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sven1421

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Donnerstag, 19. Januar 2012, 17:12

[A] Zwei Frauen am Zug

Die Geschichte, die ich hier erzähle, ist reine Fiktion, sie wurde in ihrer Grundidee durch ein Lied der österreichischen Sängerin Simone inspiriert, der ich diese Story auch gern widmen möchte, als kleines Dankeschön für all ihre wundervollen Songs. Sie hat an sich fast nichts mit 24 zu tun, und in welche Richtung sie genau geht, gehört zu den zahlreichen Überraschungseffekten, die Euch im Lauf der Geschichte begegnen werden. Seid gespannt und glaubt mir, wenn ich Euch verspreche: Nichts ist am Ende so, wie es am Anfang scheint! ... Aber lest selbst. Ich wünsche Euch fürs erste viel Vergnügen und spannende Unterhaltung.

Hinweis: Ich habe diese Geschichte aus eigenem Ermessen in ihrer Gesamtheit als FSK 16 eingestuft, da sie in den späteren Fortsetzungen einige etwas explizite Darstellungen beinhalten wird. Mehr möchte ich dazu noch nicht sagen, um nicht zuviel zu verraten. Aber ich bitte alle Leser den Hinweis ernstzunehmen, den wir alle von Baustellenschildern her kennen: "BETRETEN AUF EIGENE GEFAHR!"

ZWEI FRAUEN AM ZUG

Episode 1: Wie der Zufall so spielt

Cathrin war so sehr in die Lektüre ihres spannenden Krimis vertieft, daß sie zunächst gar nicht bemerkte, wie sich die Tür ihres Zugabteils öffnete und sich einige Sekunden später wieder schloß. Erst als ihr jemand mit dem Finger auf die Schulter tippte, bemerkte sie, daß sie jetzt hier als Fahrgast nicht mehr allein war. Sie zuckte kurz in sich zusammen, dann senkte sie das Buch in ihrer Hand und musterte ihre neue Reisebegleitung von oben bis unten.

Es handelte sich bei ihrem Gegenüber um eine junge, äußerst attraktive Frau. Sie trug ein beigefarbenes T-Shirt mit einem extragroßen v-förmigen Ausschnitt und einen Jeansminirock, der bei sehr konservativen Menschen locker als ein etwas breiterer Gürtel durchgehen würde und der durch sein enges Anliegen ihre atemberaubend schmale Taille besonders gut zu betonen vermochte. Das dunkle Nylon ihrer Feinstrumpfhose schmiegte sich an ihre glatten, langen Beine, für die der Begriff Cellulite auf ewig ein Fremdwort zu bleiben schien. Sie endeten in goldfarbenen, hochhackigen und unwahrscheinlich zierlichen Pumps, die den Fan Grimmscher Märchen sofort an Aschenputtel denken ließen. Ihr süßes, kindlich naives Gesicht mit den großen, haselnußbraunen Kulleraugen und dem - durch das Auftragen eines dezenten roten Lippenstifts noch zusätzlich betonten - Schmollmund lächelte so erfrischend unschuldig, als wüßte es noch gar nichts von den Schlechtigkeiten des rauhen Lebens da draußen.

Kurzum, sie war das, was Männer um den bei ihnen - in den Augen des weiblichen Geschlechts - eh schon recht spärlich vorhandenen Verstand zu bringen vermochte. Naja, nicht alle Männer natürlich. Ihren Steven ließen solche männermordenden Vamps völlig kalt. Nie schaute er einem dieser kurzen Röcke und tiefen Ausschnitte hinterher, wenn sie gemeinsam Hand in Hand durch die Londoner City schlenderten. Ja, ihr Steven war da eben eine rühmliche Ausnahme im Reiche der maskulinen Schürzenjäger und nebenbei gesagt noch dazu ein Traum von einem Mann.

Sicher, vor ihrer Zeit in seiner Jugend war auch ihr Göttergatte ein ziemlicher Draufgänger gewesen, so hatte sie ihn ja schließlich auch eines Abends auf dem College Abschlußball kennengelernt. Er ließ damals seine Kumpels einfach an der Bar stehen, nachdem er schon den ganzen Abend immer wieder zu ihr herübergezwinkert hatte, baute sich in all seiner stattlichen Größe vor ihr auf und fragte sie, ob sie nicht Lust hätte, mit ihm zu tanzen. Sie gab sich daraufhin zurückhaltend, auch wenn sie seinem Wunsch nur zu gern sofort nachgekommen wäre. Aber sie wollte eben nicht, daß er dachte, sie sei leicht zu haben. Und so erwiderte sie: "Das würde ich ja gern tun, aber dazu bräuchte es schon einen Tanzpartner, der mir gefällt, und ein ganz bestimmtes Lied". Sein Interesse schien geweckt, denn statt sich mit dieser Beinahabfuhr zufrieden zu geben, gab er sich ganz gelassen und selbstbewußt: "Ok, ersterer steht bereits vor Dir, bleibt also nur noch die Frage nach dem Lied". Sein Auftreten imponierte ihr, und so setzte sie alles auf eine Karte: "Tja, weißt Du, ich tanze eben nur zu 'Reality' von Richard Sanderson". Die meisten Typen hätten damals spätestens in diesem Moment klein beigegeben, denn der Ohrwurm aus "La Boum" galt in Jungskreisen als ein absolutes No-Go. Und für einen Augenblick sah es so aus, als ob das auch diesmal der Fall wäre, denn Steven ließ nur ein kurzes schwer zu deutendes "Ok" verlauten, machte auf dem Hacken kehrt und entfernte sich. Cathrin war ein wenig geknickt gewesen, und angesichts ihres gesenkten Kopfes hatte sie dann auch gar nicht mitbekommen, wie Steven mit einem kühnen Sprung zu dem DJ auf die Bühne gehopst war und ihm solange pausenlos etwas ins Ohr gebrüllt hatte, bis dieser endlich ein wenig genervt genickt hatte. Sekunden später stand er erneut vor ihr und streckte ihr siegessicher seine Hand entgegen, während der DJ auf der Bühne ein wenig gelangweilt in sein Mikro krächzte: "Ok, also auf den schwer abzuschlagenden Wunsch eines einzelnen, sehr hardnäckigen Zeitgenossen nun eine der meistgespielten Schnulzen dieser Tage - Dreams are my Reality von Mister Richard Sanderson höchstpersönlich. Ach und keine Sorge, danach gehts natürlich wieder weiter mit richtiger Musik!" Alles, was danach an diesem Abend geschah, hatte Cathrin nur noch wie in Trance erlebt ... wie sie mit Steven zwischen all den anderen eng umschlungenen Pärchen über die Tanzfläche geschwebt war, wie sie den Rest des Abends lachend seinen kleinen amüsanten Bemerkungen gelauscht hatte, wie sie nach dem Ende der Fete an seiner Seite durch das nächtliche London geschlendert war und wie er sie vor ihrem Elternhaus nur um einen kleinen Gute-Nacht-Kuß gebeten hatte, aus dem sich dann das erste wilde Zungenspiel ihres noch so jungen Lebens entwickelt hatte. Ein halbes Jahr später waren die Beiden verlobt, ein weiteres Jahr danach hatten sie geheiratet.

Cathrin widmete sich in ihren Gedanken wieder der jungen Frau, die inzwischen ihren kleinen Koffer auf der Gepäckablage verstaut und gegenüber am Fenster Platz genommen hatte. Dabei schlug sie sofort recht sitsam und scheu die Beine übereinander, um zu verhindern, daß die Kürze ihres Minirocks allzuviel von dem Darunter preiszugeben vermochte. Cathrin schaute ihr erneut ins Gesicht und schätzte sie auf Anhieb auf etwa 20 Jahre, womit sie dann genau halb so alt wäre wie Cathrin selbst und damit locker ihre Tochter hätte sein können. Die Betonung lag hierbei klar auf "hätte", denn Cathrins 17jährige Ehe mit Steven war bis dato kinderlos geblieben. Zu sehr waren ihr Mann und sie selbst damit beschäftigt, an ihren Karrieren zu basteln. Cathrin arbeitete als erfolgreiche Eventmanagerin am Royal Shakespeare Theater in Stratford Upon Avon, während ihr Gatte einen Posten als leitender Angestellter der renomierten Londoner Privatbank "Clever & Rich" innehatte. Selbstverständlich war in all dem Alltagstrott der Zauber der jungen Liebe zwischen den Beiden ein wenig auf der Strecke geblieben, aber Steven war ihr über all die Jahre im Gegensatz zu vielen anderen seiner Geschlechtsgenossen stets treu geblieben. Und wenn er regelmäßig einmal im Monat von seinen Geschäftsreisen am Wochenende zurückkehrte, dann hatte er es in all der Zeit noch nie versäumt, ihr stets wie damals am Tag seines Heiratsantrags 24 rote Rosen mitzubringen. Genau für diese Beständigkeit liebte sie ihn, genauso wie am ersten Tag, vielleicht sogar noch mehr.

Die junge Frau schaute mittlerweile aus dem Fenster, an dem die Landschaft mit all den Bäumen und goldgelben Feldern in sich ständig zu wiederholen scheinender Monotonie vorbeizog. Cathrin hingegen beschloß, sich wieder ganz ihrem Buch zu widmen, als sie ein leises Grummeln in ihrem Bauch vernahm. Ja, genau, sie hatte ja seit mehreren Stunden nichts mehr gegessen. Das Mittagessen hatte sie auslassen müssen, sonst hätte sie ihren Zug verpaßt. Daß ihr ihr Chef doch noch freigab, war einfach sehr überraschend für sie gekommen. Und als sie dann bei ihrer Rückkehr ins Hotel auch noch diesen geheimnisvollen Brief mit der Zugreservierung nach London vorgefunden hatte, den sie vermutlich ihrem Boß als Anerkennung für ihren unermütlichen Einsatz verdankte, zögerte sie nicht einen Moment und beschloß, ihren Steven zu überraschen. Denn der rechnete ja an diesem Wochenende überhaupt nicht mit ihr. Ihre Augen begannen zu funkeln und zu sprühen, allein nur bei dem Gedanken, was sie an diesem gemeinsamen freien Wochenende wohl alles zusammen unternehmen konnten. Einzig und allein ihr Bauch grummelte weiter. Cathrin erinnerte sich in diesem Moment an die beiden Äpfel und die zugehörigen Schälmesser, die sie noch in ihrer Handtasche mit sich trug. Und so nahm sie beide Äpfel und eines der Messer zur Hand und begann mit der Vorbereitung ihres kleinen Imbisses.

