, irgendwo auf dem Flughafengelände in Heathrow. Kommen Sie, ich hab eigentlich eh schon Feierabend, ich fahr sie mit meinem Auto hin!" Damit sprang Tim voller Eifer hinter seinem Schreibtisch hervor, wo Svensson schon im nächsten Augenblick etwas skeptisch seinen jugendlichen Elan bremste: "Und wie sollen wir sie dann da finden? Was ist, wenn sie in der Zwischenzeit woanders hingebracht wird?" Timmy klopfte Svensson beruhigend auf die Schulter: "Aber ich hab doch noch meinen Laptop im Wagen. Damit funktioniert die Ortung des Armreifs übers Internet genauso spielend leicht wie mit dem Computer hier! Und wenn alle Stricke reißen, dann hab ich immer noch mein Handy dabei! Ich weiß, sie mögen diesen ganzen neumodischen Technikkram nicht sonderlich, aber manchmal ist er eben doch zu was gut!" Jetzt war auch der Ex-Inspektor überzeugt, und beide Männer verließen zügig und mit neu erwachter Hoffnung im Gepäck das Büro ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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Angel (15. September 2012, 13:54)

sven1421

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Samstag, 15. September 2012, 08:23

Episode 2: Zugangssperren

Im Flughafengebäude wimmelte es auch zu der vorgerückten Stunde nur so vor Menschen - Zivilisten und Uniformierte in farbenfroher Mischung. Das bunte Treiben war an sich aicherlich auf den ersten Blick ganz und gar nicht außergewöhnlich für den Großflughafen einer europäischen Metropole wie London. Und dennoch gab es für den aufmerksamen Beobachter beim zweiten, genaueren Hinsehen einige ungewöhnliche Dinge zu entdecken. Zum einen waren da unter den Uniformierten jede Menge Beamte mit dem Logo der neu gegründeten Spezialeinheit CI7 auf dem Ärmel ihrer Uniformjacken, die allesamt an den Zugängen zu den verschiedenen Terminals sowie an den Ein- und Ausgängen des Gebäudes postiert waren. Zum anderen zeigten seit einigen Sekunden die Anzeigetafeln im Flughafengebäude für sämtliche aufgelisteten Flüge den Schriftzug "Gestrichen" im Display.

Der gerade eintreffende Svensson war vor dem Haupteingang sofort aus Timmys Auto gesprungen und hatte nun einige Mühe, vorbei an den CI7 Leuten ins Innere des Flughafens zu gelangen. Erst als ihn einer der Beamten erkannte, ließ man ihn doch passieren, während Timmy derweil in seinem Auto mit laufendem Motor auf dem Parkplatz nahe dem Haupteingang wartete. Svensson kämpfte sich nur langsam durch die aufgescheucht herumlaufende Menschenmenge, bis er schließlich irgendwann unter all den Leuten auch seinen ehemaligen Kollegen Wannabe ausmachte. Er begab sich zu ihm und klopfte dem vielbeschäftigten Einsatzleiter schließlich ganz aufgeregt auf die Schulter: "Hey, Wannabe! Hören Sie, ich brauche Ihre Hilfe! Meine Yelena ist verschwunden. Sie befindet sich irgendwo hier auf dem Flughafengelände. Sie müssen mir helfen, sie zu suchen! Vermutlich wurde sie gewaltsam verschleppt!". Der angesprochene Superintendent Wannabe drehte sich gemächlich zu Svensson um und erwiderte ein wenig unwirrsch: "Meine Güte! Was machen Sie denn hier! Ich hab doch extra gesagt, daß man keine Zivilisten ins Gebäude lassen soll! Sagen Sie mal, Svensson, ticken Sie eigentlich noch ganz richtig! Wissen Sie überhaupt, was hier los ist! Ich hab hier eine handfeste Bombendrohung am Hals. Und da die von dieser neuen russischen Untergrundorganisation namens 'Nowoij Djehn' stammt, ist sie verdammt noch mal auch äußerst ernst zu nehmen! Und da kommen Sie hier an, tippen mir auf die Schulter und wollen, daß ich mal fix ein paar Männer abstelle, um ihre verschwundene Verlobte zu suchen. Wer sagt Ihnen denn, daß sie nicht überhaupt ganz freiwillig die Flucht ergriffen hat?! So, wie ich Sie kenne, würde mich das ganz und gar nicht wundern! Und Sie können über diesen Umstand auch ganz froh sein, ich wäre es zumindest desöfteren, wenn sich meine Alte mal so einfach mir nichts Dir nichts aus dem Staub machen würde. Ist doch um ein Vielfaches ruhiger, so ein Leben als Junggeselle! Nein, ich hab weder Lust noch Zeit für solchen Blödsinn! Außerdem kann sie ja eh nicht weg, wenn sie sich wirklich hier auf dem Flughafengelände befindet. Das Gebäude ist jetzt schließlich hermetisch abgeriegelt. Da kommt keine Maus rein oder raus, dafür verbürge ich mich persönlich! Also, hauen Sie jetzt endlich ab und lassen mich hier in Ruhe meine Arbeit machen!". Dann fegte er Svensson mit einer leichten Handbewegung einfach beiseite und wandte sich sofort wieder seinen Leuten und den anwesenden Vertretern von Presse und Fernsehen zu.

Svensson rannte noch einige Minuten völlig ziellos im Inneren des Flughafengebäudes hin und her und rief dabei verzweifelt Yelenas Namen. Selbstverständlich mußte ihm vom Verstand her klar sein, daß seine Chance, Yelena in diesem Chaos unter all den Menschen zu finden, der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen glich. Aber in solch einer emotionalen Ausnahmesituation wie dieser setzte selbst bei ihm all die kühl berechnende Logik, die sonst sein Markenzeichen war, komplett aus. Erst als er bei seinem Zickzacklauf irgendwann vom Haupteingang her das Rufen Timmys vernahm, begann er wieder klare Gedanken zu fassen und eilte umgehend zu seinem Schützling hin. Was Timmy Svensson zu berichten hatte, war alles andere als eine Gute Nachricht - auch wenn Lukas die im Moment eigentlich dringend nötig gehabt hätte. Das von dem Armreif Yelenas ausgesandte Signal hatte nämlich innerhalb der letzten Minuten begonnen, sich in ziemlich schnellem Tempo vom Flughafen weg zu bewegen - in gerader Linie in Richtung Südosten. Ein Internetabgleich mit den letzten, noch vor der verhängten Flugsperre gestarteten Maschinen ließ dabei aus Timmys Sicht nur einen logischen Schluß zu. Yelena und der Peilsender befanden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Flieger der Scotish Travel - genauer gesagt Flug ST 241 - von London nach Paris.

Svensson kam es in diesem Moment so vor, als zöge ihm jemand den Boden unter den Füßen weg. Er durfte seine Yelena einfach nicht verlieren! Er mußte ihr nach - sofort! Wieder suchte er Wannabe im Getümmel. Er fand ihn schließlich an einem der Terminals, wo er ruhig einen Espresso schlürfte, während er immer wieder fingerschnippsend Aufgaben an seine Leute verteilte und gleichzeitig deren zackige Einsatzberichte entgegennahm. Als der Superintendent den Ex-Inspektor auf sich zustürmen sah, rollte er nur kurz mit dem Augen: "Was ist denn jetzt schon wieder, Svensson! Hat man denn niemals Ruhe vor Ihnen?! Haben Sie jetzt einen streunenden Hund gefunden oder fehlt Ihnen einer der Knöpfe an Ihrem Unterhemd?!". Der inzwischen völlig außer Puste geratene Svensson mußte sich vor Wut über soviel Arroganz erst einmal kurz in den Handrücken beißen, bevor er wild schnaubend zum verzweifelten verbalen Gegenangriff ansetzte: "Sie verdammter Paragraphenhengst! Sie haben mir gesagt, hier käme niemand rein noch raus! Und während Sie hier Ihr albernes Kaffeekränzchen veranstalten, ist meine Yelena ganz offensichtlich schon längst auf dem Weg nach Paris in der Gewalt von was weiß ich für welchen brutalen Mistkerlen. Ich will jetzt sofort eine Maschine mit einem Piloten, die mich und eines Ihrer fähigsten Teams hinter ihr her fliegen lassen! Haben Sie das verstanden, Sie Ignorant?!". Wannabe genehmigte sich noch einen ausgedehnten Schluck seines Heißgetränks, zog dann kurz eine seiner Augenbrauen hoch und meinte gelangweilt: "Schreien Sie hier mal lieber nicht so rum! Das ist nämlich gar nicht so gut für Ihr Herz! Und damit mal eines gleich klar ist: Die Befehle hier gebe ich! Solange ich keine Entwarnung gebe, startet hier die nächsten Stunden nicht mal eine einsame Fliege, geschweige denn irgendein Flugzeug! Und Sie machen sich jetzt endlich vom Acker, oder Sie lernen meine fähigsten Männer mal ganz hautnah kennen, während sie Sie hier raustragen und wegen Behinderung der Polizeiarbeit in eine schöne, kleine, dunkle Arrestzelle im Keller unserer Einsatzzentrale stecken! Ich hoffe mal, das haben Sie jetzt verstanden, Sie Wirrkopf!". Zur Untermauerung seiner Worte schnippste er im nächsten Moment zwei besonders finster dreinschauende Exemplare seiner muskelbepackten Spezialtruppe heran.

Svensson wurden bei diesem Anblick zwei Dinge schlagartig klar: Zum einen, daß er von einem selbstverliebten Wicht wie Wannabe keine Hilfe zu erwarten hatte, und zum anderen, daß er Yelena und sich selbst nur schadete, wenn er sich jetzt zu unbedachten Handlungen provozieren ließ. Denn die brächten ihn am Ende nur hinter Gitter, während für die Suche nach seiner zukünftigen Frau wertvolle Zeit sinnlos verstrich. So senkte er resignierend sein Haupt und lief aus dem Haupteingang heraus zurück zu Timmys geparktem Wagen. Dort nahm er ziemlich geknickt auf dem Beifahrersitz Platz, holte einmal tief Luft und bat seinen Schützling dann, ihn zurück zu Scotland Yard zu fahren, wo er sich in dieser Situation deutlich mehr Hilfe zu erhoffen wagte. Timmy wendete kurzerhand den Wagen und jagte dann durch die nächtlichen Straßen erneut der Londoner City entgegen. Dabei behielt er sein Handy in der Halterung neben dem Lenkrad ständig im Auge. Und ganz plötzlich registrierte er dort eine abrupte Richtungsänderung des Signals, welches sich nun statt nach Südosten deutlich in Richtung Osten zu bewegen begann. Aufgeregt informierte er seinen Fahrgast über diese Neuigkeit: "Der Flieger, Boß, der Flieger! Ich glaube, er weicht von seinem ursprünglichen Kurs ab und bewegt sich jetzt in Richtung Osteuropa!". Svensson schreckte aus seiner scheinbaren Bewegungslosigkeit auf und wurde sofort hellhörig. In seinem Kopf begann es zu rattern, und in Windeseile kombinierte sein Hirn und puzzelte aus allen verfügbaren Informationen ein gänzlich neues Bild: Wannabe hatte doch von der Bombendrohung einer russischen Terrorgruppe namens "Nowoij Djehn" - was auf russisch nichts anderes bedeutete als "Neuer Tag" - gesprochen. Was, wenn das nur ein Ablenkungsmanöver war und die Terroristen in dem Flugzeug saßen?! Dann wäre ihr Ziel ganz gewiß Rußland, was sich mit dem neuen Kurs der Maschine decken würde. Vermutlich hatten diese Verbrecher inzwischen das Flugzeug sowie seine Crew und die Passagiere in ihre Gewalt gebracht und zwangen die Piloten nun zu jener plötzlichen Richtungsänderung.

Während Svensson so nachdachte, da fiel ihm auch wieder ein Satz aus Yelenas geheimnisvoller Briefmitteilung ein: "Und was Du hören, sein anderer Ausdruck für Anfang von das, was treiben mich fort von Dir". Das Musikstück im CD Spieler hieß doch "Morgendämmerung". Natürlich konnte er hier auch ein wenig zu viel in ihren vermeintlichen Abschiedsbrief hinein interpretieren, aber war denn die Morgendämmerung nicht einfach ein Ausdruck für den Anfang eines neuen Tages - und damit wäre dann eben jener "Nowoij Djehn" das, was sie nach der Aussage ihrer Mitteilung von ihm fort trieb. Wenn dem wirklich so wäre, dann waren all die Geschehnisse der vergangenen Minuten und Stunden womöglich kein Zufall - dann hing all das hier zusammen und führte vermutlich auf die Spur von etwas ganz Großem, dessen Ausmaße selbst Svensson zur Zeit noch nicht einmal im Geringsten überschauen konnte. Lukas Svensson unterrichtete seinen Begleiter Timmy über seine die neusten Ergebnisse seiner Gedankengänge, wobei dieser ihn ein wenig skeptisch beäugte. Dennoch hörte er sich die Ausführungen des Ex-Inspektors bis zuende an, bevor er vorsichtig anmerkte: "Das wäre natürlich eine mögliche Erklärung, wenn auch eine etwas weit hergeholte, wenn Sie mich fragen, Sir! Ich trau ja diesen Iwans an sich eine Menge zu, aber das ...". Svensson fiel seinem Schützling aufgeregt ins Wort: "Wie hast Du diese Leute genannt?!". Erschrocken zuckte Timmy am Steuer des Autos zusammen. Er fürchtete, der Ex-Inspektor könnte ihm seine verbale Entgleisung übelnehmen, da er ja selbst schon mit einer ehemaligen Russin verheiratet gewesen war und noch dazu im Begriff, eine weitere Landsmännin von ihr zu ehelichen.

