Eine ordentliche Midlife-Crisis braucht auch eine würdige Einleitung. Und die verpasse ich ihr hier nunmehr mit einer nachträglich imaginär veranstalteten Feierlichkeit zu meinem vierzigsten Wiegenfest ... Da das Ganze für eine Kurzgeschichte inzwischen - ähnlich dem Verfasser selbst - ein wenig zu umfangreich geraten ist, kommt die Story nun in eigenem Topic leichter verdaulich häppchenweise daher. Guten Appetit ... äh, gute Unterhaltung ...
DIE FETE 4.0 - Wie erst gar nix begann und trotzdem alles endete
Teil 1: Die Vorgeschichte
Wer beim Titel meiner Geschichte in die Versuchung gerät, sich ein Prequel oder weiteres Sequel zum romantischen Teeniefilmklassiker "La Boum" samt dem schmusezart angehaucht, aprilfrisch weichgespült daherkommenden "Dreams Are My Reality" eines sich langsam vorm geistigen Auge in doppeltem Sinne entfaltenden und damit noch ganz und gar nicht in die Jahre gekommenen Richie Sanderson vorzustellen, der dürfte am Ende wohl eher schwer enttäuscht sein. Obwohl genau derjenige Leser, der sich dank seines etwas und dennoch nicht zu sehr fortgeschrittenen Alterungsprozesses der oben erwähnten französischen Kinoproduktion und der Zeit, da sie sich noch nicht zum Schleuderpreis auf löchrige Silberscheiben gepreßt verkaufte, überhaupt noch zu erinnern vermag, wiederum auch genau der Richtige sein dürfte, um die ihr innewohnende Stimmungslage vielleicht am allerbesten nachvollziehen zu können, weil er mittlerweile selbst alt und greise ... Verzeihung, reif und weise wollte ich natürlich sagen ... genug sein dürfte, um mich voll und ganz zu verstehen - zumindest dann, wenn die Augen und Ohren sowie das in ihrem Schnittpunkt vorhandene Hirn dabei noch in ausreichendem Maße mitzuspielen vermögen. Sollte meine kurze Einleitung den geneigten Leser meines Machwerks an dieser Stelle jetzt noch nicht ausreichend deprimiert haben, so darf ich doch versichern, bei seinem Verfasser hat sie diesen Zweck immerhin rundum erfüllt. Und so ist es nun wohl auch an der Zeit, mit dem eigentlichen Hauptteil zu beginnen ...
Es war einmal in den ersten Stunden vom Neujahrstag des Jahres 2012, als mir schlagartig bewußt wurde, daß ich schnurstracks auf die Vierzig zuging. Und da dieses große Ereignis keineswegs spurlos und von meiner Umwelt gänzlich ungeachtet an mir vorbeigehen sollte, nahm ich in wenige Minuten später ein weißes Blatt Papier zur Hand, um einige meiner besten Freunde zu einer Feier zu mir einzuladen. Eine unvergeßliche Fete, wie man solche Feierlichkeiten in meiner mittlerweile meilenweit zurückliegenden Jugend zu nennen pflegte, sollte es werden. Und das Erste was man für solch eine Fete brauchte, war eine Gästeliste. Ja, genau darin sollte sich das mir vorliegende leere Blatt mit Hilfe des nunmehr zur Hand genommenen Kugelschreibers verwandeln - in eine Liste, meine Liste, Schindlers ... Ne, so konnte ich sie dann doch nicht bezeichnen, das gäbe nur wieder Urheberrechtsprobleme mit dem Spielberg, der bereits vor Jahren seiner gleich mehrfach mit einem Oskar ausgezeichneten filmisch umgesetzten Geschichte über einen einfachen Oskar jenen Titel gab, dessen ich mich soeben beinahe bemächtigt hätte. Nennen wir mein unbedeutendes Papierstück vielleicht lieber Svennis Liste oder ... Meine Finger trieben den von ihnen eingeschlossenen Kuli langsam über den obersten Teil des Papiers, wo sich unter meiner Hand hinterrücks nach und nach der Schriftzug "G.Burtstagsliste" abzeichnete. Tja, mit zunehmendem Alter arbeitet Mann nunmal gern mit Abkürzungen und nimmt dabei billigend in Kauf, in sein Wirken den einen oder anderen G-Punkt gleich mit einzuschließen.