Ihrem Gegenüber war das emsige Treiben Cathrins mit all den damit verbundenen raschelnden, knisternden, scharrenden und knackenden Nebengeräuschen natürlich keineswegs verborgen geblieben, und so starrte das junge Ding nun mit ihren großen, wundervollen Augen statt aus dem Fenster mit ungeteilter Aufmerksamkeit auf Cathrins zwei knackige Äpfel, die diese vor ihren Augen nach und nach genüßlich aus der sie noch fest umschließenden Schale zu "entkleiden" begann. Cathrin bemerkte den Blick der Frau, lächelte ihr freundlich zu und fragte sie, ihr den noch ungeschälten Apfel und das Schälmesser darbietend: "Möchtest Du vielleicht mal probieren?" Die Kleine nickte eilig und nahm beides dankend mit der einen Hand entgegen, während sie Cathrin die andere gleichzeitig zum Gruß darbot: "Ja gerne, das ist aber lieb von Dir. Ich hab nämlich seit heut morgen nichts mehr gegessen, weißt Du. Ich war einfach zu aufgeregt. Mein Freund hat mich übers Wochenende zum ersten Mal zu sich eingeladen. Wir haben uns erst vor 12 Wochen kennengelernt. Und seitdem sehen wir uns nur am Wochenende und das auch nur einmal monatlich. Weißt Du, ich sag ja immer im Scherz zu ihm, er kommt genauso regelmäßig wie meine Regel". Sie mußte selbst lachen über diese Bemerkung, und dieses Lachen war von einer unschuldigen Reinheit und Unbefangenheit, daß es Cathrin sofort anzustecken begann. Scheinbar hatte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihr großes Liebesglück mit einem anderen teilen zu können, denn die Worte sprudelten nun förmlich nur noch so aus ihrem Munde heraus: "Ach, ich hab mich ja noch gar nicht bei Dir vorgestellt. Ich heiße Jane und feiere morgen meinen 21. Geburtstag. Ich bin Kunststudentin im sechsten Semester. Meinen Freund hab ich eines schönen Samstagabends auf einer Collegeparty getroffen, er hat mich einfach so zum Tanzen aufgefordert und ich hab sofort ja gesagt. Ich hab ihm nur in seine wundervollen blauen Augen gesehen und da war es um mich geschehn. Liebe auf den ersten Blick. Und dabei dachte ich immer, sowas gibts nur im Kino. Er hat mich dann noch nach Hause gebracht, und vor meiner Haustür hat er mich dann um einen Gute-Nacht-Kuß gebeten. Tja, was soll ich Dir sagen, eine halbe Stunde später lagen wir schon zusammen in der Kiste ...". Cathrin hörte kurzzeitig auf, dem Redefluß der Kleinen zu folgen und horchte stattdessen in sich hinein, wo etwas in ihr einen tiefen Seufzer auszustoßen schien. Es war wie ein Deja-Vu. Alles kam ihr so vor, als ob sie hier in diesem Mädchen ihre Jugend noch einmal im Zeitraffer erlebte. Manche Dinge änderten sich auf dieser Welt wohl nie. Wie sehr sehnte sie sich in diesem Augenblick nach ihren Steven, der vermutlich einsam und nichtsahnend in ihrer kleinen Londoner Vorstadtvilla über irgendwelchen Geschäftspapieren hockte oder, um sich ein wenig vom Alleinsein abzulenken, gelangweilt im Pub um die Ecke ein Bier trank.

Die junge Frau ihr gegenüber schälte derweil emsig ihren geschenkten Apfel und plauderte nebenher ununterbrochen weiter. Cathrins Augen aber klebten nun an ihren zarten Händen mit den langen Fingerchen und den Fingernägeln, die unter einem Hauch von glitzendem Nagellack in der strahlenden Sonne zu funkeln begannen. Ganz genauso, wie ihre roten Wangen funkelten, immer wenn sie über den Mann ihrer Träume sprach, den sie doch erst so kurze Zeit kannte und der dennoch ihr ganzes junges Leben mit tiefer Glückseligkeit zu erfüllen schien. Am linken Handgelenk der Kleinen bemerkte Cathrin erst jetzt beim genaueren Betrachten ein silbernes Armkettchen mit einem Schild, auf dem anscheinend etwas eingraviert war. Cathrin drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite, denn sie war neugierig, was da stand. Schließlich gelang es ihr, die Inschrift zu entziffern - es handelte sich um einen Namen, vermutlich den ihres Freundes, und der war: Stevie. Welch ein unglaublicher Zufall? Und nun war es Cathrin, die vor Erstaunen nicht mehr an sich halten konnte, und die damit ihre neue Bekannte in ihrem ungebremsten Redefluß stoppte: "Dein Freund heißt Stevie? Das ist ja unglaublich, mein Mann heißt nämlich ganz ähnlich: Steven. So langsam glaub ich, bei unserem Zusammentreffen hier im Zug hat das Schicksal seine Hand im Spiel". Janes Augen waren durch Cathrins Offenbarung nur noch größer geworden und nun war sie wohl wieder an der Reihe, etwas zu sagen: "Wow, das gibts ja nicht! Echt?! Weißt Du, ich nenn meinen Süßen ja immer Stevie Wonder. Er hört das ja nicht so gern, weil er immer denkt, ich will ihn irgendwie mit der Tatsache aufziehen, daß er ein ganzes Stück älter ist. Und dann sagt er immer: 'Und außerdem bin ich weder blind noch farbig, höchstens ab und zu mal farbenblind, wenn ich mit meinem Auto eine rote Ampel überfahren hab'. Naja, mein Stevie ist halt ein kleiner Spinner. Aber ein ganz süßer. Und das Armkettchen hat er mir zu unserem zweimonatigen Jubiläum gekauft. Hat ihn eine ganze Stange Geld gekostet glaub ich, aber er kann es sich leisten. Er ist irgendwie ein höherer Angestellter in dem Laden, wo er arbeitet. Darum ist er ja auch ständig unterwegs, weißt Du. So eine Art Außendienstmitarbeiter eben. Aber sag mal ..." Und damit fiel ihr Blick auf Cathrins diamantbesetzten Ehering, "... der ist ja auch nicht von Pappe. Mein lieber Scholli, darf ich mal sehen?!" Ohne Cathrins Antwort abzuwarten, griff Jane nach ihrer Hand und zog sie zu sich herüber. Dabei war sie keineswegs ruppig. Im Gegenteil: Jane streichelte mit ihren sanften Fingern immer wieder über Cathrines Handrücken, während sie sich verzückt mit strahlenden Augen von allen Seiten her den glitzernden Edelstein und den ihn umschließenden goldenen Ring genaustens betrachte. Cathrin schloß die Augen. Sie genoß die unschuldige Berührung der jungen Dame, die doch eigentlich nur ihre Hand für einen Moment gefangenhielt und damit dennoch gleichzeitig irgendwie auf eine geheimnisvolle Art Cathrins ganzen Körper und ihre ganze Seele in ihren Bann zu ziehen vermochte ...

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Donnerstag, 19. Januar 2012, 19:22

Episode 2: Berührungspunkte

Die beiden Frauen verharrten einige Minuten in diesem Zustand, wenngleich es Cathrin auch gar wie eine Ewigkeit vorkam, in der die Zeit quasi stillzustehen schien. Als sie die Augen wieder aufschlug, entdeckte sie zwei kleine Tränchen der Rührung in Janes Gesicht. Jane schluchzte ein wenig und meinte dann voller Euphorie: "Ach, ich hoffe bei meinem Stevie und mir wird es mal genauso schön, wenn er mich eines Tages vor den Traualtar führt und mich damit zur glücklichsten Frau auf der Welt macht, zu seiner Frau. Klingt das nicht einfach wunderbar: Misses Jane Napolitani". Cathrin hatte während Janes Ausführungen noch völlig im Rausch der Gefühle nur immer wieder ganz sacht mit ihrem Kopf genickt, doch beim letzten Satz war sie plötzlich zur Salzsäule erstarrt und hatte beide Augen weit aufgerissen. Das durfte nicht wahr sein, ihr Gehör mußte sie betrogen haben. Das konnte ... nein, das durfte diese Frau einfach nicht gesagt haben! Und doch, sie hatte es gesagt. Cathrin hatte es ja selbst laut und deutlich vernommen, da gab es einfach keinen Zweifel! Ihr war, als ob ihr jenes so sorglos dahin gesprochene Wort die Kehle zuschnürte, während ihr gleichzeitig jeder einzelne Buchstabe wie ein spitzer Dolch ins Herz hineinfuhr: N-A-P-O-L-I-T-A-N-I. Konnte es nicht Smith oder Miller sein oder irgendein anderer Allerweltsname? Dann hätte sie es sicher einfach lächelnd als eine weitere zufällige Gemeinsamkeit abtun können, aber so war jeder Zufall von vornherein ausgeschlossen ...

