Die Geschichte ist glücklicherweise reine Fiktion. Sie handelt einige Zeit nach 24 Tag 4 (enthält dabei Spoiler zu S1-S5). Es treten viele aus 24 bekannte Charaktere auf ... welche, da laßt Euch mal wieder überraschen! Ich verfolge mit dieser Geschichte keinerlei finanzielle Interessen, ein paar kleine Lacher Eurerseits wären mir Lohn genug ... denn alles ist jetzt erst recht JUST 4 FUN!
VORWARNUNG (anstelle eines Vorwortes)
Sehr geehrter 24 Fan! Sie kennen die CTU? Natürlich werden Sie jetzt Ja sagen, denn sie haben mit Jack & Co schon so manchen action- und emotionsreichen Tag verbracht. Und trotzdem - oder gerade deswegen - muß ich Ihnen unbedingt davon abraten, die folgende Geschichte zu lesen. Denn es wird Sie zutiefst schockieren, was ich Ihnen hier berichte. Oder hätten Sie allen Ernstes erwartet, daß Bill Buchanan eines Tages einfach das Licht in der CTU ausschaltet und den Eingangsbereich abschließt, um in ein Hawaiihemd zu schlüpfen und mit sämtlichen Mitarbeitern ein Picknick auf einem Friedhof zu machen. Ich sage Ihnen: Nein, das hätten Sie nicht! Noch ist es nicht zu spät, noch ist Ihr Blick auf das 24 Universum ungetrübt - doch wenn Sie weiterlesen, dann wird nichts mehr so sein, wie es war ... Nie wieder ... Allen, die dennoch weiterlesen, seien auf jeden Fall zwei Dinge mit auf den Weg gegeben: 1.) Sagen Sie nachher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt! und 2.) Viel Vergnügen!
1.AKT: Ein lieblicher Gedanke
Bill hatte es sich gerade in seinem Chefsessel im Konferenzraum gemütlich gemacht. In seiner rechten Hand schwenkte er genüßlich ein Glas halbvoll mit einem halbtrockenen Rotwein. Vor einer halben Stunde war es noch ganz voll gewesen, wenn auch der Wein natürlich trotzdem auch zu diesem Zeitpunkt nicht nicht ganz trocken war - versteht sich. Trotzdem ein interessantes Wortspiel. Leider kam Bill nicht dazu, seiner kleinen Spielerei weiter nachzugehen, denn in diesem Moment riß ihn ein eindringliches Klopfen an der Konferrenzraumtür aus seinen Gedanken. Es war Chloe O'Brian, die ihre kleine geballte Faust so wehement auf dem gläsernen Körper der Türe tanzen ließ. Bill winkte, und Chloe trat näher.
"Was ist denn?", fragte Bill unwirrsch. Zu kostbar waren ihm diese Momente der Muße in diesen so unheiligen Hallen der Antiterroreinheit Los Angeles.
"Mister Buchanan, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie in irgendeiner Form etwas für den Abschied von Tony und Michelle planen. Sie wissen doch, daß uns die Beiden am Wochenende verlassen werden?"
"Naja, ehrlich gesagt habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Hätten Sie nicht einen Vorschlag, Chloe?"
Bills Laune verbesserte sich sprungartig wieder, denn er merkte, daß es endlich mal nicht um irgendwelche Terroristen und Bomben ging. Dafür nahm er sich gern ein wenig Zeit.
"Setzen Sie sich doch, Chloe! Darf ich sie ein wenig an meiner Spätlese teilhaben lassen?"
Chloe blickte etwas skeptisch zu Bill hinüber, während sie auf einem der blauen Stühle platznahm.
"Spätlese? Also erstens ist es 10 Uhr morgens und zweitens sehe ich hier weder Akten noch ein Buch. Also was um alles in der Welt wollen sie denn mit mir hier bitteschön spät lesen?"
Einen Moment war es völlig still im Raum, dann aber brach Bill in ein schallendes Gelächter aus.
"Aber Chloe, ich meine doch den Wein. Es ist eine Spätlese von dem kalifornischen Weingut Falcon Crest. Angela Channing, eine gute Bekannte von mir, hat mir den edlen Tropfen selbst zugeschickt."
