Die Geschichte, die ich hier erzähle, ist reine Fiktion, sie wurde in ihrer Grundidee durch ein Lied der österreichischen Sängerin Simone inspiriert, der ich diese Story auch gern widmen möchte, als kleines Dankeschön für all ihre wundervollen Songs. Sie hat an sich fast nichts mit 24 zu tun, und in welche Richtung sie genau geht, gehört zu den zahlreichen Überraschungseffekten, die Euch im Lauf der Geschichte begegnen werden. Seid gespannt und glaubt mir, wenn ich Euch verspreche: Nichts ist am Ende so, wie es am Anfang scheint! ... Aber lest selbst. Ich wünsche Euch fürs erste viel Vergnügen und spannende Unterhaltung.
Hinweis: Ich habe diese Geschichte aus eigenem Ermessen in ihrer Gesamtheit als FSK 16 eingestuft, da sie in den späteren Fortsetzungen einige etwas explizite Darstellungen beinhalten wird. Mehr möchte ich dazu noch nicht sagen, um nicht zuviel zu verraten. Aber ich bitte alle Leser den Hinweis ernstzunehmen, den wir alle von Baustellenschildern her kennen: "BETRETEN AUF EIGENE GEFAHR!"
ZWEI FRAUEN AM ZUG
Episode 1: Wie der Zufall so spielt
Cathrin war so sehr in die Lektüre ihres spannenden Krimis vertieft, daß sie zunächst gar nicht bemerkte, wie sich die Tür ihres Zugabteils öffnete und sich einige Sekunden später wieder schloß. Erst als ihr jemand mit dem Finger auf die Schulter tippte, bemerkte sie, daß sie jetzt hier als Fahrgast nicht mehr allein war. Sie zuckte kurz in sich zusammen, dann senkte sie das Buch in ihrer Hand und musterte ihre neue Reisebegleitung von oben bis unten.
Es handelte sich bei ihrem Gegenüber um eine junge, äußerst attraktive Frau. Sie trug ein beigefarbenes T-Shirt mit einem extragroßen v-förmigen Ausschnitt und einen Jeansminirock, der bei sehr konservativen Menschen locker als ein etwas breiterer Gürtel durchgehen würde und der durch sein enges Anliegen ihre atemberaubend schmale Taille besonders gut zu betonen vermochte. Das dunkle Nylon ihrer Feinstrumpfhose schmiegte sich an ihre glatten, langen Beine, für die der Begriff Cellulite auf ewig ein Fremdwort zu bleiben schien. Sie endeten in goldfarbenen, hochhackigen und unwahrscheinlich zierlichen Pumps, die den Fan Grimmscher Märchen sofort an Aschenputtel denken ließen. Ihr süßes, kindlich naives Gesicht mit den großen, haselnußbraunen Kulleraugen und dem - durch das Auftragen eines dezenten roten Lippenstifts noch zusätzlich betonten - Schmollmund lächelte so erfrischend unschuldig, als wüßte es noch gar nichts von den Schlechtigkeiten des rauhen Lebens da draußen.
Kurzum, sie war das, was Männer um den bei ihnen - in den Augen des weiblichen Geschlechts - eh schon recht spärlich vorhandenen Verstand zu bringen vermochte. Naja, nicht alle Männer natürlich. Ihren Steven ließen solche männermordenden Vamps völlig kalt. Nie schaute er einem dieser kurzen Röcke und tiefen Ausschnitte hinterher, wenn sie gemeinsam Hand in Hand durch die Londoner City schlenderten. Ja, ihr Steven war da eben eine rühmliche Ausnahme im Reiche der maskulinen Schürzenjäger und nebenbei gesagt noch dazu ein Traum von einem Mann.