Timmy setzte bereits reumütig zu einer Entschuldigung an, als ihm Lukas Svensson erneut ins Wort fiel: "Iwans?! Mensch, Junge, Du bist einfach nicht mit Gold zu bezahlen! Am liebsten möchte man Dich küssen, aber ich fürchte, das könnte in Deinem jugendlichen Alter allzu leicht zu sexuellen Irritationen führen. Also lassen wir das besser! Wie dem auch sei: Bei all der Aufregung um das Verschwinden meiner Braut war in meiner logischen Beweiskette ein wichtiges Mosaiksteinchen völlig verlorengegangen. Da war doch dieser Russe gestern abend, der mich vom Junggesellenabschied nach Hause gebracht hat. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Er fuhr mich in seinem Auto heim und fragte dann, ob er mich nicht noch nach oben zur Wohnung begleiten solle. Dort klingelte er dann für mich an der Wohnungstür, worauf Yelena uns öffnete. Und ab diesem Moment weiß ich nichts mehr. Ich hatte den Mann irgendwie ganz vergessen. Erst Deine Bemerkung hat die Erinnerung an ihn wieder zurückkehren lassen. Und weißt Du warum?! Weil der nämlich Iwan hieß! IJa genau! Iwan Ko ... Kowa ... Kowarno, ja das war's! Entweder hat dieser Typ selbst etwas mit dem Verschwinden Yelenas zu tun oder aber er kann zumindest Licht ins Dunkel bringen, indem er mir verrät, wie es am gestrigen Abend nach meinem Blackout in der Wohnung weiterging. So oder so, ich muß diesen Kowarno finden. Kannst Du vielleicht mal in Deinem ach so schlauen Elektrokasten nachschauen, ob Du in den Akten des Yard etwas über ihn findest?!".

Timmy nickte erleichtert, während er sein Auto just in diesem Moment auf dem Parkplatz des Yard zum Stehen brachte. Dann griff der junge Mann hinter sich nach dem Laptop auf dem Rücksitz. Er platzierte ihn vor sich auf dem Schoß, klappte ihn auf und ließ den Rechner hochfahren. Ein paar Tastenklicks später war Timmy in der Datenbank von Scotland Yard und hämmerte den Namen Iwan Kowarno in die Suchmaske ein. Der Server brauchte einen Augenblick, dann wurde das Ergebnis der Suche angezeigt. Doch statt einer Personenakte blinkte vor ihren erwartungsvollen Augen nur ein rotes Hinweiskästchen mit dem Vermerk "Streng geheim!" auf, unmittelbar gefolgt von der Aufforderung, eine gültige CI7 Benutzerkennung einzugeben, um an weitere Informationen über Kowarno zu gelangen. Timmy zuckte mit den Schultern: "Tja, sieht so aus, als könnten nur Mitarbeiter des CI7 auf die Akte von diesem Kowarno zugreifen! Das muß dann wohl ein ganz übler Bursche sein, wenn Sie mich fragen, Sir! Ich könnte versuchen, das Passwort zu hacken, aber das würde selbst bei einem Profi wie mir auf diesem Sicherheitslevel etwa 24 Stunden dauern". Svensson schüttelte ernüchtert den Kopf: "Das ist zuviel sinnlos vertrödelte Zeit! Wenn wirklich Terroristen im Spiel sind, dann ist meine Yelena vermutlich in Lebensgefahr! Wir brauchen eine andere Lösung. Kann unser Chef Freakadelly uns die Akte Kowarno nicht öffnen?". Nun war es Timmy, der ein wenig resignierend seinen Kopf hin und her bewegte: "Nein, nicht einmal der Chef hat Zugang zu den CI7 geschützten Daten. Nur die Leute vom CI7, und auch dort sicher nur die mit einer entsprechend hohen Sicherheitsfreigabe, denke ich mal! Unter Umständen sogar nur Wannabe höchstpersönlich! Und den brauchen wir ja wohl nicht nochmal um seine Mithilfe zu bitten, oder?!". Svensson kam bei diesen Überlegungen Timmys eine Idee: "Nein, er selber hilft uns sicher nicht! Aber eigentlich brauchen wir ja auch nicht ihn, sondern nur sein Passwort, oder?! Und vielleicht kommen wir ja in diesem Punkt auch ganz ohne seine direkte Hilfe weiter! ... Laß uns doch mal versuchen, ob Schwiegerpapa Freakadelly nicht irgendwie weiterhelfen kann, auch was zusätzliche Leute und Ausrüstung für den Einsatz zur Rettung Yelenas betrifft. Versuchen wir mal bei ihm unser Glück! Wie ich ihn kenne, sitzt er noch oben in seinem Büro".

Mit einem Satz entsprangen Lukas und Timmy dem geparkten Wagen, während Big Ben in der Ferne gerade zu seinem mitternächtlichen Glockenspiel ansetzte. Die beiden Männer eilten über die Treppe und durch das Foyer von New Scotland Yard zum Fahrstuhl, dessen Tür sich zeitgleich mit dem letzten Glockenschlag öffnete und der sie dann unter den sanften Klängen von Celine Dions "A New Day Has Come" direkt ins 20. Stockwerk beförderte ...

[Wird fortgesetzt]

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Samstag, 15. September 2012, 08:25

Episode 3: Audienz bei Sir Harry

Die Tür des Lifts öffnete sich mit dem gewohnten Glöckchenklang, und schon standen Timmy und Lukas auf dem - nur von den Notausgangsschildern - schwach beleuchteten, langen Gang, der zur beruflichen Residenz ihres Chefs beziehungsweise Ex-Chefs führte. Ehrfürchtig sah sich Tim Hackerman in diesen heiligen Hallen um, denn hier war er zuvor noch nie gewesen. Seine Einstellung hatte damals das Personalbüro im Keller übernommen, und auch sonst war für ihm das Erdgeschoß schon das Höchste der Gefühle. Etwas eingeschüchtert von Größe und Glanz der Räumlichkeiten klopfte er daher dem ihm vorausgehenden Lukas vorsichtig auf die Schulter und flüsterte: "Sir?! Ich glaube, Sie gehen besser allein zum Big Boss. Ich warte hier auf Sie, wenn das recht ist". Ein wenig verdutzt blickte sich Lukas um, aber als er sah, wie sehr die Begegnung mit jenem vermeintlichen Zentrum der Macht seinen Schützling innerlich wie äußerlich erzittern ließ, zwinkerte er ihm nur zu und meinte: "Ist gut, mein Junge!". Und so postierte sich Timmy mit vor dem Bauch verschränkten Händen wie der Bodyguard in einem Überseestreifen mitten auf dem langen Korridor, während der Ex-Inspektor seinen Gang zu Freakadellys Büro allein fortsetzte.

Der Raum am Ende des Flures schien auf den ersten Blick dunkel zu sein. Erst wenn man das menschenleere Vorzimmer betrat, konnte man einen schmalen Lichtschein erspähen, der vom Spalt unter der Tür zum Chefbüro herrührte. Lukas Svensson war erleichtert. Er hatte mit seiner Ahnung scheinbar Recht behalten, Harold Freakadelly arbeitete noch. Mehr noch: Er vernahm auf seinem kurzen Weg durch das Vorzimmer sogar zwei Männerstimmen in dem Raum. Eine davon gehörte mit hundertprozentiger Sicherheit Freakadelly, aber auch die andere war dem Ex-Inspektor sehr vertraut, auch wenn sie ihm sofort einen leichten Schauer der Abscheu über den Rücken zu jagen schien. Kein Zweifel, solch ein Gefühl löste neben dem an anderer Stelle beschäftigten Wannabe nur einer bei ihm aus: Inspektor Derrik Crawler. Obwohl es sonst nicht Lukas' Art war, an fremden Türen zu lauschen, legte er in diesem ganz speziellen Fall umgehend ein Ohr an die eichenhölzerne Pforte zum Chefzimmer und öffnete den Mund, um so noch besser hören zu können, was da wohl Wichtiges um diese nachtschlafende Zeit so lautstark zwischen dem Boß und jenem kriechenden Würmlein besprochen wurde.

Es war Crawler, der den Dialog mit gewohnt süßlichem Tonfall eröffnete: "Aber Sir! Jetzt wo Mister Wannabe ein anderes Betätigungsfeld hat, wäre es doch für mich sicher auch an der Zeit, meinen Aufgabenbereich zu erweitern. Ich bin jung und ungebunden, habe - bei allem Respekt für Ihre Person - den nötigen Ehrgeiz und das Know-How für die verantwortungsvolle Tätigkeit eines Chefermittlers und kann den Dienst in dieser Position ohne längere Einarbeitungszeit sofort antreten. Alles Dinge, die eindeutig für mich sprechen, oder?!". Einen Moment war es still im Büro, dann setzte Freakadelly in leicht erhitztem Ton zur Gegenrede an: "Und was Sie ebenso sehr disqualifiziert in meinen Augen, Mister Crawler, das ist Ihre kleine Vorstellung beim Junggesellenabschied des Herrn Svensson gestern abend. Ihr 'Harry, fahr schon mal den Wagen vor' klingt noch jetzt wie Hohn in meinen Ohren, Derrik!". Crawler versuchte sich aus dieser nüchternen Argumentation süffisant herauszuwinden: "Aber Sir, das war ein bedauerlicher Ausrutscher meinerseits! Die ganzen Umstände, verstehen Sie?! Alle schienen plötzlich ihr Glück gefunden zu haben - Herr Svensson seine Braut und Mister Wannabe seine neue Stellung beim CI7. Nur Klein-Derrik ging wieder mal völlig leer aus, wie schon so oft im Leben. Nie gibt es auch für mich mal den großen Zipfel der Wurst. Als kleiner Junge haben mich meine Stiefeltern regelmäßig verdroschen, ebenso die größeren Jungs in der Schule. Keiner wollte mit mir spielen, ich war immer allein. Ja, klar, vielleicht bin ich in meinen Ansichten und meinem Verhalten ein wenig schwierig, aber ist das denn ein Wunder?! Ich hatte es eben nie leicht, mußte mich immer irgendwie durchboxen, wo andere einfach auf ihre wohlbetuchten Eltern verwiesen oder das Scheckbüchlein zückten, um aufzusteigen. Alles, was ich will, ist doch nur einmal eine Möglichkeit, mich zu beweisen. Ganz allein auf mich gestellt, nicht als die ewige Nummer Zwei im Schatten eines anderen, verstehen Sie?!". Wieder wurde es still im Büro. Freakadelly schien zu überlegen. Aber auch an Lukas waren die herzergreifenden Worte Crawlers nicht spurlos vorbeigegangen. Irgendwo hatte er ja Recht. Er war hier immer nur zweite Wahl gewesen, der kleine Kaffeeholer und Stichwortgeber für den großen Wannabe. Brauchte er vielleicht wirklich nur mal jemanden, der ihm die Chance gibt, sich zu beweisen? Würde das aus dem kleinen fiesen Mitläufer unter Umständen eine geachte Persönlichkeit werden lassen? Freakadelly schien sich unterdess eine Meinung gebildet zu haben: "Das klingt ja alles sehr rührend und auch irgendwo logisch! Dennoch tut es mir leid, Derrik, aber in meinen Augen sind Sie einfach noch nicht so weit, daß ich sie an die Spitze einer unserer Abteilungen stelle. Ich bedaure! Und nun habe ich noch ein wenig zu arbeiten, wenn Sie gestatten!".

Lukas Svensson löste sein Ohr von der Tür, schloß den Mund wieder und begab sich auf leisen Sohlen eiligen Schrittes zurück zur Vorzimmertür. Dort drehte er um und polterte dann geradezu übermäßig laut denselben Weg zurück. Er setzte gerade zum Klopfen am Eichenholze der Chefzimmertür an, als ihm selbige vor der Nase von einem überrascht dreinschauenden Crawler aufgerissen wurde, der sich einen Moment später mit dem Hemdsärmel über die glänzenden Augen wischte. Lukas Svensson tat ebenso überrascht: "Guten Morgen, Inspektor Crawler! Was ist denn mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?". Der Angesprochene wendete seinen Blick seitlich ab und flüsterte mit tränenerstickter Stimme: "Ach, lassen Sie nur! Sie wollen doch eh nicht wissen, wie es mir geht! Keinen Menschen interessiert das! Also sparen Sie sich nur Ihr Mitleid, Sir! Gute Nacht!". Mit diesen Worten schlängelte er sich rasch an seinem Ex-Kollegen vorbei und entschwand dann eiligen Schrittes durch das Vorzimmer hindurch auf den langen Gang des Flures. Lukas Svensson aber stand für einen Augenblick wie angewurzelt und erneut mit geöffnetem Mund da. Drei Dinge hatten diesen Zustand in ihm bewirkt. Zum einen hatte er den Fiesling Crawler, der doch sonst so kalt wie Hundeschnauze erschien, erstmals weinen sehen. Zum zweiten machte dieser Treppenterrier im Gehen trotz seines gestrigen Zechgelages im "My Redemption" schon wieder eine erstaunlich gute und geradlinige Figur. Und last but not least hatte ihn der Wurm zum ersten Mal im Leben Sir genannt. Svensson spürte von diesem unerwarteten Ritterschlag förmlich noch die schwere Last des Schwertes auf seiner linken Schulter. Naja, vielleicht schmerzte die ihm aber auch nur immer noch von dem, was gestern Nacht nach seinem plötzlichen Blackout in seiner Wohnung passiert war und letztlich mit dem Verschwinden Yelenas endete. Ja, genau! Die Suche nach Yelena und damit verbunden die Suche nach Wannabes Passwort waren ja seine eigentlichen Anliegen, die nun keine Verzögerung mehr duldeten.