Auch Jane hatte inzwischen den veränderten Gesichtsausdruck Cathrins bemerkt. Besorgt beugte sie sich zu ihrer neuen Bekannten herüber, legte ihr zartes Händchen behutsam auf deren zitternde Knie und fragte: "Ist alles in Ordnung mit Dir?" Unsanft stieß Cathrin Janes Arm zur Seite. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, ihre Augen blitzten "der Anderen" zornig entgegen und ihre sonst so süße, liebevolle Stimme verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in einen wild tobenden Orkan, aus dem es förmlich herausbrauste: "In Ordnung?! Gar nichts ist hier in Ordnung! Ich bin nämlich Misses Napolitani, und niemand sonst! Steven Napolitani ist mein Mann! Mein Mann! Und das schon seit mehr als 17 Jahren. Mit Brief und Siegel. Vor Gott und der Welt. Bis das der Tod uns scheidet!" Nur langsam realisierte Jane, was Cathrin damit sagen wollte. Denn auch sie wollte es einfach nicht wahrhaben, konnte es einfach nicht begreifen. Ihr über alles geliebter Stevie sollte mit einem Schlag gar nicht ihr Stevie sein, sondern vielmehr Cathrins Steven ... ein verheirateter Mann, für den sie am Ende vielleicht nicht mehr war als ein flüchtiges, nettes Abenteuer. Unter der Last dieser bitteren Erkenntnis brach nun auch Jane von einer Sekunde auf die andere förmlich in sich zusammen. Bäche von Tränen ergossen sich aus ihren eben noch so strahlenden Äuglein. Ungläubig schüttelte sie minutenlang ihren Kopf hin und her, während sie ununterbrochen immer wieder den einen Satz vor sich her stammelte: "Sag mir doch bitte, bitte, daß das nicht wahr ist!" Diese jämmerliche Gestalt rührte Cathrins wutentbranntes Herz im gleichen Augenblick so sehr an, daß in ihm unmittelbar aus dem flammenden Zorn heraus eine Form von tiefem Mitgefühl entsprang. Mitgefühl für ein so unschuldiges, liebenswertes Geschöpf, dessen Traumschloß mitsamt Märchenprinz für sie eben gerade genauso in sich zusammengestürzt war wie ihr eigenes. Und diesmal wagte Cathrin den ersten Schritt, beugte sich hinüber zu Jane und streichelte mit ihrer Hand sanft über den Kopf der weinenden jungen Frau.

Die Berührungen Cathrins schienen Jane gut zu tun, denn langsam beruhigte sie sich. Schließlich wagte sie es sogar wieder, ihren Kopf ein wenig zu heben und Cathrin - wenn auch nur scheu und ganz zaghaft - in die Augen zu schauen, während sie sie mit zittriger Stimme fragte: "Bist Du mir jetzt böse? Aber das hab ich ja nicht gewußt! Ich hab das doch nie gewollt! Nicht mal geahnt hab ich das!" Cathrin rutschte noch mehr an Jane heran und schloß sie schließlich ganz fest in ihre Arme: "Ach Kleines, das weiß ich ja! Verzeih mir, daß ich so wütend war! Es war ja nicht böse gemeint! Du bist ja nicht Schuld an all dem! Du kannst doch nichts dafür!" Janes Gesicht ruhte inzwischen auf Cathrins Schulter, wo deren Seidenbluse die Tränen der jungen Frau in sich aufzusaugen versuchte. Cathrins Blick war auf das Fenster gerichtet, an dem noch immer das Leben da draußen im Zeitraffertempo vobeizuziehen schien. Doch das alles registrierte sie in diesem Augenblick gar nicht, ihre Gedanken kreisten um Jane, um ihren Mann Steven und um sich selbst. Nein, nicht Jane war Schuld an allem, und sie selbst war es auch nicht. Schuld war einzig und allein Steven, der sie beide wochenlang belogen und betrogen hatte. Sicher war er jetzt gerade in der gemeinsamen Villa damit beschäftigt, alle Spuren ihrer Existenz zu beseitigen, während er sich schon auf die baldige Ankunft seiner Geliebten freute. Gewiß waren Sekt und Erdbeeren schon kaltgestellt, das Hochzeitsfoto gemeinsam mit dem Ehering in einer der Schubladen verschwunden und das Ehebett im Schlafzimmer schon frisch bezogen und aufgeklappt in Erwartung der leidenschaftlichen Stunden, welche er sich von jener unschuldigen Schönheit erwartete, die sich in dieser Sekunde hier an ihrer Schulter ausheulte.

Und während Cathrin die leise schluchzende Jane immer noch in ihrem Arm hielt, überkam sie erneut dieses unbeschreiblich innige Gefühl, das zuvor schon die bloße Berührung von Janes Hand in ihr ausgelöst hatte. Nur daß ihr jenes bis zum heutigen Tage völlig unbekannte, magische Gefühl nun noch stärker vorkam als zuvor. Was war das nur, was da in Cathrin vorging. Weckte dieses arme junge Ding einfach nur mütterliche Instinkte in ihr, oder war es am Ende doch mehr?! Jane löste ihren Kopf ein wenig von Cathrins Schulter, und Cathrin schaute nun direkt in ihr kleines, verweintes Gesicht, in welchem unter dem Einfluß der Tränenströme das dezente Makeup langsam zu verlaufen begann. Ein ganz besonders dickes Tränchen bahnte sich gerade in diesem Moment den Weg über die linke Wange der jungen Frau. Cathrin beobachtete den glitzernden Tropfen einen Augenblick lang, dann konnte sie einfach nicht anders ... Sie nahm Janes Kopf vorsichtig zwischen ihre beiden Hände, näherte ihre Lippen jener tränenbedeckten Stelle und küßte ihr - ohne weiter nachzudenken - mit ihrem Mund den Tropfen ganz einfach fort.

In diesem Augenblick öffnete sich unerwarteterweise die Tür, und ein großer, stattlicher Mann betrat das Abteil ...

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Donnerstag, 19. Januar 2012, 19:23

Episode 3: Kreuzungen

Der Zugestiegene sah sich in dem Abteil um, und sein Blick landete bei Cathrin, deren Lippen immer noch an Janes Wange klebten. Er räusperte sich daraufhin zweimal, wodurch er - wie beabsichtigt - die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Frauen erhielt, die ihm nun geradezu schockiert entgegenstarrten. Der Mann räusperte sich ein drittes Mal, dann sagte er mit tiefer, fester Stimme: "Wie ich sehe, habt ihr Euch ja schon mal miteinander bekannt gemacht. Sehr schön! Das erspart uns dann auf jeden Fall all die langwierigen Erklärungen und vor allem auch jede Menge kostbarer Zeit, die wir alle Drei sicher sinnvoller verbringen können, wenn ich Euch erst in meine Pläne eingeweiht habe. Ihr gestattet doch, daß ich beginne?!".

Von den beiden Frauen konnte er im Moment keine Antwort erwarten, denn sie saßen immer noch wie versteinert auf ihren Sitzen. Damit hatte schließlich keine von ihnen gerechnet, daß ausgerechnet er hier auftauchen würde. Ausgerechnet Stevie, nein Steven ... wie auch immer: jedenfalls der Mann, den sie beide - jede für sich - aufopferungsvoll geliebt und dem sie bis vor wenigen Augenblicken noch uneingeschränkt vertraut hatten. Sie Beide wähnten ihn schließlich in London, wo ihn die Eine von ihnen überraschen hatte wollen, während er insgeheim die Andere erwartete. Und nun, da sie Beide herausgefunden hatten, daß er mit ihnen beiden wochenlang ein falsches Spiel getrieben hatte ... nun stand ER direkt vor ihnen. Wie konnte er nur ... Wie um alles in der Welt konnte er ihnen Beiden jetzt gegenübertreten und das mit einer Gelassenheit und unverfrorenen Selbstverständlichkeit, die wohl weit und breit ihresgleichen suchte ...

Ihr gemeinsamer "Freund" hängte unterdess ganz selbstverständlich seinen Mantel an einem der Haken auf, verschränkte die Arme vor seinem fitneßgestählten Waschbrettbauch und begann - in Stile einer Vorstandssitzung in seiner Bank - seine Ausführungen: "Meine liebe Cathrin, liebste Jane! Auf diesen Moment habe ich schon den ganzen Tag gewartet. Seit Wochen kann ich nun schon nicht mehr richtig schlafen, weil ich hin und her überlegt habe, wie ich mich nur zwischen Euch beiden faszinierenden Wesen entscheiden soll. Und wißt Ihr was? Ich habe endlich meine Entscheidung getroffen, und ich habe Euch hier zusammenkommen lassen, weil ich es für an der Zeit halte, sie Euch mitzuteilen!"

Langsam begannen Cathrin und Jane zu ahnen, daß es kein Zufall war, daß sie sich hier und heute im Zug begegnet waren. Und Schicksal war es auch nicht, es war vielmehr alles von "ihrem" Steven bis aufs Kleinste im Voraus geplant gewesen. Nicht Cathrins Chef hatte ihr die Plätze für den Zug reserviert, ER war es gewesen - ER, der er ja auch Janes Platz reserviert hatte! Und wie Cathrin ihn kannte - falls sie ihn überhaupt jemals kannte - hatte er sicher auch gleich das ganze Abteil, wenn nicht gar den ganzen Wagen, reserviert ... um nur ja nichts dem Zufall zu überlassen. Er war eben ein absoluter Perfektionist, was solche Dinge anging. Sicher hatte er auch seine kleine Rede hier bereits ein Duzent mal zuhause vor dem Spiegel einstudiert und jede zugehörige Geste, jeden einzelnen Augenaufschlag hundertmal geübt und perfektioniert, bevor er hier vor sein zweiköpfiges "Publikum" getreten war, dem er nun "seine Entscheidung" mitzuteilen geruhte, was sich dann aus seinem Munde so anhörte:

"Du, Cathrin, bist mir seit mehr als 17 Jahren, eine gute, stets liebevolle und treusorgende Ehefrau gewesen. Und dennoch hat sich so eine Art langweilige Routine in unsere Ehe und besonders in unser Liebesleben eingeschlichen, daß ich in Versuchung geriet, mir an anderer Stelle eine neue, frische Bereicherung - einen kleinen Kick - zu holen. Und da kommst Du ins Spiel: wundervolle, süße, unschuldige Jane. Du warst in den vergangenen Wochen meine Versuchung, meine Bereicherung, mein Kick. Du warst so begehrenswert und spritzig in Deiner zwanglosen Spontanität und so herrlich offen für alles Neue. Du hast mich berauscht und betört mit Deinem Wesen, so daß ich Dich schon nach dieser kurzen Zeit einfach gar nicht mehr wegdenken kann aus meinem Leben".