Für einen Augenblick ließ ich meinen Kuli auf dem papiernen Untergrund ruhen. Man ist ja schließlich kein Sklaventreiber, und außerdem wußte ich auch nicht so recht, wen ich als Erstes auf meine Gästeliste setzen sollte. Nicht, das ich jetzt soviele enge Freunde mein eigen nennen würde, daß es mir unheimlich schwerfiele, einem von ihnen den ersten Platz einzuräumen. Im Gegenteil: Im Grunde genommen hatte ich gar keine Freunde. Nicht mal ein Einziger wollte mir auf Anhieb einfallen. In mir erstarrend ließ ich meinen Kuli los, der seine neugewonnene Freiheit einzig und allein dazu zu nutzen schien, sich wie bescheuert auf dem weißen Untergrund jener Liste, die ihrem Namen bislang noch gar keine Ehre machte, hin und her zu kullern. Blöder Kuli, dämliche Liste! 'Mist, wer braucht schon Freunde?!', brummte es immer wieder oberflächlich unüberhörbar in meinem Schädel. 'Die Liste?! Du?!', hallte es tiefgründiger vonseiten meiner linken Brust aus einem sich tapfer schlagenden und angespannt um den rechten Takt bemühten Herzens wieder. 'Herzilein hat recht', räumte schließlich auch der olle Brummschädel ein. Und der brustkorbbewohnende Taktangeber ermahnte seinen Besitzer ergänzend: 'Und jetzt reiß Dich endlich zusammen und gib Dir dann mal einen ordentlichen Ruck, so wie ich es hier seit fast 40 Jahren ununterbrochen tue!". Ich nickte stumm. Selbst wenn es in meinem Umfeld keine engen Freunde gab, ein paar weitläufige Bekannte würde wohl selbst ich mit der Aussicht auf kostenlose Bewirtung sicher dazu bewegen können, mir für ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten in meinem Ein-Mann-Penthouse, in welchem ich inzwischen seit mehr als 7 Jahren von allen guten Geistern längst verlassen mein armseliges Dasein fristete und das ich meist nur noch dazu verließ, um auswärts in heimischer Atmosphäre für seinen Unterhalt zu schuften.
Ein erster Name tauchte vor meinem geistigen Auge auf: Fischer! Ja, vielleicht sollte ich den einladen - den Fischer und seine Frau. Zum einen hatte mein alter Schulkamerad, den ich vor einer Wiederbegegnung auf Facebook schon längst aus den Augen verloren glaubte, früher immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, zum anderen war er - wie er großkotzig in einer Nachricht schrieb - seit einiger Zeit amtierender Geschäftsführer im schmucken Schmuckgeschäft seines Schwiegervaters am Rande der deutschen Hauptstadt. Ob man ihn wohl deshalb unter der Hand auch den Perlenfischer nannte?! Oder war dieser unter der Hand gehandelte Spitzname doch eher der Tatsache geschuldet, daß Fischer nach Ladenschluß am Wochenende gern mal in der Berliner City in einer der einschlägigen Discos abtauchte, um dort nach ein paar schmucken Perlen zu fischen, die vom Alter her gut und gern auch als seine Töchter durchzugehen vermochten. Auch das hatte er mir bei unserer Kontaktwiederaufnahme übers Netz höchstpersönlich und ohne Anfrage unter die Nase gerieben ... ebenso wie die völlig unnötige Tatsache, daß das schweineteure Perserkätzchen seiner Frau Muschi hieße. Keine Frage: Einer wie der Fischer gehörte auf meine Gästeliste, so wie der die jungen Mädels anzog! Und ein paar hübsche Vertreterinnen der Damenwelt auf meiner Geburtstagsfete würden dann wiederum sicher auch recht anziehend auf noch unentschlossene Herrschaften auf den weiteren Listenplätzen wirken - von mir als Gastgeber selbst mal ganz abgesehen.