Für einen Moment zog ein Lächeln auf Chloes Gesicht, aber nur, um dann sofort einem eindringlichen Stirnrunzeln das Feld zu überlassen.
"Nein danke, Mister Buchanan. Zum einen würde ich damit gegen die Dienstvorschrift II/4 verstoßen, und zum anderen bekomme ich von Rotwein immer einen heftigen Schluckauf, was der anschließenden Konversation zwischen uns wohl wenig dienlich wäre, nicht wahr?!"
Dieser doppelt logischen Argumentation konnte sich Bill natürlich nicht entziehen. Nun war es wohl auch für ihn Essig mit dem Weintrinken, denn als Chef mußte er schließlich mit gutem Beispiel vorangehen - oder situationsbedingt besser gesagt: voransitzen - als Vorangesetzter ... äh Vorgesetzter von Miss O'Brian. Das Weinglas und die Flasche schob er unauffällig ein wenig zur Seite - in Richtung jenes Platzes, auf dem Edgar Styles sonst zu sitzen pflegte. Dem würde man den Genußmenschen wohl am ehesten abnehmen, falls es zu einer Befragung bezüglich Alkoholgenusses im Dienst kommen sollte. Und nun mußte es ihm nur noch gelingen, das Gespräch vom Wein zurück auf ein weniger gefährliches Thema zu lenken.
"Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, ich fragte mich gerade, ob Sie einen Vorschlag hätten wegen des Abschieds von Tony und Michelle, Chloe."
"Also genau genommen haben Sie ja nicht sich sondern mich gefragt, Mister Buchanan. Aber egal ... Ja, ich hätte da eine Idee. Ich denke da an ein Picknick mit Faßbrause, Salat und Götterspeise. Und das Ganze natürlich unterlegt mit leiser klassischer Musik aus dem MP3-Player."
"Ja genau, Chloe, ein Betriebsausflug mit der kompletten Belegschaft. Mit Bier, Whisky, Steaks und Chickenwings. Mit einer Countryband und einem riesigen Lagerfeuer. Und das Ganze in einer 1A abgefahrenen Location, die auf ihre Art einen besonderen Bezug zur CTU und zu unserer Arbeit hat ... Ich habe da auch schon eine Idee ... Lassen Sie sich überraschen, meine Liebe! Und jetzt, frisch ans Werk, Sie kümmern sich um den Einkauf!"
Bills Augen hatten während seines Vortrags zu funkeln begonnen. Ohne Umschweife manövrierte er die verdutzte Chloe aus ihrem Sessel, um sie dann durch den halben Konferenzraum bis zur Tür zu schieben, die er augenblicklich hinter ihr schloß. Er überlegte einen Moment, dann öffnete er die Tür nochmals einen kleinen Spalt und zischte leise mit dem Zeigefinger am Mund: "Und kein Wort zu Michelle oder Tony, verstanden!"
Bei der überrumpelten Chloe reichte es gerade zu einem leichten Kopfnicken, aber das registrierte Bill sowieso nicht mehr, da er bereits am Konferenztisch stand und über das Telefon die Location klarmachte ...
2.AKT: Das stille Örtchen
Drei Tage waren vergangen, seit Chloe ihrem Chef jenen Vorschlag unterbreitet hatte, der ihn seitdem ganz in seinen Bann genommen hatte. Er hatte alles organisiert und sämtliche Einladungen verschickt. Heute morgen hatte er dann sein schönstes Hawaiihemd aus dem Kleiderschrank geangelt, wo es unter der Wucht seiner Anzüge schon zu ersticken gedroht hatte. Er hatte eine blaue Bermudashorts und seine braunen Sandaletten angezogen und zu guter Letzt seine Men-in-Black-Sonnenbrille aufgesetzt. Dann war er gutgelaunt in seinen roten Ferrari gesprungen und noch einmal kurz zur CTU gefahren, um dort das Licht zu löschen, die Computer herunterzufahren und den Haupteingang abzuschließen. Ein Glück, daß die bösen kleinen Terroristen mit ihren Bomben und Maschinengewehren keine Ahnung hatten, daß ihr Gegner Nummero Uno heute eine Fiesta Americana veranstaltete. Bill ließ den Schlüssel am Ring um seinen Finger kreisen, hüpfte wieder in seinen Wagen und fuhr zu dem von ihm so sorgsam ausgewählten Ort. Nach und nach trafen auch alle geladenen Gäste ein - allen voran Chloe und Edgar.