Cathrin blickte Jane an, Jane schaute Cathrin an, dann starrten Beide wieder zu Steven hinüber ... Was wollte er damit nur sagen? Was sollte das denn nun in seiner Konsequenz bedeuten. Die Frauen kamen sich vor wie vor der Ein-Mann-Jury bei der Entscheidung einer dieser Castingshows im Fernsehen. Und gleich würde Chefjuror Steven verkünden, wer weiter war und für wen der Traum vom Leben an seiner Seite in diesem Moment enden und damit zum Alptraum vom ewig bitteren Alleinsein werden würde, oder wie?! Gespannt warteten Cathrin und Jane darauf, daß Steven endlich zum Punkt käme. Und genau das schien er in diesem Augenblick wohl auch vorzuhaben:

"Tja, wie gesagt, ich hab mich also nach langem Abwägen aller Kriterien endlich entschieden. Und zwar dazu, daß ich mich ... nicht entscheide! Wozu auch? Warum soll ich einer von Euch den Vorzug geben? Und warum soll ich mich einer von Euch wegnehmen? Wozu soll ich eine von Euch Beiden ganz und gar aufgeben? Wie kann ich einer von Euch so schrecklich wehtun, wo ich Euch doch alle Beide so sehr in mein großes Herz geschlossen habe. Und so kam mir am Ende eine ganz einfache und geradezu geniale Idee, die uns alle Drei in vollster Weise zufriedenstellen wird. Cathrin, mein Schatz, wir haben doch einen geradezu riesigen Gästebereich in unserer Villa. Wir haben keine Kinder, unsere Wohnung ist doch viel zu groß für uns Beide allein. Und Jane, mein Engel, Du willst doch nicht ewig in Deiner kleinen engen Kammer unterm Dach hausen, oder? Du hast etwas Besseres verdient als dieses Loch! Warum zieht Jane also nicht einfach zu uns? Keine Sorge, Cathrin! Offiziell wird sie ganz unspektakulär als unsere Untermieterin bei uns wohnen. Und dennoch können wir so hinter verschlossenen Türen eine Menge Spaß miteinander haben, der uns alle ungeheuer bereichern wird. Meint Ihr nicht auch?"

Eine direkte Antwort auf seine Frage bekam Steven weder von Cathrin noch von Jane. Das hatte er auch gar nicht erwartet. Wozu auch? Für ihn war das einfach eine geniale Idee, bei der niemand leer ausging, vor allem er selbst nicht. Und doch glaubte er in seinem Kopf ganz fest daran, daß er das alles ganz im Sinne seiner "beiden Frauen" entschieden hatte. Auch wenn die Zwei es vielleicht noch nicht so ganz einsahen, war es dennoch zweifellos das Beste für sie. Cathrin war schließlich die Erste, die sich aus ihrer mehrminütigen Erstarrung zu befreien vermochte. Sie erhob sich von ihrem Sitzplatz und schaute Steven tief in seine graublauen Teddybärknopfaugen, die sie schon damals am Abend ihres Kennenlernens sofort in ihren Bann gezogen hatten, und begann dann mit zittriger Stimme: "Was Du uns hier also allen Ernstes vorschlägst, ist eine Beziehung zu dritt, ja?" Steven nickte: "Ja, mein Schatz, genau das ist es. Weißt Du, genau das liebe ich so an Dir. Deinen scharfen Verstand und Deine klare Sichtweise der Dinge". Ganz in sich gekehrt machte Cathrin auf dem Absatz ihrer schwarzen Pumps kehrt, während sie leise und doch hörbar vor sich her murmelte: "Ok, wenn es dann das ist, was Du willst!" Mit diesen Worten kramte sie einen Moment lang in ihrer Handtasche, bevor sie an Jane herantrat, sich zu ihr herüberbeugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, was Steven trotz größter Anstrengungen nicht zu verstehen vermochte. Jane sah Cathrin daraufhin mit großen, entsetzten Augen an, während diese erneut liebevoll über ihr weiches Haar strich und ihr leise zuraunte: "Vertrau mir, Kleines, so ist es einfach am Besten!" Jane zögerte noch einen Moment, dann nickte sie Cathrin zu.

Cathrin, die nur noch auf diese Zustimmung Janes gewartet zu haben schien, drehte sich wieder um und ging dann ohne ein weiteres Wort festen Schrittes vorbei an Steven in Richtung der Tür, wo sie - ohne zu zögern - alle Gardinen zuzog, während Jane zur gleichen Zeit das halbgeöffnete Zugfenster schloß und dann das Rollo am Fenster herunterließ. Steven sah ein wenig verunsichert zu den beiden Frauen herüber, schließlich fragte er Cathrin: "Sag mal, was tut Ihr Zwei denn da?" Und Cathrin erwiderte mit einem kleinen Lächeln in ihrem entschlossenen wirkenden Gesicht: "Wonach sieht es denn aus für Dich? Ich glaube, bei dem, was wir jetzt vorhaben, brauchen wir ja wohl keine ungebetenen Zuschauer oder?" Steven glaubte zu verstehen. Das es so einfach sein würde, und daß es bereits hier im Zug so enden würde mit ihm und "seinen beiden Ladies", das hatte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht auszumalen gewagt. Ein lüsternes Grinsen wuchs ihm aus seinem sonst so abgeklärten Antlitz heraus. In der Schummrigkeit des Abteils traten nun beide Frauen langsam an ihn heran, ganz nah an ihn und immer näher, bis er ihren Atem spüren konnte ... den von Cathrin auf seiner Brust und den von Jane auf seinem Rücken. Das ganze "Spiel" erregte ihn ungeheuer. Und als letztendlich wenige Sekunden später in einem Tunnel völlige Dunkelheit in das Abteil einkehrte, war nur noch ein leises Stöhnen zu vernehmen, das zweifelsohne ganz allein Steven zuzuordnen war ...

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Donnerstag, 19. Januar 2012, 19:23

Episode 4: Entgleisungen

Der Zug hatte den Tunnel schon vor etwa sechs Minuten wieder verlassen, so daß das verdunkelte Abteil nun wieder in jenes schummrige Licht getaucht war, in dem man recht deutlich die Umrisse der drei anwesenden Personen erkennen konnte. Die beiden Frauen saßen sich auf den Sitzbänken gegenüber - jede von ihnen nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet und noch immer sichtlich erregt durch das Geschehen der vergangenen Minuten - und rauchten gemeinsam eine Zigarette "danach". Ihnen zu Füßen auf dem Boden lag schwer atmend Steven. Im Schein der glimmenden Zigaretten konnte man die beiden Frauen zu seiner Rechten und Linken recht gut erkennen: ihre spärlich bekleideten, anmutigen Körper, deren Rundungen und Wölbungen unter dem dünnen Stoff - welcher sie mehr betonte als verhüllte - wohl jeden heterosexuellen Mann sofort in ihren Bann gezogen hätten. Nur Steven hatte dafür in seinem momentanen Zustand anscheinend keine Augen. Er lag einfach nur da und war beschäftigt ...

Beschäftigt damit, zu stöhnen und zu bluten - zu bluten aus jeder einzelnen der insgesamt 24 Stichwunden, die seinen eben noch so makellosen Körper übersäten und die sich völlig gleichberechtigt jeweils im Dutzend über Brust und Rücken verteilten. Der einzige erkennbare Unterschied bestand vielleicht in ihrer Breite und Tiefe: Die Einstiche im Rücken waren ein wenig zaghafter geführt worden als die im Brustbereich, so daß aus ihnen das Blut auch etwas langsamer heraussickerte, während es vorn geradezu herauszuströmen schien. Schon beeindruckend, wieviel von diesem roten Lebenssaft so ein menschlicher Körper in sich sammelte, selbst der von diesem betrügerischen Mistkerl, konstatierte Cathrin kühl, während sie die Asche ihrer Zigarette zwischen ihren ein wenig zitternden Fingern im Abfallbehälter unter dem Fenster abschlug. Jane, die ihr gegenüber am ganzen Körper bibberte, hatte inzwischen aufgeraucht und entsorgte ihren Zigarettenstummel mit einer kurzen Handbewegung durch das inzwischen wieder leicht angeklappte Zugfenster. Cathrin sah zu ihr herüber. Das arme Ding schien noch völlig unter Schock zu stehen. Zu sehr hatte sie Janes kleine. bis dato so herrlich unschuldige Welt mit ihrem plötzlichen Vorschlag erschüttert, diesen eiskalt berechnenden Kerl einfach genauso eiskalt für immer zum Schweigen zu bringen. Und dennoch hatte die kleine Jane tapfer und entschlossen das noch bereitliegende Schälmesser zur Hand genommen und es diesem doppelten Betrüger wieder und wieder zwischen die Rippen gejagt, so wie es Cathrin mit dem zweiten - ihrer Handtasche entnommenen - Messer zur gleichen Zeit an der entgegengesetzten Seite von Stevens Körper praktiziert hatte. Dabei hatte Cathrin bei jedem Zustechen mit fester Stimme leise von 1 bis 12 gezählt - ein Stich für jede betrogene Woche im Leben der beiden Frauen. Irgendwann war Steven dann noch einmal laut aufstöhnend in sich zusammengesunken und schließlich regungslos auf dem Boden liegengeblieben. Auf jenem Boden, auf dessen Teppich sich inzwischen eine riesige Blutlache angesammelt hatte.

Auch Cathrin hatte nun den letzten Zug an ihrer Zigarette getan und entsorgte sie, wie Jane zuvor, durch das angekippte Fenster. Dann stand sie langsam auf und beugte sich wie in Zeitlupe zu Steven herunter. Seine Augen waren weit geöffnet und hatten schon fast ihren Glanz verloren, sein Blick ging starr zur Decke. Sein leises Stöhnen war infolge seiner zahlreichen inneren Verletzungen und Blutungen inzwischen in ein tiefes Röcheln übergegangen - der verzweifelte Versuch eines Sterbenden, sich doch noch mit letzter Kraft an sein jämmerliches Stück Leben zu klammern. Cathrin blickte "ihrem Steven" ein letztes Mal tief in seine graublauen Pupillen, dann raunte sie ihm zynisch grinsend ins Ohr: "Ich hoffe, es war für Dich genauso schön wie für uns Beide, Schatz!" Ohne auf eine Reaktion seinerseits zu warten, zu der er in diesem Stadium seines Ablebens zweifellos eh nicht mehr imstande war, richtete sie sich wieder auf und wandte sich nun der noch immer auf ihrem Sitz kauernden Jane zu. Cathrins Stimme erlangte dabei all ihre Sanftheit zurück, während sie behutsam auf ihre Leidensgenossin einredete: "Jane, Kleines! Wir müssen jetzt stark sein. Wir wollen doch nicht wegen diesem Dreckskerl, der auf einen einzigen Schlag unser beider Liebe zu ihm so sehr in den Schmutz gezogen hat, lebenslänglich in den Knast wandern, oder?! Hör zu, mein Engel! Du begibst Dich jetzt erstmal ganz vorsichtig in den Waschraum nebenan und wäschst Dir gewissenhaft das ganze Blut von Deinen Händen und Deinem Körper. Ich beseitige derweil unsere Spuren hier im Abteil. Wenn Du wiederkommst, nimmst Du ein paar frische Sachen aus Deinem Koffer und ziehst Dich um! Hast Du das verstanden, Kleines?" Jane nickte ein wenig verunsichert. Dann erhob sie sich und schwankte mit zitternden Beinen zur Tür ihres Abteils. Cathrin hielt sie einen Moment am Verschluß ihres BH's zurück: "Warte mal, Engelchen! Ich schau erstmal nach, ob die Luft da draußen auch rein ist!"