Sicher, vor ihrer Zeit in seiner Jugend war auch ihr Göttergatte ein ziemlicher Draufgänger gewesen, so hatte sie ihn ja schließlich auch eines Abends auf dem College Abschlußball kennengelernt. Er ließ damals seine Kumpels einfach an der Bar stehen, nachdem er schon den ganzen Abend immer wieder zu ihr herübergezwinkert hatte, baute sich in all seiner stattlichen Größe vor ihr auf und fragte sie, ob sie nicht Lust hätte, mit ihm zu tanzen. Sie gab sich daraufhin zurückhaltend, auch wenn sie seinem Wunsch nur zu gern sofort nachgekommen wäre. Aber sie wollte eben nicht, daß er dachte, sie sei leicht zu haben. Und so erwiderte sie: "Das würde ich ja gern tun, aber dazu bräuchte es schon einen Tanzpartner, der mir gefällt, und ein ganz bestimmtes Lied". Sein Interesse schien geweckt, denn statt sich mit dieser Beinahabfuhr zufrieden zu geben, gab er sich ganz gelassen und selbstbewußt: "Ok, ersterer steht bereits vor Dir, bleibt also nur noch die Frage nach dem Lied". Sein Auftreten imponierte ihr, und so setzte sie alles auf eine Karte: "Tja, weißt Du, ich tanze eben nur zu 'Reality' von Richard Sanderson". Die meisten Typen hätten damals spätestens in diesem Moment klein beigegeben, denn der Ohrwurm aus "La Boum" galt in Jungskreisen als ein absolutes No-Go. Und für einen Augenblick sah es so aus, als ob das auch diesmal der Fall wäre, denn Steven ließ nur ein kurzes schwer zu deutendes "Ok" verlauten, machte auf dem Hacken kehrt und entfernte sich. Cathrin war ein wenig geknickt gewesen, und angesichts ihres gesenkten Kopfes hatte sie dann auch gar nicht mitbekommen, wie Steven mit einem kühnen Sprung zu dem DJ auf die Bühne gehopst war und ihm solange pausenlos etwas ins Ohr gebrüllt hatte, bis dieser endlich ein wenig genervt genickt hatte. Sekunden später stand er erneut vor ihr und streckte ihr siegessicher seine Hand entgegen, während der DJ auf der Bühne ein wenig gelangweilt in sein Mikro krächzte: "Ok, also auf den schwer abzuschlagenden Wunsch eines einzelnen, sehr hardnäckigen Zeitgenossen nun eine der meistgespielten Schnulzen dieser Tage - Dreams are my Reality von Mister Richard Sanderson höchstpersönlich. Ach und keine Sorge, danach gehts natürlich wieder weiter mit richtiger Musik!" Alles, was danach an diesem Abend geschah, hatte Cathrin nur noch wie in Trance erlebt ... wie sie mit Steven zwischen all den anderen eng umschlungenen Pärchen über die Tanzfläche geschwebt war, wie sie den Rest des Abends lachend seinen kleinen amüsanten Bemerkungen gelauscht hatte, wie sie nach dem Ende der Fete an seiner Seite durch das nächtliche London geschlendert war und wie er sie vor ihrem Elternhaus nur um einen kleinen Gute-Nacht-Kuß gebeten hatte, aus dem sich dann das erste wilde Zungenspiel ihres noch so jungen Lebens entwickelt hatte. Ein halbes Jahr später waren die Beiden verlobt, ein weiteres Jahr danach hatten sie geheiratet.
Cathrin widmete sich in ihren Gedanken wieder der jungen Frau, die inzwischen ihren kleinen Koffer auf der Gepäckablage verstaut und gegenüber am Fenster Platz genommen hatte. Dabei schlug sie sofort recht sitsam und scheu die Beine übereinander, um zu verhindern, daß die Kürze ihres Minirocks allzuviel von dem Darunter preiszugeben vermochte. Cathrin schaute ihr erneut ins Gesicht und schätzte sie auf Anhieb auf etwa 20 Jahre, womit sie dann genau halb so alt wäre wie Cathrin selbst und damit locker ihre Tochter hätte sein können. Die Betonung lag hierbei klar auf "hätte", denn Cathrins 17jährige Ehe mit Steven war bis dato kinderlos geblieben. Zu sehr waren ihr Mann und sie selbst damit beschäftigt, an ihren Karrieren zu basteln. Cathrin arbeitete als erfolgreiche Eventmanagerin am Royal Shakespeare Theater in Stratford Upon Avon, während ihr Gatte einen Posten als leitender Angestellter der renomierten Londoner Privatbank "Clever & Rich" innehatte. Selbstverständlich war in all dem Alltagstrott der Zauber der jungen Liebe zwischen den Beiden ein wenig auf der Strecke geblieben, aber Steven war ihr über all die Jahre im Gegensatz zu vielen anderen seiner Geschlechtsgenossen stets treu geblieben. Und wenn er regelmäßig einmal im Monat von seinen Geschäftsreisen am Wochenende zurückkehrte, dann hatte er es in all der Zeit noch nie versäumt, ihr stets wie damals am Tag seines Heiratsantrags 24 rote Rosen mitzubringen. Genau für diese Beständigkeit liebte sie ihn, genauso wie am ersten Tag, vielleicht sogar noch mehr.