Die Party war schon gut eine halbe Stunde in vollem Gange, als auch die schwarze Limosine des Verteidigungsministeriums vorfuhr - aus der einen Augenblick später Audrey Raines in einem schwarzen Abendkleid entstieg.
"Meine Liebe, Sie sind eindeutig zu spät", kommentierte Bill das Eintreffen der Tochter des Verteidigungsministers am Ort der geplanten Überraschungsparty.
Audrey lächelte etwas genervt.
"Tja, wissen Sie, Bill, auf der Einladung stand nur etwas von einem Friedhof. Ich hielt das zunächst für eine ironische Anspielung. Und da habe ich eben eine halbe Stunde vergeblich auf der CTU Krankenstation gewartet. Mein Fehler, entschuldigen Sie bitte!"
Bill war gerade im Begriff, Audrey am Arm unterzuhaken, als diese überraschend den Kopf schüttelte.
"Nicht nötig, Bill. Ich habe mir einen Begleiter mitgebracht zu Ihrer Party ... Walt, Sie können jetzt aussteigen und mir Ihren Arm leihen."
Aus der Limosone wand sich mit aalglatter Geschmeidigkeit und dem Lächeln einer Hyäne Walt Cummings, seines Zeichens Chefberater des amtierenden Präsidenten Charles Logan. Audrey registrierte die Verblüffung in Bills Augen und hielt es für angebracht, ein paar klärende Worte für diese Situation zu finden.
"Wissen Sie, wir haben geschäftlich viel zusammen zu tun. Man verbringt viel Zeit zusammen auf Tagungen und Konferenzen und lernt sich dabei besser kennen, Sie verstehen, Bill?"
Bill schien nur allzugut zu verstehen ... ja, er schien sogar zwischen den Zeilen lesen zu können. Und so wandte er sich unumwunden an Cummings.
"Ach, Mister Cummings, wie geht es eigentlich ihrer Frau. Schade, daß Sie sie nicht mitgebracht haben. Ich hätte sie gern einmal kennengelernt."
Cummings Lächeln schien eingefroren, er zuckte nur kurz ungerührt mit den Schultern. Dann reichte er Audrey seinen Arm und ging mit ihr durch die Eingangspforte auf den Friedhof. Er genoß das morbide Ambiente - denn bei den Leichen, die er im Keller hatte, fühlte er sich hier augenblicklich heimisch.
Bill wandte seinen Blick ab von diesem ungleichen Paar und sah auf die Uhr. Langsam wurde es Zeit für das Erscheinen der Überraschungsgäste.
An der Ecke bog ein silberner Dodge mit quietschenden Reifen in die Zufahrt zum Friedhof ein und kam nur Sekunden später direkt vor Bills Füßen zum Stehen. Beide Türen wurden aufgerissen und zeitgleich sprangen Tony und Michelle aus dem Wagen. Beide schienen völlig außer Atem, doch Tony fand als erster die Sprache wieder.
"Was ist los, Bill? Was sind das für Informationen, die Sie über Jack haben?"
"Nun ja", begann Bill zaghaft, "Eigentlich nichts, was Sie beide nicht schon wissen ..."
Michelle zuckte leicht zusammen. Was wußte Bill? War er hinter ihr dunkles Geheimnis gekommen? Was war mit Jack? War ihm etwas zugestoßen? Wollte man Tony und sie jetzt festnehmen, weil sie Jacks Tod vorgetäuscht hatten? Oder trachtete man ihnen gar selber nach dem Leben? Ihre Augen klebten am Bills Lippen.