Mit diesen Worten öffnete Cathrin die Tür einen Spalt weit und steckte ihren Kopf hinaus. Sie lugte nach rechts und nach links, aber auf dem langen Gang war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Und ebensowenig drang eine Stimme oder ein Geräusch an ihre lauschenden Ohren. Cathrin wurde mutiger. Sie schob die Tür ganz auf und schlich langsam und ein wenig geduckt zum Nachbarabteil. Es war völlig menschenleer, ebenso wie das nächste und das übernächste. Cathrin nickte zufrieden. Steven, dieser berechnende Mistkerl, hatte wohl - wie sie bereits zuvor vermutet hatte - alles bis ins Kleinste geplant und jeden möglichen Zufall von vornherein ausgeschlossen, indem er gleich den ganzen Wagen für sich und seinen ekelhaften Plan angemietet hatte. Das stets Berechnende an ihm machte ihn selbst so unglaublich leicht berechenbar - und nun konnte es im besten Fall den beiden betrogenen Frauen schlußendlich sogar noch zur unentdeckten Flucht verhelfen, wenn sie es nur geschickt genug anzustellen vermochten. Cathrin hatte sich inzwischen zum Waschraum begeben und die Tür aufgestoßen. Dann gab sie Jane ein Zeichen, daß sie kommen könne. Und während Jane sich im Waschraum wie abgesprochen von ihrer Bluttat reinwusch, hatte Cathrin im Abteil ihre Bluse als Putzlappen benutzt und damit sorgfältig jeden einzelnen Quadratzentimeter des Abteils durchgewischt. Sie war sich dabei nur zu gut bewußt, daß jede noch so kleine, ausgelassene Stelle einen Fingerabdruck oder einen Fußabdruck zurücklassen könnte, der den ermittelnden Beamten später unweigerlich auf die Spur der beiden Frauen führen würde - womit sie dann alle Zwei direkt eine Fahrkarte ins Gefängnis lösten. Das aber durfte um keinen Preis der Welt geschehen, denn es würde bedeuten, daß Steven noch im Tode über seine beiden Opfer triumphieren würde. Und diesen Triumph gönnte ihm Cathrin keinesfalls, nicht nach dem, was er Jane und ihr angetan hatte.

Jane war inzwischen wieder vor dem Abteil angekommen und klopfte leise an die Tür. Dann warf sie durch den Türspalt ihren BH und ihren Slip in das Abteil, wo Cathrin beides zusammen mit den anderen blutverschmierten Kleidungsstücken auf dem Fußboden in eine bereitgelegte Plastiktüte steckte. Cathrin reichte Jane im Gegenzug die beiden Koffer nach draußen, woraufhin Jane damit begann, sich aus dem ihren komplett neu einzukleiden. Schließlich entledigte auch Cathrin sich der letzten beiden blutbeschmierten Wäschestücke, die sie noch am Körper trug, verstaute auch diese in der Plastiktüte und begab sich dann mit einem über den Arm geworfenen Handtuch vorbei an Jane und den Koffern über den Flur zum Waschraum.

Das kalte Wasser auf der Haut tat Cathrin unheimlich gut. Während sie sich ausgiebig wusch, betrachtete sie ihr Gesicht aufmerksam in dem kleinen Spiegel des engen Eisenbahn-WC's. Äußerlich hatte sie sich so gar nicht verändert. Noch immer sah ihr von ihrem Spiegelbild her eine attraktive, bodenständige Frau entgegen, die dunklen Haare akurat hochgesteckt. Die wenigen Fältchen, die ihr Gesicht zeichneten, machten sie in ihren eigenen Augen eher noch interessanter, als daß sie sie in irgendeiner Weise alt erscheinen ließen. Nein, sie war immer noch haargenau dieselbe Frau, und doch hatte sich in ihrem Inneren innerhalb der letzten Stunde einfach alles verändert. Nach Stevens schamloser Offenbarung hatte sie sich inmitten der Trümmer all ihrer Hoffnungen und Träume von Liebe und Glück wiedergefunden. Beinahe wäre sie für einen Augenblick selbst daran zerbrochen. Doch dann war etwas in ihr aufgekeimt und hatte sich Luft gemacht, was sie so zuvor nie in sich vermutet, geschweige denn erlebt hatte: grenzenloser Haß. Aus ihrem Traummann Steven war von einem Moment auf den anderen ein ihr völlig fremdartiges, widerwärtiges Schwein geworden, das ihr mit seinem seelenmordenden Triebgesteuertsein einen tiefen und tödllichen Dolchstoß in ihr liebendes Herz versetzt hatte - einen Dolchstoß, den sie ihm nun im Gegenzug in aller Nüchternheit gleich dutzendfach zurückgegeben hatte. Noch einmal versenkte Cathrin ihr wunderschönes Gesicht im frischespendenden Wasser des Waschbeckens, dann trocknete sie sich nach und nach sorgfältig jeden Quadratzentimeter ihres Körpers mit dem Handtuch ab, bevor sie sich wieder zurückbegab - zurück auf den Flur, wo Jane und ein Koffer mit frischer Kleidung schon auf sie warteten.

Eine Viertelstunde später erreichte der Zug einen kleinen Vorort von London, wo er ein letztes Mal vor seiner Endstation im Herzen der brittischen Hauptstadt Halt machte. Nur etwa eine Handvoll Fahrgäste stieg hier ein und aus, bevor sich der Zug langsam anfahrend wieder in Bewegung setzte - unter den Ausgestiegenen auch zwei zauberhafte junge Damen, die ruhig und scheinbar unendlich gelassen Arm in Arm über den Bahnsteig schlenderten, dem Ausgang des Bahnhofsgebäudes und damit gleichzeitig einer völlig ungewissen Zukunft entgegen ...

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sven1421

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Donnerstag, 19. Januar 2012, 19:24

Episode 5: Auf dem Abstellgleis

Das grelle Flutlicht der eilends aufgestellten Scheinwerfer durchbrach die abendliche Dämmerung und ließ es ringsum noch einmal taghell erscheinen. Der einzelnstehende Eisenbahnwaggon auf dem verlassenen Abstellgleis nahe der menschenüberfluteten Victoria Station im Herzen Londons, den sie mit ihrem warmen Licht anstrahlten, wirkte dadurch wie die Hauptattraktion einer Ausstellung in einem Freiluft-Eisenbahn-Museum. Und tatsächlich erregte der unscheinbare altmodische Waggon einiges an Aufmerksamkeit, denn am Rande der großräumigen Absperrung durch die Polizei tummelten sich Dutzende Schaulustige und Reporter, welche die anwesenden Polizeibeamten mit Fragen löcherten. Innerhalb der Absperrung herrschte ebenfalls emsiges Treiben. Gerichtsmedizin und Spurensicherung liefen hin und her, bestiegen den Wagen und entstiegen ihm Minuten später wieder, nur um ein paar Utensilien in ihren mitgebrachten Koffern zu verstauen und andere zu entnehmen, bevor sie erneut in dem Eisenbahnwagen verschwanden.

Ein roter Jaguar hielt direkt an der Absperrung, dem nur Sekunden später ein junger Mann mit Anzug und Krawatte entstieg, wobei er letztere mit der linken Hand noch einmal penibel zurechtzog, während er lässig mit seiner rechten einen Ausweis aus seiner Jackentasche hervorholte. Dem Beamten an der Sperrlinie schenkte er nur ein kühles Lächeln, bevor er ihm mit einem Fingerschnippsen andeutete, jener solle das Absperrband schleunigst anheben, damit der Schlipsträger ungehindert hindurchschreiten könne. Im selben Moment stürzte bereits ein etwa gleichaltriger Mann mit Brille und chicem Miami-Vice-Outfit aus Richtung des Eisenbahnwagens auf ihn zu und fuchtelte aufgeregt mit den Händen in der Luft herum, wobei er in einer einen elektronischen Organiser und in der anderen ein Handy hielt. Der Brillenträger flüsterte dem Schlipsträger minutenlang etwas ins Ohr, wobei der Schlipsträger hin und wieder mild lächelte und sich anschließend in strahlender Siegerpose den zahlreichen Presseleuten zuwandte:

"Meine Damen, meine Herren, geschätzte Pressevertreter! Ich bin Inspektor Wannabe von Scotland Yard. Bei dem Toten handelt es sich um einen 36jährigen Landsmann mit italienischem Migrationshintergrund. Er wurde nach den bisherigen Erkenntnissen am späten Nachmittag des heutigen Tages in dem vor ihnen stehenden Waggon eines Zuges von Manchester nach London mit insgesamt 24 Messerstichen in Brust und Rücken förmlich hingerichtet. Von Beruf war er leitender Angestellter eines renomierten privaten Bankhauses, was im Zusammenspiel mit den brutalen Umständen seines Todes, seiner Herkunft und dem bisherigen Stand unserer Ermittlungen den ersten Schluß nahelegt, daß es sich vermutlich um ein weiteres Opfer des in letzter Zeit in unserer Stadt tobenden Mafiamachtkampfes der beiden rivalisierenden Familien Makkaroni und Spirelli handeln könnte. Weitere Details kann ich ihnen leider zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mitteilen, auch und vor allem, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden. Vielen Dank! ... Ach ja, wie gesagt, mein Name ist Wannabe, das ist W-A-N-N-A-B-E, und der Vorname ist Charles".