Schnellen Fußes bewegte sich Sir Lukas über die knarrenden, alten Dielen des im Halbdunkel der Schreibtischleuchte recht gespenstisch anmutenden Chefbüros. Freakadelly hatte ihn erst jetzt bemerkt und eilte aufgeregt auf ihn zu, um ihm die Hand zu schütteln und ihn dabei mit seinen Fragen zu bombardieren: "Meine Güte, Lukas! Wo waren Sie denn heute Mittag? Alles hat auf Sie und ihre bezaubernde Gattin gewartet vor dem Standesamt von St.Pauls Cathedral. Haben Sie am Ende doch noch kalte Füße bekommen, oder gar ihre Frau?". Lukas schüttelte bedrückt sein Haupt: "Nein, kalte Füße nicht. Aber einen Schlag auf den Kopf gestern Nacht. Und dann war Yelena morgens verschwunden. Einfach weg, Harry! Jetzt sitzt sie in einem Flugzeug, das ursprünglich nach Paris startete, inzwischen aber in Richtung Osten unterwegs ist. Ich fürchte, man hat sie entführt. Und dank meinem Filmriß gestern Nacht gibt es nur eine Person, die Licht ins Dunkel bringen könnte, einen nicht geladenen Gast meiner Abschiedsfeier - Iwan Kowarno. Der brachte mich gestern nach Ihrem Fortgehen nach Hause. Er könnte wissen, was mit meiner Frau passiert ist. Oder er steckt selbst hinter dem Ganzen. An seine Akte komme ich allerdings nur mit einer Sicherheitsfreigabe des CI7, und ich hoffe nun, daß Du mir da irgendwie weiterhelfen kannst. Dein Schwiegersohn, den ich grad am Flughafen besucht habe, zeigt sich ja wie gewohnt wenig kooperationsbereit". Erst jetzt wurde Lukas der ungewollte kleine Ausrutscher in der Anrede seines Ex-Chefs bewußt, und er stammelte: "Entschuldigen Sie, Harry, daß ich in meiner ganzen Aufregung jetzt einfach so zum Du übergegangen bin!".

Harold Freakadelly klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter: "Belassen wir es doch einfach beim Du, Lukas!". Dann rieb sich der Yardchef sich nachdenklich mit der Hand übers bartstopplige Kinn und mulmelte bedrückt: "Was nun Deine Ausführungen angeht: Mein Gott, Lukas, das ist ja schrecklich. Yelena? Entführt? Was können wir da nur tun? Die Sicherheitsfreigabe des CI7 hab ich nicht, die hat tatsächlich nur mein Noch-Schwiegersohn". Entsetzt hielt er einen Moment inne und schlug sich mit der Hand vor den Mund: "Ich elendes Plappermaul! Das sollte doch keiner wissen. Du mußt mir versprechen, daß Du es keiner Menschenseele erzählst, Lukas! Eigentlich dürfte ja nicht mal ich es wissen. Ich weiß, sowas tut man nicht, aber ich hab halt gelauscht, als sich meine Tochter mit meiner Frau darüber unterhielt. Ja, es sieht so aus, als würden Charles und unsere Janet sich scheiden lassen. Sie hält ihm vor, daß er seine Simone mehr liebt als sie. Na Simone eben, die von mir geschenkte Yacht, die Charles nach seiner über alles geliebten Mutter benannt hat und mit der er deutlich mehr Zeit verbringt als mit seiner Frau. Für meine - an diesem Zustand sicher nicht ganz unschuldige - Janet ist das genauso schlimm und unverzeihlich wie ein Seitensprung. Vielleicht sogar noch schlimmer, denn mit dieser hölzernen Lady und ihrem makellosen Äußeren kann sie ihrer Meinung nach nicht konkurrieren. Aber entschuldige, ich schweife vom Thema ab. Deine Braut ist verschwunden, und ich nerv Dich hier mit meinem privaten Pillepalle. Also, was den Zugang über den CI7 betrifft, kann ich Dir leider nicht weiterhelfen. Denn Charles' Passwort kenne auch ich verständlicherweise nicht. Gibt es denn nicht sonst noch etwas, was ich für Dich tun kann?".

Lukas, der die ganze Zeit traurig den Kopf gesenkt gehalten hatte, nickte nun eifrig: "Also, zum einen wüßte ich gern mehr über eine gewisse Terrorgruppe, die Wannabe mir gegenüber erwähnt hat: Nowoij Djehn. Dann könntest Du Tim Hackerman aus der Personalabteilung beurlauben, damit er mit mir auf die Suche nach Yelena gehen kann, welche wir inzwischen auf dem Weg nach Rußland vermuten. Und ein dritter Mann aus den Reihen des Yard wäre auch gut, falls es mal brenzlig wird". Freakadelly überlegte einen Moment, dann erwiderte er: "Aber das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal! Also, hübsch der Reihe nach ... Da die besagte Terrorvereinigung 'Nowoij Djehn' Sache des CI7 ist, weiß ich darüber auch bei weitem nicht alles. Ich kann Dir eigentlich nur soviel sagen, daß es sich um eine relativ neue, von Rußland agierende Truppe aus ehemaligen Söldnern und KGB-Leuten handelt, deren oberster Anführer uns derzeit noch völlig unbekannt ist. Sie hat sich neben terroristischen Anschlägen weltweit auch auf den Diebstahl und Verkauf wertvoller Kunstgegenstände spezialisiert. Mehr weiß ich darüber nicht. Was nun Deine personellen Anfragen angeht: Mister Hackerman stelle ich Dir gern zur Verfügung, inoffiziell versteht sich. Der Junge hat, soweit ich weiß, eh noch ein paar Tage Urlaub offen, die er dafür ohne weiteres nehmen kann. Was den von Dir gewünschten dritten Mann angeht, sehe ich leider schwarz. Der Einzige, den ich momentan entbehren könnte, wäre dieser Crawler, aber auf den kannst Du ja sicher mit Kußhand verzichten, oder?! Und dann gibt es da noch ein viel größeres Problem. Ich hab vor einigen Minuten nämlich von Charles per Email ein Memo erhalten, daß alle Flughäfen bis auf weiteres gesperrt bleiben. Diese Anweisung kann nicht mal ich umgehen, da der CI7 nicht mir sondern einzig und allein der Befehlsgewalt des Premierministers untersteht. Und ich glaube, noch nicht einmal das ist dem guten Charles recht. Am liebsten wäre er wahrscheinlich selbst der oberste Regierungschef im Königreich. Na egal, jedenfalls scheidet damit ein Flug Richtung Osten schon mal von vornherein aus. Einzige Ausweichmöglichkeit wären im Moment die Bahnhöfe, wobei eine Zugfahrt nach Rußland allerdings einige Tage in Anspruch nähme. Und selbst da gibt es immer noch ein riesiges Problem. Du und Deine Begleitung, Ihr müßtet ohne offizielle Rückendeckung vom Status her als Privatpersonen reisen. Für eine Einreise nach Rußland benötigt man da bekanntlich eine offizielle Einladung sowie ein gültiges Visum. Und auch das kann ich Dir leider nicht beschaffen, da komme ich nun mal nicht ran! So leid es mir tut, alles in allem halte ich das Ganze nach meinem Ermessen für eine unmögliche Mission. Du weißt doch, wie das mit solchen Missionen ist: Wenn Du oder jemand in Deiner Begleitung festgenommen oder schlimmeres werden, das Yard und ich müßten jede Kenntnis bestreiten! Wenn Du es allerdings dennoch irgendwie versuchen willst ...".

Mit diesen Worten ging Freakadelly zu seinem Schreibtisch, öffnete ihn und entnahm einem der Fächer ein kleines sibernes Elektrogerät in der Form eines Walkmans. Er übergab das Teil, welches sich laut Aufschrift "Digital Dictator" nannte, dem etwas ungläubig dreinblickenden Lukas und sprach: "Schau nicht so! Das ist ein digitales Diktiergerät, damit Du wichtige Gespräche und Gedanken ohne Verzögerung festhalten kannst. Glaub mir, selbst in meinem Alter ist so ein Ding Gold wert. Es besitzt noch dazu nur zwei extra große Tasten - eine zum Aufzeichnen und eine zum Abspielen der Aufnahme - und ist somit auch für die technisch ein wenig Unbedarften geeignet. Der Speicher ist groß genug, um etwa 24 Stunden aufzuzeichnen, das sollte genügen. Und wenn Du wieder da bist, dann hören wir uns Deine Erlebnisse als Hörspiel gemeinsam bei einem schönen Glas Whisky an. Nimm schon! Mir ist doch längst klar, daß Du es ja trotz aller widrigen Umstände doch wagen willst". Lukas nahm das Gerät an sich und schüttelte dabei energisch den Kopf: "Nein, Harry! Ich will nicht, ich muß! Eine Ahnung sagt mir, daß es ein schreckliches Ende nähme, wenn ich es nicht tun würde! Koste es also, was es wolle, ich werde meine Yelena suchen und finden. Und ich geb nicht eher Ruhe, bis sie wieder gesund und munter in meinen Armen liegt, das gelobe ich!". Dabei rieß der Ex-Inspektor seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger geradezu beschwörend nach oben. Harold Freakadelly nickte verstehend: "Dann wünsche ich Dir viel Glück, Lukas! Du wirst es brauchen können. Aber wenn es überhaupt einer schaffen kann, dann ganz sicher Du, mein Freund!". Svensson warf unterdess noch einmal einen kurzen prüfenden Blick auf das bereitgestellte Diktiergerät. Dann ließ er es rasch in der linken Tasche seines Trenchcoats verschwinden und meinte schmunzelnd: "Weißt Du, daß ich das noch erleben darf - einen Diktator, den ich im Handumdrehen in die Tasche stecken kann". Die Bemerkung entlockte nun auch Harold Freakadelly bei allem Ernst der Lage ein kleines verstohlenes Lächeln.

Beide Männer schlossen sich noch einmal fest in die Arme, dann machte Lukas auf dem Hacken kehrt und war bereits im Begriff zu gehen, als Freakadelly plötzlich rief: "Warte mal! Ich ruf rasch noch bei Tim Hackermans Vorgesetztem an, der gute alte Mister Cowley ist nämlich ein Skatkumpel von mir und wie ich bekennender Nachtschwärmer. Dann ist der Urlaub Deines Adjudanten schon mal offiziell, und es gibt morgen ... äh heute ... früh bei seinem Nichterscheinen keine Probleme!". Freakdelly nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, holte sein kleines schwarzes Telefonbuch aus der offenstehenden Schreibtischschublade hervor und drehte dabei gleichzeitig an einem kleinen, kaum sichtbaren Knopf in seinem rechten Ohr. Lukas staunte bei diesem ungewohnten Anblick nicht schlecht: "Du trägst ein Hörgerät, Harry?!". Freakadelly sah zu ihm herüber, während er die Nummer des Leiters der Personalabteilung wählte: "Tja, man wird eben älter, mein Guter. Ich bin ja schon froh, wenn mich meine Tochter noch nicht ins Heim stecken läßt. Weißt Du, ich glaube, ich werde auf diesem Posten hier nicht alt. Das wird mir alles auf die Dauer zu viel. Mein Vorgänger, der gute alte Eddi Wallace hat mich neulich angesprochen, ob ich nicht als Teilhaber in sein 'Gasthaus an der Themse' einsteigen will. Das Geschäft läuft ihm zufolge nämlich geradezu kriminell gut, vor allem seit seine drei alten Kriegskameraden Joachim - genannt der Fuchs - Berger, Heinz - besser bekannt als der Drache - und sein Vornamensvetter Edi A. Rent dort mit ihrer Gruppe 'The Kinskies' ordentlich für Stimmung sorgen. Vielleicht nehm ich das Angebot ja an, mal sehen. Aber bitte red noch nicht davon! Das von meinen Zukunftsplänen weiß nämlich noch keiner außer mir, und es wär schön, wenn das auch noch ein Weilchen so bleibt". Und mit einem kurzen prüfenden Blick auf den Telefonhörer in seiner Hand ergänzte er: "Warum knackt denn dieses blöde Teil schon seit ein paar Tagen so merkwürdig? Scheint so, als würde der alte Apparat langsam den Geist aufgeben. Ist wohl hier im Büro nicht nur was meinen Posten betrifft mal langsam Zeit für eine Neubesetzung!". Im gleichen Moment hatte Freakadelly den gewünschten Gesprächspartner in der Leitung und teilte ihm sein Anliegen mit. Einige Sekunden später legte er den Telefonhörer auf und riß freudestahlend den Daumen der linken Hand nach oben: "Alles geregelt, mein Freund! Auf los geht's los! Ich hoffe, wir sehen uns bald alles gesund und munter bei Deiner Hochzeit wieder!". Lukas nickte: "Das hoffe ich auch! Und danke für alles, Harry!". Freakadelly winkte nur sacht ab, dann ließ er den Ex-Inspektor seines Wegs ziehen. Auf dem Gang kassierte Svensson noch rasch den wartenden Timmy ein, der ihn mit Hilfe der Anpeilung Yelenas über sein Handy aus darüber in Kenntnis setzte, daß sich der vom Kurs abgewichene Flieger weiter schnurstracks in Richtung Rußland bewegte. Die beiden Männer ließen sich erneut "liften" von ganz oben bis ins Erdgeschoß, wo sich der Ex-Inspektor an der Rezeption von George noch rasch seinen längst wieder getrockneten Trenchcoat geben ließ. Und schon wenige Minuten später liefen sie im strömenden Regen die Stufen vom Haupteingang des Yard hinab zu Timmys Wagen.