"Jack ist tot, wie die meisten hier an diesem stillen Örtchen. Niemand weiß das besser, und niemand hat das schmerzlicher erfahren als wir drei. Zu seinem Gedenken und zu Eurer beider Verabschiedung feiern wir heute hier eine Party. Und Ihr beide sind meine Überraschungsgäste."
Tony hatte den Kopf leicht zur Seite gebeugt und ein Auge etwas zusammengekniffen. Michelle versuchte, ihrem Gesicht ein kleines Lächeln zu entlocken - was ihr allerdings angesichts der Tatsache, daß sie innerlich eben gerade beinahe tausend Tode gleichzeitig gestorben war, ganz und gar nicht gelang.
Bill versuchte, die Mimik der Beiden zu deuten. Dann legte er je eine seiner Hände beschwichtigend auf die Schultern von Tony und Michelle.
"Tut mir leid, aber mir fiel auf die Schnelle einfach nichts ein, wie ich Euch hierher bekommen konnte, ohne daß Ihr etwas von unserem Vorhaben ahnt. Und nun kommt und laßt uns feiern."
Audrey und Cummings hatten sich mittlerweile auf einer Bank unter einem Baum ein ruhiges Plätzchen gesucht. Sie prosteten sich mit Sekt zu. Audrey senkte ihren Blick, während Cummings sie mit stechendem Blick zu durchbohren suchte.
"Hören Sie, Walt! Das was da vor einigen Tagen zwischen uns im Hotel passiert ist, das war ..."
Cummings Handy störte die Totenruhe und Audreys Versuch, ihm zu erklären, daß sie die gemeinsame Nacht mit ihm für einen großen Fehler hielt und daß alles nur geschehen war, weil sie immer noch nicht über Jacks Tod hinweg war - und das er eben gerade da gewesen war, als sie jemanden brauchte zum Reden und zum Anlehnen. Cummings war inzwischen von der Bank aufgestanden und ein paar Schritte gegangen, so daß Audrey sin Telefonat nicht mitanhören konnte.
"Mister Präsident, ich behalte sie alle im Auge ... Ja, ich glaube immer noch, daß dieser Jack Bauer lebt ... Zu Audrey Raines habe ich derzeit einen besonders engen Kontakt ... Ja, Tony Almeida und Michelle Dessler sind hier ... Genau, Chloe O'Brian auch ... Seine Tochter Kim? Die ist bei einem gewissen Christopher Henderson untergekommen, ein alter Bekannter von Bauer ... Ganz richtig, wenn Bauer lebt und zu irgendwem Kontakt aufnimmt, dann erfahre ich es als Erster ... und Sie sind dann der Erste, der es von mir erfährt ... Ach Mister Präsident, grüßen Sie meine Frau und sagen Sie ihr, das Geschäftsessen dauert länger als geplant. Es kann spät werden."
Er beendete das Gespräch, zog sein breitestes Grinsen auf und setzte sich wieder zu Audrey auf die Bank.
"Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja meine Teure, Sie wollten mir sagen, daß diese leidenschaftliche Nacht zwischen uns das Wundervollste gewesen war, was Sie je erlebt haben. Mir ging es genauso, aber ich bin glücklich verheiratet, und ein Publikwerden unserer Liason wäre Gift für meine Karriere. Belassen wir es bei jener Nacht, und bleiben wir trotzdem ... naja, Freunde!"
Audrey stand der Mund weit offen. Wie konnte sie nur mit diesem Typen ins Bett steigen. Jetzt brauchte sie erst einmal einen ordentlichen Whisky - vielleicht auch zwei oder drei.
Es hatte noch einige Zeit und zwei Flaschen Sekt gebraucht, bis sich auch bei Tony und Michelle endlich so etwas wie Partystimmung einstellte. Und es brauchte noch etwas mehr Zeit und viel mehr Promille, um daraus eine wilde, ausgelassene Feier werden zu lassen. Zum Glück hatte man für Beides gesorgt - Bill für die ausreichende Zeit und Chloe für den nötigen Fusel ... Pardon, ich meine natürlich für die alkoholische Untermalung der Veranstaltung.