Während sich Wannabe selbstzufrieden lächelnd umdrehte und sich an der Seite seines bebrillten Assistenten nun auch endlich einmal der Tatortbesichtigung widmete, traf unbeachtet von den Schaulustigen am Rande der Absperrungen ein älterer Herr auf einem Fahrrad ein, welches er nach dem Absteigen gewissenhaft an einen der zahlreichen alten Holzschuppen ankettete. Auch er zückte einen Dienstausweis aus der Tasche seines alten abgenutzen Trenchcoats und hielt ihn einem der hinter der Absperrung stehenden Beamten entgegen. Dann grüßte er den Polizisten freundlich per Handschlag, lächelte ihm zu und fragte: "Na, Frank. Wieder mal Spätschicht? Was machen Anne und die Kinder?" Der Beamte winkte nur ab und erwiderte dann: "Von wegen Spätschicht! Ich bin schon wieder seit 6 Uhr auf den Beinen. Die Freuden einer netten Doppelschicht eben, wird so langsam zur Gewohnheit. Obwohl - so recht gewöhnen will man sich eigentlich nicht daran. Und Anne schimpft jeden Abend im Bett mit mir wie ein Rohrspatz, weil ich nie da bin für sie und für unsere beiden Töchter. - Und wie stehts bei Ihnen, Inspektor Svensson?" Der Mann im Trenchcoat schüttelte den Kopf: "Frank, ich hab Dir doch schon tausendmal gesagt, Du sollst endlich dieses dämliche Inspektor Svensson lassen. Wie lange kennen wir uns jetzt schon? Ich bin der Taufpate Deiner Jüngsten. Und selbst die sagt Onkel Lukas zu mir", woraufhin er dem uniformieren Freund auf die Schulter klopfte und ergänzte: "Ach, und sonst. Man geht halt so langsam auf die Rente zu. In vier Jahren steh ich genauso auf dem Abstellgleis wie der alte verbeulte Wagen dahinten. Nur die Scheinwerfer, die zeigen dann längst auf einen Anderen". Und damit deutete er auf Wannabe, der gerade würdevoll den Eisenbahnwagon bestieg. Svensson strich sich nacheinander andächtig über das schütter gewordene Haupthaar und dann über das akurat getrimmte Schnurrbärtchen, welches seinem faltenreichen Allerweltsgesicht etwas ganz Besonderes verlieh und fügte, während er in gebückter Haltung unter dem Absperrband hindurchkletterte, hinzu: "Meine Zeit läuft ab. Hab halt wenig am Hut mit diesen ermittlungstechnischen Schnellschüssen, dem medienwirksamen Stargetue und dem ganzen Elektronikkram. Und Wannabe sitzt mitsamt seinem kleinen Schoßhündchen Sergeant Crawler längst in den Startlöchern und wartet nur noch auf meinen Rückzug. ... Aber jetzt mußt Du mich erstmal entschuldigen, Frank. Ich glaub, ich unterhalt mich mal mit dem diensthabenden Zugpersonal, bis das bunte Getümmel am Tatort ein wenig nachgelassen hat und ich in aller Ruhe einen Blick auf den Toten werfen kann. Wo hat man die Zugbegleiter denn eigentlich untergebracht?". Der Uniformierte wies mit dem Finger auf das sonst leerstehende Gebäude der ehemaligen Bahnhofsmission. Svensson reichte dem Freund noch einmal die Hand und begab sich dann zu den möglichen Zeugen.

Inspektor Wannabe sah sich derweil aus gebührendem Abstand in Anwesenheit seines unmittelbaren Vorgesetzten und zukünftigen Schwiegervaters Chefinspektor Freakadelly in dem Abteil mit dem Toten um. Dabei achtete er tunlichst darauf, nur nichts zu berühren - allerdings weniger, weil er keine Spuren verwischen wollte, sondern aus Angst, sich hier den teuren Anzug zu ruinieren. Der tote Steven lag noch immer mit weit aufgerissenen Augen zur Decke starrend inmitten des Raumes. Auch sein ganzer lebloser Körper war inzwischen längst erstarrt und hatte - mit Ausnahme der zahllosen mit angetrocknetem Blut verschmierten Wundränder - eine blaugräuliche Farbe angenommen. Den Toten umgab noch immer jene riesige Blutlache, die das entweichende Lebenselexier beim Austritt aus seinem Leib auf dem Teppich hinterlassen hatte. Wannabe schnippste wieder mit den Fingern und deutete damit der anwesenden Gerichtsmedizinerin an, ihm einen möglichst kurzen und klaren Erkenntnisbericht zu geben. Die junge Dame, die bis dato noch neben der Leiche gehockt hatte, erhob sich und baute sich ein wenig unbeholfen und schüchtern vor dem Inspektor auf und begann dann ein wenig zögernd ihre Ausführungen: "Todeszeitpunkt dürfte nach aktuellem Stand etwa 16 Uhr gewesen sein - plusminus eine Stunde. Genaueres bringt uns die Autopsie. Das Opfer weist exakt 12 tiefe und ziemlich breite Stiche in der Brust und ebenso viele im Bereich des Rückens auf, wobei letztere allerdings mit etwas weniger Intensität ausgeführt wurden. Daraus wäre zu folgern, daß es sich entweder um mehrere Täter handelte oder aber um einen Einzeltäter, der die Stiche in den Rücken um den Körper herum ausführte, wodurch die Waffe dort natürlich nicht mit der gleichen Kraft geführt werden konnte. Bei der Tatwaffe handelt es sich vermutlich um ein Taschenmesser oder ein kleines Küchenmesser. Wie gesagt, mehr an Erkenntnissen gibt es frühstens morgen im Laufe des Tages nach einer intensiven rechtsmedizinischen Untersuchung". Wannabe nickte und knurrte dabei ein wenig, für alle Kenner des Inspektors seine Art sich zu bedanken und seinem Gesprächspartner zu signalisieren, daß er sich nun wieder entfernen dürfe. Die junge Frau im hellblauen Kittel verstand und schenkte nun ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wieder dem toten Steven Napolitani, während Wannabe schon den nächsten möglichen Berichterstatter zu sich heranschnippste.

Bei dem angetretenen Mitdreißiger mit dem dunklen Ganzkörperumhang, dessen Haube selbst noch die kurzgeschnittene Haartracht bedeckte, handelte es sich klar um den Chefbeamten der Spurensicherung, der auch direkt seinen Vortrag begann: "Abteil und Wagen wurden komplett auf Spuren untersucht. Leider gibt es keine verwertbaren Finger- oder Schuhabdrücke, das Blut scheint auf den ersten Blick einzig und allein von dem Toten zu stammen. Jemand hat mit einem Tuch oder etwas ähnlichem das gesamte Abteil penibelst ausgewischt. Das benutzte Tuch bestand nach ersten Erkenntnissen aus gelber Seide - wir haben einige Fasern gefunden, die dem Labor zur weiteren Auswertung übergeben werden. Im Gang und auf dem WC gibt es zahllose verschiedene Abdrücke, wie das in einem öffentlichen Verkehrsmittel ja auch völlig normal ist. Hier würde die Einzelauswertung Jahre in Anspruch nehmen, und der Erfolg ist trotzdem äußerst fraglich. Für mich ein aussichtloses Unterfangen, bei dem Aufwand und Nutzen in keinerlei Verhältnis stehen würden - es sei denn, sie wollten mit einem Schlag bis zu einhundert harmlose Zugreisende gleichzeitig lebenslang im Gefängnis unterbringen. Das Waschbecken im Bad zeigt verwaschene Blutspuren, hier haben sich der oder die Täter scheinbar ausgiebig gesäubert. Aber auch hier wurden wieder im Nachhinein alle Spuren säuberlich verwischt. Kurzum: Spurentechnisch gesehen gibt es bei dieser Tat nach momentanen Erkenntnissen nicht den geringsten Anhaltspunkt".

Wannabes Knurren ließ den Spurensicherer abtreten, sein erneutes Schnippsen den leitenden Beamten der Bahnpolizei antreten, der mit seinen Mitarbeitern unmittelbar nach dem Auffinden des Toten die Tatortsicherung und die Erstbefragung möglicher Zeugen durchgeführt hatte. Dieser räusperte sich kurz und streckte Wannabe - den er noch nicht das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatte kennenzulernen - freundlich die linke Hand zum Gruß entgegen. Erst als dieser auch Sekunden später keineswegs Anstalten machte, den Gruß zu erwidern und ihn nur fast mitleidig ansah, zog auch er die Hand wieder zurück und stammelte: "Sergeant Smith, Sir! Also das ist ... mein Name ... Ja, gut. Ich hab nach dem Auffinden des Opfers gleich den Notarzt rufen lassen, der den Tod feststellte. Dann hab ich dafür gesorgt, das der Waggon ausgekoppelt und von der Victoria auf dieses Abstellgleis gezogen wurde, wo ich besser sicherstellen konnte, daß kein Unbefugter den Tatort betritt". Er machte eine kleine Pause, obwohl er vonseiten Wannabes inzwischen gar nicht mehr mit einer anerkennenden Geste rechnete, und fuhr dann fort: "Den Zugführer und den Zugbegleiter hab ich befragt, ihre Personalien notiert und sie dann in der alten Bahnhofsmission untergebracht, falls sie sie selbst noch einmal vernehmen möchten?!" Wannabe registrierte - wenn auch ungern - die im letzten Satz versteckte Frage und sah sich so zu einer Reaktion genötigt, die gewohnt kurz und knapp daherkam: "Dazu fehlt mir die Zeit. Ich hab Wichtigeres zu tun, mein Lieber, als ihre Arbeit für sie zu übernehmen! Also, was haben Sie in Erfahrung gebracht? Aber zügig, bitte! Schließlich sind sie Bahnpolizist". Ob der kleine Wortwitz der letzten beiden Sätze beabsichtigt war oder nicht, ließ sich Wannabes Gesicht nicht entnehmen, also verzichtete Sergeant Smith auf jeglichen Ansatz eines Lächelns und konzentrierte sich dafür ganz aufs knappe Antworten: "Aufgrund der vermutlichen Todeszeit ist anzunehmen, daß die Tat noch vor dem letzten Zwischenstop in Hampstead erfolgte. Dort sind nach Aussagen des Zugbegleiters zwar wohl wie immer um diese Zeit etwa eine Handvoll Personen ausgestiegen, aber gesehen hat er nichts Auffälliges. Und der Zugführer hat sich ganz auf seine Lok und die Strecke konzentriert ...". Wannabe fehlte noch eine Information und so hakte er nach: "Was ist mit den anderen Fahrgästen im Waggon?". Sergeant Smith überschlug sich nun fast bei seiner Erwiderung: "Ja, das ist das Merkwürdige! Die gab es nicht. Der Tote selbst hatte vor einer Woche komplett den ganzen Wagen samt aller Plätze auf seinen Namen reserviert".