Die junge Frau schaute mittlerweile aus dem Fenster, an dem die Landschaft mit all den Bäumen und goldgelben Feldern in sich ständig zu wiederholen scheinender Monotonie vorbeizog. Cathrin hingegen beschloß, sich wieder ganz ihrem Buch zu widmen, als sie ein leises Grummeln in ihrem Bauch vernahm. Ja, genau, sie hatte ja seit mehreren Stunden nichts mehr gegessen. Das Mittagessen hatte sie auslassen müssen, sonst hätte sie ihren Zug verpaßt. Daß ihr ihr Chef doch noch freigab, war einfach sehr überraschend für sie gekommen. Und als sie dann bei ihrer Rückkehr ins Hotel auch noch diesen geheimnisvollen Brief mit der Zugreservierung nach London vorgefunden hatte, den sie vermutlich ihrem Boß als Anerkennung für ihren unermütlichen Einsatz verdankte, zögerte sie nicht einen Moment und beschloß, ihren Steven zu überraschen. Denn der rechnete ja an diesem Wochenende überhaupt nicht mit ihr. Ihre Augen begannen zu funkeln und zu sprühen, allein nur bei dem Gedanken, was sie an diesem gemeinsamen freien Wochenende wohl alles zusammen unternehmen konnten. Einzig und allein ihr Bauch grummelte weiter. Cathrin erinnerte sich in diesem Moment an die beiden Äpfel und die zugehörigen Schälmesser, die sie noch in ihrer Handtasche mit sich trug. Und so nahm sie beide Äpfel und eines der Messer zur Hand und begann mit der Vorbereitung ihres kleinen Imbisses.
Ihrem Gegenüber war das emsige Treiben Cathrins mit all den damit verbundenen raschelnden, knisternden, scharrenden und knackenden Nebengeräuschen natürlich keineswegs verborgen geblieben, und so starrte das junge Ding nun mit ihren großen, wundervollen Augen statt aus dem Fenster mit ungeteilter Aufmerksamkeit auf Cathrins zwei knackige Äpfel, die diese vor ihren Augen nach und nach genüßlich aus der sie noch fest umschließenden Schale zu "entkleiden" begann. Cathrin bemerkte den Blick der Frau, lächelte ihr freundlich zu und fragte sie, ihr den noch ungeschälten Apfel und das Schälmesser darbietend: "Möchtest Du vielleicht mal probieren?" Die Kleine nickte eilig und nahm beides dankend mit der einen Hand entgegen, während sie Cathrin die andere gleichzeitig zum Gruß darbot: "Ja gerne, das ist aber lieb von Dir. Ich hab nämlich seit heut morgen nichts mehr gegessen, weißt Du. Ich war einfach zu aufgeregt. Mein Freund hat mich übers Wochenende zum ersten Mal zu sich eingeladen. Wir haben uns erst vor 12 Wochen kennengelernt. Und seitdem sehen wir uns nur am Wochenende und das auch nur einmal monatlich. Weißt Du, ich sag ja immer im Scherz zu ihm, er kommt genauso regelmäßig wie meine Regel". Sie mußte selbst lachen über diese Bemerkung, und dieses Lachen war von einer unschuldigen Reinheit und Unbefangenheit, daß es Cathrin sofort anzustecken begann. Scheinbar hatte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihr großes Liebesglück mit einem anderen teilen zu können, denn die Worte sprudelten nun förmlich nur noch so aus ihrem Munde heraus: "Ach, ich hab mich ja noch gar nicht bei Dir vorgestellt. Ich heiße Jane und feiere morgen meinen 21. Geburtstag. Ich bin Kunststudentin im sechsten Semester. Meinen Freund hab ich eines schönen Samstagabends auf einer Collegeparty getroffen, er hat mich einfach so zum Tanzen aufgefordert und ich hab sofort ja gesagt. Ich hab ihm nur in seine wundervollen blauen Augen gesehen und da war es um mich geschehn. Liebe auf den ersten Blick. Und dabei dachte ich immer, sowas gibts nur im Kino. Er hat mich dann noch nach Hause gebracht, und vor meiner Haustür hat er mich dann um einen Gute-Nacht-Kuß gebeten. Tja, was soll ich Dir sagen, eine halbe Stunde später lagen wir schon zusammen in der Kiste ...". Cathrin hörte kurzzeitig auf, dem Redefluß der Kleinen zu folgen und horchte stattdessen in sich hinein, wo etwas in ihr einen tiefen Seufzer auszustoßen schien. Es war wie ein Deja-Vu. Alles kam ihr so vor, als ob sie hier in diesem Mädchen ihre Jugend noch einmal im Zeitraffer erlebte. Manche Dinge änderten sich auf dieser Welt wohl nie. Wie sehr sehnte sie sich in diesem Augenblick nach ihren Steven, der vermutlich einsam und nichtsahnend in ihrer kleinen Londoner Vorstadtvilla über irgendwelchen Geschäftspapieren hockte oder, um sich ein wenig vom Alleinsein abzulenken, gelangweilt im Pub um die Ecke ein Bier trank.