Wie auch immer, die Sicherheitsleute hatten jedenfalls allesamt Posten an den zahlreichen Zugängen des Friedhofs bezogen und kontrollierten hier bereits seit geraumer Zeit durch Sitzwachen, daß kein Unbefugter die Feier störte. Wer genauer an sie herantrat, wurde umgehend angeschnarcht und konnte dabei erkennen, daß sie ihren Job mit geschlossenen Augen beherrschten.
Chloe und Edgar saßen zur selben Zeit händchenhaltend an einem leeren offenen Grab und bauten aus dem aufgeschütteten Sand eine Sandburg.
"Ich bin hier der Burgherr, und ich sage Dir, die Sandburg braucht keinen Burggraben, sondern eine Firewall", lallte Edgar und schlug sich mit der Hand auf die üppige Rundung seines wohlgeformten Leibes.
"Und das holde Burgfräulein sagt Dir ... hicks ... daß ich mit meinem Laptop nicht ins mittelalterliche Internet komme ... hicks ... wenn Deine blöde Firewall mir den Weg versperrt ... hicks ... Und die Trojaner erkennt man im 13. Jahrhundert sowieso noch mit bloßem Auge. Oder denkst Du ... hicks ... ich sehe nicht, wenn plötzlich so ein Holzpferd auf dem Burghof parkt ... hicks ...???", konterte Chloe schwer angeheitert mit einem Finger in der Nase zurück.
Cummings lief derweil hektisch in Zickzacklinien kreuz und quer über die Gräber. Nicht, daß es ihm je etwas ausmachen würde, über Leichen zu gehen, aber er hatte gerade ein wichtiges Geschäft zu verrichten und wußte nicht wo.
Neben Bill kam er kurzzeitig schwankend zum Stehen und flüsterte ihm ins Ohr: "Ich muß mal dringend groß. Wo gibt's denn hier Klopapier?"
Klopapier - o je, das hatte Bill bei all seiner genauen Planung vergessen. Daran hatte er bei den Vorbereitungen im Konferenzraum der CTU nicht gedacht - aber wie sollte er auch. Die CTU war ja schließlich ein Regierungsgebäude und kein Scheißhaus! Dennoch sah er sich genötigt, dem in Not Geratenen seine Hilfe in Form eines guten Rates anzubieten.
"Man kann anstelle von Toilettenpapier zur Not auch Blätter benutzen, Mister Cummings. Das hab ich bei den Pfadfindern gelernt. Waren Sie denn nicht bei den Pfadfindern als Kind?"
Cummings antwortete nicht. Er machte nur eine ablehnende Handbewegung, dann setzte er seinen Zickzackkurs über die Gräber in Richtung einer schlechtbeleuchteten Ecke des Friedhofs fort, um dort mit heruntergelassener Hose in einem Gebüsch seßhaft zu werden.
Bill hatte sich unterdessen einer inoffiziellen Friedhofsbesichtigung durch Tony angeschlossen. Sie waren gerade ein paar Schritte gegangen, als Tony vor einem Grab abrupt Halt machte. Der selbsternannte Friedhofsführer erhob zuerst die Whiskyflasche, dann die gutgeölte Stimme:
"Was Sie hier sehen, Bill, ist Station 1 unserer Besichtigung. Das Grab von George Mason. Er war einer ihrer unzähligen Vorgänger. Eine Bombe hat ihn einst radioaktiv verstrahlt. Und zum Dank hat er sie im Gegenzug schnurstracks in die Wüste geschickt - und sich selber gleich mit. Ein strahlendes Vorbild für uns alle. Und dabei hatte ich schon die Erlaubnis, ihn zu erschießen. Er hätte nur noch ein paar Monate warten müssen ... Na egal. Prost!"