Das war Wannabes Stichwort. Er ließ Smith einfach stehen und sah breitgrinsend zu Freakadelly hinüber, um ihm nun karrierewirksam endlich seine längst vorgefertigte Version vom möglichen Tathergang auszubreiten: "Also, Sir! Ich denke, es hat sich so abgespielt: Dieser Napolitani hat in seiner Funktion als leitender Bankangestellter insgeheim Geld gewaschen für Vincenzo Makkaroni, auf dessen Empfängen sein Bankdirektor ja auch schon des öfteren gesehen wurde. Spirellis Leute haben natürlich auch Wind von der Sache bekommen und beschlossen, Makkaroni eins auzuwischen, indem sie Napolitani brutal umlegen. Sie haben ein Treffen mit ihm arrangiert, angeblich um ihn abzuwerben. Er mietete daraufhin den Eisenbahnwaggon für das Treffen. Und Spirellis Männer knipsten ihm im Zweierpack die Lichter aus. Dann haben sie alle Spuren in gewohnter Gründlichkeit verwischt und den Zug unbeobachtet in Hampstead verlassen". Dem Chefinspektor gefielen die Ausführungen seines zukünftigen Schwiegersohns sichtlich: "Interessante und durchaus schlüssige Geschichte, Charles. Wenn wir das vor Gericht durchkriegen, dann haben wir sowohl Spirelli als auch Makkaroni mit einem Schlag am Haken zu baumeln. Und für die Medien werden wir sozusagen über Nacht die Helden der Nation. Ich laß Dir bei den Ermittlungen freie Hand. Und Du unterstehst in diesem Fall allein mir. Svensson bleibt außen vor, der macht das Ganze nur unnötig komplizert mit seinem ewigen In-alle-Richtungen-Ermitteln. Wo steckt der eigentlich schon wieder?"

Wannabes Assistent Crawler trat aus dem Hintergrund hervor und meldete voller Übereifer: "Sir, Inspektor Svensson vernimmt noch einmal auf eigene Faust den Zugbegleiter, statt wie befohlen hier am Tatort anwesend zu sein". Crawlers Gesicht strahlte, er hatte es schon in seiner Schulzeit genossen, seine Klassenkameraden bei den Lehrern anzuschwärzen und dafür von oben her gelobt zu werden. So war halt jeder irgendwie auf seine Art auf der Suche nach Anerkennung. Der Chefinspektor war sichtlich erzürnt über diese Neuigkeit: "Charles, hol mir sofort den Svensson her! Eh er noch irgendwelchen Schaden anrichtet durch seine unverantwortlichen Alleingänge!" Wannabe nickte und lief eilig hinüber zur Baracke der Bahnhofsmission. Und tatsächlich - da stand Svensson in seinem altmodischen Trenchcoat mit dem antiquierten Schreibblock in der Hand und notierte sich, was der vermeintliche Zugbegleiter auf seine Fragen antwortete. Gerade als der alte Inspektor dem Befragten zum Abschied die Hand reichte, ertönte hinter ihm die wohlvertraute Stimme seines Unterstellten Wannabe: "Svensson, zum Chef! Aber pronto, wenns geht!" Milde lächelnd drehte sich Svensson langsam zu Wannabe um und sagte: "Ja, Wannabe, ich freu mich auch, Sie zu sehen. Wie gehts denn? Was machen die frisch Verlobte und die Karriere? Und wie gehts dem zukünftigen Herrn Schwiegerpapa? ... Ach lassen Sie nur, das kann ich ihn ja alles gleich selber fragen!" Und während er noch so redete, verließ er bereits festen Schrittes das Gebäude der Bahnhofsmission in Richtung des Eisenbahnwagens und ließ den fassungslosen Wannabe einfach stehen ...

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sven1421

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6

Donnerstag, 19. Januar 2012, 19:25

Episode 6: Verspätete Ankunft

Der kühle Abendwind hatte einzelne Nebelschwaden in den Vororten Londons zusammengetrieben, die das idyllisch gelegene Anwesen in der Al-Meida-Street 88 in einen dünnen grauen Schleier tauchten und dadurch das sonst so makellos strahlende Weiß des Außenanstrichs der Hauswand glanzlos erscheinen ließen - der poetisch veranlagte Beobachter hätte wohl angesichts dieses Anblicks sogar von einer Art natürlichem Trauerflohr reden mögen. In diesem Moment war für den Bruchteil einer Sekunde ein leises Klicken im Schaltelement des an der Hauswand angebrachten Bewegungsmelders zu vernehmen, und das grelle Licht der über dem Eingangsbereich angebrachten Lampe fiel auf die beiden Frauen mit ihren Koffern, von denen die ältere gerade ein Schlüsselbund aus der Manteltasche kramte, um dann mit einem der daran befindlichen Schlüssel die Haustür aufzusperren.

Cathrin drehte sich sanft lächelnd zu Jane, die immer noch ein wenig verunsichert wirkte, um und verkündete mit einer einladenden Handbewegung : "Mi casa es su casa". Nur sehr zurückhaltend überschritt die auf diese Weise Eingeladene die Schwelle des Hauses - und das keineswegs, weil ihre Spanischkenntnisse nicht ausreichten, um den Sinn von Cathrins Aussage zu verstehen. Im Gegenteil: Sie hatte schon in der Schule Spanisch als Fremdsprache gehabt und während ihrer Studienzeit in den Semesterferien sogar einmal in Barcelona die Ferien verbracht. Was sie vielmehr zögern ließ, war die Tatsache, daß die riesige Villa bis vor wenigen Stunden noch das gemeinsame Heim ihres Liebhabers und seiner Ehefrau gewesen war - jener faszinierenden Unbekannten, die sie erst gerade im Zug kennengelernt hatte und zu deren Komplizin sie durch die Verkettung tragischer Umstände nun geworden war.

Jane blickte sich vorsichtig um. Meine Güte, von innen wirkte das Haus ja noch gewaltiger als von außen. Der erste Eindruck, den Jane von der Innenausstattung gewann, war derselbe, den sie schon im Zug von der Hausherrin gehabt hatte - beide strahlten auf ihre Art eine sympathische Wärme aus, in deren Nähe man sich sofort irgendwie geborgen fühlte. Cathrin hatte inzwischen ihren Mantel abgelegt und an der Flurgarderobe aufgehängt. Nun trat sie von hinten an Jane heran, berührte mit beiden Händen sanft die Schultern der jungen Frau und hauchte ihr dabei ins Ohr: "Leg doch erstmal ab und fühl Dich ganz einfach wie zuhause, Kleines!" Mit diesen Worten streifte sie behutsam Janes Jacke von ihren Schulterblättern herunter, um kurz danach auch die Arme der jungen Frau aus ihrer stofflichen Ummantelung zu befreien, wodurch die Jacke einfach auf den Teppichboden fiel. Jane ließ all das mit geschlossenen Augen mit sich geschehen. während sie den sanften Atem Cathrins an ihrem Nacken genoß. Wieder berührte die Dame des Hauses sanft ihre Schultern, um sie dann langsam zu sich umzudrehen. Dabei drang der betörende Duft von Cathrins Parfüm in Janes Nase und raubte ihr mit seiner ungeheuren Sinnlichkeit fast den Verstand. Sie spürte erneut jenen inzwischen so vertrauten warmen Atem, dann die Berührung eines Lippenpaares auf ihrer Wange. Und schließlich hörte sie Cathrin flüstern: "Willkommen, kleine Jane! Komm, wir gehen ins Wohnzimmer". Jane öffnete ihre Augen wieder und folgte ihr. Was Cathrin da als Wohnzimmer bezeichnete, war von seinen flächenmäßigen Ausmaßen wohl doppelt so groß wie das, was Jane bis dato ihre Wohnung nennen durfte. Ringsherum an den Wänden hingen dutzende Gemälde, wobei die Kunststudentin in ihr sofort registrierte, daß es sich dabei zweifellos ausschließlich um Originale berühmter zeitgenössischer Kunst handelte, deren Wert sie vom ersten Eindruck her auf etwa 100000 Pfund schätzte. Inmitten des Raumes stand ein großes weißes Sofa, vor dem an einer der Wände zwischen zwei Gemälden ein riesiger Flachbildfernseher hing. Hinter dem Sofa lag auf dem Lamminatfußboden ein weiches Eisbärenfell, das seinen Kopf in Richtung eines großen, offenen Kamins ausstreckte.