Just in diesem Moment trat ihnen aus einer dunklen Ecke des Hofes Derrik Crawler in den Weg, nur mit seinem teuren Maßanzug bekleidet und naß wie ein begossener Pudel: "Sir, Mister Svensson! Mister Freakadelly hat mich gerade eben nach ihrem Aufbrechen aus seinem Büro angerufen und gefragt, ob ich Sie und Mister Hackerman nicht bei Ihrer Mission unterstützen möchte. Und wenn Sie erlauben, dann würde ich das gern tun. Auf so eine Chance warte ich nämlich schon eine Ewigkeit, wissen Sie! Bitte, lassen Sie mich mitfahren! Sie werden es nicht bereuen, Sir!". Timmy, der Crawler von Lukas' Erzählungen her nur allzu gut zu gut zu kennen glaubte, schubste den triefenden Anzugträger unsanft von seinem Auto weg: "Ausgerechnet Sie wollen uns helfen! Nein, lassen Sie mal gut sein, mein Herr! Auf Ihre Hilfe verzichten wir dankend!". Zu Timmys Erstaunen meldete sich an dieser Stelle Lukas auf ein, für ihn ganz überraschende Art und Weise zu Wort: "Mister Crawler, danke für Ihr Angebot! Mister Hackerman und ich können, denke ich, momentan jede Hilfe gebrauchen, die wir bekommen. Und darum gebe ich Ihnen trotz all unserer Differenzen in der Vergangenheit diese Chance. Jeder Mensch hat es verdient, daß man ihm die Möglichkeit gibt, sich zu beweisen und zu bewähren. Also, was unsere früheren Auseinandersetzungen betrifft: Schwamm drüber! Vielleicht sind ja gerade Sie als langjähriger Weggefährte Wannabes genau der Richtige, was die Lösung eines unserer dringensten Probleme betrifft! Und nun, steigen Sie erstmal ein!". An den verdattert schauenden Tim gerichtet aber fügte er hinzu: "Timmy, mein Freund! Jetzt erstmal rasch zu mir und Dir nach Hause, Sachen packen für die Reise. Und ich denke mal, für unseren neuen Weggefährten Mister Crawler finden wir bei Dir auch noch was Trockenes zum Anziehen. Ihr seid Euch ja zumindest rein äußerlich doch irgendwie ziemlich ähnlich" ...

[Wird fortgesetzt]

+++ CRIMINAL MINDS +++ DALLAS +++ CASTLE +++ DOCTOR WHO +++ 24 +++

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sven1421

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4

Samstag, 15. September 2012, 08:26

Episode 4: Alle Wege führen nach Moskau

Dicke Regentropfen prasselten unvermindert auf die Straßen und Plätze Londons hernieder. Grelle Blitze zuckten, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Und ständig wiederkehrende, stürmische Windböen scheuchten das herabgefallene bunte Herbstlaub der Bäume auf dem spärlich beleuchteten Innenhof von Scotland Yard hin und her.

Svensson, Crawler und Hackerman nahmen eilig im Innern des Autos platz - Lukas und Timmy vorne, ihr neuer Begleiter auf dem Rücksitz. Von Crawlers klitschnassen Haaren tropfte dabei das Wasser im Sekundentakt auf Timmys scheinbar nagelneue lederne Sitzbezüge. Der junge Fahrzeughalter drehte sich zu dem ihm auf Anhieb immer unsympathischer werdenden Hintermann um und knurrte erbost: "Passen Sie gefälligst auf, die Bezüge waren teuer, Sie Schnösel! Auch wenn sowas für sie nur Peanuts sind, für mich stellen 60 Pfund ein kleines Vermögen dar!". Mister Crawler entschuldigte sich höflich und trocknete die nassen Haare notdürftig mit seinem fast ebenso feuchten Jacketärmel. Und zu Svensson gewandt sagte er: "Sir, Mister Freakadelly hat mir am Telefon auch gesagt, daß sie eventuell das Zugangspasswort von Mister Wannabe benötigen, um an eine bestimmte Personenakte zu gelangen. Ist das so?!". Lukas nickte erstaunt, während Crawler bereits in seinen Ausführungen fortfuhr: "Vielleicht kann ich behilflich sein?! Ich hab ja - wie Sie schon sagten - einige Jahre mit Mister Wannabe zusammengearbeitet. Da bekommt man vieles mit, auch vom Privatleben und ganz bestimmten Interessen. Nun, die meisten Menschen wählen doch ihre Paßwörter nach persönlichen Präferenzen, nicht wahr?! Also, wie ich eben so im Regen stand und wartete, da hab ich so hin und her überlegt. Und ich würd es an Ihrer Stelle mal mit dem Vornamen seiner Mutter probieren, an der er - glaub ich - sehr hing und nach der er doch auch seine Yacht benannt hat: SIMONE!".

Tim winkte ab, während er gleichzeitig den Motor startete: "Was weiß der schon?! Steht plötzlich da, macht einen auf nett und mischt sich in Sachen, die ihn einen Dreck angehen und von denen er eh null Ahnung hat". Der Ex-Inspektor neben ihm zeigte sich der Idee Crawlers gegenüber da bei weitem aufgeschlossener. Er klopfte Tim sanft auf die Schulter und meinte: "Na, nun sei mal nicht so, Timmy! Es schadet doch nichts, wenn wir Mister Crawlers Vorschlag mal ausprobieren, oder?!". Ein wenig genervt drehte Tim Hackerman den Zündschlüssel seines Wagens wieder zurück, so daß der Motor verstummte. Er warf einen grimmigen Blick nach hinten und raunte: "Meinen Laptop, wenn ich bitten darf! Der silberne Kasten, da neben Ihnen!". Damit deutete er auf das zusammengeklappte Notebook zur Linken Derriks. Crawler reichte es Timmy mit freundlicher Mine, der aber entriß es ihm förmlich und klappte es dann auf seinem Schoß ein wenig unwirrsch auf. Wieder begann Timmy nach dem Hochfahren des Rechners sein rasantes Tastenspiel und nach Eingabe des Paßwortvorschlags SIMONE gab der Server zu seinem Erstaunen plötzlich und unerwartet den nunmehr uneingeschränkten Blick auf die Akte Kowarno frei. Natürlich verlieh Timmy seiner innerlichen Überraschung nach außen hin keinrlei Ausdruck. Nein, diesen Triumph wollte er dem eingebildeten Pinsel hinter ihm auf keinen Fall gönnen. Stattdessen raunte er gelangweilt: "Naja, das blinde Huhn und das sprichwörtlich gefundene Korn, das kennt man ja! Früher oder später wären der Inspektor oder ich da auch allein drauf gekommen! Also, dann schaun wir mal, was wir da haben: Iwan Kowarno. Russischer Staatsangehöriger. Geboren am 11. September 1955 in Moskau, 1 Meter 92 groß. Haarfarbe: Schwarz. Augenfarbe: Blau. Familienstand: Geschieden. Beruf: ehemals Ex-KGB-Agent, derzeit vermutlicher Anführer der Terrorgruppe 'Nowoij Djehn'. Steht auf der Fahndungsliste von Interpol. Besondere Merkmale: Sportlicher Typ, Anschrift: Moskau, Newski Prospekt, Nummer 222. Und er war von 1974 bis 1997 verheiratet. Seine Ex-Frau heißt ... Moment, das kann nicht sein! Das ist doch wohl nicht möglich ...". Lukas war neugierig, was seinem Schützling so plötzlich die Sprache verschlug und den Mund offenstehen ließ. Und so ergriff er nun selbst jenen mysteriösen Elektronikkasten, um dessen "Kollegen" er sonst doch stets tunlichst einen großen Bogen zu machen pflegte. Seine Augen überflogen die Akte Kowarno, dann riß auch er mit einem Male Augen und Mund weit auf. Minutenlang herrschte bedrückte Stille im Auto. Auch Derrik Crawler sagte kein Wort. Es war schließlich Tim Hackerman, der als erster die Sprache wiederfand. Vorsichtig entwand er dem immer noch erstarrt dasitzenden Lukas den Laptop wieder, klappte ihn zusammen und reichte ihn über die Schulter - sogar ohne jeglichen abwertenden Kommentar - nach hinten an Crawler weiter. Und während er den Wagen abermals startete, sprach der Svensson-Schützling entschlossen: "Dafür gibt es ganz gewiß eine logische Erklärung. Und die finden wir wohl kaum, wenn wir weiter nur hier rumsitzen. Wir haben schließlich ein Ziel vor Augen und einen dazugehörigen, sehr engmaschigen Zeitplan. Weiter nachdenken können wir auch während der Fahrt. Los geht's! Zuerst mal zu Ihnen, Sir!". Nur Sekunden später verließ das Auto mit den drei Männern mit quietschenden Reifen den Hof des Yard, durch Yussufs geöffnete Schranke hindurch hinein ins nächtliche London.

Weitaus weniger rasant - wenn auch gleich mit deutlich höherem Tempo - reiste es sich unterdess etwa Tausend Kilometer weit entfernt über den Wolken, wo die Freiheit ja bekanntlich grenzenlos sein soll. Und das schien sie an Bord der Boeing 737 der Fluggesellschaft Scotish Travel mit der Flugnummer 241 auch zu sein. Zwar flackerte das Licht in dem langen, schmalen Gang des Fliegers ein wenig, doch ansonsten unterschied sich das Geschehen hier auf den ersten Blick ganz und gar nicht von dem normaler Linienflüge. Die 112 Passagiere saßen ruhig und wohlgeordnet in Reih und Glied angeschnallt auf ihren Plätzen, und das sogar, obwohl schon seit langem das rote Warnlicht auf dem "Fasten Your Seatbealts"-Schild überm Eingangsbereich erloschen war. Auf dem Gang lief in einer korrekt sitzenden Uniform eine hübsch anzusehende, junge Dame hin und her, der zum normalen Erscheinungsbild einer Stewardess eigentlich nur noch das kleine, klappernde Wägelchen mit all den Erfrischungsgetränken und diversen kleinen Snacks fehlte. Erst hier zeigte sich nun, wie sehr der erste Anschein doch manchmal trügt. Denn anstelle jenes Servierwagens hielt die uniformierte Frau in ihrer rechten Hand eine silbern glänzende Pistole vom Typ Makkarow und in der linken eine fest zusammengedrückte, vom Sicherungsstift befreite Handgranate. Mitten im Gang blieb die grimmig dreinschauende, kühle Blonde plötzlich stehen und brüllte mit gebrochen russischem Akzent: "Damen und Herren, ich Sie herzlich begrüßen an Bord von Maschine ST 241 auf unplanmäßiger Flug nach Moskau in Herz von Mütterchen Rußland! Ich Sie dürfen jetzt mit ein paar für Sie überlebenswichtigen Sicherheitshinweisen machen vertraut. Erstens: Sollten versuchen Sie, irgendwie mich oder meine beiden Begleiter zu greifen an, wir Sie entweder töten oder aber schönes Flugzeug machen Peng! Das wir nicht wollen, oder?!". Bekräftigend schüttelte sie hämisch grinsend ihr süßes Köpfchen hin und her, während sie in ihren Ausführungen unvermindert fortfuhr: "Zweitens: Wenn Sie wollen überleben dieses Flug, Sie sich verhalten ganz ruhig und bleiben schön sitzen auf breite Hinterteil und ohne Wenn und Aber alles tun, was Onkel Iwan, Onkel Boris und Tante Katjuscha - das ich sein - verlangen von Ihnen. Und drittens: Wer Held spielen oder Maul reißen zu weit auf, außer uns natürlich, der sein schon jetzt so tot wie Maus! Ich denke, haben Sie alles verstanden, auch wenn mein Englisch nicht so perfekt. Aber keine Sorge, werden ich besser mit jedes Flugzeugentführung!". Noch einmal grinste die Blondine angestrengt übers ganze ergrimmte Gesicht, dann machte sie kehrt und stolzierte wie ein Model auf dem Laufsteg zu ihrem Platz zurück, wo ihr Nebenmann Boris Rabiatowitsch schon beifallklatschend auf sie wartete: "Bravo, bravissimo, Katka! Was für ein Auftritt! Sollten wir fliegen mit Dir non stopp nach Hollywood Amerika! Neues Sternchen am Himmel sein geboren!".