Freudestrahlend griff ich zum Telefonhörer und wählte Fischers Nummer. Am anderen Ende ertönte das Freizeichen, dann ein: "Fischers Fritze, wer stört?!". Was für ein Scherzkeks, dieser Fischer! Ich teilte dem Mann an der Strippe in aller Kürze meinen Namen und mein Anliegen mit. Daraufhin herrschte einige Sekunden Stille. Dann aber muß dem Fischer wohl doch wieder eingefallen sein, daß die kleine offne Stelle am unteren Ende seines Telefonhörers vom Hersteller ursprünglich zum Reinsprechen gedacht war, und er murmelte leise: "Am 24.Januar, sagst Du? Also naja, ich komme natürlich immer gern!". Ich mußte unweigerlich schmunzeln. Nach allem, was ich so über seine Wochenendgestaltung in Discos und fremden Hotelbetten erfahren durfte, war der letzte Satz so herrlich eindeutig doppeldeutig, was sich auch dadurch kaum veränderte, daß er nach einer kurzen Pause noch ein wenig leiser ergänzte: "Aber meine Alte, die ist da eher selten mit von der Partie!". Die Alte, wie er seine Frau vermutlich zur besseren Unterscheidung von seinen sonst deutlich jüngeren wechselhaften Gespielinnen zu nennen pflegte, meldete sich in diesem Moment lautstark aus dem Hintergrund: "Friedrich, wer ist denn da am Apparat?! Etwa schon wieder so ein junges Weibsstück?". Fast entschuldigend stammelte Friedrich Fischer, klar an die Adresse seiner ehelich angetrauten Lautsprecherin gerichtet: "Nö, Mausi! Ist nur ein ganz alter Kumpel!". Ich konnte bei diesem Satz meine wenigen noch auf dem Kopf verbliebenen Härchen förmlich grau werden und anschließend umgehend ausfallen hören, während zeitgleich an meinem Ohr die schrille Stimme von Fischer Fritzes Frau zum großen Lauscherangriff ansetzte: "Hey Sie?! So melden Sie sich doch! Was wollen Sie denn von meinem Mann?".
Jetzt zählte jedes Wort, wenn die forsche Fischerin meinem unverfänglich gespielten Charme ins Netz gehen und ihren Mann für die Dauer meiner Geburtstagsfete vom Haken lassen sollte. Um meinem Hirn zur Entwicklung einer dementsprechenden taktischen Vorgehensweise noch ein paar Sekündchen Bedenkzeit zu verschaffen, wählte ich die Form der klassischen Rüdiger-Hoffmann-Eröffnung und säuselte in sanfter Baßtonlage: "Ja, hallo erst einmal ... Ich weiß gar nicht, ob Sie es schon wußten, aber ... ich bin ein uralter Schulkamerad Ihres geschätzten Gatten und feiere in einigen Tagen meinen vierzigsten Geburtstag, wozu ich Ihren Gemahl und natürlich auch Sie, meine Gnädigste, gern auf einen kleinen Umtrunk in mein bescheidenes Heim einladen möchte". Am anderen Ende der nicht vorhandenen Strippe meines Schnurlostelefons versuchte es scheinbar, dezent verlegen zu kichern, obwohl das, was dabei herauskam, eher so klang, als wäre Frau Fischer gerade ihrer Muschi auf den Schwanz getreten. In mir schüttelte sich alles, während ich äußerlich völlig unbeirrt fortfuhr: "Ich darf doch Ihr bezauberndes Lächeln wohl als Zustimmung werten, nehme ich an?!". Im Sirenentonfall erschallte es umgehend zurück: "Aber natürlich dürfen Sie, Herr ... Wie war doch noch gleich der werte Name ...". Verlegenheit vortäuschend räusperte ich mich kurz, dann erklärte ich: "Verzeihen Sie bitte! Wo war nich nur wieder mit meinen Gedanken?! Ich habe mich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt! Schindler, mein Name, so wie der Dachdecker, nur daß hier der Meister selbst wohl den allergrößten Dachschaden hat ... aber wo wir hier schon einmal so eng vertraut über meine Rufnummer telekommunizieren, dürfen Sie mich auch ruhig bei meinem Rufnamen anreden, und der ist Sven". Noch einmal entlockte Frau Fischer dem zweifelsfrei lautesten ihrer Organe die bereits gehörte und als Kichern vorgesehene betretene Katzen-Schwanz-Imitation, und dazu noch ein ergänzendes: "Mein lieber Sven, Sie sind mir aber ein komisches Käuzchen!". Das Kompliment hätte ich jetzt getrost zurückgeben können, doch ich verzichtete darauf, und dachte stattdessen lieber: 'Wenn die alte Heulboje recht haben sollte und mit ihr auch der abergläubische Volksmund, was die symbolische Bedeutung vom Ruf des Käuzchens angeht, dürfte Fischers Fritze schon in Kürze als frischgebackener Witwer durchs Leben schippern! Und zu meiner Party schleppt er dann viele süße Seejungfraun an!'.