Cathrin schlug Jane vor, schon einmal auf dem Sofa Platz zu nehmen, während sie den Kamin anzündete. Die junge Frau folgte dem Vorschlag ihrer Gastgeberin und setzte sich. In ihrem Rücken vernahm sie schon wenige Augenblicke später das Knistern des brennenden Kaminholzes und bemerkte die ersten Anzeichen jener wohligen Wärme, die sein Feuer zu spenden vermochte. Cathrin setzte sich derweil neben Jane auf die Couch. Sie wollte sich endlich einmal ein wenig Zeit nehmen, ihre neue Freundin genauer zu betrachten, so wie sie es einige Stunden zuvor schon im Zug getan hatte. Im leicht gedimmten Licht des elektrischen Kronleuchters, der genau über ihnen von der Decke herunterhing, und dem dezenten Schein des frisch entflammten Kaminfeuers wirkte die junge Schöne sogar noch natürlicher und bezaubernder, als sie es schon bei Tageslicht im Zugabteil getan hatte. Das enge weiße T-Shirt, das sie jetzt trug, betonte Janes ohnehin schon schlanke Figur noch zusätzlich. Außerdem konnte Cathrin darunter sofort erkennen, was ihr bei all der Hektik des überstürzten Umkleidens im Zug gar nicht aufgefallen war - nämlich, daß Jane der Einfachheit halber auf einen BH völlig verzichtet hatte. Cathrin ließ ihren Blick ein wenig tiefer schweifen und bemerkte dabei, daß die dunkelblauen Leggins Janes unglaublich langen Beine erst so richtig zur Geltung brachten. Innerlich begann Cathrin, den Kopf zu schütteln. Eines mußte man diesem Mistkerl Steven schon lassen: Was Frauen anging, hatte er zeitlebens in jeder Hinsicht einen verdammt guten Geschmack gehabt.

Cathrins rechter Zeigefinger wanderte zu einer Haarsträhne, die Jane verwegen ins Gesicht gefallen war, und begann mit ihr zu spielen. Dabei schaute Cathrin der jungen Frau ganz tief in die Augen: "Weißt Du was, Kleines? Ich würd jetzt unheimlich gern erstmal unter die Dusche springen, Du kannst ja inzwischen ein wenig fernsehen. Und wenn Du magst, dann kannst Du danach ein heißes Wannenbad nehmen, während ich uns eine Kleinigkeit zu essen zaubere. Wie fändest Du das?" Ein kleines Lächeln huschte über Janes Gesicht, während sie erwiderte: "Ja, das ist eine gute Idee. Ein Bad und etwas zu essen wäre einfach super!" Cathrin zwinkerte Jane freudestrahlend zu: "Ok, abgemacht". Dann drückte sie noch rasch den Knopf der Fernsehfernbedienung und verschwand ins Badezimmer, aus dem Sekunden später nur noch das sanfte Rauschen des Duschwassers zu vernehmen war. Auf dem Flachbildfernseher flimmerten inzwischen die Bilder der Abendnachrichten über den Schirm: Wirtschaftsminister Bribery überraschend von allen politischen Ämtern zurückgetreten, US-Schauspieler Carlos Bernard als neuer James Bond Darsteller im Gespräch, Arsenal unterliegt ManU mit 2:4 Toren. Jane zeigte sich von all dem wenig beeidruckt, erst bei den Lokalnachrichten erstarrte sie ganz plötzlich. Gebannt lauschte sie der Stimme des Moderators, die verkündete: "In einem Eisenbahnwaggon wurde heute in der Victoria Station die Leiche eines 36jährigen leitenden Bankangestellten italienischer Abstammung entdeckt. Der Mann war mit insgesamt 24 Messerstichen grausam hingerichtet worden. Wahrscheinlichster Hintergrund der Bluttat dürfte nach Angaben des zuständigen Polizeibeamten Inspektor Charles Warnerbee von Scotland Yard die seit Wochen andauernde Privatfehde zweier italienischer Mafiafamilien sein ...".

Jane griff zitternd nach der Fernbedienung und stellte den Fernsehton auf stumm. Dann vergrub sie laut schluchzend das Gesicht zwischen ihren beiden Händen. Mein Gott, was hatte sie nur getan? An ihren zarten Händen klebte das Blut eines Menschen. Das Blut eines Mannes, den sie unendlich lieb gehabt hatte und mit dem sie sich in ihrer geradezu kindlichen Naivität bereits eine gemeinsame Zukunft erträumt hatte. Und nun war dieser Mann tot und zu einer Schlagzeile in den Nachrichten mutiert. Wenn die Polizei den brutalen Mord an Steven Napolitani auch fälschlicherweise der Mafia zuordnete und Cathrin und sie dadurch gar nicht erst unter Verdacht gerieten, so würde doch ihre Seele nie wieder völlig zur Ruhe kommen. Ihr eigenes Gewissen würde sie immer wieder erbarmungslos mit den Bildern ihrer Tat und deren schrecklichen Konsequenzen konfrontieren. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie lange sie imstande war, so etwas auszuhalten. Wie sollte sie nur mit dieser Schuld leben? Konnte man denn so überhaupt noch weiterleben?

Janes Weinen war inzwischen unter der Dusche auch an Cathrins Ohren gedrungen. Ungeachtet ihrer völligen Nacktheit und der Tatsache, daß sie mit ihrem nassen Körper praktisch die halbe Wohnung volltropfte, lief sie eilends zur Wohnzimmercouch und kniete ganz dicht vor Jane nieder, die hemmungslos vor sich her weinte. Ganz fest preßte sie die zitternde Freundin an ihre nackte Brust, dann befreite sie Janes Gesicht aus der Umklammerung der eigenen Hände und bedeckte ihre tränenüberstömten Wangen mit sanften Küssen. Mit dieser wundervoll zärtlichen Behandlung schaffte es Cathrin nach und nach tatsächlich, Jane die schon auf ewig verloren geglaubte innere Ruhe ein Stück weit wiederzugeben. Schließlich ließ Cathrin ihre beiden Arme unter Janes zerbrechlichen Leib gleiten, hob das zarte Geschöpf hoch und trug sie dann ins Bad, wo sie sie langsam auf dem Wannenrand niederließ und vorsichtig zu entkleiden begann, während sie nebenbei heißes Wasser in der Badewanne einlaufen ließ.

Minuten vergingen, dann setzte Cathrin Jane sanft in die Wanne und begann, sie am ganzen Körper intensiv von oben bis unten mit einem nassen Schwamm abzuseifen. Jane genoß die Sanftheit der Berührungen von Wasser und Schwamm und das unglaublich entspannende Gefühl, welches diese in ihr auslösten. Die Entspanntheit versetzte sie schließlich sogar in eine Art wohligen Dämmerzustand, der ihre Augen immer schwerer werden und sie am Ende fast einschlafen ließ. Als sie die Augen dann wieder zu öffnen vermochte, lag sie längst schon wieder auf der Couch, ein Handtuch um den Kopf gewickelt und in einen weißen Bademantel gehüllt. Janes Kopf ruhte auf dem Schoß Cathrins, die in einem Morgenmantel aus feinster roter Seide neben ihr saß und mit geschickten Bewegungen sanft ihre Schläfen massierte. Cathrins Augen lächelten milde: "Schön, daß Du wach bist, kleine Jane.. Weißt Du, Du hast so süß geschlafen. Ich hab zwischendurch schon was zu essen zubereitet für uns zwei. Ich hoffe, Du magst Fisch und Chips?! Und als Beilage vielleicht etwas Gurkensalat?" Eigentlich liebte Jane Fisch in jeglicher Form, aber jetzt löste bereits der Gedanke an irgendetwas Fischartiges einen nie gekannten Brechreiz in ihr aus. Und so sprang sie zu Cathrins Entsetzen auf und rannte, so schnell sie konnte, ins Badezimmer, um sich dort ausgiebig zu übergeben. Ob das vielleicht an den Eiern vom hastigen morgendlichen Frühstück lag oder daran, daß sie seitdem gar nichts mehr gegessen hatte oder an der Tatsache, daß sie die Sache mit Steven im Zug ... sein starrer Blick, sein lebloser Körper und dann überall das Blut ... Noch einmal steckte Jane ihr blaßes Haupt in die Kloschüssel, während sie ganz nebenbei wie aus der Ferne das Läuten des Türgongs vernahm ...

Cathrin hatte im Wohnzimmer rasch ihren Morgenmantel zurechtgerückt und dann die Haustür geöffnet. Vor ihr stand ein älterer, schnauzbärtiger Mann mit Halbglatze. Er zog einen Ausweis aus der Tasche seines abgewetzten Regenmantels und erklärte zeitgleich mit etwas bedrückter Stimme und einem Ausdruck tiefen, ehrlichen Bedauerns im Gesicht: "Misses Cathrin Napolitani, nehme ich an? Mein Name ist Lukas Svensson, Inspektor bei Scotland Yard. Es tut mir leid, aber ich habe leider eine unendlich traurige Nachricht für sie ...". Die Erschütterung, die bei seinen Worten in Cathrins Gesicht Einzug hielt, war noch nicht einmal gespielt. Bis zu diesem Moment hatte sie schließlich noch gar keinen Gedanken daran verschwendet, daß die Polizei über kurz oder lang ja eh bei ihr auftauchen würde, um ihr die Nachricht vom gewaltsamen Ableben ihres Gatten zu überbringen. Doch wieviel wußte dieser Inspektor wirklich von dem, was am frühen Nachmittag dieses Tages in jenem Zugabteil auf der Fahrt nach London geschehen war? War sie nur die Frau des Opfers oder doch auch eine mögliche Verdächtige? Hatte sie vielleicht doch irgendjemand beobachtet beim Ein- oder Aussteigen? Wußte man etwas über Jane? Und wenn ja, verdächtigte man sie eventuell sogar? Und wie würde das noch immer unter dem Schock der Tat stehende Geschöpf auf den unerwarteten nächtlichen Besuch des Kriminalisten reagieren? Und welche Schlüsse würde der Inspektor allein aus ihrer bloßen Anwesenheit ziehen?

Mit einem einzigen Satz riß der noch immer vor der Haustür stehende Svensson die mit einem Male unheimlich blaß gewordene Frau aus ihren sich wild überschlagenden Überlegungen: "Sie erlauben doch, daß ich nähertrete?!" ...

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sven1421

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7

Donnerstag, 19. Januar 2012, 19:25

Episode 7: Morgengrauen

Die ersten Strahlen der Morgensonne bahnten sich ihren Weg durch die Lamellen der halboffenen dunkelblauen Jalousien vor den Fenstern jenes kleinen Zimmers, in dessen Mitte auf einem vom jahrelangen Gebrauch durchgelegenen Schlafsofa der komplett regungslose Körper des nur noch mit seiner Unterwäsche bekleideten Svensson ruhte. Auf dem weißen Unterhemd des Inspektors zeichneten sich im morgendlichen Licht des jungfräulichen Sonnenscheins in Höhe des Brustkorbes zwei große häßliche blutrote Flecken ab ...

[WIRD FORTGESETZT]

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