Katjuscha aber winkte nur ab, während sie wieder Platz nahm und ihrem Vordermann auf die Schulter klopfte: "So, jetzt es sein Zeit für Dein Auftritt bei Flugzeugführer, liebstes Wainka, mein großes Meister!". Der Angetippte drehte sich um und lächelte sie an: "Du hast Recht, mein Sonnenscheinchen, Zeit für Onkel Iwan, unseren Piloten nach dem neuen Kurs auch das Ziel mitzuteilen. Und dann muß ich ja auch noch die Herrschaften im Königreiche der Briten über unsere Forderungen in Kenntnis setzen. Als geübte Geiselnehmer wissen wir ja schließlich, was sich gehört. Oder was meinst Du dazu, meine kleine lang gesuchte Ausreißerin?!". Damit beugte er sich aus dem Halbdunkel seines Sitzes zu seiner Sitznachbarin herüber, und man konnte nun deutlich erkennen, daß es sich bei der Person des Anführers um niemand anders handelte als um jenen Iwan Kowarno, der am Abend zuvor scheinbar ganz zufällig auf Lukas Svenssons Junggesellenabschiedsfeier aufgetaucht war, und den dieser mit Derrik Crawlers Hilfe erst vor wenigen Minuten als vermeintlichen Kopf der Terrorgruppe "Nowoij Djehn" identifiziert hatte. Die Frau neben ihm aber, die sich - ein wenig benebelt wirkend - langsam unter ihrem Sicherheitsgurt hin und her wand, war Yelena - jene verschwundene Yelena Zladkaja, die zu dieser nächtlichen Stunde eigentlich längst den Familiennamen Svensson hätte tragen sollen. Nur mühsam gelang es ihr, die Augen zu öffnen und mit ihren schwer wie blei wirkenden Lippen Worte aus ihrem Mund herauszupressen: "Iwan, sein Du das? Was Du tun mit mir? Wo wir sein? Wo sein mein Lukas, was Du haben gemacht mit mein Mann?". Iwan schüttelte milde lächelnd den Kopf: "Dein Mann? Er ist nicht Dein Mann. Und wenn es nach mir geht, dann wird er es auch niemals werden. Dein Mann bin immer noch ich. Oder hast Du schon vergessen, was Du mir damals vor dem Standesbeamten in Leningrad geschworen hast? Mann und Frau, solange wir leben!". Jetzt war es Yelena, die wie in Zeitlupe den Kopf schüttelte, während sie die Augen einen Spalt weit öffnete und flüsterte: "Nein! Ich nichts haben vergessen, gar nichts. Nicht brutales Art von Dir, ständiges Saufen und schmutzige Geschäfte in Auftrag von KGB. Aber Du haben vergessen anscheinend, daß Ehe von Dir und mir längst sein geschieden, noch bevor ich gelaufen weg von Dir, weit weg nach London! Warum Du konntest nicht mich lassen in Ruhe dort, gerade jetzt, wo endlich ich haben Glück gefunden in Leben".

Eine verstohlene Träne entrann Yelenas Auge und bahnte sich - der Schwerkraft folgend - ihren Weg über die Wange bis sie von dort herabtropfend auf ihre Seidenbluse fiel und in deren dünnem Stoff langsam versickerte. Kowarno neben ihr aber lachte nur voller Hohn: "Dein Glück! Diese dämliche, greise Witzblattfigur von einem ehemaligen Bullen?! Daß ich nicht kichere! Der sitzt jetzt sicher zuhause, kühlt seine kleinen Wehwehchen und klagt dem Onkel Psychiater sein Leid von der armen, durchgebrannten Braut. Oder denkst Du, diese Lusche sucht Dich?! Nicht nach meinem genialen Abschiedsbrief auf dem Spiegel. Und erst recht nicht nach Deiner kleinen Herzschmerznachricht am CD Spieler. Respekt, mein Schatz! Daß Du zu so einem rührseligen Quatsch überhaupt fähig bist, hätte ich gar nicht gedacht. Muß Dir wohl wirklich eine Menge bedeuten, Dein kleines Yardmännchen! Na, egal! Den siehst Du jedenfalls nicht wieder! Der braucht Dich doch auch gar nicht, aber ich, ich brauch Dich - Dich und Deine ganz speziellen Fähigkeiten!". Unsanft tippte ihm von hinten erneut seine Komplizin Katja auf die Schulter: "Hey, Du! Ich sein Dein Schatz, und andere keine!". Kowarno drehte sich um und revanchierte sich für diesen Einwurf bei ihr mit einer schallenden Ohrfeige und den Worten: "Halt gefälligst Dein vorlautes Maul, wenn sich zwei Erwachsene unterhalten, Fräulein!". Schluchzend ließ sich die Geschlagene in ihren Sitz zurückfallen, wo Sitznachbar Boris sie umgehend mit ein paar eigenwilligen Zudringlichkeiten zu trösten versuchte. Kowarno löste derweil seinen Gurt, erhob sich und gab seinem Kumpan einen Klaps auf die übermütigen Finger: "Pfoten weg, Freundchen, die Tussi gehört mir! Besorg lieber schon mal unser reich bestücktes Kunstledertäschchen aus dem Frachtraum, während Katjuschenka die ganzen zivilen Idioten hier in Schach hält. Und dann machst Du, was die Passagiere angeht, wie besprochen, alles klar für später. Verstanden?!". Boris zog sofort die Krallen ein und nickte mit gesenktem Blick, während er aufstand und sich langsam den Gang herunter bewegte. Iwan Kowarno aber zog aus dem Hosenbund nun ebenfalls einen Revolver hervor und begab sich umgehend in den vorderen Teil des Flugzeugs, vorbei an den gefesselten und geknebelten Stewardessen ins Cockpit der Maschine.

In der Kabine wimmerte der Copilot in seinem Sitz. Blut entströmte dabei langsam seiner offensichtlich stark schmerzenden Schulter. Kowarno schaute bei seinem Eintreffen kaltschnäuzig zu ihm herüber und fauchte ihn an: "Klapp die Kinnlade hoch und stell endlich das blöde Gejammer ein! Ich hab doch gesagt, alles tanzt nach unserer Pfeife. Und da kommst Du mir mit Deinem störrischen 'Das mit dem Kurswechsel geht nicht!'. In der Politik geht das andauernd. Und überhaupt: Geht nicht, gibts nicht, kapiert! Selber schuld, wenn Du für diese einfache Lektion erst ein kleines Loch in den aufmüpfigen Pelz gebrannt bekommen mußt". Der Angeschnauzte preßte - so gut es ging - die Zähne zusammen, hatte er doch keine Lust, noch einmal Bekanntschaft mit dem Schießeisen des leicht erregbaren Russen zu machen. Kowarno nickte zufrieden und wand sich nun dem Piloten zu: "Wie war Dein Name noch gleich, Steuermännchen?". Stur geradeausblickend erwiderte der Pilot mit bemüht fester Stimme: "Mein Name ist James Wright, und der schwerverwundete Mann zu meiner Rechten, dem Sie gerade nicht mal mit einem Hauch von Respekt begegnet sind, ist mein Bruder John". Kowarno grinste: "Aha, so ist das! Die Gebrüder Wright, ja! Und Beides echte Helden und Pioniere der Luftfahrt, wie! Du kleines Äffchen mit der Lizenz zum Wolkenkratzen glaubst wohl, nur weil Du an Bord jetzt der einzige Überflieger bist, kannst Du hier die große Lippe riskieren?! Aber weit gefehlt, Freundchen! Mein Kamerad Boris war nämlich früher mal erstklassiger Kampfpilot einer MIG bei der Roten Armee. Da staunst Du, wie?! Du siehst, wir sind auf alle eventuellen Problemchen mit Möchtegern-Superhelden wie Dir vorbereitet. Und jetzt, wenn ich bitten dürfte, James, steuerst Du jenen Moskauer Flughafen an, dessen Zielkoordinaten ich Dir hier notiert habe". Mit diesen Worten überreichte er dem Piloten einen kleinen zusammengeknüllten Notizzettel aus der Tasche seiner tarnfarbenen Uniformhose. Und an den Copiloten gewandt, ergänzte er: "Und Du nimmst mal Deine Finger von dem kleinen Kratzer an der Schulter und machst mir ganz fix eine Verbindung mit dem Tower in London - also dem am Flughafen, nicht dem mit den Kronjuwelen. Um den kümmer ich mich vielleicht später nochmal, ebenso wie um Deine kleine schnucklige Freundin, die Stewardess!". Kowarno grinste über sein kleines Wortspiel, während den beiden anderen Anwesenden so gar nicht nach dummen Scherzen zumute war. John Wright tat wie ihm geheißen und übergab nach der Kontaktaufnahme das Funkgerät an den bewaffneten Terrorführer.

Obwohl ihn am anderen Ende der Leitung niemand sehen konnte, baute sich Iwan Kowarno augenblicklich selbstverliebt in stolzer Siegerpose auf und grunzte ins Mikro des Funkapparats: "Also aufgemerkt, meine lieben britischen Mithorcher! Ich hab Euer kleines süßes Maschinchen samt seiner Crew und den Passagieren in meiner Gewalt. Wenn Euch am Tod Eurer knapp 120 Landsleute ebenso wenig gelegen ist wie an schlechter Publicity, dann sorgt Ihr umgehend dafür, daß wir ohne Schwierigkeiten in Moskau landen können. Außerdem hätte ich für die diversen Unannehmlichkeiten bei dem nicht ganz planmäßig verlaufenen Flug gern eine kleine Aufwandsentschädigung von - sagen wir - einer Million. Englischer Pfund versteht sich, keine Rubel! Und zu guter letzt wäre es noch schön, wenn Ihr uns zu unserer kleinen Ankunftsfeier in Moskau ein paar zusätzliche Gäste einfliegen lassen könntet, und zwar alle 12 Inhaftierten aus dem handverlesenen Kreise unseres kleinen Heimatschützenvereins namens Nowoij Djehn. So, meine Herren und Damen von den zuständigen Antiterrorbehörden, das wärs! Es ist momentan 00.55 Uhr GMT. Ihr habt von jetzt an exakt 185 Minuten Zeit, meine Forderungen zu erfüllen, oder die erste Geisel stirbt, und dann im Johann Straußschen Dreivierteltakt alle 45 Minuten eine weitere. Habe die Ehre, die Herrschaften! Over and Out!".

Damit warf Kowarno den Funksprecher achtlos beiseite und schlenderte gemütlich vor sich her grinsend zurück zu seinen Mitverschwörern und zu Yelena, der die müden Augen längst wieder zugefallen waren. Iwan Kowarno betrachte die schlafende Schönheit ausgiebig von der Seite, während er sich wieder neben sie setzte und raunte: "Immer noch ganz süß, meine kleine Ex! Besonders wenn sie schläft, sogar dann, wenn man mit ein wenig Chemie nachhelfen muß". Und damit zückte er aus der Brusttasche seines olivgrünen Oberhemds eine Ampulle mit der Aufschrift "Airethin" und eine Plastikspritze samt Kanüle. Er zog die Spitze auf, und injizierte der schlafenden Yelena - ohne mit der Wimper zu zucken - fachmännisch eine größere Dosis der bläulichen Flüssigkeit. Es dauerte nur Sekunden, und die sanft Schlummernde verfiel in ein lautstarkes Schnarchen. Kowarno aber lehnte sich seelenruhig in seinen Sitz zurück und genoß bei leiser klassischer Walzermusik aus den bereitliegenden Kopfhörern den Rest des Fluges, während sein Lakai Boris im Gang auf und ab stampfend die zitternden Passagiere überwachte - in einer Hand Katjuschas Waffe und in der anderen jene rote kunstlederne Reisetasche, deren schwerwiegender Inhalt beim Laufen verdächtig klimperte, so als befände sich in ihr eine Unmenge metallener Gegenstände ...

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Samstag, 15. September 2012, 08:28

Episode 5: Bedenkzeit für Durchstarter

Die Regenschauer in der britischen Hauptstadt ließen langsam an Intensität nach. Der vor kurzem noch so stürmische Wind verlor immer mehr an Kraft, und nur ein Hauch von Kerosin durchstömte die vom mehrstündigen Gewitter gereinigte Nachtluft auf dem Flughafengelände. Auch der Abstand zwischen Blitz und Donner vergrößerte sich von Mal zu Mal spürbar, was ganz klar auf einen allmählichen Rückzug des Unwetters hindeutete.

Im Gegensatz dazu befand sich CI7-Einsatzleiter Wannabe auf dem Vormarsch. Schnellen, zackigen Schrittes bewegte er sich am Rande des Londoner Zentralflughafens Heathrow auf einen startbereiten Düsenjäger vom Typ Eurofighter Typhoon zu. Wenn der Superintendent eines auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann den Versuch so eines Möchtegernterroristen, ihn selbst an Arroganz und Ignoranz noch zu übertrumpfen. Deshalb verschwendete er nach dem Mithören von Kowarnos Forderungen auch keine einzige Sekunde an den Gedanken, sich um die Beschaffung der völlig unrealistischen Lösegeldsumme oder gar um die Freilassung der bereits ins Netz gegangenen Terrorbrüder dieses größenwahnsinnigen Spinners zu bemühen. Stattdessen hatte er sofort telefonisch die russischen Behörden kontaktiert und ihnen seine Mitarbeit angeboten. Die russische Administration, der Kowarno und seine Gruppe schon lange ein Dorn im Auge waren, hatte umgehend eingewilligt und Charles Wannabe sogar großzügig die Einsatzleitung vor Ort angeboten. Wannabe nahm das Angebot dankend an, auch wenn er längst wußte, was wirklich hinter der scheinbar so noblen Geste steckte. Die russische Regierung hatte einfach Bedenken, daß die Ewiggestrigen, die in ihrem Volke immer noch eine bedeutende Menge darstellten, ihnen für eine Aktion gegen Kowarnos Leute bei der anstehenden Wahl einen Denkzettel verpassen könnten. Außerdem befürchtete man sicher auch Unruhen oder Umsturzversuche, sollte man den zu Zeiten der Sowjetunion mehrfach ausgezeichneten KGB-Offizier Kowarno verwunden oder gar töten. Aber wenn ein Brite den Einsatz leitete, konnte man von russischer Seite getrost alle möglichen Fehlschläge und die Verantwortung dafür auf den Westen abwälzen, während man trotzdem gleichzeitig allein die Lorbeeren beim Erfolg der Mission einsacken konnte. Tja, so lief der Hase eben auf dem glatten diplomatischen Parkett. Das hatte sogar Mister Wannabe inzwischen verstanden.