Die junge Frau ihr gegenüber schälte derweil emsig ihren geschenkten Apfel und plauderte nebenher ununterbrochen weiter. Cathrins Augen aber klebten nun an ihren zarten Händen mit den langen Fingerchen und den Fingernägeln, die unter einem Hauch von glitzendem Nagellack in der strahlenden Sonne zu funkeln begannen. Ganz genauso, wie ihre roten Wangen funkelten, immer wenn sie über den Mann ihrer Träume sprach, den sie doch erst so kurze Zeit kannte und der dennoch ihr ganzes junges Leben mit tiefer Glückseligkeit zu erfüllen schien. Am linken Handgelenk der Kleinen bemerkte Cathrin erst jetzt beim genaueren Betrachten ein silbernes Armkettchen mit einem Schild, auf dem anscheinend etwas eingraviert war. Cathrin drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite, denn sie war neugierig, was da stand. Schließlich gelang es ihr, die Inschrift zu entziffern - es handelte sich um einen Namen, vermutlich den ihres Freundes, und der war: Stevie. Welch ein unglaublicher Zufall? Und nun war es Cathrin, die vor Erstaunen nicht mehr an sich halten konnte, und die damit ihre neue Bekannte in ihrem ungebremsten Redefluß stoppte: "Dein Freund heißt Stevie? Das ist ja unglaublich, mein Mann heißt nämlich ganz ähnlich: Steven. So langsam glaub ich, bei unserem Zusammentreffen hier im Zug hat das Schicksal seine Hand im Spiel". Janes Augen waren durch Cathrins Offenbarung nur noch größer geworden und nun war sie wohl wieder an der Reihe, etwas zu sagen: "Wow, das gibts ja nicht! Echt?! Weißt Du, ich nenn meinen Süßen ja immer Stevie Wonder. Er hört das ja nicht so gern, weil er immer denkt, ich will ihn irgendwie mit der Tatsache aufziehen, daß er ein ganzes Stück älter ist. Und dann sagt er immer: 'Und außerdem bin ich weder blind noch farbig, höchstens ab und zu mal farbenblind, wenn ich mit meinem Auto eine rote Ampel überfahren hab'. Naja, mein Stevie ist halt ein kleiner Spinner. Aber ein ganz süßer. Und das Armkettchen hat er mir zu unserem zweimonatigen Jubiläum gekauft. Hat ihn eine ganze Stange Geld gekostet glaub ich, aber er kann es sich leisten. Er ist irgendwie ein höherer Angestellter in dem Laden, wo er arbeitet. Darum ist er ja auch ständig unterwegs, weißt Du. So eine Art Außendienstmitarbeiter eben. Aber sag mal ..." Und damit fiel ihr Blick auf Cathrins diamantbesetzten Ehering, "... der ist ja auch nicht von Pappe. Mein lieber Scholli, darf ich mal sehen?!" Ohne Cathrins Antwort abzuwarten, griff Jane nach ihrer Hand und zog sie zu sich herüber. Dabei war sie keineswegs ruppig. Im Gegenteil: Jane streichelte mit ihren sanften Fingern immer wieder über Cathrines Handrücken, während sie sich verzückt mit strahlenden Augen von allen Seiten her den glitzernden Edelstein und den ihn umschließenden goldenen Ring genaustens betrachte. Cathrin schloß die Augen. Sie genoß die unschuldige Berührung der jungen Dame, die doch eigentlich nur ihre Hand für einen Moment gefangenhielt und damit dennoch gleichzeitig irgendwie auf eine geheimnisvolle Art Cathrins ganzen Körper und ihre ganze Seele in ihren Bann zu ziehen vermochte ...
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