Meine Lippen aber formten im gleichen Atemzuge formvollendet: "Wenn Sie dieses kleine Kosthäppchen meines komödiantischen Talents schon so zu begeistern vermag, dann sollten Sie mich erst einmal live und in Farbe erleben, meine Teuerste! In diesem Sinne: Darf ich die von mir ausgesprochene Einladung von ihrer Seite aus dann als angenommen betrachten?". Drei Sekunden lang herrschte wohltuende Stille, die dann umso jäher unterbrochen wurde durch Frau Fischers, mir durch Mark und Bein fahrenden, Freudenaufschrei: "Aber ja! Natürlich! Gern doch! Wann soll der ganze Spaß denn losgehen?". In meinem Kopf raunte es leise: 'Vermutlich erst dann, wenn die Ein-Frau-Fischer-Chöre die Party wieder verlassen haben?!'. In der mündlichen Übersetzung aber wurde daraus ein: "Die Party steigt am 24. dieses Monats pünktlich um 18 Uhr. Meine Wohnanschrift, welche sich mit der Partylocation deckt, ist Ihrem Gatten bereits bekannt. Also dann, ich freu mich auf Sie, erst recht jetzt, da ihre unverwechselbare Stimme bei mir bereits so einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat!". Der letzte Satz war noch nicht einmal geschwindelt, zumindest dann, wenn man vorübergehend teilweisen Verlust seines Hörvermögens einmal als bleibenden Eindruck betrachtete. Und so kam es, daß ich den abschließenden Rest der Konversation zwischen Fischer und seiner Frau - welcher hauptsächlich darin bestand, daß sie ihm lauthals verkündete, man sei gemeinsam zur Geburtstagsfeier bei dem urkomischen und ungemein charmanten Svennileinchen eingeladen, woraufhin er vielsagend knurrte - nur noch wie durch Watte vernahm. Rasch legte ich den Telefonhörer auf, und begab mich dann vorsichtigen Schrittes aufs Klo, insgeheim befürchtend, auf der von mir während des eben beendeten Telefonats selbstgelegten Schleimspur jeden Moment ausgleiten und lang hinschlagen zu können. Jener Fall blieb mir allerdings in diesem Fall erspart, ebenso wie der - mir schon so oft in ähnlichen Situationen auf Arbeit von meinen Kolleginnen angedrohte - Blitzeinschlag beim anschließenden, auf den Abschluß eines größeren Geschäfts angelegten Toilettengang. Und während ich schlußendlich im Badezimmer meine Hände am Waschbecken noch einmal symbolisch in Unschuld wusch, blickte ich im darüberhängenden Spiegel meinem kahlstirnigen Antlitz tief in die spiegelverkehrten blaugrauen Äuglein. Ich zwinkerte dem in die Jahre gekommenen Manne aufmunternd zu, er blinzelte zurück, und gemeinsam versicherten wir uns in vielfach erprobter einhelliger Harmonie: "Kannste glauben! Das wird trotz allem ganz bestimmt eine supi Fete!" ...
[Wird fortgesetzt]