Ein junger Mann in Uniform erwartete den eintreffenden Antiterrorchef der Yard-Spezialeinheit bereits und reichte ihm zur Begrüßung einen Anti-g-Anzug, den Wannabe in aller Schnelle überzog. Sein Gegenüber nutzte die Zeit für eine kurze Vorstellung: "Corporal Goldie Broiler, Sir, der Pilot dieses pfeilschnellen zweisitzigen Babys. Was Ihr Mitfliegen betrifft, da hab ich allerdings so meine Bedenken. Wissen Sie, mein Schmuckstück ist im Innern gerade erst ausgiebig gereinigt worden. Und was wir zwei Beiden hier vorhaben, ist ein Flug bei rasanten Mach 2, also zirka mit 2150 Stundenkilometern. Das ist schon ein klitzeklein wenig mehr, als Ihr nobler Privatflitzer auf der Autobahn so bringt. Tja, und wer wie Sie so ein schnelles Tempo nicht gewohnt ist, dem könnte da rasch das eben erst eingenommene Fünf-Sterne-Dinner gleich wieder aus dem Gesicht fallen - bei allem Resekt, Sir!". Wannabe, der den Ankleidevorgang inzwischen erfolgreich abgeschlossen hatte, musterte den Air Force Angehörigen von oben bis unten. Was erlaubte sich dieser Frischling eigentlich? Offensichtlich kannte er Wannabe und den ihm sonst vorauseilenden, allseits furchteinflößenden Ruf noch nicht. Aber das ließ sich leicht ändern. Wannabe packte den Mann am Kragen, holte ihn auf Flüsterabstand zu sich heran und brüllte los: "Sagen Sie mal, Sie halbes Hähnchen, Ihre Mami hat Sie wohl früher zu oft zu heiß gebadet! Zum einen hab ich hier das Kommando, und Sie stehen gefälligst stramm, wenn ich rede! Alles, was Sie zu sagen haben, ist: 'Ja, Sir!' und 'Danke, Sir!'. Und zum anderen hab ich in meiner aktiven Zeit als Wing Commander der Royal Air Force schon eine Harrier II geflogen, da haben Sie noch in die Windeln gemacht, Sie Grünschnabel! Und wenn Sie jetzt nicht sofort diese verdammte Maschine starten und uns mit doppelter Schallgeschwindigkeit nach Moskau katapultieren, dann sorg ich umgehend dafür, daß Sie nur noch ein einziges Mal fliegen - nämlich in hohem Bogen aus ihrem Dienstverhältnis. Hab ich mich klar genug ausgedrückt? Oder gibt es immer noch irgendwelche Bedenken Ihrerseits, Corporal?".

Der zusammengezuckte Düsenjägerpilot knallte augenblicklich die Hacken zusammen, riß seine Hand bis hoch an den Mützenrand und stammelte eingeschüchtert: "Ja, Sir! Ich meine: Nein, Sir! Alles klar, Sir! Darf ich Ihnen beim Einsteigen behilflich sein!". Und während der bibbernde Corporal ungeschickt versuchte, Wannabe an seinem Hinterteil in die Flugkabine des Eurofighters zu drücken, grinste der übers ganze Gesicht und flüsterte selbstzufrieden: "Na bitte, geht doch! Daß man aber auch bei diesen Kindsköpfen immer erst laut und ausfallend werden muß!". Wannabes Gesäß landete in diesem Moment federweich auf dem Sitz des Copiloten, so daß nun auch Pilot Broiler im Cockpit Platz nehmen konnte. Er checkte vor dem Start noch einmal eilends alle Geräte, dann schloß er die Cockpithaube und startete mittels Steuerknüppel und Schubhebel die Maschine. Innerhalb kürzester Zeit schossen er und sein Fluggast mit atemraubenden Tempo durch die Lüfte, der russischen Hauptstadt entgegen.

Im Zentrum Londons hielt zeitgleich Tim Hackermans nicht ganz so schneller Volkswagen vor dem Hauseingang Lukas Svenssons. Der Ex-Inspektor schaute traurig durch die regentropfenübersäte Autoglasscheibe nach oben, wo ihn im vierten Obergeschoß drei unbeleuchtete Fenster einmal mehr schmerzlich an die Verlassenheit seiner Wohnung erinnerten. In seinem Kopf kreiste dabei nur ein Gedanke: Seine Yelena war einmal Iwan Kowarnos Frau gewesen, daran bestand nach Einsicht der Kowarno-Akte kein Zweifel. Selbst wenn darin ihr Name an zwei klitzekleinen Stellen falsch geschrieben worden war, an den Zufall einer annährenden Namensgleichheit konnte nach der Lage der Dinge niemand ernsthaft glauben. Nein, so unbegreiflich der Sachverhalt für Lukas Svensson auch war, seine Yelena war einmal die Ehefrau eines hochrangigen sowjetischen KGB Agenten und jetzt weltweit gesuchten Topterroristen gewesen. Ratsuchend wandte er sich an Timmy: "Warum hat Sie mir nur nie davon erzählt, Tim? Ich versteh das nicht! Nicht mit einem einzigen Wort hat sie je diesen Mann erwähnt! Wieso?". Unschlüssig zuckte Tim mit den Schultern: "Vielleicht, weil sie die Erinnerung an ihn verdrängt hatte. Wahrscheinlich war er damals sogar der Grund für ihre Ausreise nach London. In ihrer Personalakte bei uns im Yard wird Kowarnos Name ja auch mit keiner Silbe erwähnt. Wer weiß, womöglich war er dem Alkohol verfallen, hat sie geschlagen oder noch Schlimmeres. Sowas ist gerade in Rußland kein Einzelfall, hab ich gelesen". Lukas schüttelte den Kopf: "Junge, wo liest Du nur diese ganzen Horrorgeschichten. Du solltest Dir mal eine vernünftige Zeitung besorgen, nicht immer nur diese Revolverblätter". Timmy winkte müde ab: "Aber Sir, Zeitung?! Wer liest denn heutzutage noch Zeitung, wo man doch alle Neuigkeiten im Netz findet?!". Der Ex-Inspektor aber entgegnete gelassen: "Schön und gut, aber dann gibt es in Deinem merkwürdigen Netz genauso viel an den Haaren herbeigezogene Stories wie in all den schwarz auf weiß gedruckten Käseblättchen. Was allerdings die Sache mit der hohen Rate an häuslicher Gewalt in Rußland, gerade brutale Übergriffe von Ehemännern an ihren Frauen betreffend, könnte schon was dran sein. Mir ist so, als wäre mir da gerade erst gestern ein ähnlicher Fall begegnet. Ich kann mich nur nicht mehr genau erinnern, wo. Aber was solls?! Das ist ja im Moment auch ganz unwichtig. Die Suche nach Yelena hat jetzt oberste Priorität. Also lauf ich rasch hoch und pack ein paar Sachen zusammen. Und Du und Mister Crawler, Ihr vertragt Euch inzwischen, ok?! Blutspritzer machen sich nämlich auch nicht gut auf Deinen frisch bezogenen Autositzen". Mit leicht knurrendem Unterton erwiderte Timmy: "Ok, Sir, ich bemüh mich!". Und von der Rückbank her ergänzte Derrik Crawler lächelnd: "An mir solls nicht liegen, Mister Svensson, Sir!". Lukas schüttelte unmerklich den Kopf über das ungleiche Pärchen seiner selbstgewälten Reisebegleiter, dann entstieg er dem Wagen und eilte schnellen Schrittes die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Zwanzig Minuten später war er frischgeduscht und rasiert mit gepacktem Koffer zurück, und die Drei brachen nun zum nächsten, ein wenig außerhalb von London gelegenen Ziel ihrer nächtlichen Fahrt auf - Timmys Behausung.

Eine dreiviertel Stunde später hatten Svensson und sein Team auch dieses Etappenziel erreicht. Und während der durchnäßte Derrik Crawler in der kleinen Einraumwohnung nach einer kurzen heißen Dusche im Badezimmer noch schnell sein Haar trockenfönte, packte Timmy im Wohnzimmer eilig seinen Rucksack zusammen. Er wollte das leicht überfüllte Reisegepäckstück gerade unter vollem Körpereinsatz verschließen, als die Stimme Crawlers aus dem Bad an sein Ohr drang: "Vielen Dank für die Anziehsachen, Mister Hackerman, Sir! Wir haben tatsächlich dieselbe Kleidergröße, wie es unser scharfsinniger Mister Svensson schon ganz richtig erkannt hat". Lukas wunderte sich immer noch über Crawlers neu erwachte Bewunderung für seine Person, trotzdem kam er nicht umhin, sich ein wenig geschmeichelt zu fühlen. Und schmunzelnd antwortete er: "Na, dann paßt es ja, Inspektor Crawler!". Timmy baute sich derweil mit vor dem Bauch verschränkten Armen vor dem Ex-Inspektor auf und machte ein grimmiges Gesicht. Leise raunte er: "Paßt?! Wissen Sie, Sir, was hier nicht paßt? Was mir so ganz und gar nicht paßt? Daß dieser eingebildete Schnösel da in meinem Bad steht und sich meine Klamotten über den schmierigen Leib wirft. Die Sachen muß ich später bestimmt von einem Kammerjäger behandeln lassen, bevor ich sie wieder tragen kann. Wie können gerade Sie diesem elenden Wurm - wie Sie ihn selbst hundertmal bezeichnet haben - auf einmal einfach so vertrauen, Mister Svensson?!". Lukas schaute seinem erzürnten Schützling tief in die Augen: "Ach, Timmy! Gerade Du solltest das eigentlich am besten verstehen. Hatte man Dich nach Deinem Gefängnisaufenthalt nicht auch als ewigen Kriminellen abgestempelt. Aber ich hab Dir eine zweite Chance gegeben, die in meinen Augen jeder Mensch verdient hat!". Bedrückt senkte der eben noch so angriffslustige Tim Hackerman sein Haupt. Und kleinlaut flüsterte er: "Sie haben Recht, Sir! Ohne Sie und den von Ihnen vermittelten Job wäre ich vermutlich nach dem Knast gleich wieder auf die schiefe Bahn geraten. Und wer weiß, in was für grauenvolle Machenschaften ich inzwischen schon verstrickt wäre. Also gut, geben wir dem Schnösel eine Bewährungschance!". Timmy reichte Svensson die Hand, die dieser sogleich ausgiebig zu schütteln begann: "Ganz recht, Kleiner. Und gnade ihm Gott, wenn er auch die wieder vermasselt!". Just in diesem Augenblick kam Crawler in einem selbstgestricktem grauen Wollkragenpullover und abgewetzter Bluejeans aus dem Bad gestiefelt und fragte verblüfft: "Verabschieden Sie sich beide voneinander? Ich dachte, Mister Hackerman fährt mit uns, Sir!". Lukas Svensson nickte eifrig: "Das tut er auch! Wir brauchen für unsere geplante Reise nur noch rasch ein paar gültige Visa. Und ich hab auch schon eine Idee, wo ich die herbekomme. Doch dazu später. Fürs erste fährt uns Timmy mal zurück nach London, wo wir an der Victoria Station Mister Crawler absetzen, der dort schon mal unsere Fahrkarten für den Frühzug Richtung Moskau ordert. Also los, meine Herren!" ...

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sven1421

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Samstag, 15. September 2012, 08:30

Episode 6: Weibliche Diplomatie

Im Rückspiegel von Tims Wagen verschwand in zügigem Tempo das Bahnhofshofgebäude der Londoner Victoria Station und mit ihm auch der winkende Derrik Crawler, den das Svensson Team wie zuvor besprochen dort zum Fahrticketkauf abgesetzt hatte. Timmy versuchte am Steuer krampfhaft, sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren, doch durch seine Gedanken spukte immer wieder die merkwürdige Wandlung Derrik Crawlers. Nicht nur, daß er dem sonst stets verachteten Svensson plötzlich völlig selbstlos half. Nein, eben gerade hatte er sich sogar Tims Handy ausgeliehen, um seine Freundin zu benachrichtigen, damit sie sich keine Sorgen machte. Und dabei wußte Tim bis dato noch nicht einmal, daß dieser Wurm überhaupt eine Freundin hatte. Er hatte immer angenommen, Crawlers einzige Freundin sei so ein aufgeblasenes Püppchen, außen Gummihülle und innen wie er - nur heiße Luft. Vielleicht stimmte das mit der Gummihülle ja sogar, so ein Geheimnis, wie dieser arrogante Knochen bis dato um seine bessere Hälfte gemacht hatte - und sie war eine von diesen Ruf-Mich-An-Ladies, die nachts mit strenger Miene durchs Werbefernsehen der Privatsender geisterten. Nun, wie dem auch sei, wenn es jedenfalls eine richtige Frau gab, die es mit diesem Schnösel aushielt, dann hatte sein Freund Lukas Svensson ja vielleicht Recht mit seiner These, daß in fast jedem noch so unliebsamen Zeitgenossen irgendwo ein liebenswerter Kern steckt.