Tony nahm einen Schluck Whisky, setzte dann seine Tour fort und schleifte Bill am Ärmel hinter sich her. Vor einem kleinen, moosbedeckten Grabmal hielt er erneut inne. Tony blinzelte kurz, dann bekam seine Stimme einen fremden und zischenden Klang, als wäre seine Zunge gespalten wie die einer besonders giftigen Schlange:
"Das ist dann wohl die 2. Station unserer Leichenschau. Und was für eine besondere Leiche wir da haben ... Nina Myers. Unsere Kollegin, Jacks Geliebte, Tonys Geliebte ... und eine Massenmörderin. Viele Menschen haben ihren frühen Tod dieser Frau zu verdanken, und eine von ihnen war Jacks Frau Teri. Als sie dann auch noch Kim und Jack töten wollte, hat er ihrem schändlichen Treiben ein Ende bereitet. Gut so! Vielleicht taugst Du wenigstens als Wurmfutter, Du falsche Schlange. Prost!"
Voller Verachtung und mit einer Träne im Auge spie er auf dem Weg aus. Dann eilte er fort, weiter durch die Gräberreihen, die Whiskyflasche hocherhoben an seine Lippen gepreßt - und Bill folgte seinen schnellen, stark tänzelnden Schritten. Sekunden später blieb Tony abermals vor einer Grabplatte stehen, rieb sich die Augen und begann nun mit bedeutungsschwangerem Tonfall seinen nächsten Abgesang:
"Station 3 unserer Expedition ins Totenreich. Hier einer ihrer beruflichen Vorfahren, von dem ich zeitlebens nicht viel Gutes berichten kann. Ryan Chappelle. Einer von diesen großkotzigen Schleimern und Besserwissern, wie sie uns die Division ständig auf den Hals hetzt ..."
Bills Faust traf ihn unsanft in die Seite: "Na na, mein Freund, ich bin schließlich auch von der Division zur CTU gekommen und ihre Frau auch, oder?"
Tony rollte verlegen mit den Augen, nahm einen Schluck aus der Flasche und setzte seine Grabrede unbeeindruckt fort:
"Also wie ich schon sagte, es gab wenig Lobenswertes an ihm. Aber ihn durfte ich nicht erschießen, das hat Jack übernommen - zum Schutz der Nation und des Präsidenten ... seines Freundes David Palmer. Lang lebe Präsident David Palmer! Und Gott schütze Amerika! Prost!"
Mit diesen Worten plätscherte auch der letzte Schluck Whisky in Tonys Kehle. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen - auch seine kleine süße Michelle, die in diesem Moment auf den Schwankenden zugeeilt kam. Er stolperte unbeholfen, stürzte und fiel ... in die Arme seiner einzig wahren großen Liebe. Ein seeliges Lächeln gesellte sich zu dem glasigen Ausdruck in seinen Augen.
"Michelle, meine liebste Michelle, wo warst Du denn? Du hast mir sooo gefehlt, mein Engel."
Bill tippte seinem Friedhofsführer auf die Schulter: "Wollten wir nicht noch zum Grab von Jack, Tony?"
Tony leckte sich kurz die trockenen Lippen, kratzte sich verlegen am Ohr und meinte dann lallend: "Später, mein Bester ... am besten ganz viel später ..."
Schulterzuckend verabschiedete sich Bill mit einem kleinen Lächeln von Michelle. Dann zog er weiter und traf nach einigen hundert Metern an der Friedhofskapelle auf Audrey, die gedankenversunken spazierenging. Bill räusperte sich, dann legte er behutsam seinen Arm um Audrey.
"Hallo Audrey. Gut, daß ich Sie hier treffe. Wir hatten noch überhaupt keine Zeit zum Reden, seit ich Ihnen damals jene schreckliche Nachricht überbringen mußte."
Er blickte kurz auf, um in ihrem Gesicht eine Reaktion auf seine Worte erhaschen zu können. Es schien ihm, als ob ihre Augen denselben glasigen Schimmer bekamen, wie er ihm kurz zuvor in Tonys Augen aufgefallen war. Nur die Ursache war hier wohl eine gänzlich andere.
"Das stimmt, Bill! Wissen Sie, ich war damals völlig niedergeschlagen! Die Nachricht, daß Jack ... naja, sie hat mir den Boden unter den Füßen weggenommen ... Und wissen sie, was das Schlimmste für mich ist ..."
Bill schüttelte den Kopf, doch Audrey schenkte dieser Reaktion auf ihre vermeintliche Zwischenfrage überhaupt keine Beachtung.
"Das Schlimmste ist, wie wir auseinandergegangen sind - Jack und ich. Ich habe ihn für Pauls Tod verantwortlich gemacht. Ich war so verbittert, daß ich ihn und seine Liebe einfach von mir weggestoßen habe ... Und nun kann ich das nicht mehr korrigieren, nie mehr!"
Sie begann zu schluchzen, dann schossen Tränen in ihre Augen. Bill strich ihr mit seiner warmen Hand sanft übers Haar, preßte ihr verzweifeltes weinendes Gesicht an seine schutzspendende Schulter.
"Ich denke, Jack hat Sie immer geliebt. Er hat nie aufgehört, Sie zu lieben, auch nicht eine Sekunde, Audrey! Wo auch immer er jetzt ist, da sind sie in Gedanken bei ihm. Und eines Tages werden Sie ihn, so Gott will, wieder in die Arme schließen. Und es wird sein, als wären sie beide nie getrennt gewesen."
Bill zog das Einstecktuch aus seinem Anzug und reichte es Audrey, damit sie ihre Tränen trocknen konnte.
"Danke Bill! Ihre Worte tun so gut! Es ist mir, als würde Jack selbst durch Sie zu mir sprechen. Sie sind ein ganz wundervoller Freund!"
"Apopos Freund, wo ist eigentlich ihr achso charmanter Begleiter abgeblieben ... Mister Cummings?"
"Soll ich Ihnen etwas sagen, Bill? Das juckt mich nicht im Geringsten", gab Audrey Bill zur Antwort, während ihre liebliche kleine Nase lauthals ihren ganzen Rotz in sein Einstecktuch schnaubte.
Der Einzige, den es juckte, war Cummings selbst. Oh mann, der war anscheinend wirklich nie bei den Pfadfindern gewesen. Klar hatte Bill ihm empfohlen, zum Hinternputzen Blätter zu nehmen - aber mußte es denn ausgerechnet Brennessel sein. Sein Gesäß brannte wie Feuer, als ihn das Gebüsch wieder den Blicken der Versammelten Öffentlichkeit freigab. Der brennende Schmerz ließ ihn in der einsetzenden Dämmerung als Silhouette eines überdimensionales Frosches über das weite Friedhofsgelände hüpfen. Er passierte gerade zwei menschliche Schatten, die neben einem großen Sandhügel um die Wette schnarchten, als es passierte ... Der Boden unter seinen Füßen gab plötzlich schlagartig nach. Ein kurzer dumpfer Aufprall beendete den ebenso kurzen freien Fall des Mannes mit dem Pavianhintern, der seinerseits nun bewußtlos - dafür aber wenigstens wieder völlig schmerzfrei - liegenblieb. Der breitere der menschlichen Schatten schien durch diesen Vorfall geweckt worden zu sein. Er stand langsam auf und erblickte die Umrisse des tiefergelegten Cummings in dem offenen Grab vor sich. Dann tippte er dem dünneren Schatten auf die Schulter und rief mit aufgeregter Stimme:
"Schau mal, Chloe! Da liegt ein toter Mensch in dem Grab!"
Chloe blinzelte schlaftrunken in Richtung ihres schwergewichtigen Freundes: "Ach Edgar ... hicks ... Tote Menschen ... hicks ... liegen nunmal für gewöhnlich ... hicks ... in Gräbern. Das ist ... hicks ... völlig logisch ... hicks ... Also, Gute Nacht!"
Sprachs, gab noch schnell ihren Mageninhalt an eine eigens dafür bereitliegende Kotztüte weiter, schloß anschließend wieder die Augen und schlummerte seelenruhig weiter.
Edgar schüttelte kurzzeitig den Kopf, legte ihn dann aber doch lieber in Chloes warmen Schoß und lallte zufrieden: "Na gut, wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein! Ich wollte ja eigentlich auch nur anmerken, daß auf dem Grabstein der Name Jack Bauer steht. Aber wenn das keinen interessiert, dann eben nicht ... Gute Nacht zusammen!"
[ENDE]