Timmy trat das Gaspedal noch einmal ordentlich durch und steuerte auf der regennassen Straße das nächste Ziel ihrer nächtlichen Reiseroute an. Und das, obwohl er mit der Adresse, welche ihm der Ex-Inspektor soeben genannt hatte, so gar nichts anfangen konnte. Kensington Palace Gardens, Nummer 16?! Was bitteschön hatte denn diese Anschrift mit ihrem Vorhaben zu tun? Er wollte schon bei Svensson nachfragen, doch der schien momentan irgendwie beschäftigt. Es sah so aus, als dächte er nach, und Timmy als sein Freund wußte, daß man ihn dabei möglichst nicht stören sollte. Lukas schaute gedankenversunken aus dem Fenster auf die - in rasantem Tempo vorbeiziehende - langsam erwachende Londoner City. Obwohl: Konnte man da eigentlich überhaupt von einem Erwachen sprechen. War London nicht inzwischen längst eine dieser Metropolen wie New York, über die Sinatra ja sang, daß sie niemals schläft. Nein, wenn man sich genau umsah, entdeckte man rasch, daß sie nicht schlief, sondern überall mit ihren vielen bunten Schaufensteraugen blinzelte. Die ersten Weihnachtsdekos funkelten in den Auslagen diverser Geschäfte - kein Wunder, war es ja auch schon fast September. Ende Dezember hatten sich die Leute dann längst an der Weihnachtsbesinnlichkeit mehr als sattgesehen, so daß an den Feiertagen selbst gar keine rechte Feststimmung mehr aufkommen wollte. Ja, so war das, hier in London und der restlichen zivilisierten Welt - seit langem schon und alle Jahre wieder. Schon merkwürdig: Jetzt wo er so über das Fest der Liebe nachdachte, kam es ihm vor, als sei es erst wenige Stunden her, daß er das letzte Mal ausgelassen Weihnachten gefeiert hatte, obwohl die letzte Weihnacht dem Kalender nach doch schon zehn ganze Monate zurücklag.

Auch der Heiligabend 2008 kehrte noch einmal in Lukas' Gedächtnis zurück. Er hatte ihn im Scheine eines bunt geschmückten Lichterbaumes mit seiner Yelena bei selbstgemachtem Kakao mit einer Prise Zimt und dem traditionellen Weihnachtsstollen von Onkel Fritz aus dem fernen Deutschland verbracht. Punkt 18 Uhr hatten sie sich beim letzten Glockenschlag Big Bens zu den Klängen von "Stille Nacht" gegenseitig beschert. Lukas hatte einen langen selbstgestrickten Wollschal in blau, weiß und rot bekommen. Und Yelena fand in ihrem Päckchen zu ihrer Überraschung nur eine alte, gebrauchte Videokassette, auf derem abgenutztem Cover neben dem Filmtitel "Ist das Leben nicht schön?" noch mit blauem Filzstift der Vermerk "Liebste Yeli! Bitte sofort und bis zuende ansehen!!!" angebracht war. Man konnte ihr ihre Enttäuschung gut ansehen, auch wenn sie sichtlich bemüht war, diese zu verbergen, während sie jener handgeschriebenen Anweisung folgte. Die kommenden zwei Stunden hatten die beiden Liebenden stumm auf die Mattscheibe gestarrt, wo James Stewart als George Bailey der Frage nachging, was gewesen wäre, wenn er nie das Licht der Welt erblickt hätte. Nur hin und wieder hatten sich die Lukas und Yelena dabei gegenseitig Taschentücher aus einer auf dem Tisch vor ihnen bereitstehenden Pappbox gereicht, um die Spuren zu beseitigen von dem einen oder anderen vergossenen Tränchen der Rührung. Als schließlich auf dem Bildschirm der Schriftzug "The End" aufflimmerte, wollte Yelena schon aufstehen und den Rekorder ausschalten, aber Lukas hielt sie kopfschüttelnd am Arm zurück. Yelena setzte sich wieder zu ihrem Lukas, dessen Gesicht schon wenige Sekunden später auch auf dem Bildschirm erschien. Der Lukas im Fernseher trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Schlips und sprach mit glänzenden Augen und feierlicher Stimme: "Das Ende? Nein, liebste Yelena, das ist nicht das Ende! Das ist erst der Anfang für uns Zwei. Es ist jetzt genau drei Jahre, vier Monate und vier Tage her, daß wir zum ersten Mal eine gemeinsame Nacht verbrachten. Und seit mehr als zwei Jahren leben wir nun schon fest zusammen in unserer Wohnung, die Du mir längst zu einem Zuhause hast werden lassen. Ein Heim, in dessen Schoß ich Abend für Abend gern zurückkehre. In meinem Universum dreht sich alles um Dich. Du bist meine Sonne, mein Stern und mein Leben. Ich liebe Dich, Yelena! Und alles, was da sonst noch zu sagen wäre, überlasse ich dem jungen Mann zu Deinen Füßen! Bitteschön, Lukas!". Das Videobild wackelte ein wenig, dann hörte man im Hintergrund zwei leise Männerstimmen, von denen die eine, welche zweifellos Lukas gehörte, flüsterte: "Na klar hab ich die Videoaufnahme am Rekorder ausgestellt, Timmy! Ich bin zwar ganz sicher nicht die hellste Leuchte am Mediamarkt, aber ich bin doch nicht blöd!". Im Bildausschnitt der aufnehmenden Videokamera erschien für einen Augenblick das Gesicht von Lukas' Schützling Tim Hackerman, der schmunzelnd den Kopf schüttelte, wobei er leise ins Mikrofon hauchte: "Nein, Sir, das wollte ich damit auch gar nicht gesagt haben, Ihre Fähigkeiten liegen halt nur auf ganz anderen Gebieten". Dann bewegte sich sein Zeigefinger seitlich an der Kameralinse vorbei, wo noch ein kurzes Klickgeräusch das Drücken eines Knopfes verriet, bevor auf dem Bildchirm augenblicklich anhaltendes graues Schneegestöber einkehrte. Yelena schmunzelte. Der Lukas auf dem Sofa neben ihr hatte von dem kleinen Fauxpas seines videotechnischen Alter Ego gar nichts mitbekommen, da er mit dem ganzen Oberkörper über die Sofalehne gebeugt verzweifelt irgendetwas zu suchen schien. Mit einem befreienden "Ah" auf den Lippen meldete sich seine obere Körperhälfte schließlich wieder aus der selbstgewählten Versenkung zurück. Der Inspektor kniete vor seiner Yelena nieder und hielt dabei in seinen zitternden Händen eine einzelne rote Rose. Und mit eben so zittriger Stimme fragte er nun seine Angebetete: "Liebste Yelena! Willst Du seine, also Lukas', ich meine meine Frau werden?". Statt einer Antwort warf sich Yelena ihrem Lukas einfach um den Hals und rief überglücklich: "Ja, ja, ja! Ein dreifach Ja, will ich! Und wie ich wollen das! Oh, Lukas, Liebster! Moij Zladik, mein Süßer! Yelena wollen Deine Zladkaja Svenssonskaja werden! Ich Dich lieben sooo sehr!". Und ihre Arme malten dabei ein riesengroßes Herz in die Luft. Ja, so war das damals gewesen, vor knapp zehn Monaten. Und jetzt, jetzt war sie weg - verschwunden, vermutlich entführt und verschleppt, und das von ihrem Ex-Mann, von dem sie Lukas noch nie etwas erzählt hatte. Und er, der zukünftige Mann an ihrer Seite, mußte sie erst suchen, finden und unter Umständen sogar befreien, wenn sie überhaupt jemals seine Braut werden sollte.

In diesem Augenblick riß ihn ein aufgeregtes Rütteln an seiner Schulter aus seinen Gedanken. Es war Timmy, der es nun - am Fahrziel angelangt - doch für angebracht hielt, seinen Fahrgast aus dessen Erinnerungen rasch in die Realität zurückzuholen. Lukas blickte aus dem Fenster auf hohes gußeisernes Tor, hinter dessen breiten Gitterstäben sich ein riesiges, schloßähnliches Gebäude erhob. Jenes große weiße Haus, wurde an den beiden dem Tor zugewandten Seiten von - am zwei Boden eingelassenen - farbigen Scheinwerfern beleuchtet, die das majestätische Gebäude zu dieser nächtlichen Stunde in einem merkwürdigen Zwielicht erstrahlen ließen. Svensson bat seinen Schützling, im Wagen auf ihn zu warten, während er selbst mit gezücktem Personalausweis dem Auto entstieg und auf das gußeiserne Tor zuging, hinter welchem ein Soldat mit vorgehaltenem Maschinengewehr patroillierte. Der Posten, welches schon das Eintreffen des Volkswagens mit kritischem Blick beäugt hatte, erblickte den Mann im Trenchcoat und fragte ihn mit leichtem russischen Akzent nach dem Anliegen seines nächtlichen Besuchs. Der Angesprochene aber erwiderte: "Mein Name ist Svensson, Lukas Svensson. Und ich möchte gern die Botschaftsangestellte Nina Svensson sprechen". Das prüfende Auge des bewaffneten Uniformierten kontrollierte das ihm dabei von der Hand des Ex-Inspektors entgegengehaltene Paßdokument eingehend, dann nahm der Mann sein Funkgerät zur Hand und leitete in russischer Sprache die Anfrage weiter. In ebenso lupenreinem Russisch kam auch prompt die Antwort zurück, worauf der Posten den Kopf schüttelte und recht nüchtern erwiderte: "Nina Svensson, haben wir hier nicht". Auch Lukas schüttelte nun den Kopf und raunte: "Was soll denn der Blödsinn? Ok, dann versuchen Sie es doch bitte noch einmal mit dem Namen Nina Simowa". Dem Posten paßte dieses kleine Namensspiel offensichtlich ganz und gar nicht, dennoch prustete er grimmig auch diesen Namen in sein Funkgerät. Diesmal fiel die Beantwortung der Anfrage deutlich positiver aus. Der Uniformierte nickte und sprach: "Bitte warten Sie, die gewünschte Person wird informiert und kommt dann hier zu Ihnen!".

Es dauerte ein paar Minuten, bis jene gewünschte Person schlaftrunken mit einem übergeworfenen Morgenmantel und Pantoffeln an den Füßen von einem kleinen Nebengebäude her auf das Tor zuschlurfte. Sie blinzelte bei ihrem Eintreffen dem Ex-Inspektor entgegen, dann murmelte sie: "Du? Was um alles in der Welt treibt Dich denn um diese nachtschlafende Zeit hierher? Es ist doch nichts mit Lisa, oder?!". Lukas schüttelte den Kopf: "Nein, mit unserer Lisa ist nichts. Aber vielleicht können wir mein Anliegen ja auch in Ihrer Wohnung bei einem schönen warmen Gläschen Schwarztee mit Milch besprechen, so wie früher, Fräulein Simowa". Die leichtbekleidete Frau trat ein wenig näher an die Gitterstäbe heran und flüsterte: "Psst, nicht so laut! Das mit dem Namen hat nichts mit Dir zu tun. Es macht sich eben für eine Botschaftsangestellte der Russischen Föderation einfach besser, wenn sie auch einen russisch klingenden Namen trägt. Und damit ich hier vor dem Posten nicht noch mehr in Erklärungsnotstand gerate, laß uns Deinen Vorschlag aufgreifen und drin weiterreden, alter Erpresser". Damit trat sie wieder ein wenig vom Tor zurück und redete auf den uniformierten Wachmann ein. Dieser nickte mehrfach und öffnete dann das Tor einen Spalt weit, so daß Lukas Svensson eintreten konnte. Nachdem er dem Posten seinen Ausweis als Pfand ausgehändigt hatte, bewegte er sich mit der Pantoffelheldin Nina Simowa an seiner Seite zügig in Richtung ihres Wohnhauses, in welchem die Beiden Sekunden später aus Timmys Blick entschwanden.

Lukas nahm ohen Umschweife auf dem roten Sofa im Wohnzimmer der luxuriösen Behausung seiner etwas unfreiwilligen Gastgeberin Platz: "Schön hast Du es hier, ist schon was anderes als unsere kleine gemeinsame Zweieinhalbzimmerwohnung damals, als wir Zwei noch Misses und Mister Svensson waren. Aber ich will nicht lang drumherum reden. Was mich zu Dir führt, ist eine ernste Angelegenheit ...". Nina, die bis dato mitten im Zimmer stand, machte sich auf den Weg in die Küche, während sie sprach: "Ich hab das Gefühl, Du nutzt es ziemlich schamlos aus, daß unser Umgang miteinander seit unserer - von meiner Seite her etwas unfreiwilligen - Begegnung beim Konzertauftritt unserer Tochter vor zwei Monaten wieder ein wenig normaler geworden ist, oder?!". Lukas verdrehte den Kopf und rief ihr im Gehen nach: "Nun, ja! Lisa hatte eben das Gefühl, daß 16 Jahre des Schweigens genug seien für ihre Eltern. Und ich finde, damit hatte sie absolut recht, oder?!". Svenssons Exfrau, die inzwischen in der Küche verschwunden war, lugte noch einmal um die Ecke: "Bevor Du jetzt weiterredest, hab ich da mal zur Abwechslung noch eine Frage! Möchtest Du Deinen Tee wie früher mit ...". Lukas, der die Bemerkung über das schamlose Ausnutzen wohlwollend überhörte, nickte: "Ja, mit zwei Stückchen Zucker und einem großen Schuß Milch. Das Ganze bitte gerührt und nicht geschüttelt, wenns geht". Nina schmunzelte: "Immer noch derselbe alte Kindskopf. Manche Dinge ändern sich eben nie! Also gut, wie Sie wünschen, Mister Bond!" Svensson lehnte sich im weichen Leder des Sofas zurück und hielt ihr lächelnd den drohenden Zeigefinger entgegen: "Also, das mit dem Kindskopf laß ich mir ja gefallen, aber das alt verbiete ich mir, wenns recht ist. Ich bin ein Mann in den besten Jahren, den Anfangsjahren des Rentenalters nämlich". Nina trat inzwischen aus der Küche mit einem Tablett mit zwei Tassen dampfend heißen Tees zurück, welche sie auf dem kleinen Glastisch vor dem Sofa aufstellte. Dann nahm sie auf einem der danebenstehenden Ledersessel Platz und fragte: "So, Spaß beiseite, Du Senior, Du! Was ist nun der Zweck Deines nächtlichen Überfalls?". Zu ihrer Überraschung schwieg ihr sonst so redseliger Exmann und starrte entgeistert auf die flimmernden Bilder, die dem vorm Glastisch in einer Schrankwand stehenden Fernsehgerät entströmten. Langsam deutete der eben noch drohende Zeigefinger seiner linken Hand auf das Fernsehbild, während Lukas aufgeregt stotterte: "Das ... das ... ist ... ist er ... der Grund! Mach bitte mal den Ton lauter, ja?!". Nina tat entgeistert wie ihr geheißen, und schon Sekunden später drang eine männliche Stimme aus dem Lautsprecher des TV Gerätes: "Wie soeben bekannt wurde, haben Mitglieder der terroristischen Vereinigung 'Nowoij Djehn' ein Flugzeug der Gesellschaft Scotish Travel mit 120 Passagieren in ihre Gewalt gebracht. Wie die mehrköpfige Gruppe trotz der strengen Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen überhaupt in den Flieger gelangen konnte, ist noch völlig unklar. Bekannt ist hingegen, daß sie an Bord unter Anwendung von Schußwaffen die Crew überwältigte und die Besatzung wie auch die Passagiere als Geiseln nahm. Der ursprüngliche Kurs in Richtung Paris wurde von den Entführern geändert, so daß sich die Maschine momentan nach Osten bewegt. Wie uns ein Sprecher der britischen Antiterroreinheit CI7 soeben mitteilte, hat der Anführer der Terroristen bereits Kontakt aufgenommen und fordert neben einer Million Pfund Lösegeld auch die sofortige Freilassung sowie das Ausfliegen sämtlicher bereits inhaftierter Mitstreiter nach Rußland. Wir halten Sie über die weitere Entwicklung des Geiseldramas auf dem Laufenden und unterbrechen, sobald sich Neuigkeiten ergeben, unser laufendes Programm. Tom Headline für Newsflash TV".

Nina schaltete den Fernsehton auf stumm. Lukas aber senkte den Blick und ließ dabei auch seinen bleischwer werdenden Körper immer tiefer ins Leder des Sofas sinken, während er schluchzte: "Mein Gott, Nina! Sie ist an Bord dieser Maschine. Yelena! Wahrscheinlich gekidnappt von diesem Terrorpack. Und niemand kann mir helfen, sie da sicher wieder herauszubringen. Hast Du die Forderungen gehört. Das Königreich und die gesamte frei Welt würden für immer das Gesicht verlieren, wenn sie sich darauf einließen. Nein, die werden Wannabe und Co nach Moskau entsenden und die machen dann über kurz oder lang kurzen Prozeß mit den Entführern. Und selbst wenn nicht, dann werden die Terroristen nach und nach alle Geiseln töten. So oder so ist meine zukünftige Frau dann schon so gut wie tot. Aber das kann und werde ich nicht zulassen, verstehst Du?!". Lukas Fäuste ballten sich, während seine wutentbrannten Augen starr geradeaus schauten. Sein Körper aber bäumte sich dabei kämpferisch aus der Versunkung des weichen Sofaleders auf. Nina erschrak bei dem Anblick ihres Ex-Manns, den sie noch nie im Leben so zornig und entschlossen gesehen hatte. Tief luftholend erwiderte sie schließlich: "Ja, das verstehe ich schon, Lukas. Was ich nicht verstehe, ist: Wie soll ich Dir in dieser Situation helfen?". Lukas Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig wieder, und flehend ergriff er Ninas Hand: "Ich weiß, es ist viel verlangt, aber es ist meine einzige Hoffnung. Nina, Du als Leiterin der Abteilung Paßwesen und Visaerteilung hier in der Londoner Botschaft des Heimatlandes mußt mir die nötigen Papiere besorgen, damit ich und meine zwei Begleiter nach Rußland einreisen können. Hier auf dem Zettel stehen alle erforderlichen Daten von uns Dreien und das sind unsere Reisepässe". Damit griff er in seine Manteltasche und überreichte mit zittriger Hand seiner Ex-Frau die genannten Papiere.

Nina blickte stumm auf die Pässe und den Zettel in ihrer Hand, dann schüttelte sie den Kopf: "Lukas, was Du da von mir verlangst, das ist illegal. Eine schwere Straftat ist das. Das kann ich nicht, so leid es mit tut!". Lukas aber blickte ihr, während er weiter fest an ihr zartes Händchen umklammerte, tief in die Augen: "Nina, Du mußt es tun! Erinnerst Du Dich noch, wie ich Dir beigestanden hab, als es damals um Deine Ausweisung nach Rußland ging. Damals stand alles für Dich auf Messers Schneide. Ohne mich wärst Du heute längst wieder zurück in den unendlichen Weiten Deines Heimatreichs. Und nur der Himmel weiß, wie grausam das Leben dort dann vielleicht mit Dir umspringen würde. Ich hab Dir damals ohne Wenn und Aber geholfen und nie eine Gegenleistung von Dir eingefordert. Aber heute, hier und jetzt tue ich es! Ich fordere Dich auf, mir zu helfen. Bei allem, was mir lieb und teuer ist: Hilf mir! Ich bitte Dich!". Wieder sank Lukas vor einer Frau auf die Knie, doch diesmal hielt er keine rote Rose in der Hand. Es war auch kein Heiratsantrag, wegen dem er die vor ihm Sitzende hier bekniete. Und dennoch hoffte und bangte er hier eben so zitternd auf ein einziges Ja-Wort der Angeflehten. Doch das befreiende Ja blieb aus. Was von Ninas Seite kam, war vielmehr ein stummes Nicken. Es war ihre diplomatische Art, Ja zu sagen, ohne später dafür belangt werden zu können. Dann erhob sie sich von ihrem Sessel und zog auch ihren Ex-Mann aus seiner unterwürfigen Haltung heraus zu sich nach oben. Dabei flüsterte sie: "Komm, ich zeig Dir jetzt noch rasch mein Arbeitszimmer, bevor Du wieder gehst!".

Sie zog das immer noch schluchzende Häufchen Elend mit sich durch den langen Korridor in einen der Nebenräume. Dort knipste sie auf dem Schreibtisch das Licht an, ließ ihren PC hochfahren und hämmerte dann nach und nach all die Daten von dem ihr zuvor überreichten Notizzettel in die Tastatur. Dreimal drückte sie während dieses Prozesses auch die Druckertaste, worauf sich das dadurch angewählte Gerät jeweils leise surrend in Bewegung setzte und eine Art bunte Visadokumentenfolie mit den entsprechenden Angaben bedruckte und somit vervollständigte. Nina entnahm dem Drucker die fertigen Folien, zog sie vorsichtig vom papiernen Untergrund ab und klebte sie in die Reisepässe von Lukas & Co ein, wobei sie - ohne den Blick zu erheben - murmelte: "Das hier wären nun die nach Deinen Angaben angefertigten Visadokumente, die ich erstmal in Eure Reisepässe einkleben müßte, gesetzt dem Fall, es würde bei dem Ganzen hier alles mit rechten Dingen zugehen". Dann öffnete eine der Schubladen, aus der sie umgehend einen Stempel hervorholte. Und abermals sprach sie leise: "So, un das hier ist unser Visastempel, weißt Du?! Angenommen, ich würde Dir helfen, was ich - wie gesagt - nicht tun kann, dann würde ich die drei Pässe mit den frisch eingeklebten Visa nehmen und sie so abstempeln!". Mit diesen Worten öffnete sie nacheinander nochmals jedes der drei überreichten Reisedokumente und drückte ihnen auf der soeben beklebten Seite ihren Stempel auf. Mit einem Kugelschreiber kritzelte sie zusätzlich ihre Unterschrift und das aktuelle Datum in die entstehenden stempelfarbenen Kästchen. Dann öffnete sie ein anderes Schubfach und zog zwei Formulare in jeweils dreifacher Ausführung heraus. Über dem einen stand in russischer und englischer Sprache Touristenbescheinigung, über dem anderen Einreisebescheinigung. Wieder flüsterte Nina: "Diese beiden notwendigen Einladungsdokumente würde ich Dir ausfüllen, wenn ich Dir denn helfen könnte. Und Du müßtest Sie dann zusammen mit den Visa bei Aufforderung vorzeigen". Dabei nahm sie den ihr von Lukas zuvor übergebenen Notizzettel zur Hand und übertrug gewissenhaft alle Daten auf die von einem russischen Fünfsternehotel für den internen Botschaftsgebrauch blanko ausgestellten Dokumente. Nach getaner Arbeit schloß sie die beiden Schubladen wieder, löschte das Licht und übergab ihrem staunenden Ex-Mann die gesamten Papiere seufzend mit den Worten: "Zu schade, daß mir die Hände gebunden sind und ich Dir deshalb nicht helfen kann".

Lukas benötigte ein paar Sekunden, um das eben Erlebte zu verdauen. Dann aber schüttelte er Nina gerührt die Hand und sprach: "Trotzdem danke! Und grüßen Sie unseren kleinen Engel von mir, Fräulein Simowa". Dann machte er auf dem Hacken kehrt und lief aus der Haustür heraus in Richtung des Eingangstores. Nina, die ihm dabei folgte, aber raunte leise: "Ja, Du verrückter Kerl, das mach ich! Dir und Deinen Begleitern viel Glück auf Eurer Reise! Paß auf Dich auf, ja?! Und was den Namen angeht, so heißt es ab heute auch wieder offiziell: Misses Nina Svensson, geborene Simowa". Auf ihre Bitte hin gab der Wachposten dem Ex-Inspektor seinen Paß zurück und ließ ihn passieren. Svensson aber nahm umgehend wieder den Platz des Beifahrers im Auto von Tim Hackerman ein. Und zu seinem Schützling gewandt, sprach er erleichtert: "In der Botschaft konnte mir erwartungsgemäß niemand helfen. Und nun aber ab zur Victoria-Station, wo Mister Crawler mit drei gelösten Fahrkarten sicher schon sehnsüchtigst auf uns wartet". Timmy verstand bei diesen Worten Svenssons nur Bahnhof. Und zu eben diesem lenkte er nun seinen Volkswagen ...

[Wird fortgesetzt]

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7

Samstag, 15. September 2012, 08:31

Episode 7: Stürmische Begrüßung

Eine Viertelstunde später landete ungefähr 2500 Kilometer weit entfernt am Flughafen Scheremetjewo der Düsenjäger, an dessen Bord sich CI7 Superintendent Wannabe befand. Zu seinem Erstaunen war der von Kowarno entführte Linienflieger weder hier noch auf einem der anderen vier bekannten Großflughäfen der russsichen Hauptstadt gelandet. Statt dessen brachte ihn ein Helikopter umgehend zu einem auswärts in einem dichten Wäldchen gelegenen stillgelegten Militärflugplatz der Roten Armee, wo die Boeing 737 letzten Erkenntnissen zufolge heruntergegangen war. Auch jetzt verschwendete Wannabe keine unnötige Zeit, blieben ihm doch nur noch etwa 20 Minuten bis zum Ablauf von Kowarnos Ultimatum. Die kurze Einsatzbesprechung mit den vor Ort befindlichen Leuten der kampferprobten Spezialeinheit ALFA des Inlandgeheimdienstes FSB verlief zügig und reibungslos, schließlich waren die Männer bestens für solche Einsätze geschult die Verantwortlichkeiten ja schon im Vorhinein ausführlich geklärt worden. Und so pirschte sich bereits eine Viertelstunde später Wannabe mit einem russischen Leutnant namens Sergej Medwjedi aus einem toten Winkel heraus an den am Ende einer grasbewucherten Landebahn abgestellten Flieger heran. Vorsichtig verschafften sich die Zwei bei prasselndem Regen im Halbdunkel über eine Ladeluke am hinteren Rumpf Einlaß zum Frachtraum. Hier erblickte Wannabe neben den üblichen Gepäckstücken auch einige hohe, schmale Holzkisten, wie man sie zum Transport von Gemälden verwendete. Scheinbar waren alle von ihnen unversehrt, wie der CI7-Chef mit kurzem prüfenden Blick auf die einzelnen Kisten feststellte. "Gott sei Dank!", murmelte Wannabe am Ende seiner kurzen Sichtung erleichtert, wofür er von seinem russischen Begleiter nur einen unverständigen Blick erntete.

Die beiden Männer studierten daraufhin noch einmal kurz den mitgeführten Bauplan der Boeing 737, dann öffneten sie eine kleine Luke am vorderen Teil des Frachtraums. Diese gewährte ihnen Zugang zu einem Kabelschacht, welcher laut Skizze direkt unter dem Passagierraum entlang führen mußte. Leise krabbelten die beiden Männer durch den engen Schacht hindurch. Wannabe warf dabei noch rasch einen Blick auf seine beleuchtete Armbanduhr. In einer Minute endete die von Kowarno gesetzte Frist, womit gleichzeitig von draußen die zuvor vereinbarte Stürmung der Maschine begann. Die Sache duldete keinen Aufschub mehr. Wannabe hob vorsichtig jene Stahlplatte an, die von der anderen Seite her als Bodenplatte im Gang der Economy Class fungierte. Sekunden später waren aus dem Flugzeuginneren in kurzen Abständen mehrfach laute Schußgeräusche zu venehmen, dann herrschte Totenstille. Aus dem Schutz des umgebenden Wäldchens heraus aber stürmten im selben Augenblick ein Dutzend ALFA-Leute unter Führung ihres Kommandeurs den Flieger. Und was sie in dessen Innern vorfanden, ließ selbst den so hartgesottenen Elitesoldaten die Münder weit offenstehen ...

[Wird fortgesetzt]

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